März 1999
Human Rights Update
Inhalt:
  1. Kriegsrecht-Atmosphäre am 5. und 10. März 1999 in Lhasa
  2. Ackerland zum Bau einer Plastikfabrik konfisziert
  3. Verhaftet wegen religiöser Zusammenkunft
  4. Appell an die Mitgliedstaaten der UN Menschenrechtskommission
  5. Urteilsverlängerung wegen Ungehorsams gegen die Gefängnisregeln
  6. Älterer Mönch zu Tode geschlagen
  7. Tod eines unbeugsamen Freiheitskämpfers
  8. Beharrliche politische Aktivisten
  9. Portrait eines politischen Gefangenen: Ngawangs hartes Schicksal

Kriegsrecht-Atmosphäre am 5. und 10. März 1999 in Lhasa

Vom tibetischen Neujahr am 17. Februar 1999 an bis zum 40. Jahrestag des tibetischen Aufstandes am 10. März 1999 wurden die Bewohner Lhasas schweren Einschränkungen unterworfen. PSB, PAP und die lokalen Polizeistationen standen am 5. März, dem 10. Jahrestag der Demonstrationen von 1989, sowie am 10. März unter Ausnahmezustandsorder und besonderer Alarmbereitschaft. An allen empfindlichen Punkten Lhasas wurden große Kontingente paramilitärischer Kräfte stationiert, die Tag und Nacht dort patrouillierten. "Wir müssen extra vorsichtig sein wegen der Bewegungen und der Aktivitäten jener, die das große Mutterland nicht achten", lautete der an alle Branchen des PSB erlassene Befehl. Diese Verordnung wurde auch an alle Erziehungsanstalten und Verwaltungsabteilungen gesandt. Die Angestellten mußten während beider Tage in ihren Büros bleiben. Wer sich irgendwohin begeben wollte, mußte sich im lokalen Komitee eintragen lassen. Am 5. März 1999 setzten die Chinesen bewaffnete Kräfte des PSB und der PAP an allen größeren Versammlungsplätzen, auch am Barkhor und dem Gebiet um den Tsuklagkhang ein, die während dieser Zeit ständig ihre Runde drehten. Den Bürgern Lhasas wurde verboten, sich zu mehr als 2 oder 3 Personen zu versammeln.

Trotz dieser Restriktionen boten am 5. März zwei junge Mönche den Besatzern Trotz und riefen aus der Menschenmenge am Barkhor heraus, daß Tibet unabhängig ist. Wenige Minuten später wurden beide Mönche verhaftet und in das lokale Polizeirevier in der Nähe des Tsuklagkhang gebracht. Zeugen zufolge sollen sie dort schwer geschlagen worden sein. Zehn Minuten später wurde über Lautsprecher befohlen, daß die Leute ihren Geschäften nachgehen sollen und Volksaufläufe am Tsuklagkhang streng verboten sind. In der in Chinesisch und Tibetisch erfolgten Ankündigung wurde gedroht, daß "öffentliche Versammlungen und Rufe streng verboten sind, und jeder, der der Anweisung zuwiderhandelt, strafrechtlich verfolgt wird."

Am 10. März, dem 40. Jahrestag des tibetischen Aufstandes, wurde um 4 Uhr morgens bewaffnete Polizei zum Barkhor und allen großen Straßen Lhasas geschickt. Seit Beginn dieses Jahres verstärkte die Regierung die Polizeikontrolle in Lhasa durch ein großes Aufgebot an Sicherheitskräften, was eine kriegsrecht-ähnliche Lage hervorrief. Wie Zeugen berichteten, sind die in Lhasa lebenden Tibeter durch die massive Polizeipräsenz schwer eingeschüchtert.

1999 ist ein kritisches Jahr für die Chinesen in Tibet, weil zwei wichtige historische Ereignisse gefeiert werden: der 50. Jahrestag der Gründung der kommunistischen Regierung in China, und im September wird das Sportfest der Nationalen Minderheiten in Lhasa stattfinden. Der Staat ist entschlossen, jegliche möglicherweise politisch herausfordernde Aktivität während der Veranstaltungen zu verhindern. Alle Ordnungskräfte wurden angewiesen, wachsam zu sein, in und um Lhasa wurden weitere Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Zu den Nationalen Minoritäten-Wettkämpfen, die die erste größere nationale Veranstaltung in Lhasa sein werden, erwarten die Behörden eine große Zahl an Besuchern von außerhalb Lhasas.

Im Februar setzte die Zentralregierung weiteres speziell trainiertes Sicherheitspersonal in Lhasa ein, um etwaige Zwischenfälle sofort zu unterdrücken. Dieses Sonderpersonal bildet gegenwärtig die verschiedenen lokalen Sicherheitsabteilungen in Lhasa aus und instruiert sie, wie sie Störungen der öffentlichen Ordnung zu begegnen haben. Angesichts der bevorstehenden Feierlichkeiten trafen die Besatzer im voraus alle nur möglichen Sicherheitsvorkehrungen, um ihren Erfolg zu garantieren und ein positives Bild zu liefern.

Ackerland zum Bau einer Plastikfabrik konfisziert

Seit 1997 ist der Lebensunterhalt von 20 Familien in der Ortschaft Cherigyab durch ein großes chinesisches Entwicklungsprojekt bedroht. Ein Großteil ihres Ackerlandes wurde beschlagnahmt, damit die Regierung eine Plastikfabrik in ihrem fruchtbaren Tal bauen kann. Die Bewohner der Ortschaft Cherigyab sind meistens Bauern, die von dem Ertrag ihres Bodens leben. Sie bauen in erster Linie Gerste an, mit der sie die Abgaben an den Staat zahlen und von der sie selbst leben. Nachdem nun bis zur Hälfte ihres Landes konfisziert wurde, können viele dieser Familien nicht mehr genug Gerste produzieren, um die Regierungsquoten zu zahlen und sich zu ernähren.

Ein Bauer, der anonym bleiben will, beschrieb seine Notlage. Zuvor hätte seine Familie von dem Gerstenertrag des 500 qm großen Ackerstückes gelebt. Darauf zogen sie etwa 6.000 kg Gerste im Jahr, wovon sie 1.500 kg an die Regierung verkaufen mußten. 1995 wurde ihnen durch den Bau einer Regierungsschule 125 qm ihres Besitzes abgezwackt, wofür sie keine Entschädigung erhielten, und zu ihrem Schrecken wurde ihre Abgabequote im folgenden Jahr auf 2.000 kg erhöht. Zwei Jahre später, als die Arbeiten für die Plastikfabrik begannen, wurden weitere 125 qm vom Staat konfisziert. Mit den auf die Hälfte geschrumpften Feldern hat die Familie nicht mehr genug Ackerland, um die für die Abgabe und ihren eigenen Bedarf erforderliche Gerstenmenge zu produzieren. Aus Verzweiflung mußten sie zum Gerstenanbau auf das anliegende Land, das ihnen nicht gehört, übergreifen. Der Bauer meint, daß die Lage ein weniger besser wäre, wenn sie ihr Korn zu einem normalen Marktpreis statt an die Regierung verkaufen könnten. Der Regierungsanteil wird unter dem Marktpreis verkauft. Und von diesem Geld dürfen die Bauern zudem nur Kunstdünger, der von der Regierung verkauft wird, einkaufen. Deshalb hat die Familie kaum mehr etwas zum Essen und in schlechten Erntejahren auch kein Geld, um weitere Nahrungsmittel einzukaufen.

Neue Entwicklungsprojekte der Chinesen wie diese Plastikfabrik greifen oft auf Landwirtschaftsgebiete über, wodurch Notlagen wie diese entstehen. Viele tibetische Bauern müssen nun sehen, wie sie auf parzelliertem Land existieren können.

Verhaftet wegen religiöser Zusammenkunft

Seit 1988 versammelten sich ältere Tibeter regelmäßig in Sung Choe Ra um den Jokhang Tempel ohne irgendwelche politischen Zwecke. Immer mehr ältere Personen fanden sich dort ein. Seite Mitte 1988 fingen die PAP, das PSB und der Sicherheitsdienst der TAR an, diese Versammlungen zu stören und die Gebete abzubrechen. Die Leute werden streng überwacht und etwa 80 ältere Personen wurden verhört, wobei ihnen Fragen gestellt werden: Was sind eure Absichten? Warum kommt ihr dort zusammen? Dadurch wurde die Gebetszeremonie schwer beeinträchtigt. Die Regierung hegt wegen der Gebete Verdacht. Ein paar Teilnehmer wurden am 20. August 1998 festgenommen, und bis heute weiß man nicht, wo sie sich befinden. Ama Lhundup Wangmo aus Lhasa Tsemonling ist eine von den Verhafteten, weiterhin Ama Tsepak aus Lhasa Shol und Pa Tashi aus Lhasa Chingu. Im November 1998 wurden eine weitere Geschäftsfrau und andere unbekannte Personen verhaftet. Die 80 sich dort versammelnden Personen mußten nun zur Bestätigung, daß sie nichts mit politischen Dingen zu tun haben, ihren Daumenabdruck unter Dokumente setzen. Weil die meisten von ihnen alte Leute sind, wurden sie nicht festgehalten, aber ihr Beten wird weiterhin streng kontrolliert.

Appell an die Mitgliedstaaten der UN Menschenrechtskommission

Das TCHRD appellierte alle Mitglieder der UNHRC (United Nations Human Rights Commission), für eine Tibetresolution bei der Versammlung der Kommission in Genf zu plädieren, die vom 22. bis 30. April weltweite Menschenrechtsbelange diskutieren wird.

Die Frage der Menschenrechtsverletzungen durch die VR China (PRC) in Tibet wurde 1997 von der Dänischen Regierung eingebracht, aber sie erhielt nicht die Zweidrittelmehrheit in der Kommission, die zur Verabschiedung einer Resolution nötig gewesen wäre. Dieses Jahr stimmten der US Senat und der Congress einstimmig für das Einbringen einer Resolution wegen der Menschenrechtsverletzungen der PRC, aber die letzte Entscheidung liegt bei Präsident Clinton. Wenige Tage, ehe die Kommission zusammentreten wird, entließ die PRC drei Dissidenten, was wohl wegen des zunehmenden Druckes wegen der Menschenrechtslage auf sie erfolgte. Wenn die PRC gewisse internationale Verträge unterschreibt, so ist das nur eine symbolische Geste, die zur rechten Zeit unternommen wird, um die Chinapolitik der Mitgliedstaaten zu beeinflussen.

Urteilsverlängerung wegen Ungehorsams gegen die Gefängnisregeln

Jigme Yangchen ist eine 31jährige Nonne, die derzeit im Drapchi Gefängnis einsitzt. Ihr Zustand soll sehr schlecht sein. Mit 5 anderen Nonnen wegen einer friedlichen Demonstration am Barkhor verhaftet, wurde Jigme 1991 zu 7 Jahren verurteilt. Am 28. August 1998 riefen die 6 Nonnen aus dem Shugseb Kloster "Lange lebe Seine Heiligkeit der Dalai Lama", "Free Tibet" und "Chinesen raus aus Tibet" auf den Straßen um den Barkhor. Die sechs wurden augenblicklich vom PSB verhaftet und in eine Haftanstalt gebracht. Dort wurden sie schwer mißhandelt und immer wieder verhört. Bei jedem Verhör wurden sie gedemütigt, geschlagen und gestraft. Die Peiniger wiederholten andauernd dieselben Fragen und schlugen sie dabei. Jigme erlitt schwere Verletzungen. Im Januar 1991 fällte das Mittlere Volksgericht von Lhasa das Urteil über sie: 7 Jahre und weitere 2 Jahre Entzug der Bürgerrechte. Später kam sie nach Drapchi. Dort mußte sie Gefängnisarbeit leisten wie Wolle zupfen und Gemüse anbauen.

Im Oktober 1993 war Jigme an der heimlichen Aufzeichnung von Liedern und Botschaften auf einem Cassettenrecorder, der ins Gefängnis geschmuggelt worden war, beteiligt. Darin drückten die Nonnen ihre Hingabe an den Dalai Lama, Botschaften an Verwandte, Freunde und Tibetunterstützer aus. Alles wurde von der Gefängnisleitung entdeckt. Jigme und die anderen 13 Nonnen wurden schrecklich bestraft und allen wurde die Haftfrist verlängert. Jigme hat nun 12 Jahre Gefängnis abzubüßen.

Während des Losarfestes 1992, das auf den 10. März fiel, trotzten Jigme und etwa 23 weitere Nonnen ganz offen den Gefängnisregeln und weigerten sich, die Gefängnisuniformen zu tragen. Berichten von damals zufolge schlugen 50-60 Soldaten der PAP die Nonnen unentwegt drei Tage lang zur Strafe. Sie wurden mit Seilen festgebunden und mit Stangen und Gürteln geschlagen und mit Viehstöcken elektrisiert. Alle wurden ernstlich verletzt und erlitten dadurch permanenten Gesundheitsschaden. Jigme befindet sich nun in kritischer Lage. Sie ist extrem abgemagert und sehr blaß. Sie leidet an verschiedenen Organschäden, verursacht durch die Schläge bei den Verhören. Sie darf keine Besucher empfangen, was darauf hinweist, daß sie auch bei den Protesten vom Mai 1998 in Drapchi beteiligt war und deshalb besonders hart bestraft wird.

Jigme, die in Lhoka Gongkar geboren wurde, war bis 17 Jahre bei ihren Eltern. 1987 trat sie dem Shugseb Kloster im Kreis Chushul, TAR, bei, wo sie bis zu der Demonstration im August 1990 war.

Älterer Mönch zu Tode geschlagen

Im Juli oder August 1997 wurde in dem Sungrabling Kloster die Umerziehung durch ein 20köpfiges Arbeitsteam unter einem Kader namens Khampa Chodrak, der wegen seiner Härte berüchtigt ist, durchgeführt. Der Abt des Klosters, Geshe Choephel, wurde angewiesen, daß er seine Mönche zur Befolgung des Umerziehungsprogramms anhalten solle. Er weigerte sich aber. Nach einer 4tägigen intensiven Umerziehung wurde er in sein Heimatdorf Kyimshe in der Region Lhoka geschickt und dort von der Polizei schwer geschlagen. 15 Tage wurde er in der Polizeistation festgehalten. Danach brach seine Gesundheit gänzlich zusammen und er starb am 24. September 1998 als Folge der Verletzungen. Er war etwa 71 Jahre alt. Bei einer Polizeidurchsuchung von Geshe Choephels Wohnung wurden ein Brief von Desi Rinpoche (der nun in Indien wohnt) und seine persönlichen Siegel gefunden. In dem Kloster waren bisher 30 Mönche, wovon 29 nach der Umerziehung weggeschickt wurden. Nur einer ist noch übrig. Sungrabling Kloster liegt in Gongkar, einem Dorf in dem Drib Tal, Region Lhoka, und ist eine Zweigstelle des Drepung Loseling College.

Tod eines unbeugsamen Freiheitskämpfers

Ende 1998 starb einer der standhaftesten Freiheits-Aktivisten, Hor Lobsang Tsundue, im Alter von 88 Jahren im Kloster Drepung. Mit 86 aus dem Gefängnis entlassen, war er einer der ältesten und am längsten inhaftierten politischen Gefangenen in Tibet. Er hatte insgesamt 22 Jahre hinter Gittern verbracht.

Hor Lobsang stammte aus der Region Nagchu und war früher Mönch des Drepung Klosters. Mit 7 Jahren trat er in dieses Kloster ein und blieb dort bis 1960. Dann versuchte Hor Lobsang nach Indien zu entkommen, aber wurde von der Armee verhaftet und 15 Tage im Kloster festgehalten. 1965 starteten die Chinesen eine drei Punkte umfassende Umerziehung in dem Kloster, um den Mönchen einzubleuen, den Dalai Lama und den Panchen Lama schlechtzumachen. Hor Lobsang wurde 1965 verhaftet und zu 5 Jahren in dem Yitridu Gefängnis verurteilt. Dort wurde er aufgefordert, Seine Heiligkeit den Dalai Lama und den Panchen Lama zu beschimpfen. Seine entschiedene Weigerung führte zu schwerer Folterung.

Hor Lobsang erfüllte niemals die Forderungen der Chinesen, den Dalai Lama zu verwerfen. 1971 wurde die Kampagne im Kloster erneuert. Weil Hor Lobsang sich immer noch weigerte, den Befehlen der Besatzer zu gehorchen, wurde sein Hafturteil um weitere 10 Jahre vermehrt. In dieser Zeit wurde er gesundheitlich sehr schwach. 1979 wurde er in das Outridu Gefängnis verlegt und schließlich 1980 entlassen. Sofort begab er sich wieder in das Drepung Kloster. 1988, als die chinesische Obrigkeit Vorbereitungen zur Feier des Monlam Festes in Lhasa traf, sagte Hor Lobsang den Leuten, sie sollten nicht daran teilnehmen. Die Chinesen würden nämlich das Monlam Fest benützen, um den Eindruck religiöser Freiheit in Tibet vorzutäuschen, wo es doch in Wirklichkeit überhaupt keine Freiheit gäbe. Als die Chinesen im März 1988 von seiner Aktivität erfuhren, wurde er von den Sicherheitskräften der TAR verhaftet und vernommen. Als sie ihn fragten, ob er an den Demonstrationen vom September 1987 zusammen mit den anderen 21 Mönchen von Drepung  teilgenommen hätte, antwortete er stolz, daß die Proteste eine große politische Handlung der Mönche und kein Verbrechen waren. Er wurde nach 9 Monaten entlassen. Anfang 1990 wurde das Monlam Fest in dem Drepung Kloster begangen. Damals kamen die Kader der TAR Regierung ins Kloster. Während einer angeordneten Diskussion erhob Hor Lobsang seine Stimme und rief "Seine Heiligkeit der Dalai Lama soll nach Tibet zurückkehren" und "Tibet soll sofort befreit werden". Wenige Augenblicke später wurde er von den Kadern in Gewahrsam genommen und in das Gutsa Gefängnis gebracht. Dort wurde er wiederholt gefoltert. Er weigerte sich hartnäckig, reformiert zu werden. Seine Entschlossenheit ist immer noch ein Vorbild für viele seiner Mitgefangenen, sogar für die nicht-politischen. Viele der ehemaligen Gefangenen priesen seine Tapferkeit.

Im Mai 1990 wurde Hor Lobsang von dem Mittleren Volksgericht Lhasa zu 6 Jahren Gefängnis und Entzug der politischen Rechte für weitere 2 Jahre verurteilt. Er sagte, er würde niemals seine Tätigkeit bereuen. Er wurde nach Drapchi verlegt und dankte den Gefängnisleitern noch dafür, daß sie ihn nach Drapchi schafften, weil er dort viele gleichgesinnte Freunde hatte. In Drapchi wurde er wieder gefoltert. Ehemalige Insassen erzählen, daß Hor Lobsang entsetzlich unter den Mißhandlungen litt, aber seine Gesinnung in seinem Kampf um die Unabhängigkeit niemals wankte. Über fünfmal wurde er in Einzelhaft gesteckt, einmal über 6 Wochen lang. 1991 wurde Hor Lobsang von einem PAP Soldaten mit Gewehrkolben auf den Rücken getroffen. Er fiel bewußtlos um. Das war nur eines von vielen solchen Vorkommnissen. 1996 wurde er aus der Haft entlassen und ging wieder das Drepung Kloster. Offiziell wurde er aus dem Kloster ausgestoßen, aber seine Freunde dort sorgten für ihn. Insgesamt verbrachte Hor Lobsang 21 Jahre und 9 Monate im Gefängnis. Obwohl er so viele Jahre vergeblich nach Unabhängigkeit gerufen hatte, blieben seine Entschlossenheit und sein Mut unerschütterlich bis zu seinem Tod Ende 1998 im Kloster Drepung. Hor Lobsangs Beitrag zu der tibetischen Unabhängigkeit und das Leiden, das er auf sich nahm, sind unermeßlich.

Beharrliche politische Aktivisten

Jamyang Dhondup kam im Januar 1999 in Dharamsala an, nachdem er 5 Jahre in dem Gefängnis von Ngaba verbracht hatte. Nun sah er zum ersten Mal seinen 5jährigen Sohn und traf seine Frau wieder. Er war wegen der unerträglichen Einschränkungen nach seiner Entlassung geflohen.

Jamyang Dhondup, 36, ist aus Kreis Lithang, TAP Kartse, Provinz Sichuan. Er ist der älteste von seinen Geschwistern und stammt aus einer halbnomadischen Familie. Er hatte nur 1 Monat lang eine Schule besucht. 1960, als das Kommunensystem von den Chinesen aufgezwungen wurde, arbeitete Jamyang in einer Kommune, weshalb er seine Schulbildung nicht fortsetzen konnte. Jamyangs Großeltern gehörten einer höheren Gesellschaftsschicht an, was Jamyang zu einer besonderen Zielscheibe für die chinesische Gleichmacherei machte. Sein Großvater Gonpo Tsering wurde nur wegen seiner sozialen Stellung mehrere Jahre im Gefängnis von Lithang eingesperrt, wodurch seine Gesundheit schwer litt. Auch danach wurde Gonpo in den "Kampfsitzungen" gequält und später als "Schwarzkappe" gebrandmarkt. All diese Peinigungen führten zu seinem frühzeitigen Tod.

1978, als die Chinesen religiöse Freiheit in Tibet verkündeten, trat der nun 18jährige Jamyang dem Kloster Lithang bei. 7 Jahre später verließ er das Kloster wieder. Nachdem er Cassetten von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama angehört hatte, auf denen dieser von der gewaltsamen Besetzung Tibets und der politischen Repression sprach, begann er sich ab 1989 an politischen Aktivitäten zu beteiligen. Er ging nach Lhasa, wo er noch mehr in diesem Entschluß bestätigt6 wurde. Während des Lithang Monlam Festes von 1991 verteilte Jamyang mit seinen Freunden Flugblätter unter die 2000 Mönche und vielen Besucher des Festes. Darauf stand "Tibeter und Chinesen sind verschieden", "Tibet ist ein Land mit eigener Geschichte", "China hat Tibet rechtswidrig besetzt", "Viele Familien wurden infolge der chinesischen Besatzung auseinandergerissen". Im August 1992 schrieben Jamyang und zwei seiner Freunde aus Lithang, Ta-Lobsang und Ngawang Chomphel, ein Plakat mit 1000 Worten: "Chinesen sind wie Giftschlangen", "Tibet ist unabhängig", "Die Chinesen betrügen uns", "Tibeter wissen nicht wo hingehen", "Wir Tibeter müssen zusammenhalten" usw. Sie verteilten die Flugblätter während des Jahrestages zur Gründung der PLA, der in der Pferderennbahn von Lithang gefeiert wurde.

Obwohl Chomphel and Jamyang damals nicht verhaftet wurden, wußten sie, daß sie bald gefaßt würden und begaben sie daher in einer großen Gruppe auf den Weg nach Indien. Als sie Sher Khumbu in Nepal erreichten, wurden 20 Personen der Gruppe von der nepalesischen Grenzpolizei verhaftet und dem chinesischen Grenzpersonal in Dram ausgehändigt. Jamyang war unter ihnen. Von Dram kam er nach Shigatse, wo er nach einem Tag entlassen wurde. Ngawang Chomphel konnte ins Exil entkommen. Jamyang sah sich gezwungen, nach Lithang zurückzukehren. Dort schrieben sie wieder Flugblätter, aber konnten sie nicht mehr verteilen. Im Juli 1993 kehrte auch Chomphel aus Indien zurück. Drei Freunde wollten nun einen größeren Protest in der Gegend von Lithang organisieren, aber die PAP erfuhr von ihren Plänen. Als Jamyang eines Tages von der Feldarbeit zurückkehrte, sagte seine Mutter, daß die Polizei gekommen sei, um ihn abzuholen. Er lief sofort zu Chomphels Haus, etwa 40 km entfernt. Sie besprachen, was nun zu tun sei, und beschlossen zu fliehen, aber sich vorher freiwillig der Polizei zu stellen. Am 19. Aug. 1993 ging Jamyang mit seinem Vetter zur lokalen Polizeistation. Jamyang und Ngawang Chomphel wurden am selben Tag verhaftet und in den folgenden Tagen die meisten seiner anderen Freunde. Sie kamen zum Verhör in das Haftzentrum von Lithang, wo Jamyang geschlagen wurde. 9 Polizisten zwängten ihm elektrische Viehstöcke auf den Leib. Die Peiniger fragten ihn "Wer veranlaßte dich zu solchem Tun, wer sind deine Kameraden, weshalb hast du solche Aktivitäten unternommen?" Vier Tage ließen sie ihn mit Schellen an Händen und Füßen liegen. Er war tagelang bewußtlos. 4 Monate lang war er in der Haftzentrum von Lithang in einer Einzelzelle. Ende 1993 wurde er mit 3 Gefährten in das Haftzentrum von Kartse verlegt. Jamyangs Freund und Mitgefangener La-thak starb an den exzessiven Mißhandlungen in der Haftanstalt von Lithang. Als Todesursache wurde von offizieller Seite Selbstmord angegeben.

In der Kartse Haftanstalt wurden sie auf Hungerration gesetzt. Sie bekamen morgens einen halben Dampfwecken, einen halben Teller Reis zu Mittag und verdünnte Reis-Nudel-Suppe am Abend. Wegen dieser mangelhaften Ernährung wurden Jamyangs Haare gelb. In Kartse wurde er fortwährend geschlagen, damit er "seine Verbrechen gestehen und sich bessern" sollte. Im ganzen war er dort 14 Monate lang in Einzelhaft. Im September 1994 wurde die Gruppe formell von dem Mittleren Gerichtshof der Kartse TAP verurteilt: Jamyang Dhondup zu 5 Jahren Gefängnis und weiteren 3 Jahren Verlust der Bürgerrechte. Sie wurden nun in das Gefängnis der TAP Ngaba (Nga-Cheyon) verlegt, wo damals um die 2.000 Gefangene waren, von denen 1.600 Tibeter waren. Sie mußten Gefängnisarbeit leisten wie Steine brechen, Ziegel herstellen, Schreinerarbeiten ausführen. Jamyangs Freunde wurden sukzessive entlassen: A-Ngag und Tsundue nach 8 Monaten, Chomphel und Lo-Drakpa nach 4 Monaten. Ta-Lobsang und Jamyang wurden erst nach Ableistung ihrer 5-jährigen Strafe entlassen. Das Ngaba Gefängnis hat zwei Blöcke. Er blieb beinahe 4 Jahre in diesem Gefängnis, wo er kein Besucherrecht hatte. Ohnehin betrug der Weg von seinem Heimatort zum Gefängnis 4 Tage, was einen Besuch durch seine Angehörigen sehr schwierig gemacht hätte. Folglich sah Jamyang die ganze Zeit über seine Frau und seinen Sohn nicht. Auch nach seiner Entlassung wurden seine Bewegungen und all sein Tun streng überwacht. Weil er diese unerträgliche Situation nicht mehr aushalten konnte, sah er sich gezwungen nach Indien zu fliehen. Dort traf er auch seine Frau wieder und sah zum ersten Mal seinen Sohn.

Portrait eines politischen Gefangenen: Ngawangs hartes Schicksal

Ngawang Nordon ist derzeit im Drapchi Gefängnis eingesperrt. Sie hinkt, weil sie einmal bei der Arbeit in dem Treibhaus das Bewußtsein verloren und auf einen Stein gefallen war. Sie leistet eine 7jährige Strafe ab, die 1992 begann und dieses Jahr zu Ende gehen sollte.

Am 24. Mai 1992 ging Ngawang und 5 weitere Nonnen von dem Nya Samdrup Doma Lhakang nach Lhasa, wo sie friedlich am Barhor zu demonstrieren begannen. Sie riefen Parolen wie "Tibet ist ein freies Land", "Chinesen verlaßt Tibet", "Lange lebe Seine Heiligkeit der Dalai Lama". Gleich nach Beginn des Protestes wurden sie von den Polizisten des PSB verhaftet. In dem Polizeifahrzeug wurden sie bereits mißhandelt und in das nächst gelegene Haftzentrum, Gutsa, gebracht. Dort wurden sie voneinander getrennt und jede Nonne in eine andere Zelle gesteckt. Jede wurde separat und intensiv vernommen. Als sie nicht die gewünschten Antworten gaben, bekamen sie weitere Schläge. Im November 1992 wurde Ngawang Nordon schließlich zu 7 Jahren Gefängnis und 2 Jahren Verlust der politischen Rechte verurteilt. Die 6 Nonnen wurden der "Aufhetzung zu konterrevolutionärer Aktivität und Propaganda" angeklagt.

Im Februar 1992 wurden sie alle in das Drapchi Gefängnis verlegt. Ngawang mußte in dem Gemüse-Treibhaus des Gefängnisses arbeiten. Auch dort wurde sie immer wieder wegen Geringfügigkeiten von dem Gefängnispersonal geschlagen. Im Juni 1993 brach sie wegen der unerträglichen Hitze unter dem Plastikdach des Treibhauses zusammen. Sie fiel mit dem Bein auf einen großen Stein. Am nächsten Morgen konnte sie es nicht mehr bewegen. Im Gefängnishospital sagte man ihr, sie hätte Bluthochdruck, aber ihre Verletzung wurde nicht behandelt. Sie geht heute immer noch hinkend.

Als im Mai vergangenen Jahres die Proteste im Drapchi Gefängnis ausbrachen, gab es unbestätigte Hinweise, daß auch Ngawang beteiligt gewesen sein soll, so daß nicht klar ist, ob sie fristgerecht dieses Jahr entlassen wird. Ngawang Nordon ist 30 Jahre alt und stammt aus Toelung Dechen. Als Kind half sie ihren Eltern bei der Feldarbeit. Mit 19 Jahren trat sie dem Samdrup Dolma Lhakhang bei.