Human Rights Update

September 2000

Inhalt
  1. Jigme Gyatso und Lodro Gyatso im Drapchi Gefängnis gefoltert
  2. Stellvertretender Gemeindevorsitzender unter Verdacht festgenommen
  3. Hausarrest für Khenpo Jigme Phuntsok
  4. Arbeitsteam in Kloster Raktsa
  5. Arbeitsteam in Kloster Shugang
  6. Das Recht auf Erwerb des Lebensunterhalts und Erziehung
    a) Kunchok,
    b) Yithab Kyab,
    c) Thinley,
    d) Dorje Tsering,
    e) Tsering Dhondup,
    f) Pema Dorjee
  7. Portrait: Politischer Gefangener in Einzelhaft wegen Plakatierens
Teil 1

Jigme Gyatso und Lodro Gyatso im Drapchi Gefängnis gefoltert

Ein ehemaliger politischer Gefangener, Sonam Gonpo (siehe auch HRU August), der am 25. August in Dharamsala eintraf, erzählte von zwei Mitgefangenen, die 1997 im Drapchi Gefängnis schwer gefoltert wurden.

Jigme Gyatso, der eine 15-jährige Gefängnishaft verbüßt, wurde im Oktober 1997 von 4 Sicherheitsbeamten der Provinz Gansu an einen Ort außerhalb des Gefängnis Komplexes gebracht. Sie hatten dazu die Erlaubnis der Gefängnisleitung eingeholt, weil sie wegen eines politischen Vorfalles "weitere Informationen von Jigme benötigten". Sie wollten ihn wegen gewisser Plakate, die noch vor seiner Verhaftung in Gansu aufgetaucht waren, vernehmen, denn der "Schuldige" war noch nicht identifiziert worden.

Die Vernehmer fesselten Jigmes Hände hinter seinem Rücken und bearbeiteten ihn mit einem Elektroschockgerät, damit er zugeben solle, das "Verbrechen" begangen zu haben. Jigme beteuerte seine Unschuld und sagte, daß er zur Zeit des Vorfalls mit einem Freund in Lhasa gewesen sei. Obwohl er ein Alibi vorweisen konnte, wurde er fünf Tage unter Schlägen und Folter mit Fragen bedrängt und bekam weder zu essen noch zu trinken. Als er ins Gefängnis zurückgebracht wurde, sahen seine Mitgefangenen, daß er sich beim Gehen an der Wand festhalten mußte. Sein Körper zeigte deutliche Spuren von schweren Prügeln und Mißhandlungen.

Der aus der Provinz Gansu stammende Jigme Gyatso war ehemals Mönch in Kloster Ganden. 1997 wurde er aus politischen Gründen verhaftet. Er ist immer noch im Drapchi Gefängnis eingesperrt.

Lodroe Gyatso soll am 20. November 1997, dem monatlichen Besuchertag im Gefängnis, schwer von den Wachen geschlagen worden sein. Während die Gefangenen warteten, bis ihre Namen aufgerufen wurden, entfernte sich Gyatso ein wenig von der Gruppe, um sich an der Sonne zu wärmen. Er stand gegen eine Wand gelehnt, als der wachhabende Gefängnisoffizier ihn bemerkte, packte und in seine Zelle verfrachtete. Die anderen Gefangenen wehrten sich und sagten, wenn Gyatso keine Besuche bekommen dürfe, dann wollten sie auch keine. So wurde die ganze Gruppe wieder hineingebracht, und zur Strafe durfte keiner seine Besucher empfangen.

Kurz darauf sahen die anderen, daß Gyatsos Kopf mit einem schwarzen Tuch bedeckt war und er von den Wachen schrecklich geprügelt wurde. Danach wurde er in Einzelhaft gesteckt und kam später in eine andere Abteilung zu den kriminellen Gefangenen. Als Gonpo am 1. Mai 1998 entlassen wurde, befand er sich immer noch dort.

Lodroe Gyatso stammt aus Kreis Sog der Provinz Nagchu und hat eine Strafe von 21 Jahren abzubüßen. Ursprünglich in einen Mordfall verwickelt, war Gyatso zu 15 Jahren verurteilt worden; im Gefängnis wurde die Strafe nochmals um 6 Jahre verlängert, weil er seine Meinung frei geäußert hatte.

Teil 2

Stellvertretender Gemeindevorsitzender unter Verdacht festgenommen

Trotz strenger Sicherheitsvorkehrungen am 6. Juli 2000, dem Geburtstag des Dalai Lamas, erschienen in Kreis Taktse des Stadtbezirks Lhasa einige Plakate, auf denen belastende Slogans wie "Free Tibet", "Tibet gehört den Tibetern" und "Chinesen raus aus Tibet" standen. Nach einer Reihe von Untersuchungen hielt das Public Security Bureau (PSB) von Taktse Tashi Phuntsok, den stellv. Gemeindevorsitzenden, unter Verdacht fest. Die Sicherheitsbeamten fanden, Phuntsoks Handschrift sei mit derjenigen auf den Plakaten identisch. Der 29-jährige Phuntsok wohnt in der Ortschaft Karma Kunsang. Nichts sonst ist über seinen Zustand oder seinen Festhalteort bekannt.

Teil 3

Hausarrest für Khenpo Jigme Phuntsok

Kenchen Jigme Phuntsok, der Gründer des Ngarig Nangten Lobling Instituts, wurde wie verlautet im Anfang 1999 von der chinesischen Regierung unter Hausarrest gesetzt, weil er um 1993-1994 in Indien war und eine Audienz beim Dalai Lama hatte. Die Regierung schränkte seine Bewegungen innerhalb und außerhalb Tibets drastisch ein. Er darf nicht einmal in den nächsten Landkreis reisen. Die Beamten des PSB von Kandze verboten Khenpo Jigme Phuntsok, Bilder des Dalai Lama in seinem Institut oder seinem Haus aufzuhängen. Als er unter Hausarrest stand, war er auf sein dreistöckiges Gebäude beschränkt. Nichts weiteres ist über seinen derzeitigen Status bekannt.

Khenpo Jigme Phuntsok gründete vor 15 Jahren das Ngarig Nangten Lobling Institut in der Gemeinde Lorok des Kreises Serthar in der Tibetisch Autonomen Präfektur Kandze. Spenden, die er während einer Europa-Tournee durch 11 Länder zusammentrug, bildeten einen wertvollen Beitrag zum Aufbau des Instituts, das eines der größten buddhistischen Zentren in der Kandze TAP ist. Etwa 8.800 Mönche und Nonnen aus verschiedenen Teilen Tibets, einschließlich 500 chinesischer Mönche (Riwo-tse-nag) studieren an diesem Institut. Obwohl die Studenten größtenteils ihr Leben dort aus eigenen Mitteln bestreiten, erhalten sie auch materielle Hilfe von lokalen Tibetern und chinesischen Buddhisten.

1999 kam ein aus etwa 70 Kadern der Kreisbehörde Serthar und der Verwaltung der Kandze TAP bestehendes "Arbeitsteam" in das Institut, um die Umerziehung der Studenten durchzuführen. Bei einem großen "Meeting" zählten sie die Mönche und Nonnen und erkundigten sich nach ihrer Herkunft. Sie forderten Mönche und Nonnen, besonders die chinesischen Studenten auf, in ihre jeweiligen Heimatorte zurückzukehren. Die tibetischen Studenten ersuchten die Kader, sie nicht von dem Institut zu vertreiben und sie dort studieren zu lassen, weil sie keinen Ort hätten, wohin sie gehen könnten. Später gingen einige Mönche und Nonnen freiwillig nach Hause, aber ihre Anzahl ist nicht bekannt.

Die zweite Visite des "Arbeitsteams" erfolgte im April 2000; es kamen auch Abgesandte von verschiedenen Kreisverwaltungen, um die Studenten ihres jeweiligen Kreises abzuholen. Obwohl sich die Studenten gegen die Order der Behörden wehrten, wurden keine Zwangsausweisungen vorgenommen. Wegen der großen Anzahl von Studenten fürchteten die Kader Massenproteste und Aufruhr und zogen sich von dem Institut zurück.

Von dem Hausarrest von Khenpo Jigme Phuntsok und den Visiten der Arbeitsteams in dem Ngarig Nangten Lobling Kloster berichtete Kelsang Gyatso, ein 20-jähriger ehemaliger Mönch des Kloster Shugang in der Kandze TAP, der am 17. Juli 2000 Nepal erreichte.

Teil 4

Arbeitsteam in Kloster Raktsa

1999 gaben Kader eines "Arbeitsteams" aus Kreis Ngaba Order zur Ausweisung aller unter 18-jährigen Novizen des Raktsa Samten Phegyeling Klosters und setzten das Limit für die Belegschaft auf 40 Mönche fest.

Die 15 Kader, die zwei Tage lang im Kloster blieben, instruierten die Mönche, sie hätten sich dem Dalai Lama zu widersetzen und jegliche Separatistentätigkeit zu meiden. Da das Kloster bisher keine Fälle solcher Aktivitäten verzeichnete, haben die Mönche etwas mehr Bewegungsfreiheit als andere, und es wurden keine Ausweisungen vorgenommen. Es finden jedoch regelmäßige Zusammenkünfte und Inspektionen statt, bei denen die Mönche streng gegen politischen Protest indoktriniert werden. Das in der Gemeinde Mekor des Landkreises Ngaba gelegene Kloster Raktsa Samten Phegyeling wurde während der Kulturrevolution vollständig zerstört. Ab 1985 wurde es durch Beiträge von ortsansässigen Tibetern wieder errichtet. Die gegenwärtige Stärke beträgt 160 Mönche.

Ngawang Lodoe, ein 30-jähriger ehemaliger Mönch von Samten Phegyeling, erzählte uns von der Visite des "Arbeitsteams" in seinem Kloster. Der aus der Gemeinde Mekor, Kreis Ngaba, Tibetisch Autonome Präfektur Ngaba, Provinz Sichuan, stammende Ngawang Lodoe traf am 16. Juli 2000 in Indien ein, wo er eine Audienz bei dem Dalai Lama suchen möchte.

Teil 5

Arbeitsteam in Kloster Shugang

Nachdem 1996 ein Arbeitsteam dort erschien, wurden alle Novizen unter 18 Jahren ausgewiesen, Dalai Lama Photos verboten und die Höchstgrenze für die Belegschaft auf 120 festgesetzt. Die Behörden verhängten auch ein Verbot für die Zulassung neuer Mönche und forderten, daß diejenigen, die zu viel sind, ausgewiesen werden. Vor dem Kommen des Arbeitsteams zählte Shugang etwa 170 Mönche.

Gewöhnlich kommen 5 bis 6 Kader einmal jährlich für 3 bis 4 Tage ins Kloster. Sie rufen dann alle Mönche zusammen und nehmen sie hinsichtlich ihrer Ansichten zum Dalai Lama, zu "spalterischen Aktivitäten" und zu tibetischer Freiheit unter die Lupe. Sie verlangten auch von den Mönchen, daß sie Schmähbriefe gegen den Dalai Lama auswendig lernten und dann niederschrieben. Aber keiner von ihnen war zu solch einer verbalen Diffamierung des Dalai Lama bereit. Der 20-jährige Kelsang Gyatso ging daraufhin freiwillig und floh ins Exil, um dort Aufnahme in einem Kloster zu suchen.

Teil 6a

Das Recht auf Erwerb des Lebensunterhalts und Erziehung

Der 27-jährige Kunchok kommt aus dem Dorf Chulong der Gemeinde Tsangkor, Kreis Gade der Golok TAP in der Provinz Tsongon (Qinghai). Sieben Personen leben in seinem Haushalt und alle sind Nomaden. Kunchok und seine 4 Geschwister hatten nie Gelegenheit zum Schulbesuch. In der Gemeinde gibt es nur eine Grundschule mit 3 Lehrern. Aber wegen ungenügender Einrichtungen, mangelhafter Disziplin und untauglicher Lehrer schicken die Eltern ihre Kinder meistens nicht zur Schule. Nur 20 Kinder besuchen derzeit diese Schule. In Chulong leben etwa 80 Familien und es gibt einige hundert Kinder im schulfähigen Alter. Die Schule hat einen so schlechten Ruf, daß die meisten Kinder nach zwei bis drei Jahren ausscheiden. In der Kreisstadt und der Präfekturhauptstadt gibt es bessere Schulen, aber es ist schwierig, dort unterzukommen. Nur die Kinder des Dorfvorstehers und einiger reicher Familien haben das Glück, daß sie aufgenommen wurden.

Kunchoks Angehörige besitzen 50 Yaks und 3 Pferde. Jedes Jahr im Oktober müssen sie 700 Yuan (1US$ etwa gleich 8 Yuan) pro Person an die Gemeinde zahlen. Wenn sie nicht genügend Geld haben, müssen sie Tiere abliefern. Diese Art der Bargeldsteuer wurde 1999 eingeführt. Bis dahin nahm die Gemeinde jeder Familie die Steuer in Form von Naturalien ab. In Kunchoks Dorf gibt es mindestens 30 ganz arme Familien, die ständig Geld borgen müssen, um sich über Wasser zu halten.

Sterilisierung ist auch ein großes Problem, weil viele Frauen nach dem ersten Kind sterilisiert werden. Tibetische Nomaden haben traditionsgemäß viele Kinder, die niemals als belastend angesehen wurden. Jedes Jahr forschen die Gemeindeämter nach Frauen, die für die Sterilisierung infrage kommen. Etwa 8-9 Frauen werden jährlich in Chulong unfruchtbar gemacht, und weil die Eingriffe von ungeschultem Personal und mit ungeeigneten Methoden vorgenommen werden, sind schwere gesundheitliche Schäden die Folge.

Im August 1998 wurde eine 28-jährige Frau des Dorfes Kyangche nach ihrem dritten Kind sterilisiert. Nach der Operation konnte sie nicht mehr aufstehen und starb einen Monat später. Wie in vielen entlegenen Dörfern gibt es keine Krankenstation, was ein großes Problem für die Leute darstellt. Bei schweren Fällen müssen sie in die Kreiszentren fahren, was sie sehr viel Geld, oft ihre ganzen Ersparnisse, kostet.

Teil 6b Wie in fast allen chinesisch-geführten Schulen in Tibet nimmt die ideologische Indoktrinierung viel Raum im Lehrplan der Grund- und Mittelschulen des Kreises Sangchu der Khenlo TAP ein. Als seltene Ausnahme werden dort alle Fächer außer Chinesisch und Musik auf Tibetisch unterrichtet.

Der 19-jährige Yithab Kyab, der unlängst im Exil eintraf, ging 3 Jahre lang zur Grundschule in der Ortschaft Gyusha und 2 Jahre auf die Mittelschule von Sangchu. Von allen Grundschulen in dem Landkreis hebt sich diejenige von Gyusha wegen ihrer befähigten Lehrer ab. Von den 300 Schülern sind nur etwa 30 Chinesen; die tibetischen Kinder kommen alle aus Bauern- und Nomadenfamilien. Die jährlichen Schulgebühren für ein Kind betragen 500 Yuan, aber es gibt keine Internatsmöglichkeit. Unterrichtet werden Chinesisch, Tibetisch und Mathematik.

In der Mittelschule von Sangchu haben die Schüler außer Chinesisch und Tibetisch noch 10 verschiedene Fächer. Der Geschichtsunterricht handelt meist von der Formung der Volksrepublik China, der Tang Dynastie und der Kulturrevolution, während über tibetische Geschichte völlig geschwiegen wird. Das Fach Politik bedeutet eine Einführung in Sozialismus und die Ideologien des Marxismus und Leninismus. Musik wird gemäß der chinesischen Kultur und Tradition gelehrt. In der Schule sind etwa 600 Schüler, und die jährlichen Gebühren betragen 400 Yuan, wozu 300 Yuan als Zulassungsgebühr kommen. Nur etwa 20 tibetische Schüler von Kreis Sangchu können weiterlernen, nachdem sie die Aufnahmeprüfung zur Oberschule bestanden haben. Einige gehen auch auf das Lehrerseminar in der Khenlo TAP, während andere zu ihren Eltern zurückkehren, um im folgenden Jahr einen neuen Versuch zu machen.

Yitham floh am 17. Juli über die Grenze bei Dram nach Nepal. Er kommt aus dem Dorf Omshi, Kreis Sangchu, Tibetisch Autonome Präfektur Khenlo. Seine Eltern sind Bauern.

In ländlichen Gegenden wie der Ortschaft Khese, Kreis Malho der Provinz Tsongon, verlangen die Behörden von den Nomaden 500 Yuan Einschreibegebühr und als Lehrgeld 2 Schafe für den Schulbesuch ihrer Kinder. Außerdem müssen 30 gyama (1 gyama = 500 g) Butter und Käse abgeliefert werden, und die Eltern müssen die Schuluniformen selbst beschaffen. Wegen der unerschwinglich hohen Gebühren bleiben viele arme tibetische Kinder ohne Schulbildung. Es gibt auch eine Menge junger Leute, die zwar die Schule abschlossen haben, aber keine Anstellung finden, was die allgemeine Armut noch mehr verschlimmert. Diese arbeitslosen Jugendlichen helfen ihren Eltern in der Landwirtschaft, während sie nach bezahlten Arbeitsplätzen suchen.

In dem Dorf Tsokha der Gemeinde Khese gehen von insgesamt 150 tibetischen Haushalten nur 10 Kinder zur Schule. In dem Dorf selbst gibt es keine Schule, nur in der Ortschaft der Gemeinde. Die Entfernung dorthin, sowie die hohen Schulgebühren halten die Eltern davon ab, ihre Kinder zur Schule zu schicken, die sie lieber zu Hause behalten, damit sie ihnen bei der Landwirtschaft helfen. Vier Nomadendörfer der Gemeinde Khese haben keine Schule, aber die Gemeinde nimmt nur 50 Kinder aus diesen Dörfern in die ihre Schule auf.

Teil 6c

Die Nomadenfamilie des 18-jährigen Thinlay aus der Gemeinde Khese zählt 12 Personen, darunter seine 5 Geschwister. Außer seinem ältesten Bruder besuchte niemand eine Schule. Der Haushalt hat 100 Yak/Dri und 500 Schafe. Thinlays Eltern wollten, daß er etwas lernt, weshalb sie ihn nach Lhasa schickten; dort blieb er 20 Tage und machte sich dann auf den Weg nach Nepal.

Alle über 18-jährigen Bewohner der Gemeinde Shekar in der Region Shigatse werden zur Zwangsarbeit für den Bau von Straßen, Bewässerungsanlagen und Gebäuden herangezogen. Dabei müssen die Arbeiter selbst für ihre Verpflegung und Fahrtkosten zur Baustelle aufkommen, denn die Behörden stellen ihnen überhaupt nichts zur Verfügung.

Seit 1998 zahlen sie zwar 6 bis 7 Yuan Lohn pro Tag und Arbeiter, fordern aber eine Strafe von 14 Yuan pro Tag für Tibeter, die bei der Zwangsarbeit das Soll ihres Haushaltes nicht erfüllen. Wegen dieser hohen Geldstrafen müssen arme tibetische Dorfbewohner immer, selbst wenn sie krank sind, zur Arbeit gehen.

Auch von Betteln in dem Dorf Pelbar der Gemeinde Shekar wurde berichtet. In der Gemeinde Sherak gibt es 9 Siedlungen, und in Pelbar wohnen 85 Familien mit 650 Einwohnern. Etwa 35 Familien sind ganz arm und müssen sich oft Getreide von anderen Bauern ausleihen oder betteln, um sich ernähren zu können. Manche gehen zum Betteln nach Lhasa oder Shigatse, weil sie Geld brauchen, um ihre Schulden zu begleichen. Die Kreisbehörden verboten jedoch das Betteln, weil das eine "Schande für die Nation" sei. Das Groteske an der Situation ist, daß die Behörden den verarmten Bauern keine Unterstützung gewähren außer vielleicht ein paar Säcken Getreide und einem Stück Stoff, ihnen jedoch verwehren, nach Shigatse oder Lhasa zum Geldverdienen zu gehen.

Im Oktober 1999 verfügte die Kreisverwaltung von Dhingri, daß keine Eltern mehr ihre Kinder zum Schulbesuch nach Indien schicken dürfen. Abgesehen von hohen Geldstrafen sehen sich solche Eltern von der Konfiszierung des ihnen zugeteilten Ackerlandes und ihres Viehs bedroht. Es heißt, daß in den letzten 20 Jahren nur 15 tibetische Schüler aus Kreis Dhingri die höhere Schule in Shigatse oder Lhasa mit Erfolg abschlossen, wobei es sich bei diesen um Kinder von Gemeinde- und Kreisbeamten handelt. In den Dörfern der Gemeinde Shekhar gibt es Grundschulen und in Dhingri eine Mittelschule, wo die Bauernkinder eine gewisse Erziehung erhalten. Da sich arme Leute die hohen Gebühren für ein weiteres Studium ihrer Kinder nicht leisten können, brechen die meisten tibetischen Kinder nach der Mittelschule ab.

Teil 6d

Dorje Tsering, der über die Zwangsarbeit, den Mißstand des Bettelns und die Erziehungslage in seiner Heimatgemeinde berichtete, sprach auch über die verschiedenen den Bauern auferlegten Steuern. Er selbst ist ein 54-jähriger Bauer der Gemeinde Shekar der Region Shigatse. Sein Haushalt muß jährlich etwa 150 gyama Getreide an die Lokalverwaltung abliefern. Diese Menge wird von allen Bauern gefordert, egal wie hoch der Ernteertrag ist. Die Bauern der Gegend produzieren hauptsächlich dru (Korn), seyma (Erbsen) und paykha (Rapssamen). Der Jahresertrag in Dorjes Landwirtschaft variierte von 80 bis 120 dru-khel (14 kg) Getreide. Bei einer schlechten Herbsternte liefern die Lokalbehörden 6 dru-khel Getreide pro Familienglied. Seit 1996 gab es jedoch keine Mißernten in dem Dorf.

Dorjes Haushalt in Tibet zählt 9 Personen. Sie besitzen 4 ½ mu (1 mu entspricht 67 m2) Grund, die 5 Personen der Familie zugeteilt wurden. Als Dorje 1985 Indien besuchte, erhielt er eine Audienz beim Dalai Lama, kehrte aber nach einem Monat nach Tibet zurück. Nun floh er mit seiner 17-jährigen Tochter Dawa Bhuti nach Nepal. Trotz der Drohungen der Behörden von Dhingri möchte Dorje sie in einer Schule in Indien unterbringen und danach nach Tibet zurückkehren. Er fürchtet, daß sein Ackerland und Vieh konfisziert werden, wenn die Behörden von seiner Reise und Unterbringung seiner Tochter in einer Exilschule erfahren.

Teil 6e

Das Dorf Dechen in dem Landkreis Chentsa der Malho TAP zählt etwa 40 Haushalte, die alle Bauern sind. Der 28-jährige Tsering Dhondup ein Einwohner von Dechen, floh aus seinem Dorf und erreichte am 13. September nach einem Monat Reise Dharamsala.

Dhondup berichtet über den allgemeinen Lebensstandard der Bewohner von Dechen, was für alle Dörfer Tibets gilt. Dhondups fünfköpfigem Haushalt wurden 7 mu Ackerland zugeteilt. Von ihrem Ernteertrag muß die Familie 200 gyama pro 1 mu Land an die Kreisbehörden abliefern, was im ganzen 1.400 gyama ausmacht. Darüber hinaus werden als Futtersteuer 100 Yuan pro Stück Vieh verlangt. Bei diesem Besteuerungssystem müssen die Behörden einen gewissen Betrag für die Produkte erstatten, der weit unter dem Marktpreis liegt. Dieses Geld wird jedoch zur Deckung der Kosten für Kunstdünger einbehalten, der den Bauern geliefert wird, ob sie ihn benötigen oder nicht. Solch ein Abgabesystem ohne Berücksichtigung der Qualität der Ernte und der Anzahl der Mitglieder eines Haushaltes stellt eine schwere Belastung für den Lebensunterhalt der Bauern dar.

Viele Bauern suchen daher nach anderen Jobs wie Sammeln von yartsa gunbu (Heilpflanze) oder Arbeit auf dem Bau. Die Bauern kaufen von dem Lohn für derartige Gelegenheitsjobs auf dem Markt Nahrungsmittel zu viel höheren Preisen.

Die Gebühren für ärztliche Behandlung in der Krankenstation der Gemeinde Dechen entsprechen auch nicht dem Einkommen der Dörfler. Das hindert sie daran, von den medizinischen Einrichtungen Gebrauch zu machen. Für ernstere Fälle müssen sie das Kreishospital aufsuchen, das noch viel mehr kostet. Dhondup bestätigt, daß man mindestens 1.000 Yuan haben muß (8 Yuan entsprechen etwa 1US$), um in dem Kreiskrankenhaus Aufnahme zu finden.

Geburtenkontrollmaßnahmen sind jedoch durchweg unentgeltlich. Der Staat setzte eine Beschränkung auf zwei Kinder pro Ehepaar fest. Für ein drittes Kind wird das Paar mit 500 Yuan bestraft. Nach dem zweiten Kind muß die Mutter sich gewöhnlich kontrazeptiven Maßnahmen unterziehen. Jedes Jahr müssen 5 bis 6 Frauen von Dechen diese Prozedur über sich ergehen lassen. Ein Dreigespann aus der Gemeindeärztin und zwei Kadern von der Gesundheitsbehörde kontrolliert ständig die Frauen und schärft ihnen ein, daß ihre Armut daher komme, daß sie zu viele Kinder hätten. Gesundheitliche Schäden infolge von Operationen, die durch inkompetente Ärzte oder Sanitäter ausgeführt werden, sind sehr häufig. 1997 starb die 28-jährige Dorje Dolma des Dorfes Chentsathang der Gemeinde Chatsang des Landkreises Chentsa auf einen solchen Sterilisierungseingriff hin.

Die medizinischen Kosten sind hoch: Eine intravenöse Injektion würde beispielsweise 140 Yuan kosten. Und in dieser Gegend liegt das Pro-Kopf-Einkommen bei etwa 2.000 Yuan pro Familie.

Für die rund 70 Kinder der Gemeinde Dechen im schulfähigen Alter gibt es eine Grundschule. Aber das Erziehungssystem - hauptsächlich der Lehrinhalt sowie das Fehlen von positiven Zukunftsaussichten und die hohen Gebühren - halten die Eltern davon ab, ihre Kinder zur Schule zu schicken. In einem Jahr bestehen nur 2 oder 3 Kinder die Aufnahmeprüfungen zur Mittelschule. Die übrigen arbeiten wieder als Bauern. Die Eltern halten daher oft den ganzen Prozeß für sinnlos, wenn die Kinder am Ende doch wieder zur Landwirtschaft zurückkehren.

Den Bewohnern der Gemeinde Dechen wurde der Besitz von Dalai Lama Bildern verboten, ebenso wenig dürfen sie Anhänger mit Dalai Lama Bildchen um den Hals tragen. Dhondup brach im Juli 2000 von zu Hause auf und erreichte nach einem fast einmonatigen Marsch über den Himalaya im August 2000 Nepal.

Teil 6f

Pema Dorjee, eine Nonne aus dem Kloster Dukha, berichtet über Zwangssterilisierung und Empfängnisverhütung in ihrem Dorf Dreka der Gemeinde Samyan, Provinz Qinghai.

In dem Dorf Dreka wurde 1993 mit einer Beschränkung von 2 Kindern pro Paar die Geburtenkontrollpolitik eingeführt. In dem Dorf Dreka gibt es etwa 45 Nomadenfamilien. Die Behörden warnten vor den Folgen im Falle einer Übertretung dieser Verfügung. Pema Dorjee erinnert sich, daß eine Geldstrafe von 2000 Yuan (US$300) mit progressiv höheren Strafen für jedes weitere Kind auferlegt wurde, wenn nach Bekanntgabe dieser Order ein drittes Kind geboren wurde. Außerdem wird für das dritte Kind, bis es das 13. Lebensjahr erreicht hat, noch jährlich eine Strafe von 500 Yuan gefordert. Diejenigen, die das nötige Geld nicht haben, müssen damit rechnen, daß das Gesundheitsamt ihre landwirtschaftlichen Erträge und ihren Viehbestand konfisziert. Dorjee erinnert sich, daß "das chinesische Personal von der Gesundheitsbehörde in unser Dorf kam und systematisch alle Familien checkte. Die Operationen zur Zwangssterilisierung (Tubektomie) werden zweimal jährlich, im April und August, durchgeführt. Damals kamen etwa 16 von uns zur Sterilisierung infrage, und mir wurde gesagt, daß ich das 3. Kind, das ich gerade austrug, abtreiben und dazu noch 2.000 Yuan Strafe für die Schwangerschaft zahlen müsse. Da ich nicht genug Geld hatte, nahmen sie mir statt dessen meine Tiere weg. Ich vermied jedoch die Abtreibung, indem ich mein Kind insgeheim bei meiner Mutter, die in der Gemeinde Hotoe wohnt, zur Welt brachte."

"In meinem Dorf gibt es keine Krankenstationen, nur in der Gemeinde eine. Die Ausgaben für ärztliche Behandlung sind hoch, weshalb viele Dörfler zu Hausmitteln greifen. Uns ist auch streng verboten, Bilder Seiner Heiligkeit des Dalai Lama aufzustellen. Unser Dorfchef ist Chinese und heißt La Shunyin. Es gibt in unserem Dorf auch viele Chinesen, die hier ihre Geschäfte betreiben. Ihre Kinder erhalten leicht Aufnahme in der Gemeindeschule, während es für tibetische Kinder sehr schwierig ist, zugelassen zu werden."

Dorjee hat zwei jüngere Brüder und eine Schwester, die alle verheiratet sind. Ihre jüngere Schwester hat wegen der Geburtenbeschränkung nur 2 Kinder. Weil sie 50 Yaks und 200 Ziegen haben, müssen sie für den Anbau von Tierfutter Landsteuer an das Gemeindeamt zahlen, wozu noch eine Sondersteuer für den Besitz der Tiere kommt: für einen Yak 6 Yuan, pro Ziege 5 Yuan und für ein Pferd 8 Yuan.

Nachdem Pema Dorje viele Jahre verheiratet war, trat sie in ein Nonnenkloster ein. Ihre Kinder sind in der Obhut ihrer Mutter und Verwandter.

Teil 7

Portrait: Politischer Gefangener in Einzelhaft wegen Plakatierens

Der 24-jährige Nyima Tenzin kommt aus der Gemeinde Bharlok in dem zum Stadtbezirk Lhasa gehörenden Kreis Medrogongkar. Er gehört einer Bauernfamilie an, die außer ihm 9 Personen zählt. Mit 8 Jahren kam er in die Grundschule der Gemeinde Bharlok, in der er etwa 4 Jahre lang blieb, wonach er bei seinen Eltern zuhause blieb.

1990 trat er dem Pangsa Kloster in der Gemeinde Bharlok bei, das damals etwa 20 Mönche beherbergte. Dieses Kloster wurde während der Kulturrevolution zerstört und später durch den Fleiß der lokalen Bevölkerung wieder aufgebaut.

Während seiner Zeit im Kloster beschäftigten sich Tenzin und seine Freunde Kunchok Tsering (37) und Nyima Wangdu (22) mit politischen Aktivitäten. In der Nacht des 31. Mai 1993 hängte Nyima zusammen mit drei Gefährten aus dem Kloster Unabhängigkeitsplakate und eine handgemalte tibetische Nationalflagge an der Tashigang Brücke auf, über welche die Landstraße von Lhasa nach Kongpo führt. Als sie sich der Brücke näherten, sahen sie einen Polizisten auf und ab patrouillieren. Während einer die Plakate anbrachte, begannen die beiden anderen, Steine auf den Polizisten zu werfen. Obwohl dieser wegrannte, konnte er erkennen, wer die drei waren. Als diese merkten, daß sie entdeckt worden waren, flohen sie und versteckten sich bei Nomaden der Umgegend.

Am folgenden Morgen berichtete der Polizist den Vorfall seinen Vorgesetzten in dem PSB der Kreisverwaltung Medrogongkar. Sofort wurde nach den dreien gefahndet, und PSB Kräfte kamen in das Kloster. Als sie sahen, daß die drei nicht dort waren, gingen sie zu den Nomaden. Um 5 Uhr nachmittags wurden die drei von 10 PSB Beamten verhaftet. Anfänglich wurden sie in dem Haftzentrum von Medrogongkar festgehalten, wo sie während der Vernehmungen schwer gefoltert wurden.

Tenzin und seine zwei Freunde waren 3 Monate in Untersuchungshaft, und während dieser Zeit wurde er zusätzlich 20 Tage lang in Einzelhaft gehalten. Einen ganzen Monat lang durfte er keine Besucher empfangen. Seine Eltern und Verwandten wußten überhaupt nichts über seinen Verbleib.

Dann wurde er nach Gutsa verlegt, wo er 10 Monate eingesperrt war, ehe ein Urteil über ihn gefällt wurde. Schließlich verurteilte das Mittlere Volksgericht von Lhasa Tenzin zu 8 Jahren, Kunchok Tsering zu 7 Jahren und Nyima Wangdu zu 5 Jahren. Nach dem Urteilsspruch wurden alle drei nach Drapchi verlegt. Dort mußten sie gleich den anderen Gefangenen herausfordernde körperliche Drillübungen absolvieren. 1997 wurde Nyima Wangdu entlassen. Tenzin und Kunchok Tsering sind immer noch in Drapchi eingesperrt.

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