Human Rights Update

Mai 2002

Inhalt
  1. Mann politischen Aktivismus wegen zu 15 Jahren verurteilt
  2. Verweigerung der Akkreditierung für das TCHRD
  3. Freilassung eines Dorfvorstehers überfällig
  4. Flucht nach Indien beim vierten Versuch gelungen
  5. Nachruf auf einen ehemaligen politischen Gefangenen
  6. Schule aufgefordert, den Dalai Lama zu schmähen
  7. Religiöse Einschränkungen für staatliche Angestellte
Teil 1

Mann politischen Aktivismus wegen zu 15 Jahren verurteilt

Einer zuverlässigen Information aus Tibet zufolge wurde Dawa Tsering aus der Gemeinde Khag, Distrikt Markham, Präfektur Chamdo, zu 15 Jahren im Drapchi Gefängnis verurteilt. Nach Abschluß der Grundschule, wo er in traditionellen tibetischen Fächern unterrichtet wurde, schloß er sich einer Kooperative an und arbeitete als Kraftfahrer. Er war in seiner Gegend als ehrlicher, aufrichtiger und patriotisch gesinnter Mensch überall bekannt und beliebt.

1990 brachte Dawa Tsering einige Leute zu einer Pilgerfahrt nach Lhasa. Dort sah er, wie die Tibeter unter der chinesischen Herrschaft großes Leid erfahren. Er hörte tibetische Radiosendungen aus dem Ausland, dabei auch Reden des Dalai Lama und von Tibetern der Exilgemeinde. Allmählich kam er zu dem Schluß, daß er etwas für das tibetische Volk tun müsse. Nachdem er die Pilger nach Hause gefahren hatte, gab er seinen Job auf und verließ seine Familie, um sich dem Freiheitskampf anzuschließen.

In Lhasa tat er sich mit anderen Patrioten zusammen und begann, seine Landsleute politisch aufzuklären. Er sprach mit ihnen über die Freiheit Tibets und seine Geschichte. Nachts klebte er Freiheitszettel an die Mauern chinesischer Ämter und entlang des Pilger-Umrundungsweges um Lhasa. Zwei Jahre später kehrte er in seine Heimatstadt zurück, wo er hörte, daß die Chinesen ihn unter dem Verdacht politischer Aktivitäten zu verhaften gedenken.

Sogar in seiner Heimatgegend sprach er mit jungen Leuten über die Befreiung Tibets und übermittelte ihnen Botschaften des Dalai Lamas. Der chinesische Geheindienst wußte von seinen Aktivitäten und stellte seine Angehörigen und viele andere Familien in der Gemeinde Khag über Dawas Tun zur Rede. Wieder begab er sich nach Lhasa, um sein Werk dort fortzusetzen. Als er abends in den chinesischsprachigen Rundfunknachrichten hörte, wie Tibeter als Dalai Clique und Reaktionäre beschimpft werden, war er so aufgebracht, daß er das Radiogerät zertrümmerte.

1996 wurde Dawa Tsering zusammen mit einem seiner Freunde verhaftet. Während der Vernehmungen wurden sie schwer geschlagen und gefoltert. Als sein Freund ihm vorschlug: "Ich will alle Schuld auf mich nehmen, geh du hinaus und führe den Freiheitskampf fort", antwortete Dawa: "Du kannst meine Verantwortung nicht übernehmen, ich habe meine Familie und alles geopfert, um mich für die Freiheit Tibets hinzugeben. Da du jung bist und die Chinesen noch nichts von deinen Aktivitäten wissen, will ich deine Schuld auf mich nehmen". So nahm er alle gegen die Gruppe erhobenen Klagen auf sich. Als sein Prozeß begann, akzeptierte Dawa jeden gegen ihn vorgebrachten Vorwurf und erwähnte sogar von geheime, anonyme Briefen, die an den chinesischen Präsidenten Jiang Zemin geschickt wurden. Als er gefragt wurde, ob er auch hinter einer Bombenexplosion vor dem Tor der TAR Regierung stehe, antwortete er "Ja". Schließlich wurde er zu 15 Jahren verurteilt und ins Drapchi Gefängnis eingeliefert.

In Drapchi redete ein chinesischer Wärter auf Dawa ein: "Sei doch nicht so blöd, beschimpfe einfach den Dalai Lama, und dein Urteil wird vielleicht gemildert". Vor Wut spie Dawa dem Aufseher ins Gesicht: "Selbst wenn Sie mich auf der Stelle umbringen, habe ich nur Worte der Hochachtung für Seine Heiligkeit den Dalai Lama und werde ihn nie und nimmer schmähen". Ein alter Freund kam zu ihm und mahnte ihn, nicht so hitzköpfig zu sein und sich um seiner Angehörigen willen vor den Chinesen besser zu benehmen. Dawa antwortete: "Ich habe mich für die Freiheit Tibets geopfert, ich sorge mich nicht um meine Familie".

Als Dawas ältester Sohn und seine Tochter nach Lhasa kamen, um ihn zu besuchen, erlaubte das chinesische Gefängnispersonal ihnen nicht, ihren Vater zu sehen. Daheim war Dawas Mutter erblindet und seine Frau Rinchen Lhamo vor Streß herzkrank geworden. Sie suchte in ihrer Heimatstadt Linderung, mußte sich jedoch schließlich im Hinblick auf bessere Behandlung nach Lhasa begeben. Sie hoffte auch, dort ihren Mann sehen zu können. In Lhasa erklärten die Ärzte ihre Krankheit für unheilbar. Ihr Ansuchen um einen Besuch bei ihrem Mann im Gefängnis wurde abgewiesen.

Einen Monat später war ein Freund Dawas, der einen Besucherausweis besaß, mit einem Nahrungspäckchen für ihn auf dem Weg zum Gefängnis. Dawas Tochter rannte weinend auf ihn zu und bat ihn, sie mitzunehmen. Er riet dem Mädchen, nach Hause zu gehen, weil sie doch nicht hinein gelassen würde und es überdies schrecklich regnete in jener Nacht. Wütend rannte sie zum vorderen Gefängnistor und schrie laut, sie wolle ihren Vater sehen. Sie wälzte sich in den Regenpfützen auf dem Boden und brüllte weiter, bis ein tibetischer Angestellter herauskam und fragte, warum sie weine.

Nachdem sie die Geschichte des Mädchens angehört hatten, brachten vier Offizielle Dawa zu einem kurzen Treffen zu seiner Frau. Es gab kaum Worte zwischen den beiden, sie blickten sich die meiste Zeit nur stumm an. Nach einer Weile sprach Dawa zu seiner Frau: "Sei nicht betrübt. Ich habe mein Leben für die edle Sache der Unabhängigkeit Tibets hingegeben. Bete zu dem allwissenden Dalai Lama um Verdienste in diesem und im nächsten Leben. Ich habe meinen Eltern, Kindern, meiner Frau und allen anderen Nahen und Lieben nur eines zu sagen, nämlich, daß ich der hohen Sache der Freiheit Tibets verpflichtet bleibe. Die Rot-Chinesen folterten mich die ganze Zeit über und befahlen mir, Seine Heiligkeit den Dalai Lama zu schmähen. Aber selbst während solch einer fürchterlichen Heimsuchung, als ich hundert Tode starb, rief ich immer noch: ‚Tibet ist ein freies Land‘ und ‚Lange lebe Seine Heiligkeit der Dalai Lama!‘. Ich bin nicht untreu geworden. Ich hoffe, ihr werdet alle für mich beten, daß ich diese letzte Prüfung meines Lebens bestehe." Dawas Frau verschied wenige Tage nach dem Wiedersehen mit ihrem Mann.

Dawa wurde nach diesem Zusammentreffen ins Drapchi Gefängnis zurückgebracht, und wird dort wohl bis zu seiner Entlassung 2011 bleiben.

Teil 2

Verweigerung der Akkreditierung für das TCHRD

Dharamsala, Indien: Am 31. Mai 2002 wurde beim vierten Vorbereitungstreffen zu dem Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung (World Summit on Sustainable Development = WSSD) dem Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) die Akkreditierung verweigert.

China griff wieder einmal zu dem Trick eines Nichtbefassungsantrags, um die Debatte über die Zulassung zu blockieren. 90 Länder stimmen für Chinas Nichtbefassungsantrag, 37 Länder dagegen und 10 Länder enthielten sich der Stimme. Interessanterweise waren etwa 50 Länder zur Zeit der Abstimmung nicht anwesend. Pakistan und Kuba sprachen sich zugunsten Chinas aus, während die USA und Spanien (im Namen der EU) das TCHRD verteidigten.

China legte seine Einwände gegen die Bewerbung des TCHRD am 14. Mai 2002 in einem an Generalsekretär Kofi Annan adressierten Brief dar. Der ständige chinesische Vertreter bei der UNO behauptete in diesem Brief, die Mitarbeiter des TCHRD seien "Separatisten" und erklärte: "Wir schätzen und unterstützen die Teilnahme jener NGOs, die in enger Zusammenarbeit mit China positive und konkrete Beiträge geleistet haben....".

Gemäß den ECOSOC (Economic and Social Council) Richtlinien haben NGOs ein Recht, gegen Einwände gegen ihre Akkreditierung Einspruch zu erheben. Das TCHRD adressierte daher am 23. Mai einen Brief an Generalsekretär Kofi Annan, in dem es auf Chinas Anschuldigungen antwortete. Der Brief wurde an den Hauptgruppen-Programm-Koordinator des WSSD Sekretariats gesandt mit Bitte um Weiterleitung an die Mitglieder des Vorbereitungskomitees. Nach einer Presseerklärung der UNO vom 31. Mai scheint es jedoch, daß das Vorbereitungskomitee sich zwar mit Chinas Brief befaßte, aber denjenigen des TCHRD keiner Erwägung unterzog.

Mehrere NGOs, die bei dem Vorbereitungstreffen in Bali dabei waren, unterstützten in einer gemeinsamen Erklärung die Akkreditierung des TCHRD: "Chinas Widerstand gegen die Teilnahme des TCHRD gründet sich nicht auf objektive Leistungen, sondern ist Reflexion einer politischen Feindschaft gegen eine Menschenrechtsorganisation. Ausschluß einer andererseits qualifizierten NGO aus politischen Gründen ist eine Herabwürdigung des Geistes und der Ziele des Weltgipfels." Zu den Unterzeichnern dieser Erklärung gehörten Green Peace (International und Südafrika), Earth Justice (USA), Centre for International Environment Law (Washington DC), NGOs bei dem Indonesian Peoples Forum, International Institute for Sustainable Future, Association of World Citizens und Earth Island Institute.

China verhinderte bereits mittels eines Nichtsbefassungsantrags die Akkreditierung von zwei anderen NGOs zum dem WSSD, nämlich von International Campaign for Tibet und von Tibet Justice Centre. Tsewang Lhadon, die Leiterin des TCHRD, kommentierte: "Wir bitten ja nur um das Recht, an der Konferenz teilzunehmen. China ist dermaßen versessen darauf, jede eventuell mögliche kritische Diskussion über Tibet auf der internationale Bühne zu stoppen, daß es zu verfahrenstechnischen Mitteln greifen muß, um eine Debatte zu verhindern. Die Unterstützung eines Nichtbefassungsantrages untergräbt die Grundprinzipien der Demokratie und die Redefreiheit."

"Das TCHRD dankt all denjenigen Ländern, die zugunsten seiner Beteiligung stimmten. Wir fühlen uns auch ermutigt, daß viele internationale NGOs uns beistanden", fügte Tsewang Lhadon hinzu.

Das TCHRD ist eine unabhängige Menschenrechts-NGO mit Sitz in Dharamsala. Die von neu aus Tibet eingetroffenen Flüchtlingen erhaltenen Informationen werden ins Englische übersetzt und mittels dieser Berichte verbreitet. Das TCHRD veröffentlichte auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und andere UN-Konventionen auf Tibetisch.

Teil 3

Freilassung eines Dorfvorstehers überfällig

Pema Phuntsok ist etwa 39 Jahre alt. Aus einer halb-nomadischer Gesellschaft stammend erhielt er in seiner Jugend keine formelle Erziehung. Er kommt ursprünglich aus dem Dorf Mong Sa-Nga in Kreis Karze, Provinz Sichuan. Bis zur Einführung des chinesischen Systems half er seinen Eltern auf dem Hof. Danach hütete er drei Jahre lang die Tiere für die Gemeinde, wonach er wieder als Landmann arbeite. Als das Kommunensystem abgeschafft und das Land neu verteilt wurde, wollte Pema nicht mehr Bauer sein. Er fing stattdessen an, mit Arzneikräutern zu handeln und betätigte sich als Geschäftsmann. Er verkaufte an andere Großhändler oder tibetische Krankenhäuser.

Ein paar Jahre später wurde er zum Dorfchef von Mong Sa Nga gewählt. Er galt als ruhiger und vertrauenswürdiger Mensch. Er zeigte Fähigkeit bei der Führung seines Amtes und erwies den Leuten seines Dorfes viel Gutes. Es gelang ihm, von höheren Stellen landwirtschaftliche Geräte für das Dorf sanktioniert zu bekommen. In seiner Eigenschaft als Dorfvorsteher organisierte er auch viele religiöse Feste und übernahm die Kosten dafür. Mehrere Male lud er Geshe Sonam Phuntsok ein, die Gelegenheit mit seiner Anwesenheit zu ehren und die Gebetszeremonien zu leiten.

Am 25. Oktober 1999, als sich im Distrikt Karze die Nachricht über Geshe Sonam Phuntsoks Verhaftung verbreitete, versammelten sich spontan etwa 3.000 friedliche Anhänger und demonstrierten vor dem Rongbatsang Unterbezirksbüro; sie forderten Geshes sofortige und bedingungslose Freilassung. Pema Phuntsok führte die Sprechchöre an: "Chinas Behauptung der Religionsfreiheit ist ein Widerspruch zu Geshes Verhaftung. Geshe hat nichts Politisches getan, und ihr habt kein Recht, ihn einzusperren". Die Leute nahmen 15 hochrangige Offizielle, darunter auch den ersten und zweiten Vorsteher des Distrikts Karze und einige Polizisten als Geiseln. Trotz Androhung drastischer Konsequenzen, sogar der Hinrichtung, blieb das Volk unerschrocken und forderte die Verwaltung auf, Ihnen Geshe herauszugeben.

Schließlich gaben die Behörden nach und holten um etwa 22 Uhr Geshe aus dem Karze Haftzentrum. Überglücklich pfiff und weinte die Menge, als Geshe schließlich in Handschellen und schwer bewacht am Ort der Demonstration eintraf. Er bat nun die Leute, sich zu zerstreuen. Diese ließen die chinesischen Offiziellen später frei, aber hielten die 10 Polizisten noch fest.

Gegen 9 Uhr am folgenden Morgen versammelten sich über 10.000 Menschen aus zwei verschiedenen Distrikten und 10 angrenzenden Unterbezirken vor dem Gerichtsgebäude, in das Geshe zu einer nichtöffentlichen Verhandlung gebracht worden war. In Sprechchören beteuerten sie Geshes Unschuld. Etwa 600 PSB und PAP Soldaten warfen Tränengaspatronen und schossen willkürlich in die Menge, aber zu dieser Zeit wurde niemand lebensgefährlich verletzt. Polizisten schlugen die Demonstranten mit Stöcken, Elektrokeulen und Gewehrenden, wodurch Hunderte von Leuten Verletzungen davontrugen. Zwanzig Personen wurden ins Krankenhaus eingeliefert, und annähernd einhundert wurden an selbigem Tage in das Karze Haftzentrum gesperrt.

Das ganze Geschehen wurde gefilmt, darunter auch Pema, wie er schreit und eine Erklärung von den Chinesen verlangt. Am 31. Oktober 1999 wurde Pema verhaftet und unmittelbar in das Karze Haftzentrum transportiert. Während der zwei Wochen, die er dort eingesperrt war, erlitt er ebenso wie die anderen Festgenommenen schwere Folter und Schläge. Die Peiniger gossen ihm aus Thermosflaschen kochend heißes Wasser direkt auf den bloßen Rücken, kniffen und schunden seinen Körper mit Zangen und preßten seine Hände und andere Körperteile auf elektrische Heizplatten. Mitte November 1999 wurde Pema zu zweieinhalb Jahren im Menyang Gefängnis verurteilt.

Einige der Festgenommenen wurden nach ein bis sieben Monaten Haft und Zahlung von Geldstrafen von 500 bis 5.000 Yuan freigelassen. Pema sollte eigentlich am 31. April 2002 entlassen werden, aber bis heute hat uns keine diesbezügliche Nachricht erreicht.

Teil 4

Flucht nach Indien beim vierten Versuch gelungen

Tashi, 30, stammt aus dem Dorf Rishoekha, Distrikt Tewo, TAP Kanlho, Provinz Gansu. Im Alter von 23 Jahren wurde er Mönch und diente 7 Jahre lang Lama Hortso als dessen persönlicher Gehilfe. Mitte 1995 begab er sich auf Pilgerfahrt nach Lhasa.

Tashi berichtet dem TCHRD: "Nach Vollendung der Pilgerreise versuchte ich dreimal die Grenze zu Nepal zu überschreiten, wurde aber jedes Mal geschnappt. Wir waren etwa 30 Personen, keiner war dem anderen bekannt, aber wir hatten ein gemeinsames Ziel, nämlich die Freiheit zu erreichen. Unglücklicherweise wurden wir in Shigatse gefaßt und dort einen Tag aufgehalten. Man ließ uns jedoch bald wieder laufen und wies uns an, in unsere Herkunftsorte zurückzukehren".

Das zweite Mal handelte Tashi in Lhasa mit einem guide einen Preis aus, damit er ihn nach Indien bringe. Er erzählt: "Wir waren etwa 40 Personen. Der Wegführer versteckte uns in einem Lastwagen, der mit einer Plastikplane abgedeckt war. Wieder hatten wir Pech. An einem Kontrollpunkt wurden wir von 30-40 bewaffneten Polizisten gestellt. Sie schlossen uns 3 Tage lang in einem Keller ein." Tashi war immer noch entschlossen, nach Indien zu gelangen und versuchte daher die Flucht ein drittes Mal. Diesmal war er in einer Gruppe von 16 Personen. Als sie sich der Grenze zu Nepal näherten, ereilte sie wieder das Verhängnis: "Wir wurden alle zu einem Haftzentrum gebracht, wo sie uns 26 Tage lang festhielten. Dort wurden wir zur Zwangsarbeit eingesetzt und mußten ein großes Bodenstück ebnen, ich denke, es war ein Fußballplatz". Bei allen drei Fluchtversuchen wurde er seiner Siebensachen und des Geldes, das er für die Flucht gespart hatte, beraubt.

Tashi berichtet: "Im ganzen wurden mir 50.000 Yuan abgenommen. Das erste, was chinesische Polizisten tun, ist, daß sie einen nach Geld oder Wertsachen abtasten. Sie wissen, daß Flüchtlinge Geld bei sich haben, und der erste, der es findet, kann Anspruch darauf erheben. Erst bei meinem vierten Versuch gelang es mir, Indien zu erreichen. Ich wurde 1995 in die Tibetan Transit School in Dharamsala aufgenommen. Während meines zweimonatigen Aufenthalts in der Schule war ich oft krank, weil ich das heiße Klima Indiens nicht ertrug. Im März 1996 beschloß ich daher, nach Tibet zurückzukehren.

Vorher beschaffte ich mir 32 Broschüren über politische Themen, fünf Audio-Cassetten mit Reden des Dalai Lama und drei Video-Cassetten mit Dokumentationen über die Invasion Tibets. An der Nepal-Tibet-Grenze warnte mich ein Freund, daß ich wegen Besitzes solcher Dinge leicht verhaftet werden könnte. Ich kannte einen Khampa Händler (Tibeter aus der Provinz Kham), den ich bat, die Gegenstände für mich über die Grenze zu schaffen. Er war ein regelmäßiger Grenzgänger und wurde daher nur selten kontrolliert. Ich hatte ein kleines Päckchen mit mani rilbu (vom Dalai Lama gesegnete Pillen), ein Bildchen des Dalai Lama und ein Büchlein politischen Inhaltes bei mir. Bei der Sicherheitskontrolle an der Grenze wurde ich dieser Dinge wegen festgenommen und sofort in die Nyari Haftanstalt von Shigatse, TAR, transportiert. Dort mußten die Häftlinge Zwangsarbeit leisten.

Eines Morgens sah ich, wie ein tibetischer Aufseher auf dem Gefängnishof einen Mönch fürchterlich schlug. Ich flehte ihn an, von solch einem frevelhaften Tun abzusehen. Da kamen andere Aufseher hinzu und schlugen mich ebenfalls. Die Gefängniswärter waren besonders brutal und grob zu Mönchen und Nonnen, weil diese im tibetischen Freiheitskampf am aktivsten sind. Sie hegen Groll gegen sie und halten sie separat von anderen Gefangenen. Neu eingelieferten Gefangenen fahren die Aufseher durch die Haare, um festzustellen, ob sie aus einer monastischen Gemeinschaft kommen oder nicht. Die Mönche müssen Toiletten reinigen, was eine totale Mißachtung des Status buddhistischer Mönche ist, denn tibetischer Tradition zufolge gebührt ihnen hohes Ansehen. Um zusätzlichen Mißhandlungen zu entgehen, benehmen sich die Mönche im Gefängnis wie Laien. Ich fing zu rauchen an und ließ meine Haare wachsen, um wegen meiner Identität keinen Verdacht zu erregen. Insgesamt war ich 6 Monate inhaftiert. Weil ich im Gefängnis meine monastischen Gelübde nicht einhalten konnte, führte ich nach meiner Entlassung das Leben eines Laien. Ich traf auch den Khampa Händler wieder, bei dem ich meine Sachen abholte.

Als ich einmal in Lhasa über den Markt bummelte, zog mich ein junger Polizist in eine Ecke und schlug auf mich ein. Ich war verblüfft und fragte ihn nach dem Grund. Er hatte das aufgestickte Abzeichen an meinem Pullover gesehen und fragte, warum ich ihn trage. Aus Versehen hatte ich den Pullover, der zur Schuluniform meiner alten Schule in Indien gehörte und der deren Namen trug, angezogen. Nach wiederholter Beteuerung meiner Unschuld ließ der Polizist mich laufen, trennte jedoch das Abzeichen von dem Pullover ab, ehe er ihn mir zurückgab.

Von Lhasa aus ging ich direkt zu meinem Heimatort nach Amdo. Dort verteilte ich die Broschüren und das Material, das ich aus Indien mitgebracht hatte. Einmal besuchte ich einen reichen Geschäftsmann und wollte ihm Broschüren und einige mani rilbu geben. Er nahm das Geschenk nicht an und verbot mir, jemals wieder in sein Haus zu kommen, weil es ihn in Schwierigkeiten bringen könnte.

1997, am Abend es 28. Tages des siebten tibetischen Monats ging ich einer Straße entlang, als 6-7 maskierte Männer in zwei Autos angefahren kamen und direkt vor mir stoppten. Ohne ein Wort zu sagen, begannen sie mich zu schlagen. Mit verbundenen Augen wurde ich in das Auto gezogen und zu einem finsteren Raum gefahren, wo ich weiter mißhandelt wurde. Sie fragten mich, wo der Rest des Materials sei, und von wem ich es bekommen hätte. Ich antwortete, daß ich die Cassetten auf dem Markt in Xining gekauft und den Rest in einem Feld in der Nähe versteckt hätte. Auf ihren Befehl zeigte ich ihnen eine Stelle, wo ich eine tibetische Flagge vergraben hatte und log, daß der Rest nicht mehr da sei.

Kurz darauf wurde ich ins Gefängnis geworfen und in eine dunkle Isolationszelle gesteckt. Dort wurde ich schwer gefoltert. Meine Hände wurden an ein von der Decke herabhängendes Seil gefesselt. Es war stockfinster, so daß ich meinen eigenen Körper nicht sehen konnte. Sie schlugen mit ihren Gewehrkolben auf alle Körperteile, bis ich schließlich ohnmächtig wurde. Ich verlor vollkommen jedes Bewußtsein der Zeit. Die Mißhandlungen gingen monatelang weiter, bis sie mir eines Tages wieder die Augen verbanden und mich in ein Auto setzten. Nach mehreren Stunden Fahrt ließen sie mich aussteigen und nahmen mir die Augenbinde ab. Sie gaben mir ein Papier mit chinesischem Buchstaben und befahlen mir, in mein Dorf zurückzukehren. Als ich mich meinem Dorf näherte, hörte ich, daß gerade das tibetische Neujahr 1998 vorüber war. Ich blieb im Dorf und versuchte ein normales Leben zu führen, ich heiratete, und meine Frau gebar ein Kind.

1999 kamen wieder Polizisten in mein Haus und drängten mich, ich sollte meine Schuld bekennen, weil ich politischen Aktivitäten nachgegangen sei. Sie drohten, wenn ich mich nicht schuldig bekenne, würde ich für drei Jahre in ein Umerziehungslager gesteckt und wieder geschlagen. Mit dieser Warnung verließen sie mich.

Ich lieh mir sofort von einem Verwandten 28.000 Yuan und brach noch am selben Nachmittag mit meiner Frau und dem Baby auf, um nach Indien zu fliehen. An einem Checkpoint in Nepal raubten mir einige Banditen alle meine Sachen und meiner Frau den Schmuck. Sie entwendeten sogar meine Lederjacke und unsere Wolldecken. Mit großer Schwierigkeit erreichten wir am 3. Januar 2000 das Tibetische Flüchtlingslager in Dharamsala.

Teil 5

Nachruf auf einen ehemaligen politischen Gefangenen

Einer zuverlässigen aus Tibet erhaltenen Information zufolge starb der ehemalige politische Gefangene Thupten Namdrol am 17. Mai 2002 im Alter von 71 Jahren bei sich zu Hause in Lhasa. Thupten Namdrol hatte über 27 Jahre im Gefängnis gesessen, ehe er 1995 entlassen wurde.

Thupten wurde im Kreis Gyatsa, Lhoka, TAR, geboren. In jungen Jahren trat er in das Dhagpo-Shedrupling Kloster ein. Später wurde er Hauswart des Klosters. 1959 taten sich die Kämpfer von chu-shi-gang-druk ("vier Flüsse, sechs Berge") mit den Mönchen des Klosters zusammen, um gegen die chinesische Invasion und die Zerstörung des Buddhismus Widerstand zu leisten. Thupten war ein aktives Mitglied der Gruppe. Schließlich wurde er wegen "konterrevolutionärer Aktivitäten" verhaftet und zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. 1964 wurde er von Drapchi in die Powo Tramo Haftanstalt in der Präfektur Nyingtri (Kongpo) verlegt. 1980 wurde er nach Ableistung der Haftstrafe entlassen.

Thupten kehrte zuerst in sein altes Kloster zurück, ging jedoch später nach Ganden und in den Tsuklakhang. 1986, als das Amt für Religionsangelegenheiten von Lhasa den Draklha-Luguk Tempel der Obhut des Tsuklakhang unterstellte, wurde Thupten mit der Betreuung dieses Tempels beauftragt. Dort fuhr er fort, mit seinen Landsleuten für die Sache Tibets zu arbeiten. Im selben Jahr fuhr er nach Indien, um seine Verwandten dort zu besuchen.

Nach seiner Rückkehr war er weiter politisch aktiv, und 1987 sandten er und Tenpa Phulchung mit Hilfe von Touristen Dokumente aus Tibet hinaus. Darin war die Geschichte der politischen Gefangenen aufgezeichnet, die während der zwei Massendemonstrationen vom 27. September 1987 und 1. Oktober 1987 ihr Leben verloren hatten. Thupten und Choezed Metok (verstorben) stellten Plakate her mit der Aufschrift, daß Tibet gemäß dem Völkerrecht Unabhängigkeit gebührt, und daß sie den Teilnehmern der zwei Demonstrationen danken. Von Tibetern, die ihre Verwandten in Indien besuchten, hatten sie Kenntnis von der Außenwelt erhalten.

1987 durchsuchte das PSB Thubtens Haus und entdeckte viele Flugblätter und Druckstöcke. Am 16. Dezember 1987 wurde er unter Anklage der Verbreitung "konterrevolutionärer Propaganda" verhaftet. Ein Jahr lang wurde er in dem Polizeirevier der Stadt Lhasa zur Ermittlung festgehalten, und 1989 dann in das Gefängnis No. 4 verlegt. Später wurde eine separate Gefängniszelle für Thupten, Tenpa Phulchung, Choezed Metok und zwei chinesische Gefangene eingerichtet.

Am 9. Mai 1989 bezeichnete das Mittlere Volksgericht der Stadt Lhasa die Aktivitäten von Thupten Namdrol und Tenpa Phulchung als schwere "konterrevolutionäre Propaganda". Thupten wurde zu 9 Jahren Gefängnis und 3 Jahren Verlust der Bürgerrechte und Tenpa Phulchung zu 7 Jahren Gefängnis und 2 Jahren Verlust der Bürgerrechte verurteilt. Beide kamen zur Reformierung durch Zwangsarbeit in das Drapchi Gefängnis, Einheit No. 4. Thupten erkrankte in der Gefangenschaft, aber die Aufseher zwangen ihn trotzdem zur Schwerarbeit.

Im März 1995 wurden Thupten und drei weitere Gefangene nach wiederholten Appellen und auf Druck der internationalen Gemeinschaft aus dem Drapchi Gefängnis entlassen. Nun wurde Thupten praktisch unter Hausarrest gestellt, Polizisten drehten ihre Runden um sein Haus, so daß er sich nicht frei bewegen konnte. Seine Gesundheit ließ immer mehr nach, bis er schließlich am 17. Mai 2002 starb.

In den letzten Jahren sind viele politische Gefangene kurze Zeit nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis als Folge von Leiden, die sich in der Gefangenschaft zugezogen hatten, gestorben. Die chinesische Regierung gefährdet systematisch das Leben der politischen Häftlinge. Sogar noch nach ihrer Entlassung verhindert die Regierung, daß sie ein normales Leben führen können. Sie werden wiederholten Verhören unterzogen, jede ihrer Bewegungen wird überwacht, und die bürgerlichen Rechte werden ihnen vorenthalten.

Teil 6

Schule aufgefordert, den Dalai Lama zu schmähen

Tenzin ist ein 18-jähriger Student aus der Gemeinde Chengduo, Kreis Jyekundo, TAP Yushu, Provinz Qinghai, der am 1. April 2002 Nepal erreichte.

Tenzin stammt aus einer fünfköpfigen Bauernfamilie. Er besuchte die Mittelschule der Gemeinde Chengduo, die etwa 200 Schüler zählt, alles Tibeter. Pro Semester mußte er 280 Yuan entrichten. Den Schülern wird dringend davon abgeraten, irgendwelche religiösen Zeremonien oder Tempel zu besuchen. Sie dürfen auch keine Dalai Lama Bilder aufhängen.

1999, als Tenzin die höhere Mittelschule besuchte, gab es dort einen politischen Zwischenfall. In jedem Klassenzimmer dieser Schule gibt es ein Fernsehgerät. Eines Tages im Mai 1999 gab es auf dem chinesischen Kanal eine Sendung über den Dalai Lama, obwohl kein Bild von ihm gezeigt wurde. In Tenzins Worten: "Da wurde gesagt, alles was der Dalai Lama tue, sei nicht für Tibet und sein Volk, er würde im Namen Tibets und der Tibeter nur für sein persönliches Interesse arbeiten und lasse nicht von seinen spalterischen Aktivitäten ab".

Diese Sendung rief bei den Schülern eine heftige Reaktion hervor. Tenzin fuhr fort: "Wir argumentierten mit unserer chinesischem Politik-Lehrerin Xiao Su und erklärten ihr, der Dalai Lama handle völlig richtig, wenn er sich für das tibetische Volk einsetze, dem echte Autonomie gebühre. Hongkong war 200 Jahre unter britischer Herrschaft und dann wurde es China zurückgegeben und ebenso Macau. Wir führten diese zwei Beispiele an, um zu betonen, daß das tibetische Volk ein Recht habe, außerhalb der Kontrolle der Chinesen zu leben. Aber die chinesische Lehrerin war unnachgiebig. Sie fragte, was der Dalai Lama denn für das Wohl des tibetischen Volkes getan habe? Sie glaubte, daß die Tibeter nur dank des großen Wohlwollens der Regierung der Volksrepublik China nun über Bildung, Kleidung und Obdach und alles übrige verfügen. Xiao Su ermahnte uns, wir sollten uns nicht von der Dalai Clique in die Irre führen lassen.

Diese Bemerkung empörte die meisten Schüler unserer Klasse, und es gab einen heftigen Wortwechsel zwischen der Lehrerin und den Schülern. Sie konnte uns nicht mehr beruhigen, bald war das Klassenzimmer in Aufruhr und die Hälfte der Klasse schrie die Lehrerin an. Schließlich rannte sie mit Tränen in den Augen aus dem Zimmer.

Nachdem der Rektor von den Vorfall erfahren hatte, kam er am folgenden Tag zu uns. Er rügte die ganze Klasse für ihr Verhalten. In sehr strengem Ton erinnerte er uns daran, was er zu Beginn des Semesters der ganzen Schule bei einem Meeting gesagt hatte. Er ermahnte uns wieder, daß wir dem von der chinesischen kommunistischen Regierung gewiesenen Pfad, nämlich der marxistischen und leninistischen Ideologie, folgen sollten und nichts Gegenteiliges im Sinn haben dürften. Wir müßten nicht auf die irreführende Predigt des Dalai Lama über tibetische Unabhängigkeit hören, denn diese würde es niemals geben. Sollte sich ein derartiger Vorfall wiederholen, so warnte er uns, würde er nicht zögern, die ganze Klasse aus der Schule zu werfen und uns dem Büro für Öffentliche Sicherheit zu übergeben.

Wenn wir nur ein paar gewesen wären, dann wären wir von der Schule geflogen, aber die Tatsache, daß die ganze Klasse beteiligt war, war unsere Rettung. Obwohl der schon etwas ältere Rektor sehr ärgerlich war, schritt er zu keinen körperlichen Züchtigungen. Statt dessen wurden 20 von uns, darunter auch ich, aufgefordert, einen Entschuldigungsbrief an unsere Lehrerin zu schreiben und zu versprechen, nie mehr etwas Ähnliches zu tun. Darunter mußten wir unsere Unterschriften und Namen setzen. Von da an gab es keine Zwischenfälle politischer Art mehr in unserer Klasse".

Tenzin verließ die Schule 1999, ohne seine Abschlußprüfung gemacht zu haben, weil seine Familie die Gebühren für ihn und seine zwei Brüder nicht mehr aufbringen konnte. Er half nun seinem Vater im Geschäft, was ihm anfänglich Spaß machte. Nach einiger Zeit erkannte er jedoch, daß er sich nicht für das Geschäftsleben eignet und beschloß daher im Hinblick auf Fortsetzung seiner Ausbildung nach Indien zu gehen; er hoffte auf diese Weise seiner Familie finanziell helfen zu können.

Mit Hilfe falscher Reisedokumente gelangte er nach Dram, der tibetischen Grenzortschaft zu Nepal. Dort traf er sieben andere junge Leute, die ebenfalls nach Indien wollten. Sie heuerten vier nepalesische Wegführer an, denen sie ein Entgelt von 1.000 bis 3.000 Yuan zahlten. Die Gruppe umging die Polizeiposten und nach wochenlangem Marsch über gefährliche Bergpfade erreichte sie am 1. April das Tibetan Reception Centre in Kathmandu. Tenzin möchte nun eine tibetische Schule in Indien besuchen.

Teil 7

Religiöse Einschränkungen für staatliche Angestellte

Einer zuverlässigen Quelle zufolge erging dieses Jahr an tibetische Angestellte im Staatsdienst und Kader eine interne Mitteilung, daß es ihnen während des heiligen Monats Saka Dawa (Buddhas Geburtstag, Erleuchtung und Parinirvana) verboten ist, die Stadt zu umwandeln, Gebete darzubringen und Butterlampen anzuzünden. Wer gegen diese Verordnung verstößt, wird seines Dienstes enthoben.

Da nach dem tibetischen Mondkalender 2002 das Jahr des Wasser-Pferdes ist, stellen viele Pilger Anträge für einen offiziellen Pilgerpaß, um zum Berg Kailash gehen zu können. Stellen Tibeter im Staatsdienst und Kader diesen Antrag, so läßt man sie wissen, daß dies mißbilligt wird und sie werden gewarnt, daß sie auf diese Weise ihre weitere Karriere gefährden. Dieses Verbot wird als ein Anzeichen für das Mißtrauen der Regierung in ihre tibetischen Bediensteten und Kader angesehen. Tibetische Angestellte im Staatsdienst sind sehr frustriert über das ihnen auferlegte Verbot.

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