Human Rights Update

April 2003

Inhalt
  1. Tourismus schärfer kontrolliert: tibetische Fremdenführer werden durch chinesische ersetzt
  2. Chadrel Rinpoche unter Hausarrest
  3. Zwei Mönche verhaftet - Verbleib unbekannt
  4. Folter und Mißhandlung: Sorge um die Sicherheit von Tsering Dhondup
  5. Von Serkar nach Serkar - die Geschichte dazwischen
  6. Yeshi Jinpa: Ein trotziger Mönch
  7. "Der Traum von Bildung kostet die Freiheit"
Teil 1

Tourismus schärfer kontrolliert: tibetische Fremdenführer werden durch chinesische ersetzt

Tourismus schärfer kontrolliert: tibetische Fremdenführer werden durch chinesische ersetzt

Am 15. April wurden 100 chinesische Fremdenführer nach Tibet gesandt, um der Tourismus-Industrie Auftrieb zu geben. Zweck der Maßnahme ist nicht nur "die schönen Berge und Flüsse des Mutterlandes anzupreisen, sondern den in- und ausländischen Touristen zu einem umfassenderen und objektiveren Verständnis Tibets in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verhelfen und entschieden gegen alle Aussagen und Handlungen anzugehen, welche die Tatsachen entstellen, um das Mutterland zu spalten" (Xinhua, 8.4.03).

Wie von der offiziellen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua berichtet, ist dies der erste Schwung von 100 tourist guides, die in den nächsten 10 Jahren alljährlich nach Tibet geschickt werden sollen. Diese im chinesischen Mutterland ausgebildeten Fremdenführer stammen aus 23 Provinzen, Autonomen Regionen und Stadtbezirken, darunter Peking, Shanghai, Guangdong und Guanxi. Sie werden in der Haupttouristensaison, also bis 15. Oktober, tätig sein. Der jetzige Trupp entstammt 85 über ganz China verstreuten Reiseagenturen. Die "China National Tourism Administration" (CNTA) startete dieses Programm mit der Idee, daß die Fremdenführer während ihres Aufenthaltes in Tibet ihr Wissen und ihre Erfahrung auch anderen Kollegen weitergeben werden (Xinhua, 10.4.03).

Intensive Bemühungen wurden in letzter Zeit unternommen, um den Tourismus in Tibet weiter zu entwickeln. Im vergangenen Jahr verzeichnete Tibet eine beispielslose Zunahme der Besucherzahl um 25% – insgesamt 850.000 Personen. Li Yuezhong, ein Funktionär der CNTA erklärte, daß "der Tourismus zukünftig die tibetische Wirtschaft ankurbeln soll, weshalb es wesentlich ist, die in der autonomen Region im Tourismus Beschäftigten entsprechend auszubilden". Die Modalitäten hierzu wurden während eines 10tägigen Seminars über die "besondere Natur" des tibetischen Tourismus im November 2002 diskutiert. Die Herausgabe von Handbüchern und die Einrichtung von Tourismus-Kursen an der Tibet-Universität sind Teil des Plans, "eine Flut von qualifiziertem Personal" für die Tourismus-Industrie Tibets hervorzubringen (People’s Daily Online, 23.11.02).

Eine offizielle Rechtfertigung für die Aufstockung der in Tibet beschäftigten chinesischen tour guides ist, daß sie fließend Chinesisch sprechen und daher chinesische Touristen besser führen können. Tibet verzeichnete 2002 über 720.00 Besucher aus Festland-China, doch auch die tibetischen tour guides, welche die chinesischen Touristengruppen betreuen, sprechen ganz gut Chinesisch. Einige der neuen tour guides verfügen über sprachliche Kenntnisse in verschiedenen europäischen und asiatischen Sprachen, doch hat es sich gezeigt, daß die meisten Touren entweder auf Englisch oder Chinesisch geführt werden.

Ein weiterer im Xinhua-Bericht genannter Grund für die Maßnahme ist, daß der "Import" chinesischer tour guides wegen des derzeitigen Mangels an Fremdenführern in Tibet notwendig gewesen sei. Am 10. April habe es nur 582 tour guides in Tibet gegeben. Die Entlassung Dutzender tibetischer Fremdenführer vor gar nicht allzu langer Zeit zeigt jedoch, daß die dahinter stehende Absicht eher eine politische als eine wirtschaftliche ist. Ein ehemaliger tibetischer Fremdenführer erzählte International Campaign for Tibet, das TTB [Tibet Tourism Board] habe ihnen sehr unverblümt gesagt, der Zweck des Tourismus in Tibet sei vorrangig ein politischer und der wirtschaftliche Gewinn sei zweitrangig. Das sieht man sehr deutlich bei den tour guides, denn selbst wenn einer die besten sprachlichen Kenntnisse, ein umgängliches Wesen und ein großes Verantwortungsbewußtsein hat, seine politischen Ansichten aber nicht mit denen der Partei übereinstimmen, hat er keine Chancen als tour guide zugelassen zu werden (Tibet Information Network, 17.4.03).

Im Juli und August vergangenen Jahres wurde das TTB angewiesen, die tibetischen tour guides in der Gegend von Lhasa genau unter die Lupe zu nehmen. Von allen tibetischen guides wurde verlangt, eine Bestätigung ihres Herkunftsortes vorzulegen, daß sie nie in Indien gewesen sind. Als Ergebnis dieser Überprüfung sollen im Januar dieses Jahres über 160 tibetische tour guides entlassen worden sein. Die Probleme der Tourismus-Industrie in Tibet sind sehr kompliziert, und man beginnt immer mehr an den Absichten der chinesischen Regierung zu zweifeln, nicht nur was den Tourismus in Tibet betrifft, sondern auch gegenüber den Exiltibetern, die sie unlängst so freundlich zur Rückkehr zu bewegen suchte. Die jüngste Entlassung tibetischer tour guides ist nichts als ein weiteres Beispiel für die systematische Diskriminierung der Tibeter. 1997 wurden mindestens 69 tibetische tour guides gefeuert und durch chinesische ersetzt, weil sie nicht genehmigte Reisen nach Indien unternommen hatten, und im Juli 2001 führte eine ähnliche Direktive zur Ausweisung von 29 tour guides aus Tibet. Es handelte sich ebenfalls um aus Indien zurückgekehrte Exiltibeter.

Der Argwohn der chinesischen Regierung gegenüber den tourist guides, die irgendwann einmal in Indien gewesen sind, bestimmt seit Jahren die offizielle Politik. Zumindest seit 1994, als die Chinesen sich schworen, von nun an aufzupassen, daß Rückkehrer aus dem Exil "keine gemeinsame Sache mehr mit ausländischen Touristen zum Schaden der Staatssicherheit machen", werden die guides streng überwacht. Die jüngsten Ermittlungen und die Entlassung von 100 guides bestätigen eine alarmierende Entwicklung, die der tief verwurzelten Gegnerschaft der Besatzer gegen die Exilgemeinschaft in Indien zuzuschreiben ist: Die Anzahl arbeitsloser tibetischer tour guides oder solcher, die sich ins Exil absetzen, nimmt nach einer jeden derartigen Überprüfungsaktion erheblich zu.

Die offenkundige Diskriminierung aus dem Exil zurückgekehrter Tibetern wirkt befremdend angesichts der sie zur Rückkehr ermutigenden Politik, die im Februar 2002 konzipiert wurde, als die chinesische Maxime "alle Patrioten gehören zu einer großen Familie an" auf die Tibeter ausgeweitet wurde. Wie Xinhua mitteilte, hieß China Tibeter willkommen, die zu "Besuchen, Sightseeing oder religiösen Zwecken" in ihre Heimat zurückkehren wollten, ebenso wie Geschäftsleute, die "zur wirtschaftlichen Entwicklung und zum sozialen Fortschritt des Mutterlandes praktische Arbeit leisten". Eine neue Regelung ermöglicht die Rückkehr von Tibetern aus dem Exil entweder für ein Jahr oder um sich ständig niederzulassen. Die Bedingung dafür war, daß Personen, die früher politisch aktiv waren, sich entschieden, ihren Standpunkt zur tibetischen Unabhängigkeit neu zu definieren, sich von allen "spalterischen Aktivitäten" abzuwenden und sich in einer Weise, die "dem Mutterland dienlich ist", zu benehmen. Falls sie dies beherzigen, würden ihnen keine Fragen über etwaige politische Aktivitäten vor 2000 gestellt werden. Menschenrechtsorganisationen verzeichnen hingegen weiterhin zahlreiche Fälle von willkürlichen Festnahmen, Entlassungen und Ausweisungen von Tibetern, die Indien besucht haben.

Einige der Entlassungen könnten auch mit einem Vorbehalt bei dem Rückkehr-Schema in Zusammenhang gebracht werden. Die meisten tibetischen tour guides sind aus Lhasa, und Tibetern, die aus dem Exil zurückkehrten, wurden absichtlich nur die Bewilligungen zur Rückkehr in ihren Herkunftsort ausgestellt, um eine Überflutung der Städte zu vermeiden. Nur Personen, die ursprünglich aus Lhasa stammten, konnten sich dort wieder ansiedeln, und auch dann war die Bedingung zur Einreise, daß sie ein Einladungsschreiben der Stadt Lhasa vorlegten und die eine genaue Adresse nannten, wo sie wohnen würden.

Es bleibt daher unverständlich, warum in einer Region, in der ein offiziell bestätigter Mangel an Fremdenführern herrscht und wo eine Politik verfolgt wird, daß Personen, die früher in Indien waren, unbehelligt gelassen werden, nun wieder tibetische guides entlassen und durch chinesische ersetzt werden. Die tibetischen guides haben meistens gute Fremdsprachenkenntnisse, sind in tibetischer Sprache, Kultur und Geschichte bewandert, und wenn man zudem bedenkt, daß Touristen ständig nach tibetischen guides verlangen, kann man sich die kürzlich erfolgte Entlassung der tibetischen guides nur als Resultat der Diskriminierung, des Argwohns und der Paranoia erklären, die seit Jahren Chinas Politik gegenüber den Tibetern kennzeichnen.

Teil 2

Chadrel Rinpoche unter Hausarrest

Einer zuverlässigen Information aus Tibet zufolge steht Chadrel Rinpoche unter Hausarrest und befindet sich an einem "isolierten Ort" (chin. duijian cun) südlich des Dib Militärlagers (tib. sgrib dmag khang) in Lhasa. Obwohl er im Januar 2002 nach Verbüßung seiner sechsjährigen Haftstrafe angeblich entlassen wurde, hat niemand erfahren, wo er sich seitdem aufhielt. Weil hinsichtlich seiner Entlassung überhaupt nichts Definitives bekannt wurde, stuften Menschenrechtsorganisationen ihn als "verschwunden" ein. Die neue Information widerspricht den offiziellen chinesischen Anhaben, er sei einer gerichtlichen Verfügung gemäß entlassen worden.

Es heißt, der stellv. Leiter der Abteilung für Öffentliche Sicherheit der TAR, Palden, und der stellv. Polizeichef der Präfektur Shigatse, Dorjee, hätten im Februar 2002 dem Tashi Lhunpo Kloster (Sitz des Panchen Lama) einen Besuch abgestattet und die Herausgabe von Chadrel Rinpoches persönlichen Schriften und seiner Gebetskette gefordert, ohne einen Grund dafür zu nennen.

Chadrel Rinpoche war früher Abt des Klosters Tashi Lhunpo. Auf den mysteriösen Tod des 10. Panchen Lama im Mai 1989 hin bestimmte die chinesische Regierung Chadrel Rinpoche zum Vorsitzenden der Suchkommission für dessen Wiedergeburt. Ausgehend von einer Liste mit 30 möglichen Kandidaten erklärte der Dalai Lama am 14. Mai 1995 nach der Durchführung der vorgeschriebenen Rituale offiziell Gedhun Choekyi Nyima zum 11. Panchen Lama. Zwei Tage nach dieser Verkündung verschwand der damals 6 Jahre alte Gedhun Choekyi Nyima und wurde seitdem nicht mehr gesehen. Chadrel Rinpoche verschwand drei Tage später am 17. Mai 1995. Damals erklärte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Chen Jian, Chadrel Rinpoche sei nicht festgenommen, sondern "erkrankt und in ein Krankenhaus eingeliefert" worden. Unterdessen ernannte die chinesische Regierung im Dezember 1995 ein anderes Kind zum Panchen Lama.

Die erste offizielle Bestätigung der Festnahme Chadrel Rinpoches erfolgte zwei Jahre später, als im Mai 1997 die offizielle Nachrichtenagentur der chinesischen Regierung Xinhua verlauten ließ, das Mittlere Volksgericht Shigatse habe ihn am 21. April 1997 zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. In einer anderen widersprechenden Mitteilung hieß es, er sei wegen "Konspiration zur Spaltung des Landes und Weitergabe von Staatsgeheimnissen zu einer Haftstrafe von sechs Jahren bis zum 9. Januar 2002 verurteilt" worden. Inoffiziellen Berichten zufolge wurde Chadrel Rinpoche zuerst im Distrikt Trochu (chin. Heishui) festgehalten und dann in das Chuandong Gefängnis No. 3, Distrikt Tazhu, Provinz Sichuan, verlegt.

Bei einer Sitzung im Rahmen des Menschenrechtsdialogs im Februar 2001 wurde der britischen Regierung erklärt, Chadrel Rinpoche sei 1996 verurteilt worden, und seine Entlassung erfolge nicht vor Januar 2002. Diese Aussage stand in deutlichem Widerspruch zu einer offiziellen Mitteilung an das britische Foreign and Commonwealth Office, Chadrel Rinpoche sei 1997 verurteilt worden. Eine solche Verschleierung, sowie die widersprüchlichen Angaben über die Haftzeit und der unbestimmte Aufenthaltsort des Rinpoche besagen, wie politisch brisant der Fall ist.

Teil 3

Zwei Mönche verhaftet - Verbleib unbekannt

Einer Informationsquelle des TCHRD zufolge wurden am 11. April 2003 zwei Mönche des Klosters Labrang Tashikyil im Kreis Sangchu der TAP Kanlho (die einen Teil der traditionellen tibetischen Provinz Amdo bildet), Provinz Gansu, festgenommen. Örtliche PSB Beamte führten eine gründliche Durchsuchung in den Wohnräumen der Mönche durch, wobei Broschüren mit Reden des Dalai Lamas zum Vorschein kamen. Seitdem ist der Mönch Kunchok Choephel Jamyang, 40, verschwunden. Ein zweiter Mönch, Jigme Jamdrup, 37, wurde nach 13 Tagen Haft auf Bewährung freigelassen.

Es heißt, beide Mönche hätten sich schon früher "politischen Aktivitäten" hingegeben, einmal zusammen 1990 und einmal unabhängig voneinander 1995. Sie wurden im PSB Haftzentrum Sangchu in separate Zellen gesperrt. Daß Jigme wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, ist der Tatsache zuzuschreiben, daß er früher einmal dem Demokratischen Verwaltungsrat (DMC) des Klosters Labrang Tashikyil angehört hatte.

Um den Informanten des TCHRD, der anonym bleiben möchte, zu zitieren: "Kunchoks Verwandte sind einfache Nomaden. Sie erkundigten sich beim PSB nach den Gründen für die Festnahme und den Verbleib des Mönches. Die Beamten wollten die Verhaftung nicht zugeben und sagten nur, falls er tatsächlich festgenommen worden sei, so wegen seiner früheren Aktivitäten. Die Familie befürchtet, daß Kunchok ebenso wie Trulku Tenzin Delek zum Tode verurteilt oder wie Lobsang Dhondup hingerichtet werden könnte. Kunchok war schon vor seiner Festnahme bei schwacher Gesundheit, weshalb man sich angesichts der weitverbreiteten Praxis, politischen Häftlingen Folter und Schläge zu verabreichen, fragen muß, ob er überhaupt noch am Leben ist".

Im Juni 1990 spielten Kunchok und Jigme eine führende Rolle bei der Organisation eines Massenprotestes gegen einen chinesischen Journalisten wegen dessen falscher Interpretation des sechssilbigen heiligen Mantras zum Lobe Chenrezigs (Avalokiteshwara), des Buddhas des Mitgefühls. Dem Journalisten Zhou Lou zufolge symbolisiere mani (wörtlich "Juwel" auf Sanskrit) das männliche Organ und padme (Lotos) das weibliche Organ im buddhistischen Tantra - eine für die religiösen Gefühle der Tibeter beleidigende Auslegung. Seit diesem Protest galten die Mönche den Behörden als verdächtig und wurden streng überwacht.

Die PSB Beamten des Kreises Sangchu nahmen Kunchok zum zweiten Male am 10. Mai 1995 unter dem Verdacht politischer Aktivitäten fest. Drei Monate lang war er im Haftzentrum Mengar im Kreis Sangchu inhaftiert. Sein gebrechlicher Gesundheitszustand ist den damals erlittenen Mißhandlungen zurückzuschreiben.

Jigme wurde zum zweiten Mal am 19. Mai 1995 wegen Plakatierens und Parolenschreibens festgenommen. Auf den Plakaten stand "Die Exiltibeter organisieren einen Friedensmarsch nach Tibet, erhebt euch, Tibeter!" Das Mittlere Volksgericht von Kanlho verurteilte ihn unter Anklage der "Aufhetzung zu konterrevolutionärer Propaganda" zu zwei Jahren Gefängnis und einem Jahr Entzug der politischen Rechte.

Kunchok stammt ursprünglich aus dem Dorf Sangko Ngulra, Kreis Sangchu, und Jigme aus dem Dorf Ngulra, Kreis Machu. Beide traten in sehr jungen Jahren in das Kloster Labrang Tashikyil ein.

Teil 4

Folter und Mißhandlung: Sorge um die Sicherheit von Tsering Dhondup

Wie aus zuverlässiger Quelle verlautet, ist der Gesundheitszustand von Tsering Dhondup kritisch. Tsering Dhondup, der Ortsvorsteher des Dorfes Othok im Distrikt Nyakchuka, TAP Karze, Provinz Sichuan, ist einer der vier Männer, die sich im Zusammenhang mit dem Fall des Tulku Tenzin Delek gegenwärtig in Haft befinden. Er wurde zwei Monate nach der Verhaftung des Tulku, die am 7. April 2002 erfolgte, festgenommen.

Berichten zufolge wurde Tsering im Haftzentrum von Dartsedo so brutal geschlagen und gefoltert, daß er überhaupt nicht mehr gehen kann. Beide Beine seien gebrochen und er könne nur noch auf einem Auge sehen. Nach seiner Verurteilung wurde Tsering in eine Haftanstalt im Distrikt Nyakchuka verlegt, wahrscheinlich ins Gefängnis Maowan in der TAP Karze. Doch wegen seines kritischen Zustandes weigerte sich die Gefängnisbehörde von Nyakchuka ihn aufzunehmen. Deshalb befindet er sich weiterhin im Haftzentrum von Dartsedo. Der Quelle des TCHRD zufolge war Tsering vor seiner Verhaftung in guter körperlicher Verfassung und hatte keine gesundheitlichen Beschwerden.

Obwohl die PRC im Oktober 1988 die Konvention gegen Folter ratifizierte, greifen die Behörden immer wieder bei Tibetern zur Folter, um Informationen und Geständnisse aus ihnen herauszupressen. Bis zum heutigen Tag verzeichnet das TCHRD 81 Todesfälle von Tibetern auf Grund von Folterung, entweder direkt im Gefängnis oder kurz nach der Entlassung. Daß die chinesische Regierung diesen Umstand weder zugibt, noch derartige Fälle untersucht und die des Amtsmißbrauchs schuldigen Personen bestraft, läßt auf eine staatliche Billigung der gesetzwidrigen Praktiken schließen. In Tibet wird weiter gefoltert, weil die Häftlinge keinen gesetzlichen Schutz, die Vollzugsbeamten aber Straffreiheit genießen, also die Gesetzgebung unzureichend ist und das gesamte Gerichtswesen von der Chinesischen Kommunistischen Partei abhängig ist, die ein Umfeld schafft, in dem Beamte ermutigt werden, Praktiken anzuwenden, die in krassem Gegensatz zur Menschenrechtskonvention stehen.

Das TCHRD macht sich große Sorgen um Tsering Dhondup und appelliert an die chinesische Regierung, ihn unverzüglich aus medizinischen Gründen freizulassen. Nach seiner Auffassung trifft die chinesische Regierung die Schuld an den bereits begangenen Verletzungen der Konvention und es wird diesen Fall weiterhin im Auge behalten.

Teil 5

Von Serkar nach Serkar - die Geschichte dazwischen

Lobsang Tsultrim wurde 1968 in dem Dorf Serkar im Distrikt Tingri in Westtibet geboren. Über drei Jahre hatte er im Drapchi Gefängnis gesessen, weil er von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hatte. Lobsang erzählte dem TCHRD: "Nach einer kurzen Zeit auf der Schule trat ich im Alter von 14 Jahren in das örtliche Serkar Kloster ein, um die buddhistische Lehre zu studieren. Ich wurde jedoch ständig von den chinesischen Arbeitsteams in meinen Studien behindert.

Im März 1995 brachte ich an den Läden der Gemeinde Damtso und an den Mauern des Platzes, wo unsere Dorf-Zusammenkünfte stattfinden, Unabhängigkeitsposter an, um den chinesischen Kadern meine Opposition deutlich zu machen. Das PSB erfuhr von meinem Tun und nahm mich fest. Ich wurde als "Reaktionär" gebrandmarkt. Am 11. Juni brachten sie mich in das Haftzentrum des Distrikts Tingri, wo sie mich zwei Monate lang festhielten. In dieser Zeit mußte ich von den Gefängnisaufsehern viele Schläge erdulden. Im August desselben Jahres wurde ich in die Nyari Haftanstalt in Shigatse verlegt. Das Mittlere Volksgericht von Shigatse verurteilte mich zu dreieinhalb Jahren Gefängnis und zweieinhalb Jahren Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte.

Am 2. Januar 1996 verlegten sie mich in das Drapchi Gefängnis, wo das Leben für die Gefangenen sehr hart ist. Wir wurden wie beim Militär gedrillt und mußten stundenlang in der glühenden Sonne stehen. Am Ende des Jahres befahlen die Gefängnisbeamten uns, die Worte "Tibet ist nicht unabhängig" niederzuschreiben. Damit wollten sie herausfinden, wer sich "reformiert" hatte und wer nicht. Die meisten Gefangenen kamen diesem Befehl nicht nach, was ihnen schwer vergolten wurde. Damshung Sangay Tenphel starb infolge der grausamen Schläge, die ihm wegen dieser Befehlsverweigerung verabreicht wurden. Viele, die wegen Mißachtung der Anordnungen des Gefängnispersonals geschlagen werden, tragen schwere Verletzungen davon. Die medizinischen Einrichtungen in dem Gefängnis lassen sehr zu wünschen übrig, und sogar dann, wenn sie dem Tode nahe sind, werden Gefangene unbetreut gelassen. 1997 starb ein Mönch aus dem Kloster Taktse Sa-ngag wegen mangelnder ärztlicher Versorgung im Gefängnis.

Am 1. Mai 1998 protestierten die Insassen von Drapchi während eines Flaggenappells. Ich war auch mit dabei und wurde in der Folge entsetzlich geschlagen. Als wir in unsere Einheit zurückgeschickt wurden, kamen Lhasang, Yeshi Jinpa, Kelsang Phuntsok und Ngawang Thupwang nicht in ihre Zellen zurück. Später hörten wir, daß sie in Isolationszellen gesteckt worden waren. Am Nachmittag wurden die Häftlinge zu einem Meeting gerufen. Paljor, einer der Gefängnisaufseher, fragte den Drepung-Mönch Ngawang Tensang, ob er auch Parolen geschrieen habe. Ngawang gab dies unerschrocken zu, woraufhin er augenblicklich in eine Isolationszelle eingeschlossen wurde.

Am 4. Mai 1998 wurden die Gefangenen wieder zu einer Zeremonie hinausgebracht - und wieder protestierten wir. An diesem Tag kehrten Lobsang Gelek, Tenzin Choephel, Khedup, Pasang, Wangdue, Sonam Tsering und Migmar nicht zu ihrer Einheit zurück. Sie wurden mit Haftverlängerung bestraft. Als Folge dieses Doppelprotestes starben acht Insassen und vielen anderen wurden die Strafen verlängert.

Am 7. Dezember 1998 wurde ich nach Vollendung meiner Haftzeit entlassen. Ich kehrte in mein Heimatdorf zurück, weil ich beabsichtigte, wieder in mein Kloster zu gehen, aber ich war schon längst ausgestoßen worden. So blieb ich zu Hause. Obwohl ich offiziell entlassen war und zu Hause wohnte, hielten die PSB-Beamten mich unter strenger Überwachung. Ständig verdächtigten sie mich, weitere Proteste und politische Aktivitäten zu planen.

Weil ich eine derartige Belästigung nicht mehr ertragen und meine religiösen Studien nicht richtig betreiben konnte, beschloß ich ins Exil zu fliehen. Im Januar 2002 verließ ich mein geliebtes Land und erreichte nach dem gefährlichen Treck über den Himalaya unversehrt Nepal. Einen Monat später begab ich mich auf Pilgerfahrt nach Bodhgaya, einer heiligen Stätte des Buddhismus in Bihar, und zog dann nach Kalimpong weiter. Ich wohne seither im Serkar Kloster, einer Nachbildung des ursprünglichen Serkar Klosters in Tibet."

Teil 6

Yeshi Jinpa: Ein trotziger Mönch

Der 28-jährige Yeshi Jinpa, Laienname Penpa Samdup, wurde in der Gemeinde Kimshi, Kreis Gongkar, Präfektur Lhoka, TAR, geboren. Er stammt aus einer Bauernfamilie mit acht Kindern. Da alle Familienglieder auf dem Bauernhof mithalfen, konnte sich die Familie leidlich über Wasser halten. Mit acht Jahren kam Yeshi in die örtliche Gemeindeschule. Nach drei Jahren ging er von der Schule und half seiner Familie in der Landwirtschaft. 1989 trat Yeshi in das in seiner Gemeinde gelegene Sungrabling Kloster ein. Vor 1950 beherbergte dieses Kloster über 300 Mönche, aber während der Kulturrevolution (1966-1976) wurde es vollkommen zerstört. 1984 baute die Bevölkerung das verwüstete Kloster wieder auf.

Als Yeshi dort eintrat, zählte das Kloster 70 Mönche, und es war bekannt für seinen politischen Widerstand und seine Abweichung von den "Parteiidealen". Neun Mönche waren wegen Plakatklebens festgenommen worden, von denen sechs nach Drapchi kamen, wo sie wegen ihres Ungehorsams den staatlichen Direktiven gegenüber lange Haftstrafen verbüßen.

Im Juni 1993 kam ein Arbeitsteam, um die Mönche im Rahmen der patriotischen Umerziehungskampagne zu reformieren. Yeshi und ein paar seiner Gefährten klebten zum Ausdruck ihres Protestes in der Umgebung des Klosters heimlich Poster. Das Public Security Bureau (PSB) führte daraufhin bei allen verdächtigen Mönchen Befragungen durch. Yeshi und vier weitere Mönche wurden als die Schuldigen ermittelt. Am 27. Juni 1993 kamen PSB-Milizionäre, um sie festzunehmen, doch die Mönche des Klosters versperrten ihnen den Weg. Die Tibeter der Gegend leisteten hartnäckigen Widerstand und schlugen alle Warnungen des PSB in den Wind. Unfähig der protestierenden Menge Herr zu werden, zogen die PSB-Milizionäre schließlich ab.

In der darauf folgenden Nacht kamen PSB und PAP (People’s Armed Police) Kräfte in der Stadt an und positionierten vor jedem Haus einen PAP-Soldaten. Als die Leute am Morgen aufwachten, sahen sie mit Entsetzen, daß ihre Stadt von bewaffneten Polizisten überflutet war. Diese konnten nun ungehindert zum Kloster vorrücken, wo sie Yeshi und vier weitere Mönche, nämlich Tsultrim Sherab (26), Ngawang Lamchen (27), Buchung Dawa (26) und Tsultrim Topgyal (28), festnahmen. Alle fünf wurden in das Haftzentrum von Tsethang gebracht, wo sie sechs Monate festgehalten wurden. Während dieser Zeit wurden sie häufig unter Mißhandlungen vernommen.

Im Dezember 1993 verurteilte das Mittlere Volksgericht der Präfektur Lhoka die fünf Mönche zu Gefängnisstrafen verschiedener Länge: Yeshi Jinpa bekam 6 Jahre, Tsultrim Sherab 3 Jahre, Buchung Dawa 4 Jahre, Tsultrim Topgyal 6 Jahre und Lamchen 4 Jahre. Im Januar 1994 wurden sie in das Drapchi Gefängnis verlegt.

Als am 4. Mai 1998 dort der Protest losbrach, war Yeshi einer der Beteiligten. Die Gefängnisaufseher schlugen ihn gnadenlos und verlegten ihn später in die Einheit für die Strafgefangenen. Dort wurde er intensiv vernommen. Im August 1998 wurden Yeshi und die anderen Häftlinge, die in die Abteilung für Kriminelle gekommen waren, wieder in ihre ursprüngliche Einheit zurückgebracht. Noch im selben Monat unterbreitete die Gefängnisleitung den Fall dem Mittleren Volksgericht. Im Oktober 1998 verhängte das Gericht in einer nichtöffentlichen Sitzung über 27 Insassen Urteilsverlängerungen. Yeshi wurde zusätzlich zu seinen ursprünglichen 6 mit weiteren 5 Jahren bestraft, so daß die Gesamtstrafe jetzt 11 Jahre beträgt. Yeshi Jinpas Entlassung steht für 2004 an.

Teil 7

"Der Traum von Bildung kostet die Freiheit"

Pasang Diki, eines der drei Kinder, die wegen ihrer Minderjährigkeit in die Obhut des UNHCR übergeben wurden, erzählte dem TCHRD*:

"Ich bin neun Jahre alt, meine Eltern Dawa und Chokey stammen aus dem Kreis Gonjo, Präfektur Chamdo, TAR. Sie waren früher arme Bauern, und als ich zwei Jahre alt war, zogen sie nach Lhasa, um überleben zu können. Sie lebten vom Straßenhandel und schickten mich auf die Namshang Schule im benachbarten Kreis Chushul. Drei Jahre ging ich auf diese Schule, aber dann konnten meine Eltern das Schulgeld von 300 Yuan pro Monat nicht mehr zahlen. Sie nahmen mich mit dem Gedanken von der Schule, daß ich später auf eine tibetische Schule in Indien gehen würde.

So wurde ich meinem Onkel Atra übergeben, der mich nach Indien bringen sollte. Wir schlossen uns einer Flüchtlingsgruppe an, die auf dem Weg nach Indien war. Die Leute kamen aus verschiedenen Teilen Tibets. Als wir von Lhasa aufbrachen, waren wir 28 Personen. Wir ließen Shigatse hinter uns und fuhren noch etwa 15 Stunden mit dem LKW, und von da an gingen wir 25 Tage lang zu Fuß. Als wir Solukumbhu erreichten, erkrankten drei von uns. Aber weil wir weiterziehen mußten, hatten wir keine andere Wahl als sie zurückzulassen. Nach drei Tagen erreichten die übrigen von uns eine kleine Krankenstation.

Der Arzt dort hatte Mitleid mit uns und behandelte die Erfrierungen an meinen Füßen. Acha Lhamo und ihre fünfjährige Tochter waren nach diesem langen Treck über die Berge auch sehr schlecht dran. Acha Lhamo hatte einen schlimm entzündeten Fuß und ihre Tochter war schneeblind geworden. Sie benötigten sofortige medizinische Hilfe. Mein Onkel und sein achtjähriger Sohn blieben daher zurück, um sie zu betreuen. Der Rest von uns reiste weiter. Als wir Thangkot am Rand von Kathmandu erreichten, wurden wir von der Sicherheitspolizei festgenommen. Sie hielten uns die nächsten zwei Tag fest und brachten uns dann zur Einwanderungsamt. Später wurden wir im Dilli Bazaar Gefängnis eingesperrt.

Ich kam zusammen mit vier anderen Frauen in eine Zelle. Yonten, eine von ihnen, wurde immer wieder ohnmächtig, denn sie ist herzkrank. Ich hatte im Gefängnis fürchterliche Angst, die sechsjährige Diki Dolkar und ich weinten den ganzen Tag. Man sagte uns, wenn wir die Strafen, die sie von uns verlangten, nicht zahlten, würden wir nicht freikommen. Außerdem würden wir der chinesischen Grenzpolizei übergeben werden. Gestern kamen die Leute vom Tibetan Refugee Centre und holten Diki Dolkar und mich heraus. Wir waren sehr glücklich, doch ich mache mir schreckliche Sorgen, daß die anderen, die noch im Gefängnis sind, zurückgeschickt werden.

Meine Eltern schickten mich her, damit ich zur Schule gehen könne. Deshalb möchte ich viel lernen und den Traum meiner Eltern erfüllen."

* Pasang Diki und Diki Dolker wurden am 21. April aus dem Dilli Bazaar Gefängnis entlassen. Jetzt kümmert sich das Tibetan Refugee Centre, Nepal, um die beiden.