Human Rights Update
August 2003
Inhalt
  1. Enger Mitarbeiter von Chadrel Rinpoche immer noch in Haft
  2. Umweltaktivitäten bedrohen den Lebensunterhalt der Nomaden
  3. Sechs Jahre Strafverlängerung wegen Unabhängigkeitsparolen
  4. Lama Nyandak: Chadrel Rinpoche nicht willkommen im Kloster Tashi Lhunpo
  5. Ein mutiger Nomade, der die Umsiedelungspolitik der Regierung kritisiert, muß ins Exil fliehen
  6. Patriotische Umerziehung im Kloster Sera führt zu Festnahmen und Ausweisung
  7. Funktionär aus Lhasa bestätigt die Inhaftierung zweier Tibeter wegen Separatismus
Teil 1

Enger Mitarbeiter von Chadrel Rinpoche immer noch in Haft

Dem Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) liegen zuverlässige Informationen vor, nach denen Champa Chung (56), ein ehemaliger Mitarbeiter von Chadrel Rinpoche, selbst nach Verbüßung seiner vierjährigen Haftstrafe 1999 nicht freigelassen wurde. Er wurde 1995 wegen der Rolle, die er bei der Kontroverse um die Reinkarnation des Panchen Lama spielte, verhaftet und zu vier Jahren Haft verurteilt. Außerdem wurden ihm für zwei Jahre die Bürgerrechte aberkannt.

Aus verläßlicher Quelle wird bestätigt, daß Champa Chung immer noch festgehalten wird. Unter der Bedingung strikter Anonymität berichtet unser Informant: "Er befindet sich immer noch in einer Art von Gewahrsam. Als ich fragte, ob es sich dabei um "las mi rukhag" (Zwangsarbeit, chin: jiyue) handle, erhielt ich zur Antwort, es gehe um etwas ganz anderes. Daraus schloß ich, daß er irgendwo im gleichen gora oder Gefängniskomplex festgehalten wird, obwohl er seine Strafe eigentlich verbüßt hat".

Im revidierten chinesischen Strafverfahrensrecht vom März 1996 wurde festgelegt, daß der Zeitpunkt der Festnahme ausschlaggebend für die Errechnung des Haftendes ist. Champa Chungs vierjährige Strafe wäre also gemäß dem chinesischen Gesetz am 16.05.99 zu Ende gewesen, denn er wurde am 17.05.95 verhaftet. Die Tatsache, daß er weiterhin festgehalten wird, verstößt somit sowohl gegen das chinesische als auch das internationale Recht.

Champa Chung (alias Chung la, chin: Qamba Qung) war früher Sekretär der Kommission für die Auffindung der Reinkarnation des Panchen Lama und stellvertretender Verwaltungsdirektor des Klosters Dechen Kelsang Potrang (chin: Deqen Gaisang Phozhang), der Residenz des Panchen Lama in Shigatse, TAR. Er wurde zusammen mit Chadrel Rinpoche (64), vormals Abt des Klosters Tashilhunpo sowie Vorsitzender der Suchkommission nach der Reinkarnation des 10. Panchen Lama, und Samdrup, einem Geschäftsmann Mitte dreißig aus dem Distrikt Panam in der Präfektur Shigatse verhaftet.

Am 14.05.95 erklärte der Dalai Lama den damals siebenjährigen Gedhun Choekyi Nyima zum 11. Panchen Lama von Tibet. Die Behörden in Peking setzten diese Proklamation umgehend außer Kraft und bezeichneten die Erklärung des Dalai Lama am 24.05.95 als "illegal und ungültig". Bereits am 17.05.95 verschwanden Gedhun Choekyi Nyima und seine Familie. Sie wurden bis zum heutigen Tag nicht mehr gesehen. Zwar wird immer wieder versichert, es gehe dem Jungen "gut", trotzdem wurde weder Vertretern westlicher Regierungen noch unabhängigen Organisationen oder Einzelpersonen gestattet, den Jungen, der im April vierzehn wurde, aufzusuchen. Im November 1995 ernannte die chinesische Regierung einen anderen sechs Jahre alten Jungen namens Gyaltsen Norbu zum 11. Panchen Lama.

Am 21.04.97 fällte das Mittlere Volksgericht der Präfektur Shigatse (chin: Xigaze), TAR, die Urteile über Champa Chung, Chadrel Rinpoche und Samdrup. Champa Chung wurde zu vier Jahren Haft in der Haftanstalt Seitu (Gefängnis des Sicherheitsbüros der TAP) in Lhasa verurteilt, weiterhin wurden ihm für einen Zeitraum von zwei Jahren die Bürgerrechte aberkannt. Chadrel Rinpoche erhielt eine Haftstrafe von sechs Jahren, die er im Gefängnis Nr. 3 in Chuandong, Distrikt Tazhu, Provinz Sichuan, verbüßte, des weiteren wurde eine dreijährige Aberkennung der Bürgerrechte über ihn verhängt. Samdrup wurde zu zwei Jahren Gefängnis und einem Jahr Verlust der Bürgerrechte verurteilt; vermutlich verbüßte er die Strafe ebenfalls in der Haftanstalt Seitu.

Einem Xinhua-Bericht vom 07.05.97 zufolge wurden die drei Angeklagten nach Artikel 92 des chinesischen Strafgesetzbuchs wegen "Verschwörung zur Spaltung des Mutterlandes" verurteilt. Dieser Artikel befaßt sich mit "Komplotten zum Sturz der Regierung und zur Auflösung des Staates". Die Mindeststrafe für dieses Vergehen beträgt zehn Jahre Gefängnis, obwohl die Angeklagten mit ihren Strafen weit darunter lagen. Xinhua berichtete, in Anbetracht der "Umstände dieses Falles" habe das Gericht Milde walten lassen und Strafen unterhalb des vorgesehenen Mindestmaßes verhängt.

Offiziellen Berichte zufolge wurde Chadrel Rinpoche dem Urteil entsprechend im Januar 2002 entlassen. Das TCHRD erhielt jedoch eine Exklusivinformation, der zufolge angenommen werden kann, daß Chadrel Rinpoche an einem isolierten Ort (chin: dujian cun) südlich des Militärcamps Din (tib: srib din dmag khang) in Lhasa unter Hausarrest steht. Unser Informant konnte diese Information bestätigen und sagte: "Chadrel Rinpoche wird ebenfalls irgendwie weiter festgehalten, obwohl er seine sechsjährige Strafe vollständig verbüßt hat. Es gab Gerüchte, daß im Gefängnis in Chongqing eigens für ihn ein neues Haus gebaut würde".

Die Tatsache, daß sowohl Champa Chung als auch Chadrel Rinpoche nach wie vor in Gefangenschaft sind, ist bezeichnend für die politische Brisanz des Falles. Das TCHRD bittet die internationale Gemeinschaft, die sofortige und bedingungslose Freilassung von Chadrel Rinpoche und Champa Chung und die Bekanntgabe des Aufenthaltsortes von Gedhun Chokyi Nyima zu fordern.

Teil 2

Umweltaktivitäten bedrohen den Lebensunterhalt der Nomaden

Dem Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) liegen bestätigte Informationen vor, daß den tibetischen Nomaden aus den TAPs (Tibetisch Autonomen Präfekturen) Golog und Yushul die Umsiedlung droht, womit ihre traditionelle nomadische Kultur in Frage gestellt wird. In einer Regierungsentscheidung vom 16.04.03 wird zu Umweltschutzmaßnahmen und zur Neuanpflanzung von Gras an den Ufern der drei wichtigsten Flüsse der Gegend, Machu, Drichu und Zachu, aufgerufen, um der Desertifikation und der Bodenerosion vorzubeugen. Es wurde auch angeordnet, daß der Viehbestand zum Schutz des Graslandes verringert werden soll, was bei den dort lebenden Nomaden tiefe Besorgnis auslöste.

Gemäß einem Xinhua-Artikel vom 17.04.03 hat die chinesische Regierung im April dieses Jahres beschlossen, große Flächen von Nomaden-Land in eine Grasland-Schutzzone umzuwandeln. Die Umsetzung dieser Verordnung wurde bereits in Angriff genommen und soll innerhalb von fünf Jahren abgeschlossen sein.

Von offizieller Seite wird diese Aktion damit begründet, daß 70 % des Graslandes im Distrikt Matoe in der TAP Golog mittlerweile unfruchtbar geworden seien. Berichten zufolge will die Regierung eine Fläche von 1540 mu (1 mu entspricht 67 qm) einzäunen, um das Grasland zu schützen und neu anzupflanzen. Im Zuge dieser Maßnahmen plant die Regierung die Umsiedlung von 27.679 Nomaden, die von Alters her von diesem Land leben, in eine andere Gegend.

Das TCHRD hat einen Brief von Bewohnern der TAP Golog erhalten, in dem sie ihre Angst und Bestürzung vor der Realisierung dieser neuen Richtlinien zum Ausdruck bringen. Die tibetischen Nomaden betrachten diese Politik als Bedrohung ihrer traditionellen Lebensformen und ihrer Nomadenkultur. Seit Generationen bildet das Grasland, auf dem sie ihre Herden weiden, ihre Existenzgrundlage. Ein Bewohner der Gegend sagte, die Nomaden fühlten sich durch die angeordnete Verringerung ihres Viehbestands und die Umsiedlung wie “Fische, die aus dem Wasser geworfen wurden”.

In einem Xinhua-Artikel heißt es, die Behörden würden im Rahmen der Aktion den von der Umsiedlung betroffenen Personen eine gewisse Menge Getreide pro mu Ackerland als Entschädigung liefern und hätten außerdem Arbeitsförderungsmaßnahmen für sie vorgesehen. Die Nomaden haben bereits deutlich gemacht, daß sie von dem ganzen Plan nichts halten, außerdem würden sie auf dem Sektor der Bildung und Berufsausbildung ohnehin schon benachteiligt.

Bei diesem Umsiedlungs- und Wiederanpflanzungsprogramm handelt es sich um eine weitere “Umweltinitiative” als Reaktion auf die Überschwemmungen von 1998 in China. Man könnte es auch als Teil des viel gepriesenen “Western Development Programme” (WDP) ansehen, das im Jahr 1999 in die Wege geleitet wurde. Derartige Projekte bereiten den Tibetern bei der Sicherung ihres Lebensunterhaltes große Probleme. Dies ist keineswegs der einzige Fall, wo in ihr Recht auf eine ihnen gemäße Lebensform massiv eingegriffen wird. Das TCHRD hat viele ähnliche Verstöße dokumentiert und veröffentlicht.

Auf Grund eines Erlasses der chinesischen Regierung vom 12.05.03 wurden 8.000 Tibeter zur Umsiedlung gezwungen, damit das Mega-Bauprojekt zur Errichtung von sieben Dämmen im Bezirk Barkham, TAP Ngaba, Provinz Sichuan durchgeführt werden kann. Infolge des Dammprojekts sind viele buddhistische Heiligtümer und uralte Wahrzeichen dem Untergang geweiht.

Im Dezember 2001 hatten die chinesischen Behörden 60 Familien aus dem Bezirk Gonjo, Präfektur Chamdo, in die Präfektur Nyingtri (Kongpo), TAR, umgesiedelt. Diesen Familien, zumeist Bauern, die sich von jeher von dem Ertrag ihrer Felder ernährten, wurde eine Geldstrafe von 70.000 Yuan angedroht, sollten sie der Anordnung nicht nachkommen. Die zwangsumgesiedelten Familien sahen sich in ihrer neuen Umgebung mit enormen Problemen konfrontiert. Wie sie es aus ihrer Heimat gewohnt waren, versuchten sie Getreide anzubauen, was jedoch nicht gelang. Um ihre Familie ernähren zu können, mußten viele auf der Suche nach Arbeit nach Lhasa gehen. Die Regierung versprach ihnen finanzielle Entschädigung, aber nie haben sie auch nur einen Groschen davon gesehen.

Das TCHRD ist über die Notlage der betroffenen Tibeter, deren traditionelle Art der Sicherung ihres Lebensunterhalts durch die Verringerung des Viehbestands ernstlich gefährdet wird, zutiefst besorgt. Eine derartige Politik beweist, daß die Machthaber keinerlei Respekt für die Fähigkeiten und Kenntnisse der tibetischen Nomaden in Bezug auf den Erhalt des Graslandes haben. In den Augen des TCHRD ist dies eine weitere Maßnahme zur Zerstörung eines wertvollen und wichtigen Zweigs der tibetischen Kultur.

Teil 3

Sechs Jahre Strafverlängerung wegen Unabhängigkeitsparolen

Lodroe Gyatso wurde 1961 in einer Nomadenfamilie in der Gemeinde Tsarong No. 3, Kreis Sog, Präfektur Nagchu, TAR, geboren. Seine Familie lebte als Halbnomaden. Lodroe war Tanzkünstler und gehörte dem Theaterverband des Kreises Sog an. Außerdem war er ein leidenschaftlicher Sportler und gewann oftmals die bei Dorffesten veranstalteten Pferderennen.

Im Januar 1991 kam Lodroes jüngere Schwester Lharik bei einem Autounfall ums Leben. Lodroe reichte eine Klage gegen den Fahrer, Gayoel, ein, die aber über ein Jahr lang nicht bearbeitet wurde, und schließlich wurde Gayoel keine Schuld zugesprochen. Es heißt Gayoel habe damit gedroht, Lodroe umzubringen, der den Fall der Polizei meldete. Doch diese tat seinen Bericht als unwahr ab und nahm den Fall nicht zu Akten.

Am 17. Januar 1993, als Lodroe auf einem Gang zum Markt war, traf er zufällig auf Gayoel. Die beiden gerieten aneinander, und Gayoel starb, von Lodroe niedergestochen. Augenzeugen berichten, Gayoel habe eine Pistole bei sich gehabt, weshalb Lodroe aus Selbstverteidigung handeln mußte. Acht PAP Milizionäre kamen augenblicklich zu dem Tatort; sie warfen Lodroe zu Boden und droschen mit aller Macht auf ihn ein.

Das Mittlere Volksgericht der Präfektur Nagchu sprach Lodroe Gyatso des vorsätzlichen Mordes schuldig und verurteilte ihn am 12. April 1994 zu 15 Jahren Gefängnis. Zur Verbüßung seiner Strafe kam er nach Drapchi. Während er dort einsaß, faßte er den Plan, die politischen Häftlinge von der Einheit fünf zu kontaktieren. Vor dem Tibetischen Neujahr wollten sie Flugblätter politischen Inhalts verteilen. Am 4. März 1995 erhielt Gyatso von den Gefängnisaufsehern die Erlaubnis, alleine zu einem anderen Trakt zu gehen, um sich von anderen Insassen eine Arznei zu holen. Dies gab ihm eine Chance Unabhängigkeits-Parolen zu rufen. Während er seinen Weg entlang des fünften, des sechsten, des vierten und des zweiten Blocks nahm und schließlich bei dem ersten Block im Hof ankam, rief Gyatso unentwegt "Tibet ist unabhängig", "Lange lebe der Dalai Lama", "Chinesen geht nach Hause zurück!" und "Sechs Millionen Tibeter sind im Geiste vereint". Gleichzeitig verstreute er 350 handgeschriebene Flugblätter.

Sieben Gefängnisaufseher stürzten sich unmittelbar auf ihn und legten ihm Daumenschrauben an. Sie stießen ihn und schlugen ihn mit ihren metallenen Gürteln, fesselten ihn mit einem Strick und droschen auf ihn ein, bis ihm aus Mund und Nase Blut floß. Gyatso wurde in eine Einzelhaftzelle eingeschlossen, wo er losgebunden und auf Genitalien und Bauch getreten wurde.

Drei Tage später forderten die Gefängniswärter Lee Tue Tang, Liu Bao und Zhao, daß Gyatso seine "Verbrechen gestehe", doch er weigerte sich und rief statt dessen Freiheitsparolen. Daraufhin wurde er gewürgt und gestoßen, bis er bewußtlos wurde. Von dieser Mißhandlung trug er eine ernsthafte Hals- und Mundverletzung davon. Die Vernehmungen dauerten einen Monat lang. In der Einzelhaft bekam er nur zwei Mal täglich ein kleines tingmo (einen gekochten Kloß) und eine Tasse Wasser.

Die Gefängnisbeamten und die Kommission zur "Umerziehung-durch-Arbeit" hielten daraufhin eine Sitzung ab, bei der sie ein Schriftstück verfaßten, in dem die Hinrichtung Gyatsos gefordert wurde, welches sie an die Staatsanwaltschaft weiterleiteten. Während das Mittlere Volksgericht die Zustimmung des Höheren Volksgerichts zu der Exekution erwartete, gelang es im April 1995 anderen Gefangenen von Drapchi, die Nachricht über Lodroes bevorstehende Hinrichtung ins Ausland zu schmuggeln.

Der UN Sonderberichterstatter für außergerichtliche, summarische und willkürliche Hinrichtungen verfaßte daraufhin einen Eilappell, den er der chinesischen Regierung übermittelte. Die gerade noch rechtzeitige Intervention des UN Sonderberichterstatters, sowie die wiederholten Appelle der internationalen Gemeinschaft bewahrten Lodroe vor der Hinrichtung, seine Strafe wurde statt dessen um sechs Jahre verlängert, und für weitere drei Jahre wurden ihm die bürgerlichen Rechte aberkannt. Lodroe Gyatso verbüßt gegenwärtig eine Haftstrafe von 21 Jahren im Drapchi Gefängnis.

Teil 4

Lama Nyandak: Chadrel Rinpoche nicht willkommen im Kloster Tashi Lhunpo

Die Nachrichtenagentur AFP berichtete am 24. August, eine Rückkehr von Chadrel Rinpoche, dem Leiter der Suchkommission nach der Reinkarnation des 11. Panchen Lama, in das Kloster Tashi Lhunpo, Shigatse, sei nicht erwünscht.

Um Lama Nyandak, den Vorsitzenden des "Demokratischen Verwaltungsrates" von Tashi Lhunpo zu zitieren: "Wir wissen nicht, wo Chadrel Rinpoche sich aufhält, außerdem würden wir ihn hier auch gar nicht willkommen heißen". Weiter sagte Nyandak, Chadrel Rinpoche sei ein Separatist, der sowohl gegen die nationalen als auch die buddhistischen Gesetze verstoßen habe. "Bei der Suche hätte er die Genehmigung der Zentralregierung einholen sollen, um den Dalai Lama zu kontaktieren, er hätte unbedingt ihr Einverständnis haben sollen".

Chadrel Rinpoche Jampa Trinley leitete die Suche nach dem 11. Panchen Rinpoche 1995 und wurde in der Folge unter der Anklage der Weitergabe von Staatsgeheimnissen, weil er den Dalai Lama dabei konsultiert hatte, zu 6 Jahren Haft verurteilt.

Chadrel Rinpoche wurde im Januar 2002 aus der Haft entlassen, doch sein Verbleib ist unbekannt. Zuletzt hieß es, er stünde an einem isolierten Ort (chin. dujian cun) südlich des Dib Militärlagers (tib. sgrib dmag khang) in Lhasa unter Hausarrest.

Teil 5

Ein mutiger Nomade, der die Umsiedelungspolitik der Regierung kritisiert, muß ins Exil fliehen

Ata, ein 30-jähriger Nomade aus dem Kreis Gonjo, Präfektur Chamdo, TAR, mußte aus Tibet fliehen, nachdem er sich mit Regierungsbeamten wegen eines Umsiedelungsplanes gestritten hatte. Die Nomaden in seiner Gegend sollen nämlich vertrieben werden, um für ein angebliches Wiederaufforstungsprogramm Platz zu schaffen. Ata zufolge handelt es sich dabei nur um einen Vorwand, um die Bewohner umsiedeln zu können, denn die Behörden beabsichtigen, dort nach Bodenschätzen zu graben. Er berichtet:

"2001 fing die chinesische Regierung damit an, die Tibeter aus ihrem angestammten Land umzusiedeln. Sie werden aus einer Gegend vertrieben, wo sie seit Generationen gewohnt haben. Gegenwärtig läuft dieses Umsiedelungsprogramm auf vollen Touren.

Die Behörden erklärten uns, sie müßten im Hinblick auf den Schutz der Umwelt nun in dieser Gegend Bäume anpflanzen, doch jedermann hier weiß, was ihre wahre Absicht ist - nämlich ein großes Projekt zum Abbau von Bodenschätzen zu starten. Das Gerede von der Wiederaufforstung ist nur ein Lippenbekenntnis, denn die Einheimischen haben sich immer so verhalten, daß der empfindlichen Umwelt keinerlei Schaden zugefügt wurde. Trotz der strengen Regeln, die uns auferlegt wurden, und des Verbots, das Land umzugraben und Ackerbau zu betreiben, wurde hier in großem Maßstab abgeholzt. Diese Tatsache kann nicht bestritten werden, denn viele haben mit eigenen Augen den Abtransport der Holzstämme auf dem Drichu Fluß nach China gesehen.

Um uns von hier wegzukriegen, griffen die Behörden seit 2001 entweder zu Zwangsmaßnahmen oder versuchten uns zu manipulieren. Sie sicherten uns zu, falls wir der Aufforderung zum Wegzug Folge leisteten, bekämen wir einen anderen Ort zugewiesen, wo wir als Halbnomaden ausgezeichnet leben könnten. Darüber hinaus versprachen sie jedem Haushalt 70.000 Yuan als Starthilfe und versicherten, sich auch in Zukunft um uns zu kümmern.

Viele Personen, die von den politischen und wirtschaftlichen Hintergründen dieses Programms keine Ahnung hatten, zogen tatsächlich bald daraufhin um. Aber nachdem sie an den neuen Ort umgesiedelt waren, erfüllten die Behörden kein einziges ihrer Versprechen. Statt den zugesagten 70.000 Yuan erhielten die einzelnen Familien nur 150 Yuan und 50 gyama Getreide (1 gyama = 500 g). Was noch schlimmer ist, das Land, das sie bebauen sollten, erwies sich als ein steiniger mit ein wenig Erde bedeckter Boden. Deshalb besteht dort auch nach Jahren keine Aussicht auf einen normalen Ackerbau.

Jetzt, wo die Regierung ihr Land und Vermögen bereits konfisziert hat, haben diese Nomaden, die nun merken welch großen Fehler sie machten, als sie der Regierungspolitik vertrauten, keine andere Wahl, als auf dem zugeteilten Land ihr kärgliches Dasein zu fristen. Das den Tibetern gegebene Neuland liegt in den Kreisen Kongpo Gyamda und Tarmo. Die von den Umsiedelungsmaßnahmen Betroffenen sind Nomaden aus den Kreisen Boomkye, Chago, Zhangpa, Migtoe und Gonjo der Präfektur Chamdo, TAR. Wahrscheinlich werden noch mehr von Nomaden bewohnte Gebiete in Mitleidenschaft gezogen werden.

Ich war gerade in Lhasa, als mit der Umsiedelung begonnen wurde. Eines Tages erhielt ich aus meinem Heimatort die Anweisung, sofort zu kommen, um mein Haus und mein Weideland den Behörden zu übergeben. Außerdem sollte ich mich für ein neues Landstück, das mir zugeteilt würde, eintragen lassen.

Zu Hause angekommen, traf ich mit einigen Nachbarn zusammen, um das Problem zu besprechen; wir diskutierten, ob wir dieser Politik zustimmen sollten oder nicht. Was mich betrifft, so war ich strikt dagegen, mein Land und Haus aufzugeben. Von Anfang an war mir klar, was das Ergebnis der Zustimmung zu solch einem Plan sein würde. Ich wußte, daß den Tibetern jetzt die Gefahr droht, von dem zu erwartenden Zustrom chinesischer Einwanderer zurückgedrängt zu werden, womit diese Gegend eben eine weitere chinesische Provinz wird. Ich war besorgt, daß die natürliche Umwelt der rücksichtslosen Bergbau- und Abholzungsaktivität des Staates zum Opfer fallen würde.

Danach begab ich mich zusammen mit sechs Personen aus meinem Bekanntenkreis zu einem Meeting auf Gemeindeebene. Der Gemeindechef erklärte uns, gemäß der Direktive der Regierung sei die Reihe nun an uns, wegzuziehen. Die Behördenvertreter versuchten uns davon zu überzeugen, daß die Maßnahme zur Umsiedelung der Nomaden so durchgeführt würde, daß unserem Wohlbefinden Vorrang eingeräumt würde, und sagten: 'Ihr werdet an einen Ort umgesiedelt, an dem für euch gesorgt wird und an dem alle notwendigen Einrichtungen vorhanden sind, deshalb müßt ihr der Order bereitwillig folgen'. So ließen sie uns eigentlich gar keine andere Wahl.

Da die meisten Nomaden nur selten aus ihrem Dorf herauskamen, waren sie völlig unwissend über die wahren Motive, die hinter solch einem Vorhaben stecken und daher auch nicht in der Lage, plausible Gründe dagegen vorzubringen. Nach all den Erfahrungen, die ich in vielen Jahren in Lhasa gemacht hatte, sah ich die Dinge jedoch viel klarer als die anderen.

Ich konnte nicht ruhig sitzenbleiben und alles einfach akzeptieren. So brachte ich mein Mißfallen darüber offen zum Ausdruck, daß wir unser Land, das unsere Vorfahren seit Generationen bewohnt haben, nun aufgeben sollten. Darauf antworteten sie mir, es sei ungehörig von mir, eine Verordnung des Staates in Frage zu stellen: 'Da diese Entscheidung von der Regierung getroffen wurde, bist du nicht befugt, ihr zu widersprechen'. In sehr barschem Ton erklärten sie mir, ich müsse allem zustimmen, denn der Zentralregierung gehöre nicht nur das Land und die Häuser, sondern auch der Himmel und die Luft, die wir atmen.

Sie ergingen sich weiter in ihrer Tirade über unser Leben und unseren Status. Ich antwortete darauf, daß wir hart genug gearbeitet hätten, um endlich auf eigenen Füßen zu stehen. Die Steuern, die uns aufgebürdet und die meistens in Naturalien erhoben werden, sind eine bekannte Tatsache. Jedes Jahr müssen wir einen Teil unserer Getreideerträge und tierischen Produkte an den Staat abführen. Selbst wenn die Regierung uns Beihilfen gewährt, so ist der Betrag, den wir bekommen, nicht höher als 40 bis 50 Yuan, denn auf Gemeinde-, Kreis- und Präfekturebene stecken die Beamten den größten Teil des für uns bestimmten Geldes in ihre eigenen Taschen.

Die Behördenvertreter warfen uns unsere Rückständigkeit vor und verglichen die Fürsorge der Zentralregierung für uns mit der Liebe der Eltern zu ihren Kindern. So sagten sie: 'Wenn ihr jetzt hier ein anständiges Leben führen könnt, dann habt ihr das nur der Unterstützung der Zentralregierung zu verdanken... Ihr dürft nicht vergessen, daß die Regierung eine Menge Geld für den Bau von Straßen und die Stromversorgung ausgegeben hat und euch obendrein mit finanziellen Zuwendungen und Getreide unterstützt hat'.

Indem ich wiederholte, was ich schon zuvor über die sogenannte finanzielle Unterstützung und die Getreidelieferungen gesagt hatte, stellte ich die Frage, was denn der wahre Grund für den Bau der Straßen und Kraftwerke sei. Die Straßen seien nicht im Interesse der Bevölkerung des Ortes gebaut worden, sagte ich. Wenn dem so wäre, dann hätte jede Gemeinde und jeder Kreis jetzt ordentliche Straßen und eine richtige Stromversorgung. 'Der Grund dafür, weshalb ihr die Fernstraßen gebaut habt, ist doch nur, uns unsere Naturschätze wegzunehmen zu können, um damit die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Bevölkerung in den Städten Chinas zu decken... Der jetzige Plan, uns umzusiedeln, kann daher nur demselben Motiv entsprungen sein. Und deshalb werden wir ihm um keinen Preis zustimmen'. Nach diesen Worten kam es zu einer langen Auseinandersetzung mit dem ranghöchsten Kader der Gemeindeverwaltung. Die Behördenvertreter - alles Tibeter - tadelten mich heftig, weil ich ihnen widersprochen hatte. Ich wurde zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht verhaftet.

Nach dieser Kontroverse mit der Gemeindeverwaltung fuhr ich sofort nach Lhasa. Vier Tage später erhielt ich einen Anruf von einem Freund von zu Hause, daß mir die Verhaftung unmittelbar bevorstehe. Die Beamten hatten offenbar meine Kritik an dem Programm während des Meetings schriftlich festgehalten und bei den entsprechenden Behörden eine Klage gegen mich eingereicht. Nur meinem Glück habe ich es zu verdanken, daß es mir gelang, nach Indien zu entkommen, bevor sie mich festnehmen konnten".

Später, nachdem Ata sich nach Indien abgesetzt hatte, erfuhr man, daß PSB Milizionäre in die Wohnung kamen, wo er sich in Lhasa aufgehalten hatte. Er ist jetzt im indischen Exil in Sicherheit.

Teil 6

Patriotische Umerziehung im Kloster Sera führt zu Festnahmen und Ausweisung

Der 22-jährige Gyaltsen stammt aus dem Kreis Phenpo Lhundup in der TAR. Zunächst war er Novize im Kloster Sera und betätigte sich dann in der Landwirtschaft, denn er wurde von den Behörden ausgewiesen, weil er das für die Aufnahme in ein Kloster vorgeschriebene Alter nicht erreicht hatte. Er erzählt dem TCHRD:

"Nur einen lang Monat konnte ich eine Dorfschule besuchen. Lange Zeit weidete ich dann Vieh, bis ich mit 12 Jahren ich in das Kloster Sera aufgenommen wurde, wo ich 5 Jahre lang buddhistische Studien betrieb. 1996 schickte die TAR Regierung gemeinsam mit vielen chinesischen Arbeitsteam-Kadern Beamte nach Sera, um die patriotische Erziehung durchzuführen. Einen ganzen Monat lang indoktrinierten sie die Mönche.

In dieser Zeit wurden fünf Mönche festgenommen und in der Folge zu Gefängnisstrafen von einem bis drei Jahren verurteilt. Norbu aus der Region Yamdrok starb kurz nach seiner Entlassung aus der Haft. Sein Tod ist der exzessiven Folterung und der medizinischen Unterversorgung während einer Erkrankung im Gefängnis zuzuschreiben.

Damals hatte die chinesische Regierung eine Verfügung erlassen, daß keine Novizen unter 18 Jahren mehr zugelassen werden dürfen, und ihnen verboten, an den Versammlungen teilzunehmen. Diese Order führte zur Ausweisung von über 30 jungen Mönchen, die als zu jung eingestuft wurden. Ich war einer von ihnen. Danach wohnte ich einige Zeit bei meinen Verwandten in Lhasa, wo ich nichts zu tun hatte.

Ehe ich nach Indien aufbrach, traf ich noch einmal meine Mönchs-Kameraden und Lehrer im Kloster Sera. Auch heutzutage müssen sie sich mit den vom Arbeitsteam verteilten Texten beschäftigen, und alle zwei Wochen werden neue Broschüren an sie ausgeteilt. Wenn ein Mönch diese offizielle Literatur nicht liest, droht ihm eine Geldstrafe von 50 Yuan. Es ist deutlich, daß den Mönchen bei ihrem Studium und der Ausübung ihrer Religion keine Freiheit gelassen wird. Auch wurden chinesische Beamte zur Überwachung der Mönche im Kloster einquartiert. Der Hauptgrund für meine Flucht nach Indien ist, daß ich eine bessere und umfassendere Bildung erhalten möchte".

Teil 7

Funktionär aus Lhasa bestätigt die Inhaftierung zweier Tibeter wegen Separatismus

Etwas, da selten vorkommt: Dargyal, der stellvertretende Bürgermeister der Stadt Lhasa, räumte Reportern gegenüber, die sich auf einer offiziellen Pressereise durch die TAR befanden, ein, daß zwei Tibeter auf Grund von "spalterischen Tätigkeiten" festgenommen worden seien. Im Juni sei Dawa Tashi, ein Student der Tibet Universität, zusammen mit dem 72 Jahre alten Yeshe Gyatso wegen Verdachts auf "separatistische Vergehen" verhaftet worden. Er fügte hinzu, Dawa Tashi sei "geständig gewesen" und diesen Monat freigelassen worden, während Yeshe Gyatso sich weiterhin in Haft befinde.

Der stellvertretende Bürgermeister erklärte den Reportern, sowohl Yeshe Gyatso als auch Dawa Tashi seien der "Spaltung des Mutterlands, der Untergrabung der Einheit der Nationalitäten sowie der Verletzung der Verfassung" angeklagt worden, was in China als schwere politische Delikte gilt. Nichts erwähnte er hingegen über die Festnahme eines weiteren Studenten der Tibet Universität namens Buchung, der am 16. Juli zusammen mit Dawa politischer Vergehen wegen verhaftet worden sein soll.