Juni 2005
Human Rights Update
Juni 2005

Inhalt:


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  1. Mönche wegen der Anbringung von "Freiheit-für-Tibet" Plakaten verhaftet
  2. Tibetische Kinder fliehen wegen der Schule ins Exil und riskieren dabei ihr Leben
  3. Sohn eines armen Bauern floh wegen der hohen Schulgebühren ins Exil
  4. Zwei Tote und 15 Verletzte bei Schlägerei wegen Heilpflanzen
  5. Zeugnis eines tibetischen Demonstranten
  6. Das TCHRD begeht den Internationalen Tag der UN zur Unterstützung von Folteropfern
  7. Portrait eines politischen Gefangenen. Plakate mit "Unabhängigkeit-für-Tibet" bringen Mönch für acht Jahre in Gefängnis

Teil 1

Mönche wegen der Anbringung von "Freiheit-für-Tibet" Plakaten verhaftet

Das TCHRD erhielt eine bestätigte Information, daß vier tibetische Mönche aus dem Kloster Labrang Tashikyil, Gemeinde Sangchu, TAP Ganan, Provinz Gansu, am 23. Mai 2005 von Sicherheitskräften des PSB (Public Security Bureau) verhaftet wurden. Jamyang Dhondup, Dhargay Gyatso und zwei namentlich nicht bekannte Mönche wurden unter dem Verdacht, Plakate mit der Aufschrift "Freiheit für Tibet" angeklebt zu haben, in Gewahrsam genommen.

Am 22. Mai 2005 fanden sich zahlreiche Anschläge mit der Forderung nach Freiheit für Tibet an den Mauern des Klosters Labrang Tashikyil und dessen Umgebung. Nach rigorosen Untersuchungen des PSB von Sangchu fiel der Verdacht auf die genannten Mönche, die in ihrem Kloster festgenommen wurden. Seitdem sie von den PSB-Offizieren abgeführt wurden, fehlt jede Spur von ihnen.

Der aus dem Dorf Arig gebürtige Dhargay Gyatso, 25, trat bereits in jungen Jahren ins Kloster Labrang Tashikyil ein. 1996 reiste er nach Indien, wo er sechs Jahre lang in einem Exilkloster in Südindien buddhistische Schriften studierte. 2003 kehrte er nach Tibet zurück. Jamyang Tharchin, 23, stammt aus dem Distrikt Malho, nähere Angaben zu den zwei anderen zwei Mönchen gibt es nicht.

Bei einem ähnlichen Vorfall wurde Chung Tsering, ein Mönch des Klosters Pangsa, im April 2005 auf den Verdacht, Unabhängigkeits-Plakate an dem Tor des Verwaltungsgebäudes der Gemeinde Tashi Gang im Kreis Meldrogungkar, TAR, angebracht zu haben, festgenommen. Er ist derzeit in dem PSB-Haftzentrum der Stadt Lhasa inhaftiert.

Dieses Jahr feiert die Autonome Region Tibet (TAR) ihre Gründung vor 40 Jahren. Zur feierlichen Begehung dieses Jahrestags im September 2005 werden eingehende Vorbereitungen getroffen. Um politischem Aktivismus keinen Freiraum zu gewähren, wurden schon im Vorfeld in Lhasa und den angrenzenden Landkreisen strenge Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Tibeter, die unter Verdacht stehen, politisch aktiv werden zu können, sowie ehemalige politische Gefangen werden in Gewahrsam genommen oder zu Verhörszwecken einbestellt. Ihre Familien müssen die Verantwortung dafür übernehmen, daß sie in dieser Zeit zu keinerlei politischen Aktivitäten schreiten. In einigen Fällen wurden ehemalige politische Gefangene als Vorsichtsmaßregel aufgefordert, Lhasa zu verlassen, damit es bei den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag zu keinen unerwünschten Zwischenfällen kommt.

Am 8. Juli 2005 zitierte Tibet Daily aus einem Bericht der Prokuratur der TAR, in dem geschildert wird, was sie im Verlauf ihres 49-jährigen Bestehens alles geleistet hat. Eine Passage aus dem Report mit dem Titel "Meilensteine in 49 Jahren glanzvoller Existenz" lautet: "Die Prokuratur ging erfolgreich gegen die Dalai Clique vor, gegen separatistische Kräfte innerhalb und außerhalb Tibets, gegen Falun Gong Anhänger sowie gegen andere religiöse Figuren, die mit ihren Aktivitäten die Staatssicherheit gefährden. Sie leistete der TAR-Regierung aktive Hilfe bei der Sicherung der Grenze und der Unterbindung illegaler Grenzübertritte. Seit 2001 hat die Prokuratur 66 Fälle der Gefährdung der Staatssicherheit vor Gericht gebracht und gegen 82 Personen einen Haftbefehl erlassen. 78 an insgesamt 63 Fällen Beteiligte legten auf die Ermittlungen hin Rechtsmittel ein."

Teil 2

Tibetische Kinder fliehen wegen der Schule ins Exil und riskieren dabei ihr Leben

Zahlreiche Tibeter, die aus ihrer Heimat fliehen, um ins Exil zu gelangen, überqueren den heimtückischen Himalaya. Dabei riskieren sie zu verhungern, in Gletscherspalten zu stürzen, Erfrierungen oder die Verhaftung durch die Grenzpatrouillen. Fast die Hälfte der Flüchtlinge sind Kinder, und für sie ist der Weg in die Freiheit besonders riskant.

Die Kinder werden ins Exil geschickt, weil sie die vom Dalai Lama und der tibetischen Regierung-im-Exil in Indien aufgebauten Schulen besuchen möchten. Diese Schulen bieten ein breites Spektrum an modernen Unterrichtsfächern bei gleichzeitiger Vermittlung der tibetischen Kultur. Der Hauptgrund für den Exodus der Kinder ist der in fast allen ländlichen Gegenden Tibets herrschende Mangel an Schulen. Auf dem Land gibt es in einigen Gegenden zwar staatliche Schulen, aber ihre Qualität und Ausstattung lassen sehr zu wünschen übrig. Weil die Kinder keine Zukunftsaussichten haben, fühlen sich die Eltern schließlich dazu bewogen, sie Fremden und Guides anzuvertrauen, die sie nach Indien bringen, wo sie eine ordentliche Schulbildung erhalten können.

Im Februar 2005 traf der 13-jährige Tenzin Gelek im Empfangszentrum für tibetische Flüchtlinge in Kathmandu ein. Tenzins Füße wiesen schwere Erfrierungen auf, die er sich auf dem tagelangen Marsch durch den Schnee zugezogen hatte. Um eine tödliche Infektion zu vermeiden, sahen sich die Ärzte gezwungen, seine Füße zu amputieren – er wäre sonst gestorben.

Tenzins Familie lebt im Dorf Zallo, Distrikt Medrogungkar, Lhasa, TAR. Er ist das jüngste von fünf Geschwistern. Nachdem er einige Jahre lang eine Schule in Tibet besucht hatte, schickte sein Vater ihn ins Exil, damit er in einer der dortigen tibetischen Schulen mehr Bildung erwerben sollte. Tenzin erzählte dem TCHRD: "Wir sind Bauern. Mein Vater und meine älteren Brüder bestellen das Land, das unserer Familie gehört und davon leben wir. Meine große Schwester besucht eine örtliche Schule und auch ich war fünf Jahre lang Schüler der Jarado-Grundschule. Weil sie so weit entfernt ist, mußte ich jeden Tag eineinhalb Stunden zu Fuß dorthin gehen. Da es in Tibet so wenige Zukunftschancen gibt und die meisten Jugendlichen nutzlos herumlungern, beschloß mein Vater, mich auf eine gute tibetische Schule ins Exil zu schicken.

Mein Vater erklärte mir, er setze große Hoffnungen in mich und mahnte mich, in Indien fleißig zu lernen. Er fand einen Guide und zahlte ihm 2000 Yuan, damit dieser mich über den Himalaya nach Nepal bringe. Unsere Gruppe zählte 27 Personen. Sieben davon waren Kinder; das jüngste war zehn Jahre alt. Die ersten zwei Tage ab Lhasa mieteten wir einen Lastwagen. Dann gingen wir neun Tage lang zu Fuß über die Schneeberge. Meine Schuhe gingen nach den ersten Tagen kaputt und ich hatte kein zweites Paar; deshalb mußte ich den Rest des Weges in den durchlöcherten Schuhen zurücklegen. Als wir in Samdo (nepalesisches Grenzgebiet) ankamen, konnten die Kinder vor lauter Erschöpfung nicht mehr weitergehen. Meine Füße waren entzündet und durch die Kälte und Infektion völlig taub geworden.

Wegen der Kinder in der Gruppe beschlossen die Erwachsenen, vier Tage Pause zu machen. Wir hatten aber nicht genug zu essen und mein Zustand verschlechterte sich immer mehr. Ich bekam hohes Fieber, weshalb mich die Erwachsenen abwechselnd auf dem Rücken trugen. Schließlich erreichten wir im Februar 2005 das Tibetan Refugee Reception Centre (TRRC) in Kathmandu. Als wir dort ankamen, war fast ein Monat vergangen, seit ich mein Zuhause verlassen hatte.

Im TRRC wurde ich sofort ärztlich behandelt und in ein größeres Krankenhaus eingeliefert. Der Arzt dort erklärte mir, daß meine Füße sofort amputiert werden müßten, weil die Infektion sonst tödlich verlaufen würde. Die Wunden sind mittlerweile gut abgeheilt."

Nach ungefähr vier Monaten Ruhezeit im TRRC traf Tenzin im Juni 2005 in Dharamsala; Indien, ein. Er möchte nun eine tibetische Schule besuchen und so die Träume seines Vaters wahr werden lassen.

Teil 3

Sohn eines armen Bauern floh wegen der hohen Schulgebühren ins Exil

Der 17 Jahre alte Choedak aus dem Dorf Hrimo, Gemeinde Toedgya, Distrikt Chentsa, Provinz Qinghai, berichtete dem TCHRD nach seiner Ankunft im TRRC: "Wir sind eine sehr arme Familie mit sieben Mitgliedern, darunter fünf Kindern. Ich habe noch zwei jüngere Brüder und zwei jüngere Schwestern. Als Ältesten schickten meine Eltern mich zur Schule, aber für meine Geschwister reichte das Geld nicht mehr. Mit acht Jahren kam ich in die Lhaden-Grundschule, eine nahegelegene Dorfschule. Es gab dort ca. 120 Schüler und 13 Lehrer, und es wurden Tibetisch und Chinesisch sowie Mathematik und Erdkunde unterrichtet. Drei der Fächer werden an zwei Schultagen in der Woche unterrichtet, die gesamte übrige Zeit war für die Chinesischstunden reserviert.

Pro Halbjahr müssen wir 35 Yuan Schulgeld bezahlen, dazu kommen noch Gebühren für Essen, Schreibmaterial, Schuluniformen und diverse andere Posten. Das Klassenzimmer ist in erbärmlichem Zustand. Die Tür, die Fenster, Tafel, Stühle und Tische, praktisch alles ist entweder schon kaputt oder wird demnächst auseinanderfallen. Wenn es im Winter schneit, ist es besonders kalt. Die Schüler frieren so, daß sie ununterbrochen schlottern, weil es in dem Klassenzimmer mit den zerbrochenen Fenstern keine Möglichkeit zum Heizen gibt. Die Lehrer haben immerhin eiserne Öfen, um sich warmzuhalten – die Schüler müssen das Holz dafür mitbringen, wenn sie zur Schule kommen.

Nachdem ich die Grundschule abgeschlossen hatte, setzte ich meine Ausbildung an der Mittelschule für nationale Minderheiten des Distrikts Chentsa fort. Aber meine Eltern nahmen mich nach einem Jahr aus der Schule, weil sie die Gebühren nicht mehr aufbringen konnten. Da es sich um ein Internat handelte, betrugen die Schulgebühren 365 Yuan pro Semester. Die Mahlzeiten werden zwar von der Schule gestellt, aber am Ende des Schuljahrs müssen die Schüler die entsprechenden Kosten in Naturalien oder Bargeld zurückerstatten. Jeder Schüler muß entweder 200 gyama (1 gyama = 500 g) Getreide oder 120 Yuan abliefern. Abgesehen davon ist das Essen in der Schule gräßlich. In der Reisgrütze am Morgen findet man manchmal Rattenkot und die anderen Mahlzeiten sind auch nicht besser. Als die Schüler von der Schulbehörde besseres Essen verlangten, wurde ihr Ansinnen zurückgewiesen, und der Direktor tadelte sie obendrein noch. Die anderen Einrichtungen in der Schule waren genauso schlecht. Für die acht Schlafsäle gibt es nur einen Waschraum. Außerdem herrscht in der Schule Wassernotstand, so daß die Schüler kaum ein Bad nehmen oder sich waschen können, wenn sie sich dreckig gemacht haben. Manchmal müssen sie eine Meile weit laufen, um Wasser zu holen.

Neben den Schulgebühren und der Rückerstattung des Geldes für das Essen werden ständig irgendwelche Beträge gefordert, etwa um die Tische schwarz zu lackieren oder ähnliches. Als die Schulleitung beschloß, einen Volleyballplatz anzulegen, wurden die Schüler in Gruppen von je sechs Kindern eingeteilt, die jeweils eine Wagenladung Sand liefern mußten.

Für ein Bauernkind wie mich ist eine langjährige schulische Bildung in Tibet einfach nicht zu bezahlen. Und als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, kam eines Tages noch ein Team von Regierungskadern zu einem unangemeldeten Besuch in unser Dorf und forderte 5.000 Yuan Strafe von meinen Eltern, weil sie die vom Staat für ländliche Gegenden festgesetzte Obergrenze von drei Kindern pro Familie um zwei überschritten hatten. Weil meine Eltern die Strafe nicht bezahlen konnten, wurde eine Maschine, mit der sie Seile herstellten, beschlagnahmt. Das bloße Überleben unserer Familie wurde immer ungewisser, weshalb meine Eltern mich von der Schule nahmen und nach Indien schickten, damit ich dort meine Ausbildung in einer von Seiner Heiligkeit, dem Dalai Lama, und der tibetischen Regierung-im-Exil errichteten Schule fortsetzen könnte."

So sieht die alltägliche Realität aus, weshalb Kinder vom Land nicht in die Schule gehen oder sie nach ein paar Jahren abbrechen, falls sie trotz der hohen Kosten überhaupt eine besuchen konnten – und das obwohl die chinesische Regierung sich damit brüstet, sie würde in Tibet Schulen bauen und hätte die gebührenfreie Grundschulpflicht eingeführt. Die von der Regierung angeblich eingeführte, kostenlose, gesetzliche Schulpflicht wird angesichts zahlloser Fälle wie denen von Choedak und Gelek, die alle vom TCHRD dokumentiert sind, zum Märchen

Teil 4

Zwei Tote und 15 Verletzte bei Schlägerei wegen Heilpflanzen

Die Weideland-Politik hat das Leben der Tibeter vom Lande stark in Mitleidenschaft gezogen. Die von den Behörden erhobenen Steuern werden nicht für die Entwicklung der jeweiligen Gegend verwendet. Da sie keinerlei spürbare Verbesserung ihrer Lebensumstände feststellen können, vermuten die Tibeter, daß Geld und Erzeugnisse in den Taschen der örtlichen Kader verschwinden. Die inkompetente Ressourcen-Politik der Regierung verschärft die Spannungen zwischen Tibetern und chinesischen Händlern aus dem Kernland. Wie ein Tibeter, der anonym bleiben wollte, erzählte, kam es im Distrikt Dzatoe, TAP Jyekundo, Provinz Qinghai, zu einer schweren Konfrontation wegen der Heilpflanze Yartsa Gunbu (Cordyceps Sinensis), die mit dem Tod von zwei Tibetern endete. 15 weitere Personen wurden ernsthaft verletzt.

Wie der Mann dem TCHRD berichtete, brach "am 20. Mai 2005 zwischen Einwohnern des Distrikts Dzatoe und des benachbarten Nangchen ein heftiger Streit wegen des Sammelns von Yartsa Gunbu aus. Die Einwohner von Dzatoe waren dagegen, daß Leute von außerhalb das in ihrem Distrikt wachsende Yartsa Gunbu ernten. Da die dortigen Einwohner ihren Lebensunterhalt bedroht sehen, wenn Tausende von Fremden zum Sammeln kommen, appellierten sie an die Distriktsbehörden, daß diese eingreifen und allen anderen das Sammeln der in ihrer Gegend wachsenden Raupenkeulenpilze verbieten sollten.

Mehrere tausend Leute kamen nach Dzatoe, um den Raupenkeulenpilz zu sammeln; darunter auch Leute aus dem Distrikt Nangchen, ethnische Chinesen und chinesische Moslems aus benachbarten Provinzen. Die ortsansässigen Tibeter erlitten massive Einkommenseinbußen. Weil die von den Behörden bei den Fremden erhobenen Abgaben dem betroffenen Gebiet in keiner Weise zugute kamen, sahen sich die Einwohner gezwungen, an die Behörden zu appellieren, Nichtansässigen nicht weiter zu erlauben, die lokalen Ressourcen auszubeuten. Die Zahl der auswärtigen Pflücker hat ständig zugenommen – mittlerweile sind es an die 10.000 – und jeder von ihnen muß den Distriktsbehörden Abgaben in Höhe von 1.500 Yuan pro Saison entrichten. Die korrupten Kader in der Distriktsverwaltung stecken das Geld in die eigene Tasche und die Leute haben nichts davon.

Die Behörden haben den Appell ignoriert und so brach Ende Mai eine heftige Schlägerei zwischen den Tibetern aus Nangchen und Dzatoe aus. Die Behören nahmen den Vorfall anfangs nicht ernst und blieben untätig. Erst als die Angelegenheit derart eskalierte, daß zwei Menschen zu Tode kamen und viele weitere verletzt wurden, griff die Bewaffnete Volkspolizei der Provinz Qinghai ein, umstellte das Gebiet, in dem der Raupenkeulenpilz wächst, und verwehrte jeglichen Zutritt. Als ich meine Heimat verließ, schwelte der Konflikt immer noch."

Der Interviewte meint, daß es zu einer Schlägerei gekommen sei, weil die Distriktsbehörden die Gesetze so lasch und ineffektiv anwenden, weil es den Tibetern an Bildung mangelt und weil die Distriktsverwaltung so korrupt ist.

Teil 5

Zeugnis eines tibetischen Demonstranten

Der 36-jährige Anu wurde in Lhasa geboren. In seiner Jugend besuchte er eine Militärschule und fand anschließend eine Anstellung als KFZ-Mechaniker bei der Armee. Nachdem er 1989 an den Demonstrationen in Lhasa teilgenommen hatte, gab er diese Arbeit auf. Einige Jahre danach trat er eine Stelle als Lehrer an, mußte aber schließlich Tibet verlassen, weil ihm die unmittelbare Verhaftung bevorstand.

Anu berichtete dem TCHRD: "Als 1989 in Lhasa friedlich demonstriert wurde, stahl ich mich von meinem Arbeitsplatz davon, um mitzumachen. Wir riefen Parolen wie "Freiheit für Tibet" und "Chinesen geht nach Hause". Mehrere Demonstranten wurden von chinesischen paramilitärischen Kräften direkt vor meinen Augen erschossen. Es war ein so schrecklicher Anblick, daß ich mich auch am zweiten Tag der Demonstration anschloß. Am darauffolgenden Tag traf ich einen Westler, der die Leichen der Erschossenen und die während der Demonstration Verletzten sehen wollte. Zusammen mit einem Freund zeigte ich ihm einen toten Demonstranten. Der Mann machte Fotos von der Leiche und ich bat ihn, die internationale Gemeinschaft über die Vorgänge zu informieren. Als wir uns auf dem Rückweg befanden, sahen wir eine Gruppe Tibeter in höchster Aufregung davonlaufen. Ich wußte gar nicht, was los war. Da ergriffen mich plötzlich zwei Zivilbeamte der Polizei und schleppten mich zur Dienststelle des Public Security Bureau (PSB). Nachdem die Polizisten mich den ganzen Tag lang brutal geschlagen und meine Hände auf dem Rücken gefesselt hatten, schafften sie mich schließlich in der Nacht ins Haftzentrum Gutsa. Da ich bei der Armee arbeitete, überstellten sie mich nach einer Woche an die Militärbehörde.

Diese schlossen mich in eine Zelle ein, wo sie mir Propagandamaterial zu lesen gaben und mich täglich über die Loyalität dem Staat gegenüber unterrichteten. Meine Freilassung bereits nach einer vergleichsweise kurzen Haftzeit von zwei Monaten ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß meine Eltern jahrelang fürs Militär gearbeitet hatten. Die Behörden forderten jedoch eine öffentliche Entschuldigung von mir, weil ich die Armee in Verruf gebracht hätte. Es wurde eine Versammlung der gesamten Belegschaft einberufen, bei der ich Kritik an mir selbst zu üben und mich bei allen Mitarbeitern zu entschuldigen hatte. Weil ich ihren Aufforderungen nur widerstrebend nachkam, waren die zuständigen Offiziere äußerst erbost und sperrten mich für weitere 15 Tage mit noch mehr Lektüre und Propagandamaterial ein. Nachdem ich an meine Arbeitsstelle zurückkehrte, wurde all mein Tun genau verfolgt. Meine Eltern standen ebenfalls unter Beobachtung. Schließlich ging ich weg von dort, weil ich diese andauernde Überwachung nicht mehr aushielt.

2001 bekam ich eine Anstellung als Chinesischlehrer an einer Privatschule namens Jhomolangma-School in Lhasa. Ich unterrichtete die 10. und 11. Klasse. Im Oktober 2004 gab die Regierung eine Direktive heraus, der zufolge in allen Schulen Lhasas "Patriotische Umerziehungsschulungen" abgehalten werden mußten. Der Rektor wies mich an, diese Kurse durchzuführen und gab mir eine offizielle Broschüre als Handlungsanweisung. Diese enthielt auch Kapitel zur "Kritik an der Dalai-Separatistenclique". Ich ersuchte den Rektor sogleich, mich von dieser Aufgabe zu entbinden und sie einem anderen Lehrer zu übertragen. Er entgegnete jedoch, ich müsse das schon selbst machen, weil ich ja der Klassenlehrer sei. Des weiteren befahl er mir, die Schüler auf ihre Fortschritte in "Patriotischer Erziehung" zu prüfen. Weil mir nichts anderes übrig blieb, nahm ich die Broschüre und ging in meine Klasse zurück.

Anstatt meinen Schülern jedoch Loyalität dem Staat gegenüber zu predigen, erzählte ich ihnen, was ich während meiner Inhaftierung in den späten 80ern erlebt hatte und wie die tibetischen Häftlinge in den Gefängnissen gefoltert werden. Die Schüler sprachen abends mit ihren Eltern über diese Unterrichtsstunde. Freunde informierten mich, daß das PSB mir nachstelle, weshalb ich mich am nächsten Tag nach Shigatse absetzte, wo ich mich ein paar Monate lang im Haus eines Freundes versteckte. Am 19. Februar machte ich mich auf den Weg ins Exil, wobei ich Frau und Kinder zurücklassen mußte.

Teil 6

Das TCHRD begeht den Internationalen Tag der UN zur Unterstützung von Folteropfern

Seit neun Jahren begehen die Vereinten Nationen am 25. Juni den Internationalen Tag der Unterstützung von Folteropfern. Obwohl viele Länder sich an die UN-Konvention gegen Folter (CAT) halten, um die Beachtung der Menschenrechte, Frieden, Demokratie und Gleichheit zu zu erreichen, gibt es Staaten, die ihre Bürger weiterhin physisch und psychisch mißhandeln. In Tibet ist eine derartige Praxis weitverbreitet, obwohl die VR China das Abkommen 1988 ratifiziert hat. Tibeter, die in Wahrnehmung ihrer grundlegenden Menschenrechte gewaltfrei protestieren und ihre politische Meinung auf friedliche Weise zum Ausdruck bringen, werden als Bedrohung für den Staat gesehen. Die friedlichen politischen Aktivitäten von Tibetern werden als "separatistische Bestrebungen" bezeichnet, welche "die Staatssicherheit gefährden". Auf Grund derartiger Gesetze werden Tibeter zu Opfern von willkürlichen Verhaftungen, illegaler Inhaftierung, Verschleppung, Folter im Rahmen von Verhören und von harten Urteilen ohne ordentliches Gerichtsverfahren.

Tibetische Häftlinge in den von Chinesen geführten Gefängnissen werden verschiedenen Foltertechniken unterzogen, ihnen werden Elektroschocks versetzt , sie werden mit Eisenruten geschlagen, getreten und gestoßen, an Händen und Füßen gefesselt, sie werden lange Zeit in Einzelhaft gehalten, Medikamente und Nahrung werden ihnen vorenthalten, sie werden extremen Temperaturen ausgesetzt, müssen Zwangsarbeit leisten, werden beschimpft und müssen strafexerzieren usw.

Der Tod des tibetischen politischen Gefangenen Yeshi Gyatso am 15. Januar 2005 war eine direkte Folge der Folter, die er in der Haft erlitten hatte. Im Februar 2004 verstarb Tsemonling Dawa in Lhasa, nachdem er in einem durch Folter verursachten lebensbedrohlichen Zustand aus der Haft entlassen worden war. Rigzin Wangyal war im Gefängnis Pawo Tramo inhaftiert und starb Ende Dezember 2004 an den Folgen der jahrelangen Folterungen in der Strafanstalt. Der Gesundheitszustand von Bangri Rinpoche, der eine lebenslange Haftstrafe im Gefängnis Drapchi verbüßt, ist infolge der unmenschlichen Folter in der Haft außerordentlich besorgniserregend.

Das TCHRD hat seit 1987 den Tod von 88 ihm namentlich bekannten politischen Gefangenen dokumentiert, die in den Gefängnissen der Chinesen der Folter erlegen sind. Dem Kenntnisstand des TCHRD zufolge gibt es derzeit 145 politische Gefangene, die in einer Vielzahl von Gefängnissen, Haftzentren und Lagern für Umerziehung-durch-Arbeit inhaftiert sind. Sie wurden eingesperrt, weil sie auf friedliche Weise von ihren grundlegenden Rechten Gebrauch gemacht haben. Soweit dem TCHRD bekannt, werden so gut wie alle tibetischen politischen Gefangenen in der Haft gefoltert. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen Häftlinge in lebensbedrohlichem Gesundheitszustand freigelassen wurden, damit die Gefängnisbehörden keine Verantwortung für ihren Tod tragen. Andere wurden als Krüppel aus der Haft entlassen.

Anläßlich des Internationalen Tages zur Unterstützung von Folteropfern ruft das TCHRD die VR China dazu auf, jegliche Art von Folter und Mißhandlung von Gefangenen einzustellen. Das Zentrum fordert von China, daß es sich künftig an seine nationalen Gesetze wie auch an seine aus den UN-Verträgen, vor allem dem CAT, sich ergebenden Verpflichtungen hält.

Teil 7

Portrait eines politischen Gefangenen: Plakate mit der Forderung "Unabhängigkeit-für-Tibet" bringen Mönch für acht Jahre in Gefängnis

Choenga Tsering, 21, stammt aus dem Dorf Ser-ngok im Distrikt Kardze, TAP Kardze, Sichuan. Wegen seiner Aktivitäten für Tibets Unabhängigkeit wurde er 2002 zu acht Jahren Haft verurteilt.

Tsering wurde von seinen Eltern schon als kleiner Junge ins örtliche Kloster geschickt, damit er sich unter der Aufsicht seines Onkels mütterlicherseits die buddhistischen Schriften und tibetische Grammatik aneignen sollte. Jahrelang studierte er eifrig und es bestanden gute Chancen, daß er unter der Obhut seines Onkels ein ausgezeichneter Kenner der heiligen buddhistischen Schriften werden würde.

Mit Tserings Gelehrsamkeit ging es allerdings bergab, als er begann sich friedlich für die Unabhängigkeit Tibets zu engagieren, denn bald wurde er vom PSB verhaftet. 2002 hatte er mehrmals insgeheim Plakate angebracht, auf denen er die "Unabhängigkeit für Tibet" verlangt und die Tibeter dazu aufgefordert hatte, die chinesische Herrschaft zu boykottieren. Die Poster waren an die Mauern von Kreis- und Dorfmärkten wie auch auf die Schilder von Regierungs- und Verwaltungsgebäuden geklebt worden.

Auf die Ermittlungen der Behörden hin wurde Tsering in seinem Kloster von PSB-Offizieren verhaftet. Er wurde umgehend in das PSB-Revier geschafft, wo er während der Verhöre schwer geschlagen wurde. Die Offiziere wollten wissen, warum er die Plakate geschrieben hätte, wer ihm dabei geholfen hätte und, falls es sich um eine Gruppe handele, wer ihr Anführer sei. Wenn immer Tsering antwortete, er sei der einzige Verantwortliche, wurde er mit Stiefeln getreten und geschlagen, weil er sich angeblich ungebührlich verhalten und nicht mit den PSB-Offizieren kooperiert habe.

In seinem Bericht bezeichnete das PSB Tsering als einen Feind der Regierung, woraufhin der Mittlere Volksgerichtshof Kardze ihn der "Gefährdung der Staatssicherheit" anklagte und zu acht Jahren Haft verurteilte. Zur Verbüßung der Strafe wurde er ins Kardze-Mok-Gefängnis verlegt. Auf die Inhaftierung Tserings hin erkrankte seine Mutter aus Kummer über der Situation ihres Sohnes so schwer, daß sie später verstarb. Choenga Tsering wird voraussichtlich im Jahr 2009 aus der Haft entlassen.