Human Rights Update
Mai 2006
Inhalt

  • Friedliche tibetische Dissidenten erneut Zielscheibe systematischer chinesischer Kampagnen
  • Sitz im neuen UN-Menschenrechtsrat für den Staat, der in Sachen Menschenrechtsverletzungen den Rekord hält
  • Phuntsok Nyidron erhält Reebok-Menschenrechtspreis
  • Rigzin Choekyi, eine der “singenden Nonnen” von Drapchi, im Exil eingetroffen
  • UN-Gremium befaßt sich mit dem Panchen Lama
  • Tibeter vor Teilnahme an Saka-Dawa-Gebetszeremonien gewarnt
  • US-Kommission kann „keine Veränderungen“ der chinesischen Religionspolitik feststellen
  • Zhang Qingli neuer Parteisekretär der TAR


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Friedliche tibetische Dissidenten erneut Zielscheibe systematischer chinesischer Kampagnen

Vom 15. bis 16. Mai 2006 fand in Lhasa ein Treffen hochrangiger KP-Mitglieder der Autonomen Region Tibet (TAR) statt. Wie Xinhua, die offizielle Presseagentur der chinesischen Regierung berichtet, versammelte sich hierzu die gesamte Parteispitze der TAR, einschließlich der Mitglieder, die in Peking wohnen. Berichten zufolge ging es bei der Sitzung um ein noch härteres Vorgehen gegen tibetische Freiheitsaktivisten und die Intensivierung der "patriotischen Umerziehung" in den monastischen Einrichtungen. Zhang Qing Ling, der amtierende Parteisekretär der TAR und damit der höchste Funktionär in der Region, führte den Vorsitz bei der Sitzung und forderte ein noch "härteres Durchgreifen gegen die Aktivitäten von Separatisten". In Anbetracht des Verlaufs dieser Sitzung ist das TCHRD äußerst beunruhigt und macht sich große Sorgen um tibetische Dissidenten, ehemalige politische Gefangene und religiöse Persönlichkeiten in Tibet.

Während des zweitägigen Treffens erläuterte Zhang Qing Ling die sechs Schritte, die das künftige Vorgehen gegen politische Aktivitäten in Tibet bestimmen werden:

  1. Das "Harte Durchgreifen gegen Separatisten" und die Arbeit gegen die "separatistische" Bewegung werden intensiviert.
  2. Die patriotischen Umerziehungskampagnen in den monastischen Einrichtungen werden intensiviert.
  3. Gegen Personen, welche die Sicherheit des Staates bedrohen, wird hart durchgegriffen.
  4. Die soziale Stabilität muß mehr gefördert werden denn je zuvor und in den bäuerlichen und nomadischen Gegenden Tibets sind sozialistische Dörfer aufzubauen.
  5. Die Arbeit in den Basisorganisationen und den Demokratischen Management-Komitees (DMC) in den monastischen Institutionen muß verbessert werden.
  6. Personen in leitenden Positionen sollen mehr Einsatz zeigen, der Kampf gegen die Separatisten muß in den Vordergrund gestellt und die Öffentlichkeitsarbeit über die Entwicklung in Tibet verbessert werden.

Das ganze vergangene Jahr hindurch führten die Behörden in Tibet intensive "patriotische Umerziehungskurse" in den Klöstern der TAR durch. Im November 2005 starb ein junger Mönch während eines solchen Kurses im Kloster Drepung in Lhasa. Kurz danach kam es zu einem Sitzstreik der Mönche, die ein Ende der Kampagne forderten. Diesem friedlichen Protest wurde jedoch ein schnelles und gewaltsames Ende bereitet, fünf Mönche wurden des Klosters verwiesen und in die Haftzentren an ihren Herkunftsorten verbracht. Während der Feierlichkeiten zum 40jährigen Jubiläum der Gründung der TAR im September 2005 wurden Tibeter mit politischem Background und ehemalige politische Gefangene entweder in Gewahrsam genommen oder aus der Stadt entfernt.

Angesichts der Intensivierung der staatlichen Kampagnen gegen tibetische Dissidenten macht sich das TCHRD große Sorge um das Schicksal friedlicher tibetischer Aktivisten und ehemaliger politischer Gefangener. Es befürchtet, daß sie Opfer willkürlicher Festnahme und Inhaftierung werden und ihre Angehörigen ständigen Schikanen ausgesetzt sein könnten. Durch all diese von der VR China initiierten Kampagnen werden die Menschenrechte des tibetischen Volkes in gröbster Weise verletzt, besonders ihre bürgerlichen und politischen Rechte und ihre Religionsfreiheit. Das TCHRD verurteilt die weitere Durchführung solcher Kampagnen unterschiedlichster Färbung, die darauf abzielen, den Tibetern jegliche politische Betätigung und die Ausübung ihrer Religion unmöglich zu machen.

Sitz im neuen UN-Menschenrechtsrat für den Staat, der in Sachen Menschenrechtsverletzungen den Rekord hält

Das TCHRD mißbilligt entschieden, daß im neu gebildeten UN-Menschenrechtsrat ein Sitz an die VR China vergeben wurde, obwohl zahlreiche Menschenrechtsorganisationen und NGOs gefordert hatten, Chinas Kandidatur unberücksichtigt zu lassen. Die Generalversammlung wählte am 9. Mai 2006 die ersten 47 Mitgliedsstaaten für den neuen Menschenrechtsrats, dessen Präsident ihn als Neuanfang für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte bezeichnete.

Nach drei geheimen Wahlgängen bei der Generalversammlung der UNO in New York wurde China mit 146 von 191 möglichen Stimmen zu einem der 47 Mitgliedstaaten des neuen Rats gewählt. Das TCHRD erachtet Staaten wie China, das weltweit an der Spitze der Menschenrechtsverletzer steht, als ungeeignet für einen Sitz in diesem Rat.

Der neue Menschenrechtsrat, der die Menschenrechtskommission ersetzt, wurde auf Basis der Resolution 60/251 der Generalversammlung vom 15. März 2005 geschaffen. Seine Aufgabe ist es, schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen an den Pranger zu stellen und die Koordinierung und Etablierung des Themas Menschenrechte innerhalb der Struktur der Vereinten Nationen zu fördern. Der neue Rat tritt erstmals am 19. Juni 2006 in Genf zusammen.

Wie in der Resolution festgelegt, sollen die Mitgliedsstaaten, wenn sie neue Mitglieder zu dem Rat wählen, den Beitrag der Bewerber zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte sowie ihre diesbezüglichen freiwilligen Verpflichtungen in Betracht ziehen (Durchführungsparagraph 8).

Eine Woche nach Chinas Wahl zum Mitglied des Rates zeigte das Land sein wahres Gesicht, als es bei einer Konferenz hochrangiger Parteikader der TAR, die vom 15. bis 16. Mai 2006 in Lhasa tagte, die Wiederaufnahme der Kampagne gegen friedliche tibetische Dissidenten beschloß. Berichten zufolge lag der Schwerpunkt der Sitzung auf dem harten Vorgehen gegen tibetische Freiheitsaktivisten und der Intensivierung der Kampagne für "politische Umerziehung" in den Klöstern Tibets.

Das TCHRD befürchtet, daß nun gewaltlose tibetische Aktivisten, ehemalige politische Gefangene und deren Angehörige noch häufiger Opfer willkürlicher Verhaftungen, Inhaftierung oder sonstiger Schikanen werden. Die diversen von der Regierung initiierten Kampagnen führten zu massiven Verletzungen der Menschenrechte der Tibeter, insbesondere ihrer bürgerlichen, politischen und religiösen Grundrechte.

Angesichts der erneuten Vorgehens der chinesischen Regierung gegen friedliche tibetische Dissidenten und andere unschuldige Personen, die hinter Gitter gesetzt werden, nur weil sie die ihnen zustehenden Rechte ausgeübten, kann das TCHRD nicht stillhalten. Im Zuge der Kampagne für "patriotische Umerziehung" wurden zahlreiche Mönche und Nonnen zur Verunglimpfung des Dalai Lama und zur Beschäftigung mit kommunistischer Ideologie gezwungen, denn die Behörden sehen in den Klöstern vor allem Brutstätten von politischem Dissens. Diejenigen, welche sich ihren Anweisungen verweigerten, wurden ihres Klosters verwiesen und streng bestraft. Nach wie vor wird aus einer Vielzahl staatlicher Institutionen über Folter und Mißhandlungen berichtet. Die üblichen Foltermethoden umfassen Tritte, Schläge, Elektroschocks, Aufhängen an den Armen, Fesseln in schmerzhaften Körperstellungen sowie Schlaf- und Nahrungsentzug. Der Mangel an Kontakt zur Außenwelt und an einem effektiven Beschwerdeweg sind Schlüsselfaktoren, die dieser üblen Praxis Vorschub leisten.

Die Religions-, Rede- und Versammlungsfreiheit werden weiterhin schwer eingeschränkt, und willkürliche Verhaftungen und unfaire Prozesse sind typisch für Tibet. Dutzende von Gewissensgefangenen, die meisten von ihnen buddhistische Mönche und Nonnen, sitzen hinter Gittern, wo sie Schreckliches erleiden.

Der Generalsekretär der UNO, Kofi Annan, stellte fest, daß die Bildung des Rates nur der erste Schritt im Hinblick auf einen Wandel sei, und daß die wirkliche Arbeit erst mit ihm beginne. Er sagte: "Der tatsächliche Test für die Glaubwürdigkeit des Rates besteht in dem Gebrauch, den die Mitgliedsstaaten von ihm machen werden. Wenn sie in den kommenden Wochen und Monaten gemäß ihrer Verpflichtungen handeln, die sie im Rahmen dieser Resolution eingegangen sind, bin ich zuversichtlich, daß der Rat unserem Einsatz für die Menschenrechte neues Leben verleihen und dazu verhelfen wird, das Leben von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zu bessern."

Es bleibt dennoch zu hoffen, daß der neue Rat seiner Pflicht zur Beobachtung und dem Schutz der Menschenrechte im allgemeinen und in Tibet im besonderen nachkommen wird. Ebenso hofft das TCHRD, daß er trotz des Umstandes, daß China selbst Mitglied im Rat ist, dieses Land in Sachen Menschenrechtsverletzungen genau im Auge behalten wird. Im Laufe der Jahre hat China zu verschiedenen diplomatischen Taktiken und ausgeprägter Lobbyarbeit gegriffen, um Resolutionen der Kommission zur Kritik an seinem Umgang mit den Menschenrechten abzuwenden.

In seiner Eigenschaft als Menschenrechtsorganisation möchte das TCHRD die internationale Gemeinschaft daran erinnern, daß die von China in Tibet immer noch begangenen eklatanten Menschenrechtsverletzungen der sofortigen Aufmerksamkeit und Intervention der UNO und ihrer Mitgliedsstaaten bedürfen. Das TCHRD fordert die VR China dazu auf, die grundlegenden Menschenrechte der Tibeter durch angemessene gesetzliche Vorschriften zu garantieren und für deren effektive Umsetzung zu sorgen. Des weiteren fordert es die neuen Mitglieder des Rates zur Ausarbeitung wirksamer Strategien auf, um Druck auf die VR China auszuüben, ihre Menschenrechtsbilanz zu verbessern.

Phuntsok Nyidron erhält Reebok-Menschenrechtspreis

Letztendlich konnte Phuntsok Nyidron in New York mit dem Reebok-Menschenrechtspreis ausgezeichnet werden, den sie bereits 1995 erhalten hatte. Damals verbüßte sie eine 15-jährige Haftstrafe, zu der sie verurteilt worden war, weil sie Parolen für die Unabhängigkeit Tibets gerufen hatte. Zusammen mit den diesjährigen Preisträgern wurde sie am 17. Mai 2006 im Rahmen einer glanzvollen Feierlichkeit im Skirtball Center for Performing Arts der Universität New York geehrt. Das TCHRD gratuliert ihr zu der begehrten Auszeichnung und wünscht ihr baldige Genesung von dem Leiden, das sie durch die unmenschliche Folter im Gefängnis davonträgt.

Phuntsok Nyidron wurde am 15. März 2006 aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig freigelassen und durfte in die USA ausreisen. Ihre Freilassung kann in der Reihe typischer Charme-Gesten der chinesischen Regierung gesehen werden, denn nur wenige Tage darauf besuchte Präsident Hu Jintao die USA. Sie war die letzte der "Singenden Nonnen", die noch im Gefängnis war. Sie wurde am 14. Oktober 1989 festgenommen, weil sie an einer friedlichen Demonstration für die Unabhängigkeit Tibets in Lhasa teilgenommen hatte. Später wurde sie vom Mittleren Volksgerichtshof von Lhasa wegen "konterrevolutionärer Propaganda und Aufhetzung der Massen" und in ihrer Eigenschaft als Rädelsführerin bei den Protesten zu neun Jahren Haft verurteilt. Im Drapchi Gefängnis nahm sie gemeinsam mit 13 anderen Nonnen, darunter auch Ngawang Sangdrol, Freiheitslieder auf und wurde wegen dieses "offensiven Akts" mit acht Jahren Strafverlängerung belegt. Ihre Freilassung war für 2005 vorgesehen, die chinesischen Behörden entließen sie jedoch wegen "guter Führung" ein Jahr eher.

Nach ihrer Haftentlassung im Jahr 2004 stand Phuntsok Nyidron zu Hause in Lhasa unter ständiger Beobachtung und ihre Bewegungsfreiheit wie ihre Sozialkontakte waren stark eingeschränkt. Wegen der in der Haft erlittenen Folterungen wurde ihre Gesundheitszustand sehr in Mitleidenschaft gezogen. 1995 wurde Phuntsok Nyidron für ihre Standhaftigkeit der Reebok-Menschenrechtspreis verliehen, den damals Richard Gere stellvertretend für sie annahm, da sie ja im Gefängnis war.

Der Reebok Human Rights Award zeichnet Aktivisten im Alter von bis zu 30 Jahren aus, die auf ungewöhnliche Weise und häufig unter großen persönlichen Risiken auf gewaltlosem Wege bedeutende Beiträge für die Menschenrechte geleistet haben. Zu den diesjährigen Preisträgern gehört ein früherer chinesischer Student der Astrophysik, der sein Doktor-Studium aufgab, um Menschen zu helfen, die wegen ihrer HIV-Infizierung stigmatisiert werden, eine Aktivistin, die sich für Kinder einsetzt, die in den USA sexuell mißbraucht werden, ein Verfechter von Frieden im Konfliktgebiet Kaschmir und ein mutiger Gegner des unterdrückerischen Mugabe-Regimes in Simbabwe, der trotz Drohungen seitens der Polizei und des Widerwillens eingeschüchterter Richter Menschenrechtsverfechter, die schikaniert, eingeschüchtert und eingesperrt werden, unterstützt. 

Rigzin Choekyi, eine der “singenden Nonnen” von Drapchi, im Exil eingetroffen

Die heute 37jährige Rigzin Choekyi, mit Laienname Yangzom, wurde in der Gemeinde Khemsher, Kreis Gongkar, Präfektur Lhokha, TAR, geboren. Sie stammt aus einer Bauernfamilie und ist die jüngste von sechs Geschwistern. Den größten Teil ihrer Kindheit verbrachte sie mit dem Hüten der Tiere und am Webstuhl. Als sie 18 Jahre alt war, wurde sie im Kloster Shugseb zur Nonne ordiniert. Dort tat sie sich mit fünf anderen Nonnen zusammen, die alle im September 1990 an einer friedlichen Unabhängigkeitsdemonstration am Barkhor in Lhasa teilnahmen, wo sie von chinesischen Polizeibeamten festgenommen wurden. Später wurden sie zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt, die sie im Drapchi Gefängnis zu verbüßen hatten. Dort nahm Rigzin gemeinsam mit 13 weiteren inhaftierten Nonnen insgeheim tibetische Freiheitslieder auf Band auf. Als die Gefängnisleitung davon erfuhr, wurden alle mit Haftverlängerung bestraft. Rigzin Choekyis Strafe wurde um 5 Jahre verlängert, so daß sie insgesamt 12 Jahre im Gefängnis verbrachte.

Nach Ablauf ihrer Strafe wurde sie im September 2002 entlassen. Während der 12 Jahre im Gefängnis hatte sie schwere physische und psychische Qualen zu erdulden. Die beste Zeit ihrer Jugend mußte sie hinter Gittern zubringen. Außerhalb des Gefängnisses war ihr Leben auch nicht besser. Sie stand unter strenger Beobachtung und ihre Bewegungen wurden von Behörden und Sicherheitspersonal ständig überwacht. Da sie keinen Ausweg mehr sah, entschloß sie sich Anfang Mai 2006 zur Flucht, obwohl sie ihre geliebte Familie und ihre Heimat hinter sich lassen mußte. Am 3. Juni 2006 erreichte sie Dharamsala.

Das TCHRD lud sie ins seine Räume ein und bat sie, ihr Leben im Gefängnis, nach der Entlassung und die allgemeine Lage in Tibet zu schildern. Hier ist ihr Bericht:

“Als ich ins Kloster eintrat, wurde es gerade renoviert, daher half ich tagsüber bei den Bauarbeiten und beschäftigte mich in der freien Zeit mit dem Studium des Buddhismus. Eines Tages beschlossen ich und fünf meiner Gefährtinnen im Kloster – Woeser Choekyi, Jigme Yangchen, Penpa Dolker, Chemi Dekyi und Palden Choedon – in Lhasa friedlich für die Unabhängigkeit Tibets zu demonstrieren. Am 7. Tag des 7. Monats des tibetischen Kalenders 1990 brachen wir auf, unser Weg führte über Berg und Tal bis wir am nächsten Morgen Lhasa erreichten. Zuerst gingen wir zum Tsuglakhang, um uns dort vor Buddha zu verneigen und zu beten. Dann begannen wir unsere Demonstration von der nördlichen Barkhor Straße aus. Wir riefen Unabhängigkeits-Parolen wie “Freiheit für Tibet”, “Chinesen raus aus Tibet”, und “Lang lebe der Dalai Lama”.

Als wir die südliche Barkhor Umrundungsstraße erreichten, stürmten etwa 20 Mitarbeiter des Public Security Bureau (PSB) auf uns zu und brachten uns zur Polizeistation am Barkhor. Dabei schlugen sie uns erbarmungslos. Dann verfrachteten sie uns in Polizeifahrzeuge und fuhren uns zur Gutsa Haftanstalt. Dort wurden wir mit dem Gesicht zur Wand aufgestellt und eine nach der anderen verhört. Palden Choedon und Chemi Dekyi wurden als erste zum Verhör geholt. Es dauerte nur wenige Minuten, bis wir sie vor Schmerzen schreien hörten, weil sie von den chinesischen Beamten geschlagen und gefoltert wurden. Als ich zum Verhör abgeholt wurde, sah ich eine Nonne aus dem Kloster Garu namens Lhaksam, die vor uns verhaftet worden war, weil sie bei einer Opernvorführung im Norbulingka protestiert hatte. Es war ein entsetzlicher Anblick, denn sie hing an einem Baum. Während des Verhörs wurde ich mit elektrischen Schlagstöcken mißhandelt, von Hunden angegriffen, getreten und geschlagen. Wir mußten im Haftzentrum verschiedene unmenschliche Foltermethoden erdulden. Nach der Mißhandlung sperrten sie uns in Einzelzellen.

Im November 1990 wurden wir vor dem Mittleren Volksgerichtshof Lhasa wegen “konterrevolutionärer Propaganda und Aufhetzung der Massen” angeklagt und verurteilt. Woeser Choekyi, Jigme Yangchen und ich bekamen sieben Jahren Haft, Palden Choedon, Chemi Dekyi und Penpa Dolker drei Jahre. Am 15. November 1990 wurden wir ins Gefängnis Drapchi verlegt, wo damals an die 30 weibliche Gefangene einsaßen. Einige von ihnen wurden zur Arbeit auf dem Gemüsefeld des Gefängnisses eingesetzt, während andere Wolle zu spinnen hatten.

Während des tibetischen Neujahrsfests am 5. März 1992 entledigten wir uns unserer Gefängniskleidung und zogen unsere eigenen Kleider an. Die Gefängnisleitung und die Miliz betrachteten dies als einen politisch motivierten gravierenden Bruch der Gefängnisordnung. Sie prügelten mit elektrischen Schlagstöcken und Gürtelschnallen auf uns ein. Als die anderen Häftlinge sahen, wie wir mißhandelt wurden, riefen einige von ihnen: ‚Sie bringen unsere Leute um!’ Die Polizei unterzog sie darauf der gleichen Behandlung. Nachdem sie uns brutal gefoltert und geschlagen hatten, zwangen sie uns schließlich, die Gefängniskleidung wieder anzulegen. Chungdak, Phuntsok Pema und Dawa Dolma wurden wegen dieses Vorkommnisses drei Monate lang in Einzelhaft gesteckt.

Im Mai 1993 nahmen wir, d.h. ich und 13 der mit mir zusammen inhaftierten Nonnen, auf einem eingeschmuggelten Kassettenrekorder in unserer Zelle ein Lied für die Unabhängigkeit Tibets auf, sowie ein weiteres zum Lobpreis des Dalai Lama. Jede Nonne sang zusätzlich ein Solostück auf das Band. Am zweiten Tag unserer Aufnahmen wurde ein Wachmann auf uns aufmerksam, er stürmte plötzlich in unsere Zelle und beschlagnahmte den Kassettenrekorder. Als herauskam, daß das Gerät von einer Strafgefangenen stammte, wurde diese brutal geschlagen und in Einzelhaft gesperrt. Nachdem die Behörden sich über den Inhalt der Texte informiert hatten, wurden wir 14 Nonnen im Oktober 1993 in die Halle des Gefängnisses befohlen, wo man uns die Verlängerung unserer Haftstrafen mitteilte. Ich wurde mit fünf weiteren Jahren bestraft, die ich zusätzlich zu meiner bisherigen siebenjährigen Strafe zu verbüßen hatte. Anschließend wurden wir unter strenge Überwachung gestellt. Wir durften unsere Zellen nicht mehr verlassen, nicht einmal zur Arbeit. Statt dessen mußten wir ununterbrochen in der Zelle Wolle bearbeiten. Wenn wir die Vorgaben nicht erreichten, mußten wir auch in der Nacht weiterarbeiten. Als im Juli 1994 immer mehr Frauen inhaftiert wurden, teilte die Gefängnisverwaltung uns auf zwei Zellentrakte mit neuen oder schon länger einsitzenden Gefangenen auf. Damit sollte die Kommunikation zwischen den beiden Gruppen unterbunden werden. Meine Gefährtinnen und ich wurden in die rukhag (Einheit) Nr. 3 für “alte” Gefangene verlegt.

Im April 1996 warfen die Aufseher mehreren Gefangenen vor, sie seien unhygienisch und schlugen sie schwer zusammen. Einige Mithäftlinge protestierten dagegen, und drei von ihnen, nämlich Ngawang Sangdrol, Phuntsok Pema und Norzin Wangmo, wurden schließlich wegen ihres Aufbegehrens in Einzelhaft gesteckt. Aus Protest dagegen und aus Solidarität mit ihnen traten wir anderen in den Hungerstreik und nahmen vier Tage lang nicht einmal einen Tropfen Wasser zu uns. Wir wurden täglich schwächer, weshalb der Gefängnisleiter uns am vierten Tag zum Abbruch des Streiks zwang. Infolge dieses Vorfalls wurde Ngawang Sangdrols Haft um acht Jahre verlängert, während Phuntsok Pema und Norzin Wangmo mit sechs Monaten Einzelhaft bestraft wurden. Danach durften wir an keinerlei offiziellen Versammlungen mehr teilnehmen. Da sich unsere Zelle in der Nähe des Gefängnishofs befand, bekamen wir aber alles mit, was dort vor sich ging. So drangen auch die Rufe der Demonstration vom 1. Mai 1998 zu uns, und wir hörten die Gewehrschüsse und wie die Opfer geprügelt wurden.

Am 1. und 4. Mai 1998 kam es in Drapchi zu massiven Protesten seitens der Gefangenen, welche brutal niedergeschlagen wurden. Dabei kamen acht junge politische Gefangene ums Leben und die Haftstrafen von weiteren 27 wurden teilweise erheblich verlängert.

Als die Chinesen am 4. Mai 1998 auf dem Gefängnisgelände ihre Flagge wieder aufzogen, wurden erneut Parolen für die Unabhängigkeit gerufen. Diesmal zerbrachen einige politische Gefangene in meiner Einheit die Fensterscheiben ihrer Zelle und fielen in die Rufe ein. Genau in diesem Moment kamen die Wachen in unseren Zellenblock und schafften uns alle nach draußen. Dort prügelten sie mit Stöcken, Gürteln und Steinen derart auf uns ein, daß viele von uns ernsthaft verletzt wurden. Einigen strömte das Blut aus Kopf und Gesicht, während andere Bein- oder Rippenbrüche davontrugen. Ngawang Choezom, Choekyi Wangmo, Ngawang Tenzin und Kunsang wurden in Einzelzellen gesperrt.

Nach diesem Ereignis waren wir drei volle Monate lang Tag und Nacht in unserer Zelle eingeschlossen; die Luft stank und wir starrten vor Dreck, denn wir trugen die ganze Zeit unsere schmutzigen und blutbesudelten Kleider. Man verweigerte uns die geringste Hygiene, weshalb wir einen entsetzlichen Geruch ausströmten. Für sechs Monate wurden uns auch die 15-minütigen Besuche unserer Familienangehörigen gestrichen. Außerdem wurde Ngawang Sangdrols Haft um weitere sechs Jahre und Choekyi Wangmos um eineinhalb Jahre verlängert.

1999 verschlechterte sich Ngawang Lochoes Gesundheitszustand infolge der erlittenen Folterungen und wurde schließlich von Tag zu Tag besorgniserregender, aber sie erhielt keinerlei medizinische Versorgung. Ihre Mithäftlinge wandten sich diesbezüglich wiederholt an die Gefängnisleitung, die ihre Appelle jedoch vollständig ignorierte. Erst als sie schon vier Tage lang nicht mehr aufstehen konnte, wurde sie ins staatliche Krankenhaus verlegt, wo sie noch am selben Abend ihren Verletzungen erlag. Bei ihrem Tod war sie erst 26 Jahre alt.

Allmählich hatten die meisten politischen Gefangenen ihre Haftstrafen verbüßt, weshalb sich auch unsere Einheit leerte. Der Rest von uns konnte nun noch intensiver überwacht werden, 2002 waren nur noch sieben Gewissensgefangene in unserer Einheit.

Nach Vollendung meiner 12jährigen Haftstrafe wurde ich am 3. September 2002 entlassen. Mein erster Gedanke war, wieder in mein altes Kloster zurückzukehren, aber da mein Gesundheitszustand so schlecht war, ging ich zuerst an meinen Heimatort, um mich in medizinische Behandlung zu begeben und meine Gesundheit zurückzugewinnen. Ich konnte mir jedoch keine angemessene Behandlung leisten, da die Gebühren zu hoch sind. Nachdem ich ein Jahr lang zu Hause war, ging ich in mein Kloster zurück und studierte dort heimlich die buddhistischen Schriften. Zu meinem Unglück kamen schon nach einem Monat Offizielle ins Kloster, um dort eine Kampagne für “Patriotische Umerziehung” durchzuführen, so daß mit nichts anderes übrigblieb, als nach Hause zu gehen.

Der Gedanke, eine Arbeit zu finden, von der man sich ernähren könnte, gehört für ehemalige politische Gefangene normalerweise ins Reich der Phantasie. Dennoch bekam ich mit der Hilfe guter Freunde einen Job: Ich hatte die Butterlampen im Tsulangkhang, dem zentralen Tempel Lhasas, zu reinigen. Ich verdiente im Monat 300-500 Yuan, je nachdem, wie viel die Gläubigen spendeten. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis war mein Leben nicht besser als zuvor. Die Behörden schikanierten mich durch häufige Befragungen und kontrollierten genau meine Bewegungen; sie machten es mir unmöglich, ein normales Leben zu führen.

Im August 2005, kurz vor den Feiern zum 40. Gründungstag der TAR, kamen PSB-Beamte an meinen Arbeitsplatz und befahlen mir, in meinen Heimatort zurückzukehren. Ich erklärte ihnen, es sei mir dort praktisch unmöglich Arbeit zu finden und bat sie um ein Einsehen mit mir. Sie akzeptierten schließlich meine Bitte, nachdem ich schriftlich garantiert hatte, am Jahrestag der TAR nirgendwohin zu gehen und mich von jeglichen politischen Aktivitäten fernzuhalten.

Die beste Zeit meines Lebens, zwölf Jahre lang, verbrachte ich wegen meiner Teilnahme an einer friedlichen Demonstration und weil ich heimlich diese Lieder aufgenommen hatte im Gefängnis. Nach meiner Haftentlassung gab es keine Hoffnung und kein Glück für mich. Ich kam zu der Überzeugung, die Flucht ins Exil böte die einzige Möglichkeit zur Überwindung meines seelischen Traumas. Ich hatte das starke Bedürfnis, eine Audienz beim Dalai Lama zu erhalten, freie Luft zu atmen und mir Bildung anzueignen. Deshalb floh ich ins Exil und verließ schweren Herzens meine Familie und mein Land.” 

UN-Gremium befasst sich mit dem Panchen Lama

Wie berichtet wurde, behandelte die UN-Arbeitsgruppe zur Frage des Verschwindenlassens von Personen, welche der Menschenrechtskommission angegliedert ist, während einer Versammlung der Vereinten Nationen in Genf auch den Fall von Gedhun Choekyi Nyima, der vom Dalai Lama als elfte Reinkarnation des Panchen Lama anerkannt wurde.

Am 14. Mai 1995 anerkannte Seine Heiligkeit der Dalai Lama den sechs Jahre alten Gedhun Choekyi Nyima als Reinkarnation des zehnten Panchen Lama. Die Regierung der VR China erklärte diese Entscheidung für ungültig und illegal. Drei Tage danach verschwanden Gedhun Choekyi Nyima und seine Eltern, über ihren Aufenthaltsort wurde seither nichts bekannt.

Die chinesische Regierung hat mit dem Verschwindenlassen des Knaben und seiner Eltern das UN-Abkommen über die Rechte des Kindes, zu dessen Mitunterzeichnern auch China gehört, massiv verletzt.

Das TCHRD begrüßt es, daß sich die Arbeitsgruppe über Gedhun Choekyi Nyimas Schicksal Gedanken macht und fordert sie auf, bei jedem nur möglichen Anlaß diesen Fall mit der chinesischen Regierung zu erörtern.

Tibeter vor Teilnahme an Saka-Dawa-Gebetszeremonien gewarnt

Die chinesischen Behörden haben Regierungsangestellte davor gewarnt, an den Saka-Dawa-Gebetszeremonien teilzunehmen, die traditionsgemäß im geheiligten vierten Monat des tibetischen Mondkalenders stattfinden. Berichten zufolge erging eine Anordnung an tibetische Regierungsbedienstete, sich während dieses Monats von den Tempeln fernzuhalten, anderenfalls wird ihnen ihr Gehalt gestrichen. Diese Verfügung stellt eine schwere Verletzung der Religionsfreiheit in Tibet dar.

US-Kommission kann „keine Veränderungen“ der chinesischen Religionspolitik feststellen

Die US-Kommission für Religionsfreiheit in aller Welt (Commission for International Religious Freedom – USIRF) stellte in ihrem Jahresbericht fest, seitens der chinesischen Regierung habe es keine signifikanten Veränderungen in ihrer „Politik der strikten Religionskontrolle in Tibet“ gegeben. Wie die Kommission berichtet, hat die Regierung im vergangenen Jahr insbesondere in Lhasa ihre Kampagnen zur „Patriotischen Erziehung“ intensiviert, und sie kontrolliert weiterhin strikt die religiösen Aktivitäten und Stätten der Verehrung in der TAR. Die religiösen Aktivitäten der Mönche und Nonnen werden genau überwacht, die Klöster von sogenannten Managementkomitees verwaltet, die von der Regierung eingesetzt werden, und die kommunistische Partei bestimmt die Auswahl und Ausbildung reinkarnierter Lamas.

Die Kommission empfahl der amerikanischen Regierung bezüglich Tibets, sie möge ein Konsulat in Lhasa einrichten, um von dort aus die Lage der Religionsfreiheit und der Menschenrechte zu verfolgen. Weiter schlug die Kommission vor, es sollten Ausbildungsmöglichkeiten für tibetische religiöse Führer geschaffen werden, um deren Wissen bezüglich der Religionsfreiheit und aller weiteren Menschenrechte zu erweitern. Ferner sollte die Anzahl und Häufigkeit der Sendungen von Voice of Asia und Radio Free Asia in tibetischer Sprache erhöht werden. Des weiteren wurde vorgeschlagen, das US-Außenministerium sollte China als einen Staat mit schweren Verletzungen der Religionsfreiheit der Kategorie der besonders besorgniserregenden Länder hinzufügen.

Zhang Qingli neuer Parteisekretär der TAR

Einer offiziellen Verlautbarung der Kommunistischen Partei Chinas vom 29. Mai 2006 zufolge wird Zhang Qingli der Nachfolger von Yang Chuantang als Parteisekretär der KPC in der TAR sein. Zhang, 55, wurde bereits im November 2005 zum amtierenden Sekretär des tibetischen Parteikomitees ernannt.

Bevor er nach Tibet kam, war er stellvertretender Sekretär des Parteikomitees von Xinjiang, Uighurische Autonome Region, und Vizevorsitzender der Volksregierung von Xinjiang. Wie die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtete, beschuldigte Zhang Qingli Anfang Mai den Dalai Lama, für die Unruhe im Kloster Ganden verantwortlich zu sein.