Januar 2008
Human Rights Update

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Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
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Resümee des Jahresberichts 2007: Die Menschenrechtslage in Tibet

Der gesamte Jahresbericht ist auf der Website des TCHRD zu finden.

Im Jahr 2007 hat sich die Unterdrückung in Tibet deutlich verschärft, was eine Verhärtung der Haltung Chinas anzeigt - und das trotz der sechsten Gesprächsrunde zwischen den Gesandten des Dalai Lama und denen Pekings. Das ganze Jahr über entfesselten die chinesischen Behörden im besetzten Tibet eine politische Kampagne um die andere und erließen neue Bestimmungen und Verordnungen, womit sie die staatliche Kontrolle über die Menschenrechte und die Grundfreiheiten der Tibeter noch weiter verschärften. Während des ganzen Jahres hat das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie die Entwicklung in Tibet so genau wie möglich verfolgt und die Menschenrechtsverletzungen in einem jeden von dem internationalen Regelwerk geschützten Rechtsbereich dokumentiert.

Die Fälle willkürlicher Festnahme (65 wurden dem TCHRD bekannt) waren beinahe dreimal so viele wie im Vorjahr, was ein deutlicher Beweis für die Verschlechterung der Menschenrechtssituation in Tibet ist. Während der tibetische Buddhismus in der sogenannten „Autonomen Region Tibet“ (TAR) durch neue Verordnungen heftig vom Staat in die Zange genommen wurde, bleibt auch die außerhalb der TAR gelegene Region Kardze hinsichtlich der politischen Entwicklung ein höchst unruhiges Gebiet, und das nun schon seit einigen Jahren in Folge. Etwa die Hälfte der insgesamt 65 Fälle willkürlicher Verhaftung im Jahr 2007 entfielen allein auf die Region Kardze. Die chinesischen Behörden griffen routinemäßig zu willkürlicher Verhaftung, Inhaftierung und Folter als Antwort auf das gelegentliche friedliche Aufbegehren der Tibeter, bei dem es sich gewöhnlich um die Zurschaustellung von tibetischen Flaggen, gewaltloses Demonstrieren, den Besitz von Bildern des Dalai Lama und Anbringung von Plakaten mit dem Ruf nach Freiheit handelt. Dem TCHRD sind derzeit 119 politische tibetische Gefangene bekannt, von denen 43 Strafen von zehn Jahren und darüber verbüßen und von denen 80 Mönche und Nonnen sind.

Die „Safran-Revolution“ in Burma 2007, die alle Welt bewegte, hatte zur Folge, daß die herrschende Militärjunta wegen der blutigen Niederschlagung des friedlichen Aufstands der Mönche international verurteilt wurde. Die Entwicklungen in Burma, das seit den späten 80er Jahren keine vom ganzen Volk getragenen Proteste solchen Ausmaßes mehr gesehen hat – übrigens gab es zur selben Zeit auch ein Aufbegehren in dem chinesisch-besetzten Tibet – ließen die Tibeter staunen und nach ebensolchen Massenprotesten verlangen, obwohl sie es mit einem viel mächtigerem, viel größerem und viel brutalerem kommunistischen Regime zu tun bekämen.

Die monastische Gemeinschaft in Tibet steht schon viele Jahre lang an der Front als Herausforderer der chinesischen Herrschaft in Tibet. 70 % der insgesamt 119 dem TCHRD bekannten politischen Gefangenen sind Mönche und Nonnen. Die Behörden sehen in den Klöstern Tibets schon immer „Hochburgen des Abweichlertums“[1], und um die Mönchsgemeinde noch fester in den Griff zu bekommen, führen sie regelmäßig die politische Kampagnen der „patriotischen Umerziehung“ und die Kampagne „liebe dein Land, liebe deine Religion“ in den monastischen Einrichtungen durch.[2] Im Berichtsjahr wurde die Kampagne der „patriotischen Umerziehung“ in verschiedenen tibetischen Gebieten intensiviert, besonders in der Region Kardze als Reaktion auf den Protest des Nomaden Ronggye A’drak in Lithang.[3] Aus den Berichten der Mönche und Nonnen, die aus Tibet geflohen sind, geht hervor, welche gräßlichen Folgen die „patriotische Erziehung“ für ihr Leben und ihr Studium des tibetischen Buddhismus hat. Das TCHRD zeichnete 2007 eine ganze Reihe solcher Fälle auf.

2007 erlitt die Religionsfreiheit in Tibet einen massiven Rückschlag, als die chinesische Regierung zwei neue Bestimmungen über Religion herausgab, welche den tibetischen Buddhismus sowie die spirituellen Lehrmeister mittels diverser gesetzlicher Winkelzüge einer noch strengeren staatlichen Kontrolle unterwarfen. Die „Umsetzungsmaßnahmen der TAR für die Handhabung der religiösen Angelegenheiten“ und die „Maßnahmen zur Regelung der Reinkarnation lebender Buddhas im tibetischen Buddhismus“ riefen in aller Welt Empörung hervor. Statt den religiösen Angelegenheiten Schutz zu gewähren, ist der einzige Zweck dieser neuen Bestimmungen, die Einhaltung der staatlichen Vorschriften bezüglich religiöser Einrichtungen, deren Mitarbeitern und gläubigen Bürgern, sowie was die Stätten der Anbetung und religiösen Aktivitäten angeht, gewaltsam durchzusetzen.[4]

Die neuen Maßnahmen, die von der offiziellen Presse als ein „wichtiger Schritt zur Institutionalisierung der Verwaltung von Wiedergeburten“ beschrieben wurden, richten sich, indem sie „Bestätigungsverfahren“ für lebende Buddhas vorschreiben, bewußt gegen einen der zentralen Glaubensinhalte des tibetischen Buddhismus. Sie sind ein Beweis dafür, daß die KP fest entschlossen ist, die tibetische religiöse Hierarchie zu untergraben und zu zersetzen und die Autorität der rechtmäßigen religiösen Führungspersönlichkeiten in Tibet, vor allem des Dalai Lama, zu schwächen. Als Folge dieser neuen Bestimmungen und anderer politischer Richtlinien wurde das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit im Jahr 2007 noch massiver verletzt. Der tibetische Buddhismus befindet sich in einer dunklen Phase seiner Geschichte, in der überkommene, historische und die einzelnen religiösen Traditionen betreffende Praktiken in ein gesetzliches Korsett gezwängt werden. Das erlaubt dem Staat, seine Kontrolle zu legitimieren und so die Religion auf lange Sicht zu destabilisieren.

Die neuen Gesetze lassen schließen, daß die chinesische Führung die Ära der Kulturrevolution (1966-1976) erneut heraufbeschwört, um den tibetischen Buddhismus auszurotten. Dies war eine Zeit, in der unter dem Vorzeichen der Säuberung von „alten Ideen“ verheerende Akte von Verwüstung begangen wurden. In Anlehnung an damals ließen die Behörden unter Berufung auf das neue Religionsgesetz wichtige religiöse Statuen, besonders von Guru Rinpoche[5], im Kloster Samye[6], in Ngari Darchen im Distrikt Purang und im Tal Rongpatsa im Distrikt Kardze[7] barbarisch zerstören.

Einhergehend damit wurde im September 2007 eine Verordnung herausgegeben, der zufolge die Wiedergeburten hoher Lamas von den Behörden genehmigt werden müssen. Dies zeigt, daß die chinesische Führung wie schon immer von der Wahnvorstellung besessen ist, daß der Buddhismus in Tibet ausgelöscht werden muß, weil er ihrer Meinung nach all der Modernisierung, dem Glamour und dem wissenschaftlichen Fortschritt, die man in China allerorten bewundern kann, im Wege steht. Durch die Einführung dieser Verordnung hat die Regierung die tibetische Identität und das vom Buddhismus geprägte kulturelle Erbe Tibets im Herz getroffen.

Das TCHRD sieht in diesen neuen Regelungen ein durch Gesetz legitimiertes Sprungbrett, um Tibet in eine atheistische Region zu transformieren, in der die sogenannte „kommunistische spirituelle Zivilisation“ triumphieren wird. Es besteht kein Zweifel, daß diese neueste Attacke auf den tibetischen Buddhismus dem kulturellen Genozid, der in Tibet bereits von statten geht, noch Vorschub leistet. Als die UN-Vollversammlung im September 2007 die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen Völker[8] verabschiedete, stimmte China mit Ja. Zu gleicher Zeit griff es in Tibet zu diversen politischen Maßnahmen – die neuen Religionsgesetze sind nur das neueste Indiz hierfür –, um den Buddhismus im Land des Schnees vom Erdboden zu tilgen.

Religiöse Zeremonien in Tibet wurden mit einschneidenden Restriktionen belegt. Während religiös bedeutsamer Tage und Perioden wie dem Saka Dawa[9], dem Fest Gaden Ngamchoe[10], den Geburtstagen des Dalai Lama und des 11. Panchen Lama, verhängen die Behörden diverse Verbote für religiöse Ausübung und drohten Strafen an im Falle von deren Nichtbeachtung. So untersagte das Stadtkomitee von Lhasa Schulkindern an religiösen Aktivitäten während des den Buddhisten heiligen Monats Saka Dawa teilzunehmen[11]. Insbesondere wurden sie gehalten, keine Klöster aufzusuchen und keine geweihten Schutzbändchen zu tragen, andernfalls, so drohte man ihnen, würden sie von der Schule fliegen. In einem anderen Fall erließen die Behörden eine Order, mit der sie Gebetsversammlungen am Geburtstag des Dalai Lama und Rituale im Zusammenhang mit einer in Indien veranstalteten großen Gebetszeremonie (Tenshug) für den Dalai Lama verboten[12]. In Mißachtung der Anweisungen begingen Tibeter aus allen Lebensbereichen dennoch den 19. Juni 2007, den Geburtstag des Dalai Lama nach dem tibetischen Mondkalender [dem fünften Tag des fünften tibetischen Monats] mit einer großen Räucherwerkszeremonie.[13]

Trotz Chinas kontinuierlicher Diffamierungskampagne des Dalai Lama und obwohl die Behörden eine noch stärkere Kontrolle walten ließen als üblich, feierten jubelnde Tibeter am 17. Oktober die Auszeichnung des Dalai Lama mit der Goldmedaille des US-Kongresses, indem sie Weihrauch abbrannten, Gebetsfähnchen aufzogen, Feuerwerkskörper knallen ließen und Klostermauern einen frischen Anstrich verpaßten. Man weiß von mindestens acht Tibetern, die im Zusammenhang mit ihrem Freudentaumel über die Verleihung der Goldmedaille an den Dalai Lama festgenommen wurden[14]. Im Kloster Drepung wurden schwer bewaffnete Soldaten (um die dreitausend kamen in Lastwagen), eingesetzt, die das Kloster für Besucher dicht machten und die Mönche darin einschlossen[15]. Diese hatten nämlich begonnen, ein Gebäude, das dem Dalai Lama als zukünftige Residenz dienen soll, als Zeichen ihrer Freude über die Verleihung der Kongreß-Medaille frisch anzustreichen.

Im Februar 2007 erfolgte die offizielle Ernennung von Zhang Qingli, einem engen Vertrauten von Präsident Hu Jintao, zum kommunistischen Parteisekretär der TAR. Dieser ließ keinen Zweifel daran, was das Volk unter seiner Führung zu erwarten hatte, als er öffentlich erklärte, für die Tibeter sei die KP der „wahre Buddha“[16]. Schon früher hatte er höhere Parteikader in der Region gemahnt, daß sie einen „Kampf auf Leben und Tod“ gegen den Dalai Lama zu führen hätten[17]. Beobachter der Lage sehen in solchen Aussagen, warum die chinesische Führung unfähig ist, zu einer Lösung in der China-Tibet-Frage zu kommen: Es sind dies ihre Arroganz, die Aufdrängung ihrer offiziellen Position, ihr Starrsinn in religiösen Angelegenheiten und ihre absurden und realitätsfremden Maßnahmen, um jeglichen Dissens zu ersticken.

Während Zhang in Tibet die Kampagnen der patriotische Umerziehung und der Verleumdung des Dalai Lama intensivierte, trafen Spitzenpolitiker in Österreich, Australien, Kanada, Deutschland, Neuseeland und den USA mit dem Dalai Lama zusammen. Weltweites Medieninteresse erregte insbesondere der Empfang Seiner Heiligkeit durch die deutsche Bundeskanzlerin, nachdem hochrangige Treffen von China abgesagt und Handelsdelegationen ausgeladen wurden, sozusagen "zur Strafe" für das Treffen mit dem Dalai Lama[18]. Obwohl die deutsche Kanzlerin heftig kritisiert und unter Druck gesetzt wurde, bekräftigte sie die Position ihrer Regierung, die den Menschenrechten eine hohe Priorität einräumt, womit sie immense moralische Integrität und Stärke bewies. In der heutigen Welt, wo Menschenrechtsfragen ständig von wirtschaftlichen Interessen verdrängt werden – wie man es am Beispiel von Nordkorea, Burma, China, dem Irak, dem Iran, Sri Lanka, Pakistan, Weißrußland, dem Sudan, Zimbabwe und anderen Staaten leicht sehen kann –, liefern das Treffen der deutschen Kanzlerin mit dem Dalai Lama und ihre Standhaftigkeit in dieser Sache ein wertvolles Vorbild, wie sich Staaten verhalten sollten, die gewillt sind und genügend Mut haben, zur Verbesserung der Menschenrechtslage weltweit und vor allem in Tibet beizutragen. 

In Tibet sind bürgerliche oder politische Rechte praktisch inexistent: Unter solchen Umständen schöpfen die Tibeter, die ihrer Freiheit und Menschenrechte gänzlich beraubt sind, aus den deutlichen Gesten prominenter internationaler Politiker Hoffnung und Mut. Meinungs- und Redefreiheit sind in Tibet extrem eingeschränkt. Die Behörden greifen anhaltend zur Zensur als einem effektiven Instrument zur Beherrschung der Medien und aller übrigen Publikationen. Alle Veröffentlichungen müssen sich den Richtlinien der Propagandaabteilung der KPC fügen. Nach der erfolgreichen Störung von Radiosendern nehmen die Behörden nun Blogs, Websites und Video-sharing-Sites ins Visier, um den Informationsfluß völlig unter ihre Kontrolle zu bringen.

Mehrere tibetische Websites wurden zur Schließung gezwungen, weil sie sich nicht an die offiziellen Richtlinien hielten. Immer mehr Tibeter in Tibet nutzen inzwischen das Internet zur Informationsbeschaffung oder um in diesem Forum ihrer Indignation über die Behörden Luft zu machen. Am 16. Oktober 2007, einen Tag vor der Verleihung der Goldmedaille des US-Kongresses an den Dalai Lama, wurden die beliebten Internet-Blogs http://www.tibettl.com/blog und http://www.tibetcm.com/blog geschlossen[19]. Ferner wurde im Juli 2007 die tibetischsprachige Website "China’s Tibetan Residential Education Network"[20] aus unbekannten Gründen geschlossen. Ausländische Journalisten, die Tibet besuchten, erlebten Behinderungen und Schikanen. Wegen ihrer Tibetreise im April 2007 wurden am 15. Mai 2007 die Reporter Harald Maass, Chinakorrespondent der Tageszeitung "Frankfurter Rundschau", und Tim Johnson, Chinakorrespondent von "McClatchy", unabhängig voneinander durch den Abteilungsleiter der Informationsabteilung im Außenministerium, Zhang Lizhong, zur Befragung vorgeladen.[21] Beiden wurde der Vorwurf falscher und inakzeptabler Berichterstattung gemacht. Außerdem schlossen die Behörden das Reisebüro in Lhasa, welches die Tour für die beiden organisiert hatte.

Im August 2007 nahmen die Behörden in einer traditionell osttibetischen Region, im Bezirk Lithang, auf einen Protest eines tibetischen Nomaden hin massive Razzien unter der Bevölkerung vor.[22] Es kam zu mehreren Verhaftungen, und langjährige Haftstrafen wurden über für die an dem Aufruhr angeblich Beteiligten verhängt. Und das alles nur, weil der tibetische Nomade Ronggye A’drak seiner Meinung Ausdruck verliehen und die Rückkehr des Dalai Lama nach Tibet gefordert hatte, weil er über seine Sorge um den verschwundenen Panchen Lama gesprochen und Parolen für die Freiheit Tibets gerufen hatte. Wegen dieser Tat wurde er am 20. November 2007[23] vom Mittleren Volksgerichtshof von Kardze zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Einfach grotesk ist es, daß unter der Anklage der "Konspiration mit ausländischen separatistischen Kräften zur Spaltung des Landes" mittels „Weitergabe von Staatsgeheimnissen" ans Ausland zwei weitere Tibeter namens A’druk Lopoe und Kunkhen vom gleichen Gericht zu noch höheren Strafen von zehn bzw. neun Jahren verurteilt wurden[24]. Angeblich sollen sie Informationen und Bilder über die Unruhen in der Region nach außen geleitet haben. Die relativ kurze Frist von nur dreieinhalb Monaten, in der Ronggye A’drak und seine Mitstreiter verurteilt wurden, zeigt, daß es sich hier um ein willkürliches und politisch motiviertes Gerichtsverfahren handelt.

Noch vor der Urteilsverkündung warnten die Behörden jene Tibeter, die sich mit A’drak solidarisch erklärt hatten, sowohl mündlich wie schriftlich, daß jeder, der der Außenwelt gegenüber etwas über den politischen Vorfall in der Region verlauten ließe, mit Haftstrafen zwischen drei und zehn Jahren zu rechnen hätte. Wie schnell derartige Drohungen wahr gemacht werden, trat zutage, als das Gericht Lopoe und Kunkhen wegen des angeblichen Verbrechens der Informierung der Außenwelt über die Vorfälle in Lithang unter der Anklage der "Weitergabe von Staatsgeheimnissen" und der allumfassenden "Subversion des Staates" zu langen Haftstrafen verurteilte. Das chinesische Rechtssystem ist nichts als eine Farce. Tibeter, die die Staatsmacht herausfordern, genießen absolut keine Toleranz. Daß es keine unabhängige Justiz und rechtsstaatlichen Verfahren gibt, wird als normaler Zustand betrachtet. Daß den Angeklagten das Recht auf einen Verteidiger ihrer Wahl verweigert wird, ist die Regel, denn das ganze Justizwesen hat ja schließlich nur den Zweck, der Kommunistischen Partei Chinas den Rücken zu stärken. Unter solchen Umständen kann der Staat mit Straflosigkeit handeln und unterliegt keiner Kontrolle.

Bereits in der ersten Juliwoche 2007, also noch vor den Protesten in Lithang, hatten Antiterroreinheiten der Bewaffneten Volkspolizei in der TAP Kanlho, dem tibetischen Teil der Provinz Gansu, Militärübungen abgehalten[25]. Angeblich dienten sie der Abwehr eventueller Terroranschläge auf die Olympischen Spiele 2008. Die Vermutung liegt jedoch nahe, daß wohl eher das Vorgehen gegen protestierende Menschenmengen eingeübt und den Tibetern die Macht des Staates vor Augen geführt werden sollte. Militärische Übungen wurden auch in den tibetischen Regionen von Sichuan und Qinghai abgehalten, wodurch politisch aktive Tibeter eingeschüchtert werden sollen.

China stellt regelmäßig friedliche tibetische politische Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger unter der Anklage der "Gefährdung der Staatssicherheit" vor Gericht. Die Zahl der unter dieser Rubrik Angeklagten hat sich dramatisch vermehrt[26]. Die Staatsmacht macht sich unklar definierte und weit gefaßte Begriffe wie "Staatsgeheimnis" oder "Gefährdung der Staatssicherheit" zu nutze, um in Tibet gegen politisch mißliebige Personen oder Menschenrechtsaktivisten systematisch vorzugehen, was für uns außerordentlich besorgniserregend ist.

Wo es um die Behandlung politischer Aktivisten geht, machen die chinesischen Behörden in Tibet keine Ausnahmen bei Frauen, Kindern, Behinderten oder alten Menschen. Das wurde wieder einmal deutlich, als die Polizei am 7. September 2007 über 40 Schüler unter dem Verdacht festnahm, sie hätten Graffiti mit Forderungen nach der Rückkehr des Dalai Lama und Freiheit für Tibet an die Mauern der städtischen Polizeistation und an andere Stellen im Ort gekritzelt. Sieben von ihnen wurden weiterhin festgehalten, nachdem man die anderen schon freigelassen hatte. Sie stammen alle aus Nomadenfamilien und sind Schüler der Mittelschule des Ortes Amchok Bora im Bezirk Labrang (chin. Xiahe xian) in der TAP Gannan/Kanlho, Gansu. Vier Schüler wurden nachweislich gefoltert[27].

Am 20. November 2007 kam es zu einem weiteren derartigen Vorfall. Drei jugendliche Mönche aus dem Kloster Pekar Choekorling im Bezirk Driru wurden von der Polizei brutal verprügelt, nachdem sie sich mit einigen chinesischen Ladeninhabern angelegt hatten. Der junge Tsering Gyaltsen wurde besonders hart geschlagen, weil er ein Foto des Dalai Lama um seinen Hals trug. China ist sowohl dem UN-Abkommen gegen Folter als auch der UN-Konvention über die Rechte des Kindes beigetreten. Obwohl beide Vertragswerke Folter unter allen Umständen verbieten, bleibt sie in Tibet weiterhin ungestraft. Der chinesische Staat sorgt dafür, daß sie in den Haftanstalten in dem besetzten Tibet als das höchstoffizielle Werkzeug zur Vernichtung der menschlichen Würde immer präsent bleibt.

Am 18. Oktober 2007 kam es zu einer Wiederholung der Schüsse vom Nangpa-Paß vom September 2006[28]; damals wurde eine Nonne getötet. Dieses Jahr bildete eine Gruppe von 46 flüchtenden Tibetern das Ziel der Schüsse der Grenzsoldaten. Neun der Flüchtlinge werden vermißt, drei wurden festgenommen[29]. Jedes Jahr fliehen Tibeter mit diversen Motiven über den Nangpa-La: Weil sie im Exil Bildung erwerben oder ihren buddhistischen Studien nachgehen möchten, aus politischen Gründen oder weil sie eine Audienz beim Dalai Lama anstreben. Wohl wissend, wie gefährlich der Weg über den Himalaya ist, machen sie sich auf den Weg, um der Verfolgung in Tibet zu entkommen. Obwohl die Mehrheit von ihnen unbeschadet nepalesisches Territorium erreicht, kommen viele unterwegs ums Leben: Sie fallen entweder den Schüssen der chinesischen Grenzsoldaten zum Opfer, stürzen in Gletscherspalten, verhungern oder verirren sich in dem gebirgigen Terrain und sterben.

Obwohl die Schüsse vom Nangpa-La im Oktober 2006 auf der ganzen Welt Empörung hervorriefen, wurden diejenigen, die das Verbrechen begingen, nicht zur Rechenschaft gezogen und gingen straflos aus. Als einzige Konsequenz wurde der hochrangige General Gen Meng Jinxi[30] in den vorzeitigen Ruhestand geschickt.

Die chinesische Regierung ist bis heute nicht der Forderung des UN-Sonderberichterstatters für außergerichtliche und summarische Hinrichtungen nachgekommen, die Resultate der Nachforschungen zu diesem Vorfall im letzten Jahr offenzulegen[31].

2338 Tibeter erreichten im Jahr 2007 ohne Zwischenfälle das Tibetische Empfangszentrum für Flüchtlinge im nordindischen Dharamsala, wo auch der Dalai Lama und die tibetische Regierung-im-Exil ihren Sitz haben[32]. Wie bisher waren auch diesmal ca. 50% der Geflohenen jünger als 18 Jahre. Über 75% der tibetischen Bevölkerung leben auf dem Land, aber es gibt dort kaum Bildungsmöglichkeiten und dort, wo es Schulen gibt, ist der Lehrplan einseitig und befangen. Weil sie nicht wollen daß ihre Kinder sinisiert werden und statt Unterricht eine Gehirnwäsche erhalten, gehen viele Eltern das Risiko ein, ihre Kinder ins Exil zu schicken, damit sie dort eine breit angelegte moderne Ausbildung erhalten, ohne ihre tibetische Identität oder ihr religiöses und kulturelles Erbe zu verlieren.

Der Lebensunterhalt Hunderttausender von Tibetern in ländlichen Gegenden hat sich infolge der von der Regierung betriebenen Zwangsumsiedlung der Nomaden[33] dramatisch verschlechtert. Unter dem "Programm zum Bau komfortabler Häuser" müssen vor allem Dorfbewohner ihre alten Häuser abreißen und meistens direkt entlang großer Straßen gegen ihren Willen und auf eigene Kosten nach vorgegebenen Plänen Neubauten errichten[34]. Durch diese Zwangsumsiedlungsprogramme sollen "sozialistische Vorzeigedörfer" entstehen, welche den im Jahr der Olympiade erwarteten Touristenstrom beeindrucken sollen. Auf das Leben der davon betroffenen Tibeter hat sich das verheerend ausgewirkt, doch China weigert sich, die negativen Folgen zur Kenntnis zu nehmen und Abhilfe zu schaffen.

Mit jedem Jahr wird die Marginalisierung der Tibeter in Tibet schlimmer. Chinesische Siedler haben schon seit langem die tibetischen Städte übernommen; nun strömen sie zu Abertausenden in die ländlichen Gebiete. Infolge der im Juli 2006 in Betrieb genommenen Qinghai-Lhasa-Eisenbahn hat der Zustrom von Chinesen stark zugenommen. Wie die offiziellen Medien berichten, sind im ersten Jahr 1,5 Millionen Passagiere mit dem Hightech-Zug nach Lhasa gefahren, und diese Unmasse Menschen umfaßt nicht nur Touristen, sondern auch zahllose Siedler. Den vom Public Security Bureau erfaßten Haushaltsdaten von Lhasa zufolge, gab es vor dem Mai 2006 250.000 Haushalte in Lhasa. Dank der Eisenbahn hat sich ihre Anzahl innerhalb eines Jahres auf 350.000 erhöht. Tibeter machen nur 150.000 Haushalte aus, während die restlichen 300.000 aus Chinesen bestehen. Über die Hälfte der zugewanderten Chinesen stammen aus den chinesischen Gegenden der benachbarten Provinz Sichuan.

Dieser immense Zustrom hat die tibetischen Städte in chinesische verwandelt. In tibetischen Regionen findet man in zunehmendem Maße Fischwirtschaft, Schlachthäuser, Geflügelfarmen, als Massagesalons getarnte Bordelle, Markstände mit lebenden Insekten usw. Nichts davon war jemals Teil der tibetischen Kultur. Jüngere Tibeter unterhalten sich lieber auf Mandarin als in ihrer Muttersprache, denn sie möchten in diesem von der chinesischen Sprache beherrschten Bildungs- und Wirtschaftssystem ihren Platz finden. Der kulturelle Genozid auf dem tibetischen Plateau wird rasant vorangetrieben. Wie der Dalai Lama während seines Australienbesuchs im Juni 2007 erklärte, wird es Tibet in 15 Jahren nicht mehr geben, sollte die gegenwärtige Entwicklung anhalten.

Im Sommer 2008 wird China im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, wenn Peking mit allem Pomp, Glamour und mit viel Propaganda die olympischen Spiele eröffnet. Deshalb ist 2008 für viele Menschen das geeignete Jahr, um für die Menschenrechtslage in China besondere Aufmerksamkeit zu gewinnen. Es ist das richtige Jahr, um Druck aufzubauen und auf die ständigen Verletzung der Menschenrechte in Tibet, Ostturkestan (chin. Xinjiang), der Inneren Mongolei und im chinesischen Kernland selbst sowie die politische Unterstützung Chinas für die skrupellosen Regime im Sudan, in Nordkorea, Burma und anderen Ländern hinzuweisen. Man muß der ganzen Welt zeigen, was für eine Menschenrechtsfarce China aufführt. Das TCHRD ruft aus „eine Welt, ein Traum!“… möge es Menschenrechte für Tibet geben, möge es für alle Menschen in China Würde und Gerechtigkeit geben. 



[1] “Prisoners of Tibet”, Special Report, TCHRD, 2006, pp. 25: http://www.tchrd.org/publications/ topical_reports/prisoners_of_tibet_2006/prisoner_report.pdf.

[2] “‘Strike Hard’ Campaign: China’s crackdown on political dissidence”, Special Report, TCHRD, 2004,

pp. 22-38: http://tchrd.org/publications/topical_reports/strike_hard-2004/strike_hard-2004.pdf.

[3]China conducts massive Patriotic Education Campaign in Lithang”, Press Release, TCHRD, 13 September 2007: http://tchrd.org/press/2007/pr20070913.html.

[4] “TCHRD deplores China’s new religious measures on reincarnation,” Press Release, TCHRD, 1 September 2007: http://tchrd.org/press/2007/pr20070901.html. Also see “The Communist Party as Living

Buddha: The Crisis Facing Tibetan Religion under Chinese Control”, International Campaign for Tibet, 2007: http://www.savetibet.org/documents/pdfs/2007ReligionReport.pdf.

[5] Guru Rinpoche oder Guru Padmasambhava (Tib: Lopon Pema Jungne, Wylie: padma ‘byung gnas), was auf Sanskrit der “Lotusgeborene” bedeutet, war ein hoch verehrter indischer Buddhistischer Meister, der im 8. Jahrhundert den tantrischen Buddhismus nach Tibet brachte.

[6] “Colossal Guru Rinpoche’s statue demolished in Tibet: China’s new religious affairs regulations for TAR entered into force,” Press Release, TCHRD, 4 June 200: http://tchrd.org/press/2007/ps20070604.html.

[7] “A Statue of Guru Rinpoche demolished and construction of another suspended in Tibet,” Press Release, TCHRD, 9 October 2007: http://tchrd.org/press/2007/pr20071009.html.

[8] “General Assembly adopts declaration on rights of indigenous peoples”, Department of Public Information • News and Media Division • New York, United Nations, 13 September 2007: http://www.un.org/News/Press/docs/2007/ga10612.doc.htm.

[9] Saka Dawa: Der 15. Tag des 4. Monats des tibetischen Mondkalenders, an dem der Geburt, der Erleuchtung und des Paranirvana von Buddha Shakyamuni gedacht wird.

[10] Gaden Ngamchoe: Der 25. Tag des 10. Monats des tibetischen Mondkalenders, an dem des Todestages von Je Tsongkhapa, des Gründers der Gelugpa-Schule des tibetischen Buddhismus, gedacht wird. Als Zeichen der Verehrung und Trauer über seinen Tod werden abends Butterlämpchen auf den Dächern und Balkonen von Häusern und Klöstern aufgestellt.

[11]China intensifies prohibition of religious activities in Tibet during the holy month of Saka Dawa,” Press Release, TCHRD, 19 May 2007: http://tchrd.org/press/2007/ps20070519.html.

[12] “Tibetans offer Tenshug to His Holiness the Dalai Lama”, Official website of the Central Tibetan Administration of His Holiness the Dalai Lama Tibet.net, 14 March 2007: http://www.tibet.net/en/flash/2007/0307/14B0307.html.

[13] “Grand Celebration of incense burning rituals in Tibet”, Human Rights Update, June 2007, TCHRD, available at http://www.tchrd.org/publications/hr_updates/2007/hr200706.html#incense.

[14] “Forcing silence in Tibet as Dalai Lama receives US Congressional Gold Medal,” Press Release,

TCHRD, 23 October 2007: http://tchrd.org/press/2007/pr20071023.html.

[15] “Pictures from Tibet depicting strict vigilance in Drepung Monastery by Chinese authorities in light of the US Congressional Gold Medal Award to the DalaiLama,” Press Release, TCHRD, 12 November 2007: http://tchrd.org/press/2007/p000.html.

[16] “Communists hailed as “living Buddha” for Tibet,” Reuters, 2 March 2007: http://in.news.yahoo.com/070302/137/6crl3.html.

[17]Beijing pledges ‘a fight to the death’ with Dalai Lama”, Times Online, 14 August 2006: http://www.timesonline.co.uk/article/0,,25689-2312796,00.html.

[18] “Merkel angers China on Dalai Lama,” BBC NEWS, 23 September 2007: http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/

7008931.stm.

[19]China gags Tibetan blogs and Dalai Lama news,” IANS, 24 October 2007: http://www.thehoot.org/web/home/story.php?storyid=2758&pg=1&mod=1&sectionId=12&valid=true.

[20] “Chinese Authorities Close Tibetan Literary Web Site,” Radio Free Asia, 10 July 2007:

http://www.rfa.org/english/news/politics/2007/07/10/tibetan_Web/

[21] “Two foreign reporters summoned and warned about Tibet stories Beijing games organiser asked to clarify Tibet’s status in new rules for foreign journalists,” Asia Press Release, Reporters Without Borders, 25 May 2007: http://www.rsf.org/article.php3?id_article=22307.

[22] “A Tibetan arrested in Lithang for political demonstration,” Press Release, TCHRD, 2 August 2007: http://tchrd.org/press/2007/pr20070802.html.

[23] “Ronggye A’drak and others sentenced to lengthy prison terms between three to ten years,” Press Release, TCHRD, 20 November 2007: http://tchrd.org/press/2007/pr20071120.html.

[24] “Tibetans given harsh prison sentences for sending photos abroad”, Reporters Without Borders, 21 November 2007: http://www.rsf.org/article.php3?id_article=24478.

[25]Beijing staged “anti-terrorist” shows in Tibetan regions”, updates, TibetInfoNet, 18 October 2007:

http://www.tibetinfonet.net/content/update/81#anc.

[26] “New Statistics Point to Dramatic Increase in Chinese Political Arrests in 2006”, Dui Hua News, The Dui Hua Foundation, 27 November 2007: http://www.duihua.org/2007/11/newstatistics-point-to-dramatic.html.

[27]China: Tibetan Schoolboys Detained as Crackdown Worsens”, Human Rights News, Human Rights Watch, 20 September 2007: http://hrw.org/english/docs/2007/09/20/china16924.htm.

[28] “Illegitimate killing on Nangpa La pass by Chinese police”, Press Release, TCHRD, 13 October 2006: http://tchrd.org/press/2006/pr20061013.html.

[29] “Nangpala Revisited - Shooting left nine Tibetans missing and three arrests”, Press Release, TCHRD,

26 October 2007: http://tchrd.org/press/2007/pr20071026.htmlPress Release.

[30] “General punished for shooting Tibetans”, Associated Press, 7 August 2007: http://www.usatoday.com/news/topstories/2007-08-07-834448714_x.htm.

[31] Ngawang C. Drakmargyapon, “UN Expert Calls China to Make Public Results of Investigation on Nangpa Killings”, Phayul.com, 28 March 2007, available at http://www.phayul.com/news/article.aspx?id=16096&t=1&c=1.

[32] Laut den Daten des Tibetischen Flüchtlingslagers in Dharamsala vom 1. Januar - 31. Dezember 2007, waren 1046 von den 2338 Neuankömmlingen aus Tibet Minderjährige unter 18 Jahren.

[33] “‘No One Has the Liberty to Refuse’: Tibetan Herders Forcibly Relocated in Gansu, Qinghai, Sichuan, and the Tibet Autonomous Region”, Human Rights Watch, June 2007, available at Press Release, http://hrw.org/reports/2007/tibet0607/tibet0607web.pdf.

[34] Tim Johnson, “China orders resettlement of thousands of Tibetans,” McClatchy, 3 May 2007, available at http://www.mcclatchydc.com/world/story/16232.html.