18. August 2003
Kate Saunders, ks@insidetibet.net

Aufwendige Sicherheitsvorkehrungen beim Besuch des von den Chinesen eingesetzten Panchen Lama in Kumbum

Beim kürzlichen Besuch des von den Chinesen eingesetzten Panchen Lama, Gyaltsen Norbu (13), der eine elftägige Reise durch Qinghai unternahm, im Kloster Kumbum (chin: ta´ersi) im Distrikt Huangzhong (tib: Kumbum) haben die Behörden scharfe Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Wie ein Tibeter aus dieser Gegend erklärte, hätten viele Mönche vor dem offiziellen Eintreffen des Jungen, der von der chinesischen Führung zur elften Inkarnation des Panchen Lama erklärt wurde, still und leise Kumbum verlassen, denn von der Mehrzahl der Tibeter wird er nicht anerkannt. Die Mönche, die blieben, wurden von der Regierung gewarnt, daß diejenigen, die an den diversen Zeremonien nicht teilnähmen, aus dem Kloster ausgeschlossen würden. Außerdem wurden tibetische Studenten, Arbeiter und Regierungsbeamte aus dem nahegelegenen Xining nach Kumbum gebracht, um den offiziellen Zeremonien am 3. August beizuwohnen. Der Besuch war von besonderer politischer Bedeutung, da Gyaltsen Norbu zum ersten Mal nach Kumbum kam, einem der sechs bedeutendsten Gelugpa-Klöster, das traditionsgemäß als ein Sitz des Panchen Lama gilt. Vor fünf Jahren floh der damalige Abt von Kumbum Agya Rinpoche, einer der angesehensten Lamas der Gelugpa-Tradition, der außerdem eine Reihe offizieller Positionen bekleidete, aus Tibet, weil er die Pläne der Behörden, den von den Chinesen eingesetzten umstrittenen Panchen Lama in sein Kloster zu bringen, nicht akzeptieren konnte.

Agya Rinpoche, der heute in Kalifornien lebt, sagte dazu: "Ich denke, daß die Mönche in Kumbum diesen Jungen in ihrem Herzen nicht als Panchen Lama akzeptieren, aber sie haben keine andere Wahl und müssen an den Zeremonien teilnehmen. Viele chinesische Regierungsvertreter wissen dies und wollen deshalb den Aufenthalt von Gyaltsen Norbu in der Gegend nicht zu lange ausdehnen und ihn lieber in Peking haben, wo sie ihn völlig unter ihrer Kontrolle haben."

In der Hierarchie des tibetischen Buddhismus ist der Panchen Lama einer der höchsten Würdenträger, und ist deshalb für die Chinesen so interessant, weil er traditionsgemäß für die Bestimmung der Reinkarnation des Dalai Lama verantwortlich ist und eine maßgebliche Rolle bei seiner Erziehung spielt. Der Knabe, der von den meisten Tibetern als die wirkliche elfte Inkarnation des Panchen Lama verehrt wird, Gendun Choekyi Nyima, wurde kurz nach seiner Anerkennung durch den Dalai Lama in Jahr 1995 von den Chinesen in Gewahrsam genommen. Letzte Woche antwortete das chinesische Außenministerium auf eine Anfrage bezüglich Gendun Choekyi Nyima: "Er ist nicht der wiedergeborene 'Seelenknabe'. Er ist ein ganz normales chinesisches Kind, genau wie andere Kinder. Es geht ihm gesundheitlich gut und er führt ein normales und glückliches Leben. Er geht mittlerweile zur Schule und ist ein guter Schüler" (Agence France Presse, 05.08.03). Der Aufenthaltsort von Gendun Choekyi Nyima ist immer noch unbekannt, und trotz wiederholter Anfragen westlicher Regierungen hat Peking bisher noch keinem unabhängigen Beobachter Zugang zu ihm und seiner Familie gewährt.

Die chinesische Presse berichtet, Gyaltsen Norbu habe seine elftägige Reise durch die Provinz Qinghai in Nordwestchina (dem traditionell Amdo genannten tibetischen Gebiet) am vergangenen Mittwoch beendet (People's Daily, 13.08.03). Weiterhin heißt es dort, der Junge habe bei einer Abschiedsfeier gesagt, er wünsche den Menschen in Amdo "ein gesichertes Leben, eine prosperierende Wirtschaft, Einigkeit unter den ethnischen Minderheiten und beständigen Fortschritt auf dem Weg zum Sozialismus chinesischer Prägung unter der Führung der kommunistischen Partei Chinas". Diese Erklärung spiegelt das Ziel der Behörden wider, religiöse Führer, ob offiziell ernannt oder nicht, für parteipolitische Zwecke einzuspannen.

Ein namentlich gezeichneter Artikel, den Xinhua am 13.08.03 in chinesischer Sprache veröffentlicht hatte - der aber von der amtlichen Nachrichtenagentur bereits fünf Stunden nach Veröffentlichung ohne Angabe von Gründen wieder zurückgezogen wurde - berichtete, daß Gyaltsen Norbu am 07.08.03 Sonam Drolma, die Mutter des zehnten Panchen Lama, in der Präfektur Haidong besucht habe, daß sie "Gespräche in herzlicher Atmosphäre geführt hätten und er mit der Familie für Fotos posiert habe". Gyaltsen Norbu traf auch mit ranghohen Vertretern der Provinzregierung zusammen und besuchte verschiedene, für die wirtschaftliche Entwicklung der Region wichtige Standorte, z. B. eine Düngemittelfabrik, die auf Pottasche-Basis produziert, eine Ölraffinerie und die Baustelle der Qinghai-Tibet-Eisenbahnlinie in Golmud. Derselbe Bericht, der von BBC Monitoring übersetzt wurde, erwähnte auch, daß Gyaltsen Norbu in Kumbum annähernd 20.000 buddhistischen Mönchen und Gläubigen tibetischer, chinesischer, mongolischer und anderer Minderheiten seinen Segen erteilt habe. Diese Zahl konnte nicht bestätigt werden und ist wahrscheinlich eine überhöhte Schätzung.

Als eines der wichtigsten Zentren der Gelugpa-Schule des tibetischen Buddhismus ist das ca. 30 km südwestlich der Provinzhauptstadt Xining liegende Kloster Kumbum aus historischer und religiöser Sicht besonders bedeutsam für die Tibeter. Der ehemalige Abt Agya Rinpoche, der dem zehnten Panchen Lama vor dessen Ableben im Jahr 1989 sehr nahe stand, geriet auf Grund der Bedeutung des Klosters, seines hohen Rangs und seiner offiziellen Position als Vizepräsident der staatlichen Buddhist Association of China sowie als Vertreter der People's Political Consultive Conference (CPPCC) unter großen Druck, die chinesische Religionspolitik und den von China eingesetzten Panchen Lama zu unterstützen. Er sagt heute: "Auf hohe Lamas wird im heutigen Tibet großer politischer Druck ausgeübt. Die Mönche, die in der Rangfolge nicht so weit oben stehen, sind nicht unter demselben Druck, aber sie leiden auf andere Weise unter der Kluft zwischen dem, was sie im Herzen fühlen und dem, was sie auf Geheiß der Regierung akzeptieren sollen. Sie haben keine echte Wahl". Agya Rinpoche, der Anfang fünfzig ist und als Reinkarnation des Vaters von Tsongkapa, dem Gründer der Gelugpa-Schule des tibetischen Buddhismus gilt, fuhr fort: "Ich verließ Tibet, weil chinesische Regierungsbeamte ins Kloster kamen und sagten, sie wollten, daß eine große Zeremonie für den von ihnen eingesetzten Panchen Lama veranstaltet wird. Sie wußten, daß es deswegen Differenzen geben würde, weshalb sie später ihre Absicht geringfügig änderten und sagten, die Zeremonie solle nicht ausdrücklich für den Panchen Lama abgehalten werden, sondern Gyaltsen Norbu und weitere hohe Lamas würden lediglich anwesend sein. Das bedeutete, daß ich gezwungen gewesen wäre, die Bemühungen der Regierung zur Akzeptanz "ihres" Panchen Lama beim tibetischen Volk zu unterstützen, was meinen tiefsten Glaubensgrundsätzen zuwider gelaufen wäre. Das konnte ich nicht hinnehmen und daher floh ich."

Das Gerücht, daß Regierungsleute den Mönchen in Kumbum je 10 Yuan ($1.20) gegeben hätten, damit sie sich während des Besuchs des "chinesischen" Panchen Lamas vor ihm zu Boden werfen, konnte nicht bestätigt werden. Es spricht indessen für die Abneigung der tibetischen Mönche gegenüber der Art und Weise, wie die Behörden eine von ihnen nicht anerkannte Inkarnation einsetzen und obendrein erwarten, daß sie sich über deren Besuch freuen. Aus einer tibetischen Quelle in Amdo verlautet: "Es ist üblich, daß Mönche beim Besuch eines hohen Lamas mit Geld oder Tee beschenkt werden. Der Umstand, daß einige Mönche diese Gabe vielleicht als Bestechungsgeld ansahen und daß sich diese Gerüchte weiter verbreitet haben, ist bezeichnend für die Gefühle der Mönche im Kloster."

Von den Besuchen des zehnten Panchen Lama in von Tibetern bewohnten Gegenden in den frühen 80er Jahren hätte die chinesische Regierung wissen müssen, daß bei derart hochrangigen Würdenträgern keinerlei Polizei- und Armeepräsenz in den Klöstern notwendig ist. Die Tibeter pflegten Hunderte von Meilen zurückzulegen, um den Panchen Lama zu sehen. Sie luden ihn damals freiwillig ein und trafen selbst alle erforderlichen Arrangements. Die Atmosphäre damals war von Hingabe und Respekt geprägt. So etwas kann von einem atheistischen Regime weder erkauft noch aufgezwungen werden.

Dies ist ein weiterer Bericht aus der Reihe unabhängiger Berichte von Kate Saunders, beauftragt von Australia Tibet Council, Free Tibet Campaign und International Campaign for Tibet. Diese Berichte erscheinen auch in World Tibet News, einer Sammlung von Nachrichten zu Tibet, archiviert unter: www.tibet.ca/wtnnews.htm. Um frühere Berichte zu erhalten, wenden Sie sich bitte an: ks@insidetibet.net.