9. August 2008
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Tibeter landet wegen Dokumentarfilm in chinesischem Gefängnis

„Leaving Fear Behind“ (auf Tibetisch: jigdrel), www.leavingfearbehind.com, ist ein heroischer Film, der von Tibetern in Tibet aufgenommen wurde, die die Stimmen ihrer Landsleute zu den Olympischen Spielen in Peking hörbar machen wollten. Gerade jetzt, wo China im globalen Rampenlicht steht, möchten die Tibeter der Welt von ihrer Notlage berichten und ihrem tiefempfunden Leid unter dem chinesischen Regime. Das Filmmaterial wurde unter außergewöhnlichen Umständen aus Tibet geschmuggelt. Die Filmemacher wurden kurz danach festgenommen und befinden sich seitdem in Haft.

Dhondup Wangchen

Es mag Zufall sein, daß die Dreharbeiten gerade Anfang März 2008 fertig wurden, am Vorabend des Ausbruchs der Massenproteste, die sich rasch über das gesamte tibetische Hochland verbreiteten. Der vornehmlich in den östlichen Teilen Tibets aufgenommene Film gibt einen Einblick in Herz und Gemüt der Tibeter und macht ihre schon so lange währende Verbitterung über die chinesische Politik in Tibet deutlich.

Die Filmemacher reisten Tausende von Kilometern, sie fragten ganz normale Tibeter, was sie in Wahrheit über den Dalai Lama, über China und die Olympischen Spiele denken. Sie stellten den Interviewten frei, ihr Gesicht zu verhüllen, aber fast alle der 108 interviewten Personen erklärten sich damit einverstanden, daß ihr Gesicht gezeigt würde – so stark war ihr Wunsch, ihre Gefühle der Welt mitzuteilen. Auszüge aus zwanzig der Interviews, darunter auch eines mit dem Regisseur Dhondup Wangchen selbst, sind in dem Film von 25 Minuten zu sehen.

Die Aussagen der Interviewten zeigen überdeutlich, daß die Tibeter frustriert und verbittert sind, weil sich ihre Lage zunehmend verschlechterte, ihre Sprache und Kultur marginalisiert wurden, den Nomaden durch die Politik der erzwungenen Seßhaftmachung ihre Art zu leben unmöglich gemacht wurde, sie unter dem Mangel an Religionsfreiheit leiden und daran, daß der Dalai Lama diffamiert wird und sie sich daran beteiligen sollen, ebenso ihre Enttäuschung über all die gebrochenen Versprechen der chinesische Regierung, die zugesagt hatte, die Lebensbedingungen in Tibet würden sich mit den Olympischen Spielen verbessern. Alle sind sie sich in ihrer Verehrung für den Dalai Lama einig und sehnen sich nach seiner Rückkehr, wie auch einige sogar davon träumen, die Olympischen Spiele zu besuchen.

Der 37jährige Amateur-Regisseur Dhondup Wangchen und sein Helfer, der Mönch Golog Jigme, wurden festgenommen, weil sie insgeheim Tibeter in der osttibetischen Region Amdo und auch in anderen Teilen des Hochplateaus interviewten und dabei filmten. Die beiden reisten in entlegene Gegenden, und nahmen vom Oktober 2007 bis zum März 2007 über 35 Stunden Interviews auf. Die Bänder wurden am 10. März 2008 in die Schweiz gebracht, wo Wangchens Cousin Gyaljong Tsetrin den Schnitt besorgte.

Am 8. August wurde der Film im Press Club of India in New Delhi vorgeführt. Dhondup Wangchens 35jährige Frau Lhamo Tso und ihr Bruder Dorjee Wanchen, die 2007 aus Tibet flohen, waren dabei anwesend.

Unter Tränen sagte Lhamo Tso: „Die meiste Zeit verbrachte Dhondup Wangchen im Dienst der Gesellschaft und damit, den Bedürftigen zu helfen. Er ist mir ein guter Ehemann und unseren vier Kindern ein guter Vater. Ich appelliere an die chinesische Regierung, Dhondup freizulassen. Ich flehe das IOC an, seinen Einfluß auf China geltend zu machen, damit das Gastgeberland der Olympischen Spiele sich an sein Versprechen hält und seinen Bürgern Redefreiheit gewährt“.

Dorjee Wangchen, der jüngere Bruder des verhafteten Filmemachers fügte hinzu: „Meine Familie und ich haben uns lange überlegt, ob der Film veröffentlicht werden darf oder nicht. Wir waren uns klar, daß dies zur Verhaftung der Beteiligten führen würde, aber Dhondup meinte, es sei ungeheuer wichtig, der Welt diesen Film zu präsentieren. Nachdem wir die Entschlossenheit meines Bruders sahen, hatten wir keine Wahl als der Welt die wahren Gefühle der Tibeter in Tibet vor Augen zu führen. Ich appelliere an alle, sich für die Freilassung meines Bruders und seines Freundes einzusetzen“.

Bei der Aufnahme des Films arbeitete Dhondup Wangchen unter dem Pseudonym „Jigme“, was auf Tibetisch „furchtlos“ bedeutet. Sein Mut, sowie der Mut aller an dem Projekt Beteiligten bewog uns dem Film den Titel „Jigdrel“ zu geben, was auf Englisch mit „Leaving Fear Behind“ übersetzt werden kann.

Die endgültige Version der Dokumentation wurde am 6. August vor internationalen Medienvertretern in Peking gezeigt, doch nicht vollständig, denn Agenten des Büros für Öffentliche Sicherheit unterbrachen die Vorführung. Außerdem wurde das Hotel, in dem sie stattfand, sofort geschlossen.

Die in dem Film vorkommenden Personen gingen ein großes Risiko ein, als sie sich filmen ließen. Mit der Veröffentlichung des Films befinden sie sich nun in großer Gefahr. Einige meinten sogar, wenn nur ihre Botschaft dem Dalai Lama im Exil übermittelt und er den Film sehen würde, dann fürchteten sie sich nicht vor den Folgen.

„Ich hoffe, der Film wird zu einem Sprachrohr für diejenigen, die in Tibet sind, und ihre Stimmen bleiben nicht ungehört“, sagte Tendon Dahortsang im Namen der Filmproduzenten. Die Pressekonferenz wurde von dem Verband tibetischer Journalisten* organisiert, mit dem Ziel, Informationen über die Unterdrückung des Journalismus in Tibet zu verbreiten und die Regierung in Peking dazu zu bewegen, Tibet für ausländische Reporter zu öffnen und ihnen ein freies journalistisches Arbeiten zu ermöglichen.

Dhondup Wangchen wurde zuletzt im Gefängnis in Guangshen Binguan in Xining (Provinz Qinghai) gesehen und Golog Jigme im Haftzentrum der Stadt Lingxia (Provinz Gansu).

* Association of Tibetan Journalists, President, Tashi Wangchuk, email:info@tibetanjournalists.org

website: www.tibetanjournalists.org

Take Action

Unter dem Link „Take Action“ http://www.leavingfearbehind.com/take-action.html

gibt es Appellbriefe zum Absenden an den Präsidenten des IOC, Jacques Rogge, sowie an den Präsidenten der VR China, mit dem Aufruf zur sofortigen Freilassung von Dhondup Wangchen und Golog Jigme.