30. Juli 2008
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Was in Tibet geschah: Ein Augenzeugenbericht über die Schrecken des Aufstandes in Lhasa

Kunsang Sonam war inmitten des Geschehens, als am 10. März dieses Jahres der Aufstand in Lhasa losbrach. Er kam mit dem Leben davon und es gelang ihm, über Nepal nach Indien zu fliehen. Nun kann er von dem Terror berichten, der über sein Heimatland hereingebrochen ist. Er sprach am Dienstag bei einer von Friends of Tibet in New Delhi organisierten Veranstaltung. Seine Schilderung auf Tibetisch wurde von Tenzin Tsundue, dem bekannten Tibet-Aktivisten und Dichter, übersetzt.

Tenzin Tsundue, Kunsang Sonam, Serta Tsultrim

Kunsang Sonam, der aus einer Nomadenfamilie in Kham stammt, verdiente sich seinen Lebensunterhalt in Lhasa durch den Verkauf von tibetischen Thangkas und Gebrauchtkleidern. Er sprach von der großen Spannung, die bereits vor dem 10. März in der Luft lag, dem Tag, an dem alljährlich des tibetischen Volksaufstands von 1959 gedacht wird. Wie gewöhnlich patrouillierte eine große Zahl von Polizisten durch die Straßen von Lhasa, wodurch die Tibeter sehr verängstigt waren. Die Proteste begannen im Kloster Drepung und breiteten sich dann wie ein Lauffeuer über die ganze Gegend aus. Die chinesischen Behörden gingen mit Tränengas und Schußwaffen gegen die unbewaffneten Tibeter vor.

Der 30jährige Kunsang berichtet: „Der Aufstand am 10. März war nicht das Ergebnis von Zwischenfällen an einem oder zwei Tagen. Die Situation war bereits seit Januar/Februar sehr angespannt. Die Leute flüsterten beunruhigt über das erhöhte Polizeiaufkommen in der Stadt.

Man hörte außerdem, daß chinesisches Militär in der Stadt stationiert worden sei. Bereits vor dem Ausbruch der Proteste am 10. März wurde den Leuten verboten, auf Pilgerfahrt zu gehen, und ihre Bewegungsfreiheit war erheblich eingeschränkt worden.

Dann geriet die ganze Stadt in einen chaotischen Zustand und überall waren Militär und Polizei. Panzer schossen Tränengaspatronen, und die Polizei feuerte in die demonstrierende Menge, wobei unzählige unschuldige Menschen ums Leben kamen. Die Straßen waren voller Rauch. Ich sah die Menschern um mich zu Boden stürzen, mein Freund Nyima wurde in die Brust getroffen. Eine Nonne starb vor meinen Augen. Lastwagen folgten dem Militär und der Polizei, die die Toten fortschafften, um jeden Beweis für das Massaker zu vernichten. Ich selbst habe viele Menschen sterben gesehen. Die einzige Spur, die von den Getöteten übrigblieb, waren all die Blutflecken auf der Straße.

Die Stadt befand sich in völligem Chaos, und keiner wußte, was wirklich geschah. Da gab es keinen, der die Proteste angeführt hätte, sondern kleine Gruppen von Tibetern riefen überall in der ganzen Stadt Slogans gegen die chinesischen Behörden und forderten Unabhängigkeit für Tibet. Erst nach einigen Tagen begriffen wir, daß die Stadt unter der vollständigen Kontrolle des Militärs und der Polizei stand. Bis zum 18. März hielt ich mich bei einem Freund auf, der bei der Eisenbahn arbeitet.

Die Polizei führte Haus-zu-Haus-Durchsuchungen durch und registrierte jeden einzelnen Bewohner der Stadt. Das normale Leben in Lhasa war zu einem völligen Stillstand gekommen. Den Bewohnern wurde befohlen, drinnen zu bleiben. Die Chinesen stürmten in unsere Häuser und konfiszierten unseren Besitz. Ich hatte durch meinen Kleinhandel 30-40.000 Yuan verdient, was die Polizei mir wegnahm. Später hörte ich von meinen Angehörigen in meinem Heimatdorf, daß sie unseren Familienbesitz beschlagnahmten, nachdem sie herausgefunden hatten, daß ich nach Indien entkommen war.“

Am 26. März gelang es Kunsang, Tibet in einem Fahrzeug zu verlassen. Zwei Tage später erreichte er Nepal, wo er einen Monat blieb, ehe er sich nach Dharamsala begab.

Auf die Frage, ob er mit seinen Familienmitgliedern in Tibet in Kontakt stehe, antwortete er: „Mein Vater lebt als Nomade, so daß ich ihn nicht kontaktieren kann. Aber ich spreche regelmäßig mit meinem älteren Bruder“.

Serta Tsultrim, das jüngste Mitglied des tibetischen Exil-Parlaments, fügte hinzu: „Unseren Informationen zufolge sind 218 Personen bei dem Aufstand ums Leben gekommen. Es könnten jedoch auch mehr sein. Über 5000 Tibeter wurden auf die Proteste hin festgenommen und über 1000 verwundet.“

Weitere Informationen unter: www.friendsoftibet.org