9. Oktober 2008
Wall Street Journal Asia

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Nepals Tibet-Problem

von Kate Saunders

Kathmandu sollte seinen tibetischen Bewohnern einen legalen Aufenthaltstitel gewähren

Während die Volksrepublik China (VRC) die Unterdrückung der Tibeter innerhalb seiner eigenen Grenzen verschärft, ist eine andere beunruhigende Tendenz offensichtlich geworden: Unter dem Druck von Beijing legt Nepals Regierung ein immer härteres Vorgehen gegen die etwa 20.000 Personen zählende Tibeter-Gemeinschaft in Nepal an den Tag.

Nepal und Tibet sind kulturell und religiös tief miteinander verbunden. Nepal ist die Geburtsstätte Buddhas, und viele der in dem Himalaya-Land lebenden Menschen bekennen sich zum buddhistischen Glauben. Doch in dem Maße, wie die Maoisten in den letzten Jahre immer mehr Macht in Nepal gewannen und Kathmandu sich dem Druck der chinesischen Regierung beugte, wird die Situation der in Nepal lebenden Tibeter und derjenigen, die neu aus Tibet eintreffen, zunehmend unsicherer. Der neue nepalesische Premierminister Prachanda wurde von Präsident Hu Jintao mit einem roten Teppich empfangen, als er im August zu seinem ersten Auslandsbesuch nach Beijing reiste.

Die neue nepalesische Regierung hat den Druck auf die Tibeter, die gegen die Unterdrückung in ihrem Heimatland protestieren, verstärkt. Seit März werden die Sympathie-Kundgebungen der über Chinas hartes Vorgehen in Tibet tief besorgten Exiltibeter mit brutaler Gewalt unterdrückt. Vom Beginn der Proteste im März bis Mitte Juli wurden in Nepal mindestens 8.350 Tibeter festgenommen.

Dabei griff die nepalesische Polizei häufig zu exzessiver Gewalt. Tibetische Mönche, Nonnen und Laien wurden geschlagen, getreten und niedergeboxt, Frauen wurden bei der Festnahme oder in der Haft von den Polizisten sexuell belästigt und angegriffen. In der Frage, wie sie mit dem Tibet-Problem umgehen soll, scheint sich die nepalesische Regierung ganz auf den Rat Beijings zu verlassen. Ausländische Beobachter und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen bemerkten, wie Personal der chinesischen Botschaft im Hintergrund agierte und den Polizisten bei der Eindämmung der Proteste und der Verhaftung der Demonstranten zur Seite stand und sogar die Positionierung der nepalesischen Polizeioffiziere dirigierte.

Nepal ist die erste Station für Tibeter, die die gefährliche Flucht über den Himalaya ins Exil unternehmen, um Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama begegnen zu können. Heute ist die Grenze erfolgreich dicht gemacht. Am Grenzübergang bei der Freundschaftsbrücke tauchen auf der nepalesischen Seite häufig Angehörige der chinesischen bewaffneten Polizei auf. Sie fragen Touristen aus, hindern sie daran, Fotos zu machen und schüchtern die ortsansässigen Tibeter ein. Tibetische Flüchtlinge, welche die Grenze erreicht haben, werden in zunehmendem Maße ohne viel Aufhebens zu machen in das von China beherrschte Tibet zurückgeschickt.  

Wenn die Tibeter Nepal dennoch irgendwie erreichen können, sind sie dort heute nicht mehr sicher. Beinahe 50 Jahre lang wurde der Flüchtlingsstrom von Tibetern nach Nepal als eine humanitäre Angelegenheit in enger Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen gehandhabt, doch seit einigen Monaten bezeichnen die nepalesischen Behörden die Flüchtlinge – in Gehorsam gegenüber ihren chinesischen Amtskollegen – als „illegale Einwanderer“.

Die nepalesische Regierung hat kürzlich ihre Absicht angekündet, Tibeter, die nicht im Besitz gültiger Papiere sind, nach Indien abzuschieben, obwohl viele von ihnen sich bereits jahrelang in Nepal aufhalten.

2005 wurden noch unter der vorhergehenden nepalesischen Regierung sowohl das Tibetan Refugee Welfare Centre in Kathmandu als auch das Büro des Dalai Lama, die beide eine entscheidende Rolle für das Wohl der Tibeter in Nepal spielten und dort seit Anfang der 60er Jahre tätig waren, geschlossen. Im vergangenen Jahr schloß Prachanda die Wiedereröffnung dieser beiden Einrichtungen kategorisch aus, weil ein solcher Schritt den „guten Beziehungen mit China“ abträglich wäre.

Die kürzlich stattgefundenen Wahlen brachten Nepal schließlich auf den Weg zur Demokratie. Ein wichtiger Test für seine demokratische Glaubwürdigkeit wird sein, wie human es mit den tibetischen Flüchtlingen und den tibetischen Mitbürgern verfährt. Nepal sollte sich vorwärts bewegen und seiner schon lange im Lande lebenden tibetischen Bevölkerung einen gesetzlichen Aufenthaltsstatus gewähren, den Neuankömmlingen eine sichere Weiterreise nach Indien garantieren und die Internationale Flüchtlingskonvention unterzeichnen. Als ein Minimum sollte es jedoch erlauben, daß das Büro des Dalai Lama in Kathmandu wieder geöffnet wird.

Alle diese Schritte würden das Schicksal der Tibeter erleichtern und sie wären auch für Nepal das Richtige.