1. August 2008

www.phayul.com

Quelle: New Statesman; nicht-autorisierte Übersetzung


Seite drucken

Woeser: Wie China ein Land von der Aussenwelt abriegelt

Ein lauter Schrei, so wie er nur von den Bewohnern des Graslandes zu vernehmen ist, war im März 2008 aus Tibet zu hören und schockierte die Welt. Die chinesischen Medien nannten es „das Wolfsheulen“.

Als die olympische Fackel durch Lhasa getragen wurde, war es den Tibetern verboten, ihre Häuser zu verlassen, es sei denn, sie besaßen eine Sondergenehmigung. Meine Freunde in Lhasa fragten sich: „Wenn die chinesischen Bürger zuschauen dürfen, wie die Fackel durch ihre Städte getragen wird, weshalb dürfen wir es nicht? Sind wir nicht auch Bürger dieses Landes?“

Viele Mönche sind verschwunden. Wo sind die Tausende von Mönchen in den drei großen Hauptklöstern Lhasas geblieben? Wo sind die beiden jungen Mönche, mit denen ich befreundet bin? Im vergangenen Jahr habe ich in ihrem friedlichen Schlafsaal, der vom Duft des Räucherwerks erfüllt war, Bilder Seiner Heiligkeit des Dalai Lama gesehen. Manche sagen, daß mehr als tausend Mönche als „Terroristen“ in der Wüste Gobi, in Golmud, Provinz Qinghai – dem Guantanamo der Volksrepublik China –, gefangen gehalten und erst nach den olympischen Spielen freigelassen werden.

Tsering Woeser

Buddhistische Zeremonien wurden verboten, weil die chinesischen Behörden Versammlungen von Mönchen, Nonnen und Gläubigen fürchten.  Viele der jährlich stattfindenden Feste wurden deshalb ebenfalls abgesagt. Als die olympische Fackel Qinghai erreichte, wurden die Tibeter in der Gegend um den Lake Qinghai (Kokonoor) daran gehindert, Berggottheiten zu verehren. Das traditionelle Layi Lieder-Festival der Bauerngemeinden in Amdo, das für Ende Juli angesetzt war, wurde verboten. Auch dem Pferderennen-Fest der Khampas in Lithang erging es nicht anders.

„Ich vermute, die olympischen Spiele sind so ähnlich wie unsere Pferderennen“, sagte mir ein groß gewachsener Khampa, als ich die Gegend besuchte. „Aber in diesem Jahr werden wir kein Pferderennen haben.“

Weitere Truppen wurden in den Provinzen Gansu und Sichuan stationiert. Straßensperren und Militär sind überall zu sehen. Allein im Bezirk Kardze (chin. Ganzi) gibt es mehr als 70.000 Soldaten – weit mehr Truppen, als die Chinesen einsetzten, um die tibetische Rebellion im Jahre 1959 niederzuschlagen. Im Bezirk Machu (chin. Maqu) haben über 10.000 Soldaten Quartier bezogen, das sind so viele wie die dortige Bevölkerung. Als Teil der Säuberungskampagne, die auf die Unruhen vom März hin durchgeführt wird, muß jedermann in Lhasa einen Loyalitätstest machen. Für die Tibeter dort sind die olympischen Spiele belanglos.

Und dann sind da die Tausende von Tibetern in Beijing. Tibetischen College-Studenten wurde befohlen, in diesem Sommer nach Hause zurückzukehren, während Schülern von tibetischen Schulen verboten wurde, das Schulgelände zu verlassen. Das Zentrum für Tibet-Studien hat seinen Mitarbeitern lange Ferien gewährt: Sogar denjenigen, die wir als „Tibeter im Dienste des Kaiserhofs “ bezeichnen, also denjenigen, die von der Regierung bezahlt werden, wird nicht getraut. Ein tibetischer Touristenführer, den ich kenne, wurde ohne Nennung irgendeines Grundes einen Monat lang im Gefängnis festgehalten.

Ein mit mir befreundeter tibetischer Künstler wurde einen Tag lang verhört, weil er auf seinen Bildern buddhistische Lehrsätze in tibetischer Schrift verwendet hat. Meine gute Freundin Dechen Pemba, eine in London geborene Tibeterin, die in Beijing studierte und arbeitete, wurde aus Gründen, die ihr niemals richtig erklärt wurden, nach England zurückgeschickt.

Was mich anbetrifft, so denke ich, daß ich, falls ich während der olympischen Spiele in Peking bleibe, unter Hausarrest gestellt werde. Soll ich etwa nach Lhasa zurückgehen? Freunde und Verwandte von dort sagen mir: „Du solltest besser bis nach den Spielen warten.“

Aus dem Chinesischen übersetzt von Bessie Du. Woeser ist eine in Beijing lebende tibetische Schriftstellerin. Ihr Internet-Tagebuch „Der mittlere Weg“ wird oft blockiert und ihre Bücher sind in China verboten.