29. November 2010
Phayul, www.phayul.com

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China siedelt im Rahmen seines umstrittenen Programms 6000 tibetische Nomaden in Shangri-la um

Dharamsala, 29. November: Wie staatlich kontrollierte Nachrichtenmedien berichteten, gab die chinesische Regierung am Sonntag bekannt, man habe im Rahmen eines Regierungsprogramms etwa 6000 Viehhirten aus 1300 Nomadenfamilien im Kreis Shangri-la (tib. Gyalthang) in der Tibetisch- Autonomen Präfektur Deqen (tib. Dechen), Provinz Yunnan, in festen Behausungen angesiedelt – eine umstrittene Praxis, die Menschenrechtsgruppen zufolge mit gravierenden Übergriffen einhergeht.

Von 2009 bis 2010 waren im sogenannten Kreis Shangri-la 2135 Häuser errichtet worden, berichtete Chinas Tibet-Online-Nachrichtendienst.

Im Bericht hieß es, man werde 111.780:900 Yuan dafür bereitstellen, in diesem Jahr 6000 tibetische Nomadenhirten aus 1300 Familien in festen Behausungen anzusiedeln.

"Sozialistisches Dorf"

Der bei den Tibetern traditionell unter der Bezeichnung Gyalthang bekannte Kreis wurde früher von der chinesischen Regierung als Zhongdian bezeichnet. In dem Bestreben, den Tourismus in der Gegend zu fördern, benannten ihn die chinesischen Behörden im Jahr 2001 neu nach dem fiktiven Land Shangri-la aus dem Roman von James Hilton „Lost Horizon“ („Der verlorene Horizont“).

Die chinesische Politik, tibetischen Nomaden und Hirten eine sogenannte „moderne Lebensweise“ aufzunötigen und sie in festen Behausungen anzusiedeln, stieß bei Menschenrechtsgruppen und Beobachtern auf Bedenken. Tibet-Beobachtern, chinesischen und ausländischen Umweltschützern zufolge könnten durch die Umsiedlung die Armut und der Niedergang von Familien verschärft werden, die Überweidung durch eingezäuntes Vieh könnte zu Bodenerosion führen.

2006 lancierte die chinesische Regierung ein Fünfjahres-Ansiedlungsprojekt, das darauf abzielte, Bauern und nomadische Viehhirten aus den tibetischen Nomadengebieten in „festen Ziegelsteinhäusern“ ansässig zu machen. Sobald diese Häuser fertig seien, so hieß es damals in den staatlichen Medien, hätten 80 Prozent der Bauern und Viehhirten der Region Ende 2010 eine feste Behausung.

China bezeichnet das Projekt als „Programm für komfortables Wohnen“. Das erklärte Ziel besteht darin, Tibet ein moderneres Gepräge zu verleihen, das seit 1950, als chinesische Truppen in die Region einmarschierten, unter chinesischer Kontrolle steht.

Die chinesische Regierung behauptet, die neuen Wohnsiedlungen an den Hauptstraßen, die manchmal nur ein bis zwei Kilometer vom bisherigen Zuhause der umgesiedelten Menschen entfernt sind, würden Kleinbauern und Viehhirten einen besseren Zugang zu Arbeit und Bildung ermöglichen und außerdem dem Umweltschutz und der Gesundheit von Bauern und Viehhirten förderlich sein.

Chinas Behauptungen zufolge verzeichnet Tibet ein zweistelliges wirtschaftliches Wachstum, wobei Bauern und Viehhirten „die Nutznießer der Wirtschaftsentwicklung unter chinesischer Herrschaft“ seien.

Aus unabhängigen Berichten geht jedoch etwas ganz anderes hervor. Chinas weiter gestecktes Ziel ist offenbar eine Neugestaltung Tibets – einer Region mit eigener Kultur, Sprache und eigener religiöser Tradition –, um eine noch stärkere politische Kontrolle über die Bevölkerung ausüben zu können.

Trostlosigkeit der Nomadensiedlungen: Keine Yaks, keine Arbeit, kein Lebensinhalt

Die Zwangsumsiedlung der nomadischen tibetischen Bevölkerung in der sogenannten Autonomen Region Tibet (TAR) und in den angrenzenden Provinzen Sichuan, Gansu und Qinghai – Provinzen mit ethnisch tibetischer Bevölkerung – und nun auch in Yunnan begann eigentlich schon im Jahr 2000 und wird seit 2003 intensiver fortgeführt.

Beobachtern zufolge ist das großangelegte Umsiedlungsprogramm im Zusammenhang mit Pekings 1999 gestartetem Programm zur Entwicklung des armen, widerspenstigen Westens Chinas zu sehen, mit dem dieser an den aufstrebenden Osten angebunden werden soll. Seit dieser Zeit zwingt China, wie Menschenrechtsgruppen berichten, auch die tibetischen Nomaden, sich in permanenten Siedlungen niederzulassen – angeblich, um Land für die Entwicklung zu räumen, wodurch jedoch vielen von ihnen die Möglichkeit zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts genommen wird.

In Erwartung der Millionen von Touristen, die im Olympia-Jahr 2008 Tibet besuchen sollten, wurde das Umsiedlungsprojekt auf dem gesamten tibetischen Hochland vehement vorangetrieben. In den Monaten vor den Olympischen Spielen berichteten die staatlichen Medien von einer vermehrten Umsiedlung der nomadisierenden Hirten in Qinghai, Sichuan und Gansu ebenso wie in der TAR in feste Behausungen – eine Maßnahme, die in erster Linie dem Schutz der Umwelt und der Anhebung des Lebensstandards der Bevölkerung dienen würde.

Alleine von 2006–2007 siedelte die chinesische Regierung etwa 250.000 tibetische Bauern und Hirten aus ihren verstreuten Weilern in die neuen „sozialistischen Dörfer“ um, was etwa einem Zehntel der Bevölkerung entspricht. Unabhängigen Berichten zufolge wurden sie gezwungen, die neuen Häuser großenteils auf eigene Kosten zu bauen, ohne dass sie jemals nach ihrer Zustimmung gefragt worden wären (1).

Dies bedeutete, dass diese tibetischen Nomaden ihre traditionelle Lebensweise aufgeben mussten, was für viele von ihnen frustrierend war und sie in die Verzweiflung trieb. Sie waren nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt in einer Weise zu verdienen, die nicht ihrer Tradition und Erfahrung entsprach.

Außerdem bedeutete die Umsiedlung in fest gebaute Häuser nach dem Bericht von Human Rights Watch von 2007 für die zumeist nomadischen Hirten oftmals die Schlachtung ihrer Tiere sowie anschließende Arbeitslosigkeit, weil ihnen die für andere Tätigkeiten notwendigen Kenntnisse fehlen (2).

Andere Tibeter werden dem Bericht zufolge gewaltsam vertrieben, um Platz für öffentliche Bauprojekte wie Staudämme und Straßen zu schaffen.

China behauptet, dank seiner Verwaltung habe sich die hauptsächlich buddhistische Himalaya-Region zu einer modernen Gesellschaft entwickelt. Kritiker halten dem entgegen, die Modernisierung des Landes sei den Tibetern von den chinesischen Behörden gewaltsam aufgezwungen worden und gehe einher mit drakonischen Maßnahmen zur Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung, der Freiheit, eine Religion ihrer Wahl zu praktizieren, sowie einer gewaltigen Einschränkung der wirtschaftlichen Möglichkeiten der Einheimischen.

Während Hunderte Millionen von Dollar in den Straßenbau und Entwicklungsprojekte in Tibet gesteckt werden, unterhält China eine große Militärpräsenz in Tibet und hält die Bevölkerung mit einem riesigen Überwachungsapparat von Videokameras und Informanten auf den Straßen der Städte und in den Klöstern unter Kontrolle, um die aufmüpfige Himalaya-Region in den Griff zu bekommen und Aufstände, wie die, die im März 2008 ausbrachen, zukünftig im Keim ersticken zu können.

(1) 27. Dezember 2008 „China siedelte 2008 über 300.000 Tibeter in festen Behausungen an“,

(2) 10 June 2007, HRW-Report: „No One Has the Liberty to Refuse - Tibetan Herders Forcibly Relocated in Gansu, Qinghai, Sichuan, and the Tibet Autonomous Region”