1. August 2006
Radio Free Asia, www.rfa.org

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China schliesst Weblog der tibetischen Autorin Woeser

Washington – Eine bekannte tibetische Schriftstellerin, deren Blogs von den chinesischen Behörden  aus dem Internet genommen wurden, erklärte heute, sie würde trotzdem weiterhin ihre Meinung zum Ausdruck bringen und die Bevölkerung Chinas über die tibetische Kultur informieren. 

“Obwohl meine Blogs gelöscht wurden, können sie mich nicht am Reden und am Schreiben hindern”, sagte Woeser während eines 80-minütigen tibetischen Programms von RFA von ihrer Wohnung in Peking aus per Telefon.

“Ich werde weiterhin schreiben und meine Meinung sagen und nicht den Mund halten. Da ich auf Chinesisch schreibe, kann ich mehr Menschen mit dem, was wirklich tibetische Kultur, Geschichte und Tradition ist, bekanntmachen”.

Die heute 40jährige Woeser, die hauptsächlich auf Chinesisch schreibt und mit dem chinesischen Schriftsteller Wang Lixiong verheiratet ist, glaubt, die chinesischen Behörden hätten ihre Weblogs deshalb gelöscht, weil sie unlängst auf einem davon ein Photo des Dalai Lama veröffentlichte. Woeser, eine bekannte Schriftstellerin tibetischer Abstammung, schrieb bisher 10 Bücher, darunter einen Gedichtband, ein Prosawerk mit dem Titel “Tibet Journal” und zwei Bücher über die Kulturrevolution von 1966-76. Die meisten ihrer Bücher sind in China verboten.

Im Jahr 2004 verlor sie nach der Veröffentlichung des Tibet Journals ihren Arbeitsplatz bei der Tibetischen Kulturvereinigung in Lhasa. In dem Tagebuch berichtet sie von der anhaltenden Verehrung der Tibeter für den Dalai Lama, den die chinesischen Behörden als einen "Separatisten" bezeichnen, der die Unabhängigkeit Tibets von China  beabsichtige. Woeser stand daraufhin eine Zeitlang unter Überwachung durch die Behörden.

In ihren Weblogs befaßte sie sich mit einer Reihe äußerst heikler Themen wie HIV/AIDS in Tibet, der kürzlich fertiggestellten Tibet-Eisenbahnlinie und dem 40jährigen Gedenken an die Kulturrevolution.

“Ich glaube, der Hauptgrund für die Schließung meiner Weblogs war, daß ich in einem davon ein Bild des Dalai Lama gebracht hatte. Ich verfaßte auch ein Gedicht, in dem ich ihm zum 6. Juli ein langes Leben wünschte und eine Butterlampe darbrachte. Den Chinesen gefällt so etwas nicht”, sagte sie.

Bei dem Telefongespräch mit ihr am Dienstag beschrieb sie die Leserschaft ihrer Webslogs als vielschichtig, aber hauptsächlich aus jungen Leuten bestehend. “Ich erreiche eine ganze Reihe verschiedener Leute. Die meisten, die meine Weblogs aufrufen, gehören natürlich der jüngeren Generation von Tibetern an, aber es gibt darunter auch viele Intellektuelle aus Tibet, China und sogar anderen Ländern”.

“Diejenigen, die von außerhalb Chinas an meinem Weblog teilnahmen, konnten es über seine englische Übersetzung erreichen. Unter den Lesern waren viele chinesische Intellektuelle, besonders solche, die sich für tibetische Kultur und Geschichte interessieren. Außerdem viele Photographen, und Intellektuelle aus der Uighurischen Region, aus der Mongolei, der Mandschurei und Taiwan. Sie pflegten mir zu schreiben, und einige ihrer Beiträge, besonders der Artikel eines Uighuren, waren sehr interessant und auszeichnet geschrieben.”

‚Ein guter Schriftsteller kann nicht lügen‘

“Ich bin Schriftstellerin. Einer der wichtigsten moralischen Grundsätze, die ein guter Autor befolgen sollte, besteht darin, die Wahrheit zu schreiben. Ein guter Autor kann kein Lügner sein. Die Wahrheit zu sagen, ist der Kernpunkt jeder guten schriftstellerischen Tätigkeit und die wichtigste Qualität eines Autors. Ich wurde eine kühne Schriftstellerin, nachdem man mich aus meinem Job gejagt hatte.”

“Ich liebe mein [tibetisches] Volk und glaube an die Religion, ich praktiziere den Buddhismus. Früher wußte ich nichts von Religion. Dann begann ich Klöster zu besuchen und in den Tempeln anzubeten, aber wir hatten keine Freiheit zu praktizieren”, sagte sie. ”Mein Glaube an die Religion und meine Liebe zum Buddhismus brachten mich zum Schreiben. Als ich in Lhasa in einem Büro arbeitete, wurde ich gut bezahlt. Aber ich war nicht frei, und das störte mich sehr. Als ich gefeuert wurde, bedeutete dieser Vorfall mehr Freiheit für mich, ich war nun freier, meine Ansichten schriftlich auszudrücken”.

Woeser wurde 1966, zu Beginn der verheerenden Kulturrevolution, in Lhasa geboren. Ihr Vater war Soldat in der Volksbefreiungsarmee und ihre Mutter arbeitete im Staatsdienst. Als sie vier war, siedelte der Vater aus beruflichen Gründen mit seiner Familie nach Kham über.

“13 Jahre lebte ich in Kham, dann war ich sieben Jahre in Chengdu, wo ich chinesische Literatur studierte. Nach dem Abschluß meines Studiums erfaßte mich die Liebe zur Poesie und ich begann Gedichte zu schreiben”.

Weblogs ohne Erklärung  gelöscht

Am Freitag, den 28. Juli, stellte Woeser fest, daß ihre Weblogs verschwunden waren. “Also schickte ich eine E-Mail an tibetcul.net und hoffte auf eine Antwort", berichtete sie dem tibetischen Dienst von RFA. "Sie antworteten um die Mittagszeit und teilten mir mit, die Zentrale Vereinte Arbeitsfront hätte die Internet-Überwachungsstelle von Gansu angewiesen, meine Weblog-Sites zu schließen. Mein Blog war in der Provinz Gansu registriert.”

“Meine erste Site, Maroon Map, verzeichnete über 300.000 Besucher. Die meisten waren Tibeter, während im Falle der Woeser-Blog die Mehrheit Chinesen waren", fügte sie hinzu.

Agence France Press zitierte einen Manager einer der beiden Websites mit Woesers Blogs wie folgt: "Ich glaube, die Anweisung [für die Schließung] kam von der Zentralregierung."

Wangxiu Caidan, ein Tibeter, der die Namen in chinesischer Transliteration wiedergab und der die Website tibetcul.net betreibt, sagte, Woesers Blog sei eines der beliebtesten der gesamten Website gewesen.

Die chinesische Interpretation der Geschichte Tibets macht sie zornig

In einem Kommentar zur Kulturrevolution von 1966-76, das von RFA gesendet wurde, wandte sich Woeser entschieden gegen die Umdeutung der tibetischen Kultur und Geschichte durch die Kommunistische Partei.

Sie schrieb: "Die in dieser Umbruchsperiode lebenden Tibeter sind ebenfalls zwischen alt und neu hin- und hergerissen. Das Alte ist unerwünscht, das Neue wird verlangt. Wie viel Kraft muß dafür aufgewandt werden, ein altes Volk und seine Ethik in ein neues umzuwandeln? Wieviel Leid und Zerrissenheit muß dafür in Kauf genommen werden?

Jahrelang haben tibetische Literaten und Künstler Tibet in geradezu dramatischer Weise umgedeutet, umgemalt, umgesungen, umgetanzt, umgefilmt und bildhauerisch umgestaltet. Die Geschichte wurde in ein von der roten Ideologie eingefärbtes Gebilde umgewandelt und die Erinnerungen von Generationen von Tibetern verändert."

Gruppe für die Pressefreiheit entsetzt

Die NGO "Reporter ohne Grenzen" erklärte, sie sei entsetzt über die Schließung von Woesers Blogs und fordere deren Wiedereröffnung.

"Da Woesers Gedichte in China verboten sind, waren diese Blogs die einzige Möglichkeit, die ihr noch verblieben war, um sich auszudrücken. Ihre Unterdrückung zeigt, wie weit die chinesischen Behörden in ihrer Beflissenheit gehen, die tibetische Kultur auf Folklore für Touristen zu reduzieren.”

“Die politische Kontrolle des Internets in China wird immer strenger. Die chinesischen Suchmaschinen haben kürzlich ihre Filter aufgerüstet, und auf Anweisung der Regierung wurden mehrere Chatrooms geschlossen", ließ die Gruppe verlauten. "Wie appellieren nochmals an die chinesischen Behörden, die Freiheit der Meinungsäußerung zu achten, eines Rechts, das auch von der chinesischen Verfassung garantiert wird."