10. Dezember 2008
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P., India,
phone/fax: +91 1892 223363 / 225874 / 229225, e-mail: office@tchrd.org, www.tchrd.org

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Pressemitteilung des TCHRD zum 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

Während die Welt heute den 60. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Universal Declaration of Human Rights/UDHR) begeht, der unter dem Motto „Würde und Gerechtigkeit für uns alle“ steht, denken wir vom Tibetischen Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) daran, welche Bedeutung diese wichtige Charta für die Menschen auf der ganzen Welt hat und bekräftigen unser Engagement für die Aufklärung der Bevölkerung über die Menschenrechte, damit die Menschen ihre Rechte einfordern und wahrnehmen können. Bestimmte in der Erklärung verkündete Rechte und Freiheiten – wie das Recht, nicht diskriminiert zu werden, die Versammlungs- und Bewegungsfreiheit, das Recht auf Bildung und Asyl, die Freiheit des Gewissens, der Meinung und der Meinungsäußerung, sowie das Recht, nicht gefoltert und nicht willkürlich festgenommen zu werden – sind von besonderer Bedeutung für die Tibeter, die im Augenblick unter der chinesischen Herrschaft aufgrund massiver Menschenrechtsverletzungen in jedem Bereich ihres Lebens eine der schwierigsten Perioden ihrer Geschichte durchmachen.

Neben der Verkündung der Menschenrechte ruft die Charta jeden einzelnen von uns auf, diese Rechte zum Wohle unserer Mitmenschen und unserer selbst zu fördern und zu verteidigen. Seit über einem Jahrzehnt ist das TCHRD ohne Unterlaß bemüht, die Verletzungen der Menschenrechte des tibetischen Volkes unter chinesischer Herrschaft ins allgemeine Rampenlicht zu rücken, und scheute dabei keine Mühe, um diese Rechte in seinem Namen zu schützen und zu fördern und das Wissen über diese Rechte, so wie sie in der Charta verankert sind, in der Öffentlichkeit zu verbreiten.

Am 10. Dezember begehen die Tibeter nicht nur den Internationalen Menschenrechtstag, sondern auch die Verleihung des Friedensnobelpreises an den Dalai Lama 1989, der sinnbildlich für den Kampf um Frieden und Menschenrechte auf gewaltlosem Wege steht. In den vergangenen elf Monaten hat Tibet eine beispiellose Verletzung seiner Menschenrechte und Freiheiten erlebt. Es ist höchst bedauerlich und verwerflich, daß die Volksrepublik China (VRC), obwohl sie ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates und Unterzeichner von UN-Menschenrechtsabkommen ist, die fundamentalen in der Charta festgelegten Grundsätze mißachtet und sie in Tibet regelmäßig und ungestraft in gröbster Weise verletzt. Die chinesische Führung verweigert nach wie vor dem tibetischen Volk ganz systematisch die Menschenrechte. Wang Chen, der Direktor des Informationsbüros des Staatsrates, räumte am Vorabend des Jahrestages Menschenrechtsprobleme in China ein, als er sagte, daß es bei der Entwicklung der Menschenrechte noch „einige Punkte gäbe, die nicht ganz zufriedenstellend“ seien, doch im Zuge der Modernisierung Fortschritte machen würden. Die Zeit wird Zeuge sein, was den Optimismus betrifft, den die chinesische Regierung, ausgehend von ihrer sogenannten „Das Volk zuerst“-Politik bei der Entwicklung der Menschenrechte an den Tag legt.

In den letzten elf Monaten 2008 hat das TCHRD unter anderem folgende Ereignisse dokumentiert:

v      Informationen zufolge, die dem TCHRD zugingen, wurden seit Ausbruch der Unruhen am 10. März bei der Serie der Proteste in der „Autonomen Region Tibet“ („TAR“) und den tibetischen Gebieten außerhalb der „TAR“ über 120 Tibeter getötet.

v      In ganz Tibet wurden über 6500 Tibeter wegen ihrer Beteiligung an den Demonstrationen unter dem Verdacht politischer Aktivitäten willkürlich festgenommen.

v      Es gibt mindestens tausend Tibeter, deren Verbleib und deren Schicksal ihren Angehörigen, Bekannten oder den Klöstern, in denen sie lebten, immer noch unbekannt ist. Der 11. Panchen Lama, Gendun Choekyi Nyima, ist ebenso wie seine Eltern schon seit 13 Jahren verschollen. Bis zum heutigen Tag gibt es keinerlei Nachricht über sein Wohlergehen und seinen Aufenthaltsort.

v      Insgesamt registrierte das Zentrum über 300 einzelne Protestaktionen größeren oder kleineren Maßstabs in 90 Bezirken in der „TAR“ und den tibetischen Gebieten außerhalb der „TAR“.

v      Die chinesischen Vollzugsbehörden legten 2008 in den Haftzentren, Polizeistationen, Gefängnissen und am Ort der Demonstrationen eine Brutalität und Repression an den Tag, wie die Tibeter es seit Jahren nicht mehr erlebt hatten. In diesem Jahr liegt die Zahl der Menschen, die infolge von Folter starben, besonders hoch. Es gab Berichte über Tibeter, die zu Tode geprügelt oder entlassen wurden, als sie bereits dem Tode nahe waren, nur weil sie Parolen gerufen hatten, das Oberhaupt der Tibeter möge bald nach Tibet zurückkehren, oder weil sie mehr Freiheit und Menschenrechte eingefordert hatten. Es gab einige Fälle, wo Tibeter aufgrund der grausamen Repression ihrem Leben selbst ein Ende setzten, und andere, die durch die unmenschliche Folter ihren Verstand verloren.

v      In seinen abschließenden Feststellungen über den 4. periodischen Bericht Chinas über die Umsetzung der Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe forderte das Komitee der Vereinten Nationen gegen Folter die Volksrepublik China auf, die Fälle von Tibetern, die während der Proteste vom Frühjahr umkamen, zu untersuchen und Maßnahmen zu treffen, um der Praxis des „Verschwindenlassens“ entgegenzuwirken sowie Informationen über das Schicksal der vermißten Personen, einschließlich des 11. Panchen Lamas, zu liefern. Das Komitee forderte außerdem von China, sicherzustellen, daß alle aufgrund der Ereignisse vom Frühjahr 2008 hin in Haft genommenen oder verhafteten Personen „unmittelbaren Zugang zu einem unabhängigen Rechtsbeistand erhalten und zu unabhängiger medizinischer Betreuung sowie das Recht, Beschwerden vorzubringen, ohne dafür offizielle Repressalien oder Schikanen befürchten zu müssen“.

v      Neben dem In-Kraft-Treten der „Durchführungsmaßnahmen der Autonomen Region Tibet für die Handhabung religiöser Angelegenheiten“ am 1. Januar 2007 und der „Speziellen Maßnahmen für die Handhabung von Reinkarnationen der Lebenden Buddhas im Tibetischen Buddhismus“ starteten die chinesischen Behörden Anfang April dieses Jahres erneut ihre auf zwei Monate angesetzte Kampagne zur „patriotischen Umerziehung“, als Reaktion auf die Proteste, die sich über das ganze tibetische Hochland ausgebreitet hatten. Die Kampagne wurde diesmal intensiviert und richtete sich nicht nur gegen die monastischen Institutionen, die der Regierung schon seit langem als Bollwerke des politischen Abweichlertums gelten, sondern sie nahm auch Angestellte im öffentlichen Dienst, Sicherheitskräfte, Bauern, Nomaden, Geschäftsleute und Bildungseinrichtungen mit Vehemenz ins Visier. Das Zentrum verzeichnete eine große Zahl von Tibetern, die in Haft genommen wurden, nur weil sie sich dieser Kampagne widersetzten, bei der von ihnen verlangt wird, sich von ihrem geistlichen Oberhaupt, dem Dalai Lama, loszusagen und der kommunistischen Partei Loyalität zu schwören.

v      Die Volksregierung der „Tibetischen Autonomen Präfektur“ Kardze führte durchgreifende neue Maßnahmen ein, mit denen sie Hunderte von Klöstern säuberte und damit den tibetischen Mönchsgemeinschaften und ihrer Identität einen Stoß ins Herz versetzte. Auf die Proteste hin wurde die religiöse Praxis auf dem ganzen Hochplateau drastisch eingeschränkt, was einem neuen heftigen Angriff auf den tibetischen Buddhismus gleichkommt.

v      Mindestens 165 Tibeter wurden wegen ihrer Teilnahme an den jüngsten Protestaktionen zu überlangen Haftstrafen verurteilt, davon sechs zu lebenslänglichem Freiheitsentzug, über 75 wurden zu zehn Jahren Gefängnis und darüber verurteilt. Die Art der Gerichtsverhandlungen und die offizielle Interpretation der Aktivitäten der Tibeter werfen die Frage nach der Kompetenz dieser Gerichte auf. Die Rechtmäßigkeit dieser Gerichtsverfahren ist anzuzweifeln, weil den Tibetern der Zugang zu einer ordentlichen Verteidigung verwehrt blieb und viele Prozesse hinter verschlossenen Türen stattfanden. Hunderte von Tibetern sind weiterhin ohne Klageerhebung inhaftiert.

v      In der Zeit vor und nach der Olympiade hatte die chinesische Regierung das gesamte Hochplateau für ausländische Journalisten und Beobachter abgeriegelt und effektiv eine Nachrichtensperre verhängt, obwohl sie im Vorfeld der Spiele eine größere Offenheit für die Medien zugesagt hatte. Aus diesen Gründen ist das Zentrum in großer Sorge um das Schicksal all jener, die noch inhaftiert sind oder die seit März dieses Jahres spurlos verschwunden sind.

An diesem großen Jahrestag fordert das TCHRD die Volksrepublik China auf, der Folter, dem „Verschwindenlassen“ von Personen, der Kampagne zur „patriotischen Erziehung“ und den willkürlichen Festnahmen ein Ende zu setzen und außerdem die Informationssperre aufzuheben. Es appelliert ebenso an die Regierung der VRC, die internationalen Menschenrechtsnormen und ebenso die in ihrer eigenen Verfassung gegebenen Garantien zu respektieren und zu befolgen.