7. August 2008
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P., India
Phone/Fax: +91 1892 223363 / 225874 / 229225, e-mail: office@tchrd.org, www.tchrd.org

Seite drucken

Pressemitteilung, Kontaktpersonen: Tashi Choephel (Englisch), Jamphel Monlam (Tibetisch und Chinesisch)

Olympische Spiele einerseits und Repression in Tibet andererseits

Das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) hat eine Dokumentation „Volksaufstand in Tibet 2008“ herausgegeben. Am Vorabend der ersten Olympiade in China, wo die Welt intensiver als je zuvor auf das große Spektakel der 29. Olympischen Spiele schaut, bringt das TCHRD sein Bedauern und sein tiefstes Entsetzen über die grobe Mißachtung der Olympischen Grundsätze durch China zum Ausdruck. Besonders deutlich ist dies in Tibet zu spüren, wo das kommunistische Regime stur an seiner veralteten autoritären Denkweise festhält und friedliche Protestaktionen gnadenlos unterdrückt. In der letzten Zeit setzen sich die Behörden unter dem Vorwand von erhöhten Sicherheitsmaßnahmen mehr als zuvor über die grundlegenden Menschenrechte des tibetischen Volkes hinweg.

Die spontanen Proteste seit dem 10. März, die sich rasch über das ganze Land verbreiteten, sind ein Ausdruck der Verzweiflung der Tibeter infolge der Brutalität und Repression, denen die KP sie nun seit über einem halben Jahrhundert aussetzt. Ein solches Verhalten steht im Widerspruch zu dem von der Regierung gezeichneten Bild einer harmonischen Gesellschaft, und zeigt, daß die von Peking lange verfolgte Tibet-Politik ein kompletter Fehlschlag war.

Insbesondere dieses Jahr wurden die Tibeter in der Autonomen Region Tibet (TAR) und anderen benachbarten tibetischen Gebieten nach den massiven landesweiten Protesten seit dem 10. März Opfer staatlicher Willkür und Repression ohnegleichen. Über 200 Tibeter starben durch die Brutalität der Chinesen, über 6500 wurden an diversen Orten festgenommen und die Zahl der Verletzten geht in die Hunderte, wobei es vermutlich viele weitere Fälle gibt, von denen wir gar nichts erfahren haben.

Die Folterpraxis geht weiter

Es gibt glaubhafte Berichte, daß Personen an den Folgen der unmenschlichen Behandlung durch die chinesischen Sicherheitskräfte starben. Es sei nur ein Beispiel erwähnt: Nechung, eine 38jährige Mutter von vier Kindern aus dem Dorf Charuhu im Bezirk Ngaba, TAP Ngaba, Provinz Sichuan, starb wenige Tage nach ihrer brutalen Folterung am 17. April 2008 in einem chinesischen Gefängnis. Dawa, ein 31jähriger tibetischer Bauer aus dem Dorf Dedrong, Gemeinde Jangkha, Kreis Phenpo Lhundup, Bezirk Lhasa, starb am 1. April infolge der heftigen Schläge, die chinesische Gefängniswachen ihm versetzt hatten. Drei Mönche aus dem Bezirk Drango in der TAP Kardze wurden von den Sicherheitskräften brutal zusammengeschlagen, als sie vor der Bezirkregierung friedlich protestierten. Einer von ihnen, der 22jährige Tsewang Dakpa aus der Gemeinde Jangtha, Bezirk Drango, trug derart schwere Verletzungen davon, daß Augenzeugen ihm kaum Chancen auf ein Überleben einräumen. Es gab bereits Gerüchte über seinen Tod, was aber bisher nicht bestätigt werden konnte.

Thabkey, ein 30jähriger Mönch aus dem Kloster Labrang, der zusammen mit sieben anderen Mönchen festgenommen worden war, weil er vor einer Gruppe ausländischer Medienleute, die auf einer staatlich organisierten Reise durch Gansu waren, offen seine Meinung kundtat, wurde nach einigen Tagen Polizeigewahrsam in einem psychisch prekären Zustand entlassen. Sein Körper war voller Blutergüsse und Prellungen infolge der schweren Schläge, die er in der Haft erhielt.

Dehnbare Gesetze gegen politisches Abweichlertum

China greift weiterhin auf gewisse Bestimmungen des Strafgesetzbuches als politische Werkzeuge zurück, um Dissidenten unschädlich zu machen. Anklagepunkte wie „Gefährdung der Staatssicherheit“ oder „Störung der sozialen Ordnung“ ebenso wie der Begriff „Terrororganisation“ entbehren im chinesischen Strafrecht der Definition, sie sind dehnbar und erlauben daher eine große Auswahl von Interpretationen. Auf diese Weise kann der Staat gewaltlose politische Proteste in politisch widerspenstigen Regionen wie Tibet kriminalisieren, um dann Personen, die legitimen und friedlichen Menschenrechtsaktivitäten nachgehen, strafrechtlich zu verfolgen. China rechtfertigt seine Repression der freien Rede mit einer sehr weit gefaßten Interpretation der „nationalen Sicherheit“.

Neuauflage der „patriotischen Erziehungskampagne“ in Tibet

Anfang April dieses Jahres haben die chinesischen Behörden einhergehend mit der Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen eine Intensivierung der ideologischen Erziehung und Propagandaarbeit in Tibet in der Absicht angeordnet, eine „anti-separatistische Gesinnung aufzubauen“. Durch diese erneute „patriotische Erziehungskampagne“, die diesmal alle Teile der tibetischen Gesellschaft betrifft, nahm die religiöse Repression ebenso dramatisch zu wie die Zahl der Festnahmen derjenigen, die sich weigerten, an der Kampagne mitzumachen, bei der sie gezwungen werden, den Dalai Lama zu diffamieren und sich gegen ihn zu stellen. Fast alle größeren monastischen Institutionen in Tibet sind durch ein großes Aufgebot an Sicherheitskräften, die seit den Protesten vom 10. März in allen Regionen stationiert wurden, von der Außenwelt abgeriegelt. Noch nicht einmal ethnisch tibetische Mitglieder der KP werden verschont; am 21. April verkündete Dorjee Tsering, der Bürgermeister Lhasas, daß die „patriotische Umerziehung“ für Parteikader ein „Standard-Lackmus-Test“ sowie der Maßstab sei, an dem die Loyalität zur Partei gemessen werde. Die Kampagne wird als ein Werkzeug eingesetzt, um das voll unter Kontrolle zu bringen, was die Behörden als „Brutstätte des Dissens“ bezeichnen, nämlich die monastischen Einrichtungen. Die zwangweise Durchführung der Kampagne, um die Bevölkerung zur Loyalität dem Staat gegenüber zu erziehen, verstößt unmittelbar gegen viele internationale, die Religion betreffende Menschenrechtsbestimmungen.

Neue Maßnahmen zur Säuberung der Klöster und Reduzierung ihrer Belegschaft

Über diese Kampagne hinaus bezwecken neue Maßnahmen, die am 28. Juni in der TAP Kardze eingeführt wurden, die Klöster von unliebsamen Mönchen zu säubern und ihre religiöse Praxis einzuschränken. Darin kann man einen neuen systematischen Angriff auf den tibetischen Buddhismus sehen, was sich als sehr störend auf das Leben der Mönche und Nonnen auswirken wird. Das TCHRD hat zahlreiche Fälle dokumentiert, wo Tibeter festgenommen wurden, weil sie sich der „patriotischen Erziehungskampagne“ widersetzten.

Verhängung überlanger Gefängnisstrafen

Von all den bisher vor Gericht gestellten und verurteilten Tibetern, wurde keinem ein fairer Prozeß und das von den internationalen juristischen Bestimmungen geforderte Recht auf gesetzliche Vertretung zugestanden. Am 29. April verurteilte das Mittlere Volksgericht Lhasa 30 Tibeter zu Gefängnisstrafen von drei Jahren bis zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe. Am 19. und 20. Juni sprachen vier Lokalgerichte in Lhasa und der Präfektur Lhoka in einem willkürlichen und summarischen Verfahren die Urteile über 12 weitere Tibeter, ohne daß diese durch einen Rechtsbeistand vertreten worden wären. Damit folgten sie dem Aufruf der KP und der Regierung der TAR zu „schnellen und zügigen juristischen Verfahren, um energisch gegen die Separatisten und die Dalai Clique vorzugehen“.

Das TCHRD ist sehr besorgt und fürchtet das Schlimmste für die tibetischen Demonstranten, die aus politischen Gründen in Untersuchungshaft sitzen und denen die Verurteilung durch ein Gericht noch bevorsteht. In Anbetracht der Schwere des Urteils gegen all jene Tibeter, die in den letzten Monaten friedlichen Gebrauch von ihren grundlegenden Menschenrechten machten, befürchtet das TCHRD, daß jene, die die Proteste anführten und jene, die von den Behörden als die Drahtzieher der Proteste betrachtet werden, die härtesten Strafen bekommen. So sagte doch der Vize-Gouverneur der TAR, Pema Trinly, bei einer Pressekonferenz am 10. Juli in Bezug auf die 116 Verdächtigen, gegen die noch ermittelt wird, daß „einige dem chinesischen Gesetz gemäß zum Tode verurteilt werden“ könnten.

Während es allgemein bekannt ist, daß die Tibeter verurteilt wurden, weil sie politischen Dissens zum Ausdruck brachten, haben die staatlichen Medien ihre Aktivitäten als bloße Straftaten heruntergespielt und sie lediglich als Fälle von Brandstiftung, Plünderung, Diebstahl, Rowdytums usw. hingestellt, anstatt als Akte zum „Ausdruck von politischem Dissens“. Peking will die Realität der politischen Natur der tibet-weiten Proteste nicht einsehen. Um seine Repression in Tibet zu verbergen, hat China das gesamte Hochplateau praktisch abgeriegelt und jegliche Kommunikation unterbunden, was in Widerspruch zu seinem Versprechen steht, im Hinblick auf die Olympischen Spiele Offenheit walten zu lassen. Die Härte der Urteile beweist ja gerade, daß es sich dabei nicht um geringfügige kriminelle Delikte handelt, sondern daß es um das größere Thema des politischen Dissens geht, aber die staatlichen Medien reden absichtlich nicht davon.

Neues Ultimatum an TAR-Parteimitglieder und Angestellte im öffentlichen Dienst

Darüber hinaus haben die chinesischen Behörden kürzlich zahlreiche Maßnahmen und Schritte eingeleitet, um die Kontrolle über das tibetische Volk noch weiter  zu verschärfen, wobei sie jede Schicht der Gesellschaft in die Zange nehmen. Die jüngste Zielscheibe sind die ethnischen tibetischen KP-Mitglieder und die staatlichen Angestellten, denen am 14. Juli ein zweimonatiges Ultimatum gestellt wurde, ihre Kinder zurückzurufen, die an von der Dalai Clique betriebenen Bildungseinrichtungen eingeschrieben sind; im Falle der Nichtbefolgung der Order werden sie aus der Partei ausgeschlossen und verlieren ihre Stelle beim Staat.

Politisierung der Olympischen Spiele: Durch wen?

Während die Regierung der VR China über die Politisierung der Olympiade klagt, um die internationale Kritik an ihrem Verhalten in Sachen Menschenrechte abzuwenden, ist es doch sie selbst, die von Anfang an, als ihr die Olympischen Spiele zugesprochen wurden, die Menschenrechtsfrage benutzt hat, um die Spiele zu politisieren. Und Peking mißbraucht die Spiele weiterhin, um seine politische Agenda vorwärts zu treiben. Während des Fackellaufs durch Lhasa, bombardierte der TAR-Parteisekretär Zhang Qingli ein ausgewähltes Publikum mit politischen Aussagen wie, daß „der Himmel über Tibet nie ein anderer werden und die rote Flagge mit den fünf Sternen für immer hoch über ihm wehen“ werde. Der als Hardliner bekannte KP-Generalsekretär drohte bei der Fackelzeremonie: „Wir sind durchaus in der Lage, die spalterischen Komplotte der Dalai Clique total zu zerschmettern“.

Gebrochene Versprechen

Während der Bewerbung um die Olympiade 2008 und nachdem das IOC Peking am 13. Juli 2001 den Zuschlag gab, versicherten die Funktionäre in China, daß die Menschenrechtslage sich als Folge der Austragung der Spiele verbessern würde. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, und die Menschenrechtslage in Tibet, die schon vorher schlecht war, ist in den letzten Monaten absolut trostlos geworden, begleitet von einer Intensivierung der Sicherheitsmaßnahmen und der Schaffung eines Klimas der Furcht. Die Bewegungsfreiheit der Menschen wurde drastisch eingeschränkt und ihre grundlegenden Menschenrechte beschnitten. Die Unterdrückung des politischen Dissens ist wegen der Olympiade eher schlimmer geworden als daß sie abgenommen hätte, und China ist seinen bei der Zuerkennung der Spiele gemachten Zusagen, die Menschenrechtslage zu verbessern, nicht  nachgekommen.

Das TCHRD ruft die VR China auf, die willkürlichen Festnahmen, die Unterdrückung religiöser Praxis und der religiösen Institutionen einzustellen, die patriotische Erziehungskampagne zu beenden, die Inhaftierten zu entlassen, den internationalen Medien freien Zugang nach Tibet zu gewähren, keinen Gebrauch von Folter mehr zu machen, um einen Inhaftierten zu einem Geständnis zu zwingen, sowie jenen, gegen die ermittelt wird, ein gerechtes Gerichtsverfahren zu gewähren. Es fordert substantielle Reformen in einigen der wichtigsten Bereiche, die mit den zentralen olympischen Werten des „Respekts vor den universellen grundlegenden ethischen Prinzipien“ und der Wahrung der menschlichen Würde verbunden sind.

Das TCHRD wünscht, daß die Spitzenpolitiker und Würdenträger, die die Pekinger Olympiade besuchen, wegen des brutalen Vorgehens Pekings und der Politik der kommunistischen Hardliner in Tibet offen ihre Stimme erheben und daß sie individuellen chinesischen Menschenrechtsaktivisten Unterstützung zusagen. Wenn sie das nicht tun, dann senden sie damit ein falsches Signal aus, nämlich, daß es für eine Regierung akzeptabel ist, die Olympiade in einer Atmosphäre von Unrecht und Repression abzuhalten.

Das TCHRD veröffentlicht auf einer DVD einen kurzen Dokumentarfilm mit dem Titel „Die Volkserhebung in Tibet 2008“ mit Kommentaren in Englisch und Tibetisch über die Proteste seit dem 10. März in ganz Tibet in chronologischer Reihenfolge, wodurch ein Schlaglicht auf die verschiedenen Menschenrechtsverletzungen durch die chinesischen Behörden am tibetischen Volk im besetzten Tibet fällt.