9. Juli 2010
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P., India,
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Sechs Mitglieder der Familie Samdrup zu Unrecht wegen ihres Einsatzes im Gefängnis

Das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) verurteilt aufs Schärfste den unfaßbaren Übergriff der chinesischen Behörden auf Karma Samdrup und andere Mitglieder seiner Familie. Innerhalb von weniger als einem Jahr wurden sechs Personen (drei Brüder und drei Cousins) einer einzigen Familie festgenommen, verurteilt und, wie es heißt, gefoltert – ein Vorgehen der Behörden, in dem man nur einen offiziellen Vergeltungsakt für ihren Aktivismus sehen kann. Vier der sechs Männer verbüßen Haftstrafen im Gefängnis oder in Lagern zur Umerziehung-durch-Arbeit, während über den Verbleib und das Schicksal der anderen zwei nichts bekannt ist.

Karma Samdrup und Rinchen Samdrup

Die fortgesetzten gezielten und unrechtmäßigen Angriffe der chinesischen Regierung gegen diese Familie, die nur ihre grundlegenden Menschenrechte friedlich ausübte, stellen eine ungeheuerliche Verletzung ihrer Verpflichtungen gemäß ihrer eigenen Verfassung und dem Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte dar. Außerdem stehen die unmenschliche Behandlung und die systematische Verweigerung eines normalen Gerichtsverfahrens in diesen Fällen in krassem Widerspruch zu der chinesischen Strafprozeßordnung sowie zu zahlreichen internationalen Grundsätzen über die Behandlung von Gefangenen und ihr Recht auf einen fairen Prozeß.

Die Bedrängnis, in die diese Familie geriet, hat internationale Aufmerksamkeit erweckt und ist besonders alarmierend, weil ihre Mitglieder ja einst von der KPC als vorbildliche Tibeter gelobt wurden, die sich bewußt von politischen Angelegenheiten fernhielten. Diese zielgerichtete Verfolgung durch die chinesischen Behörden ist besorgniserregend, denn sie läßt einen Trend zu harter Bestrafung eines jeden, der ihre Autorität auch nur im geringsten herausfordert, erkennen.

Die Probleme der Familie begannen, als Jigme Namgyal (38) und Rinchen Samdrup (44), zwei Brüder, die in ihrem Dorf im Bezirk Gonjo, Präfektur Chamdo, TAR, eine preisgekrönte Umweltorganisation führten, einen lokalen Polizeichef der Wilderei von gefährdeten Tierarten bezichtigten. In einem eklatanten Vergeltungsschlag nahm die chinesische Polizei am 7. August 2009 Jigme und Rinchen fest. Im November 2009 wurde Jigme, der behindert ist, zu 21 Monaten Umerziehung-durch-Arbeit wegen „Schädigung der sozialen Stabilität“ verurteilt. Jigmes Vergehen war das illegale Zusammentragen von Informationen über Umweltprobleme, die er angeblich an die Dalai Clique weiterreichte. Das chinesische System der Umerziehung-durch-Arbeit wurde international wiederholt scharf kritisiert, weil in Verletzung zahlreicher internationaler Normen die Angeklagten ohne einen ordentlichen Prozeß oder eine Verteidigung vor Gericht verurteilt werden. Menschenrechtsexperten führen die Anklagen gegen Jigme Namgyal eher darauf, daß sie die Lokalbehörden potentiell in Verlegenheit hätten bringen können, als auf eine Bedrohung der nationalen Sicherheit zurück.

Am 3. Januar 2010 wurde Jigmes älterer Bruder Karma Samdrup, ein prominenter Geschäftsmann und mehrfach ausgezeichneter Philanthrop, bekannt als der König der himmlischen Perlen, unter der fälschlichen Anklage der Grabräuberei inhaftiert. Die Festnahme erfolgte kurz nachdem er sich zugunsten seiner inhaftierten Brüder eingesetzt hatte. Er hatte sie in der Haftanstalt besucht, wo sie ihm von den entsetzlichen Mißhandlungen erzählten, die sie durchmachten. Die Anklagen gegen Karma beziehen sich auf seinen Kauf von Artefakten in Xinjiang 1998. Damals nahmen die Behörden die Beschuldigung jedoch recht bald aus Mangel an Beweisen wieder zurück und außerdem, weil Karma eine Lizenz zum Handel mit solchen Gegenständen besaß. Das Wiederaufrollen der Anklage ein Jahrzehnt später kann nur als ein offizieller Racheakt gesehen werden, weil Karma sich zur Verteidigung seiner Brüder geäußert hatte.

Preisverleihung an Rinchen Samdrup

Nach sechs Monaten Untersuchungshaft, in der er vielmals geschlagen und gefoltert wurde, verurteilte ein Gericht in Xinjiang am 24. Juni 2010 Karma zu 15 Jahren Gefängnis und dem Verlust der politischen Rechte für weitere fünf Jahre.

Karmas Prozeß war reich an Regelwidrigkeiten und wurde von Menschenrechtsbeobachtern allerorten kritisiert, weil die Normen von Chinas eigener Strafprozeßordnung dabei in jeder Weise verletzt wurden. Das Recht auf Besuche wurde Karma verweigert, ja nicht einmal seinen Anwalt durfte er sechs Monate lang nach seiner Verhaftung treffen. Karmas einziges Zusammentreffen mit seinen Anwälten fand am Vorabend der Gerichtsverhandlung statt. Es dauerte nur 30 Minuten und die ganze Zeit über waren Polizeibeamte in dem Zimmer zugegen. Die Beweise wurden gefälscht, ein mysteriöser Zeuge erschien plötzlich am zweiten Tag der Verhandlung und der Richter verweigerte, sich mit Karma Samdrups Aussagen, er sei in den sechs Monaten Untersuchungshaft geschlagen und mit chemischen Substanzen betäubt worden, auch nur zu befassen. Das Gericht ignorierte die Tatsache komplett, beugte das Recht nach seinem Gutdünken und verletzte Karmas Menschenwürde, sagte sein Anwalt Pu Zhiqiang. Die Auffassung des Gerichtes zu Karmas Fall war in chinesischer Sprache bereits ein paar Stunden nach dem Urteil verfügbar, was nahe legt, daß die Entscheidung bereits vorher eine beschlossene Sache war, wie ein Beobachter von Human Rights Watch bemerkte.

Am 3. Juli 2010, zehn Tage nach Karmas Schuldigsprechung, verurteilte das Mittlere Volksgericht von Chamdo den Umweltschützer Rinchen Samdrup zu fünf Jahren Gefängnis unter der Anklage der Aufhetzung zur Spaltung des Landes, weil er einen Artikel über den Dalai Lama auf seine Website gesetzt habe. Rinchens Angehörige durften ihn nicht besuchen und sein Anwalt Xia Jun konnte ihn, seit er im Januar das erste Mal vor Gericht gestellt wurde, nicht mehr treffen.

Die Cousins der Brüder wurden in den letzten Monaten auch zur Zielscheibe der offiziellen Vergeltungspolitik der Behörden. Nachdem er eine Gruppe von Leuten organisiert hatte, um in Peking zugunsten von Rinchen Samdrup eine Petition vorzutragen, wurde Sonam Choephel zu eineinhalb Jahren Umerziehung-durch-Arbeit verurteilt. Im März 210 wurde Rinchen Dorjee, ein buddhistischer Mönch, der gerade in Klausur war und in einer Höhle meditierte, unter vagen und nicht näher spezifizierten Beschuldigungen festgenommen. Über seinen Verbleib und sein weiteres Schicksal weiß man nichts.

Am 5. Juli 2010 wurde ein sechstes Mitglied der Familie Samdrup willkürlich seiner persönlichen Freiheit beraubt. Tashi Topgyal, ein Tibetischlehrer Anfang Dreißig, wurde von einem Dutzend chinesischer Sicherheitskräfte in einer Privatwohnung in Lhasa festgenommen. Er war dorthin gereist, um etwas über den Verbleib von Rinchen Dorjee herauszufinden. Angeblich habe er ihn in einem Hospital in Xinjiang ausfindig gemacht. Die chinesische Polizei erklärte, die Verbrennungen, deretwegen er dort behandelt wird, seien den Schlägen mit den elektrischen Schockern zuzuschreiben, mit denen er bei einem Fluchtversuch traktiert wurde.

Einige Analysten sind der Ansicht, daß die staatliche Verfolgung der Samdrup-Familie eher von den lokalen Behörden ausgehe als von der Zentralregierung in Peking. Dennoch ruft das TCHRD die chinesische Regierung auf, die Fälle von Karma Samdrup, Jigme Namgyal, Rinchen Samdrup, Sonam Choephel, Rinchen Dorjee und Tashi Topgyal zu untersuchen, da sie in keiner Weise dem Standard eines normalen Prozesses Genüge tun, weder nach dem chinesischen noch nach dem internationalen Gesetz.

Die mißliche Lage der Familie zeigt, wie hohl die Beteuerungen der chinesischen Regierung über einen bemerkenswerten Fortschrift bei der Verbesserung ihres Rechtssystems sind. Das TCHRD ruft die chinesische Regierung auf, sich an ihre eingegangenen Verpflichtungen im Hinblick auf die bürgerlichen und politischen Rechte in dem kürzlich verkündeten Nationalen Menschenrechts-Handlungsplan 2009-2010 zu halten. Das Zentrum erachtet diese Justizirrtümer angesichts von Chinas neuen Gesetzen über die Unzulässigkeit von Beweismaterial unklaren Ursprungs und von Geständnissen, die durch Folter und Einschüchterung erlangt wurden, als besonders beunruhigend. Diese Fälle erwecken Zweifel an der Wirksamkeit von Chinas Verpflichtung, seine Menschenrechtsbilanz zu verbessern.