5. November 2010
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P., India,
phone +91 1892 223363 / 229225, fax: +91 1892 225874, e-mail: office@tchrd.org, www.tchrd.org

Seite drucken

Unfreiheit der Sprache: Chinesische Bildungspolitik für die tibetische Sprache tödlich

Die Regierungspläne zur Änderung der zweisprachigen Bildungspolitik riefen in mehreren tibetischen Gegenden der heutigen Provinz Qinghai Protestaktionen von Schülern und Studenten hervor, denn diese fürchten, daß Tibetisch im Unterricht nun gänzlich verdrängt wird. Die Schüler und Studenten fertigten Plakate und Spruchbänder an und veranstalteten friedliche Protestmärsche in der gesamten Provinz.

Freiheit für Sprache und Kultur

Die von der Provinzregierung von Qinghai für die Änderung der zweisprachigen Bildungspolitik und der Einsetzung von Chinesisch als Unterrichtssprache genannten Gründe sind folgende:

1. Wenn Tibetisch als Unterrichtssprache beibehalten wird, werden die Tibeter für immer rückständig bleiben.

2. Die Tibeter ziehen keinen Nutzen aus dem neuen Stellenangebot, das Chinas wirtschaftliche Entwicklung mit sich gebracht hat.

3. Außerdem haben die tibetischen Schüler keinen Gewinn von den besseren Ausbildungsmöglichkeiten, denn die Studiengänge sind alle auf Chinesisch.

4. Letztendlich wird die Einführung von Chinesisch als Unterrichtssprache auf lange Sicht allen Tibetern zugute kommen.

Zudem habe die Regierung zugesichert, daß diese Politik nur schrittweise realisiert würde.

Und nun die Gründe, warum die tibetischen Schüler und Studenten gegen Chinesisch als alleiniger Unterrichtssprache protestieren:

1. Die tibetische Sprache wird im Handumdrehen zu einer zweitrangigen Sprache verkommen, weil dann alle anderen Fächer auf Chinesisch gelehrt werden.

2. Weil die Berufsaussichten für Absolventen der tibetischen Studiengänge immer geringer werden, wird es, selbst wenn Tibetisch noch als zweite Sprache gelehrt würde, kaum mehr Interesse geben, eine Sprache, die von wenig praktischem Wert ist, zu erlernen.

3. Und das Wichtigste: Zu einer Zeit, in der das tibetische Volk so sehr darum kämpft, seine Kultur zu bewahren, könnte die Abschaffung von Tibetisch als Unterrichtssprache das Schicksal der tibetischen Kultur besiegeln, denn es ist die Muttersprache, welche ein Volk eint und seiner Kultur eine Identität verschafft.

Aus den genannten Gründen drängen die tibetischen Schüler und Studenten die chinesische Regierung, ihre Rechte auf die Freiheit der Sprache und Kultur zu respektieren, so wie sie in der Verfassung Chinas verankert sind. In der Tat ist das, was die tibetischen Studenten fordern, ja nur, daß die Regierung sich an die Bestimmungen der Verfassung hält und die Rechte der Minderheiten auf die Beibehaltung ihrer eigenen Sprache, Kultur und Identität achtet.

Schüler in Rebkong fordern Freiheit der Sprache

Das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD) bittet die zuständigen lokalen Regierungsvertreter dringend, von der Einführung der „Ein-Sprachen-Politik“ Abstand zu nehmen, auf die Wünsche der Studenten einzugehen und die derzeitige „Zwei-Sprachen-Politik“, die so gut funktioniert, beizubehalten.

Darüber hinaus garantiert nicht nur die Verfassung dieses Recht, auch in dem zeitlich später verfaßten Weißbuch hat die chinesische Regierung deutlich gemacht, daß sie das Recht der Minderheiten auf die Erhaltung ihrer Sprache, Kultur und Identität anerkennt. Und das gilt nicht nur für die Tibeter, sondern auch für die Völker Ostturkestans, der Inneren Mongolei und der Mandschurei.

Und vor allem appelliert das TCHRD an die Staatsführung in Peking, sich an die eigene Verfassung zu halten. sowie an die einschlägigen Gesetze, die alle das Recht der Minderheiten auf die Erhaltung ihrer jeweiligen Sprache, Kultur und Identität anerkennen, und den Behörden in den betreffenden Gebieten die notwendigen Anweisungen zu geben, damit der Friede wiederhergestellt werde, und die Tibeter in diesen Gegenden ihre Sprache und Kultur frei von Angst weiter pflegen können.

8. November 2010

Auszug aus einem Essay des tibetischen Schriftstellers Bhuchung D. Sonam

Quelle: Word Tibet News, www.tibet.ca.

Die Gefahr und Absicht hinter dieser auf den ersten Schein apolitischen Maßnahme der chinesischen Regierung wurden in einem von 133 Lehrern diverser Schulen unterschriebenen und am 15. Oktober der Provinzregierung von Qinghai unterbreiteten Brief auf den Punkt gebracht: „Wenn sowohl die gesprochene als auch die geschriebene Sprache eines Volkes verschwinden, dann ist es so, als ob die gesamte Bevölkerung dieses Volkes ausgestorben sei und das Volk dezimiert worden wäre“.

Auch in einem von 27 tibetischen im Exil lebenden Schriftstellern unterzeichneten Appell kommt diese Sorge zum Ausdruck: „Als tibetische Schriftsteller betrachten wir die Sprache als das Herzstück der Identität des tibetischen Volkes. Das Überleben unserer Identität hängt von unserer Sprache ab. Eine Sprache zu zerstören, heißt, ein Volk und seine Identität zu zerstören“.

Pekings grundlegende Bildungspolitik in Tibet ist, sich die Tibeter durch eine erzwungene Erziehung auf Chinesisch loyal zu machen und die tibetische Sprache konsequent zu marginalisieren. Hierfür gibt es einen historischen Präzedenzfall, nämlich die Mandschurei, die nach dem Fall der Qing Dynastie 1911 von China besetzt wurde. Noch im selben Jahr verboten die chinesischen Besatzer die Unterrichtung von Mandschurisch als einer Sprache. Als Folge hiervor können heute kaum noch 100 Einheimische ihre Sprache sprechen, obwohl die derzeitige Bevölkerungszahl der Mandschuren in China nahezu 10 Millionen beträgt.

Die kürzlich von der Regierung in Qinghai angekündigte Bildungspolitik erinnert deutlich an die Ausrottung der mandschurischen Sprache. Wenn sie ungebremst durchgeführt wird, wird es China gelingen, die tibetische Sprache und Identität auszulöschen. Ohne gebildete Leute in allen Bereichen, die sich in ihrer Muttersprache ausdrücken können, laufen die Tibeter Gefahr, gänzlich assimiliert zu werden.

Tibetische Schüler zu zwingen, durch das Medium von Mandarin-Chinesisch zu lernen, wird diesen Assimilierungsprozeß nur noch beschleunigen. Es ist im Grunde genommen dieselbe radikale Politik der vollständigen Auslöschung der tibetischen Sprache, wie sie während der Kulturrevolution betrieben wurde. Sie ist ein Angriff auf die Wurzeln der tibetischen Kultur und Identität. Wir haben hier einen kulturellen Genozid vor uns. Diese Politik beinhaltet auch, daß die tibetische Sprache und Kultur rückständig seien.

Das Überleben von Tibet als einer Nation und der Tibeter als eines kulturell eigenständigen Volkes hängt von seiner Sprache ab. Chinas Politik zur Vernichtung der tibetischen Sprache ist ein eindeutiger Angriff auf die Wurzeln der tibetischen Identität.

Lassen wir uns inspirieren von den Tausenden tapferer tibetischer Schüler in Tibet, die ihr Recht auf das Studium in ihrer eigenen Sprache geltend machten, von den tibetischen Schriftstellern und Intellektuellen, die in chinesischen Gefängnissen schmachten, weil sie ihre Meinung kundtaten, und schreiten wir zur Tat, ehe die tibetische Sprache vom selben Schicksal wie das Mandschurische ereilt wird!

Briefaktion Appellbriefe an die Provinzregierung von Qinghai und das Bildungsministerium sowie den UN-Sonderberichterstatter für Bildung wegen der Abschaffung von Tibetisch im Unterricht