6. Februar 2018
Tibetisches Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD), www.tchrd.org

Wegen „Aufhetzung zum Separatismus“ verurteilter tibetischer Schriftsteller nach über fünf Jahren aus dem Gefängnis entlassen

Ein tibetischer Schriftsteller, der wegen seiner unmittelbaren und offenen Schriften über Themen, die den chinesischen Behörden als sensibel gelten, im Gefängnis saß, wurde am Sonntag im Kreis Tsekhog (chin. Zeku) in der TAP Malho (chin. Huangnan), Provinz Qinghai (tibetische Provinz Amdo), entlassen.

Gartse Jigme, 42, wurde am Abend des 4. Februar entlassen, nachdem er über fünf Jahre lang inhaftiert gewesen war, weil er angeblich durch seine Werke zum „Separatismus aufgestachelt“ habe. Die meisten davon enthalten geradeheraus geäußerte Meinungen über eine ganze Reihe von Themen, wie den Dalai Lama, den Panchen Lama, die Selbstverbrennungen (1), die Rechte der Tibeter, sowie Umwelt- und Minderheitenfragen. Gartse Jigme ist inzwischen nach Siling (chin. Xining) nach Hause zurückgekehrt.

Eine Quelle mit Kontakten in Tibet berichtete dem TCHRD, daß Gartse Jigme nach seiner Entlassung unter strenge Überwachung gestellt wurde. Fünf Beamte der Gemeinde Dokarmo und des Kreises Tsekhog wurden abgestellt, um seine Bewegungen und Aktivitäten genau zu verfolgen. Es wurde ihm verboten, sich wieder seinem Kloster anzuschließen oder politisch tätig zu sein, ein Jahr lang darf er auch keine Vorträge mehr halten. Die Lokalbehörden erließen überdies ein Verbot, Bilder von Gartse Jigme auf Online-Plattformen zu verbreiten.

Gartse Jigme wird ein herzlicher Empfang bereitet

Um zu vermeiden, daß Ortsansässige in großer Zahl kommen, um Gartse Jigme auf seine Entlassung hin willkommen zu heißen, zögerten die Behörden bewußt seine Ankunft in seinem Heimatdorf hinaus, indem sie die Entlassungsformalitäten, wie das Unterzeichnen der Verpflichtungsdokumente, hinauszogen. Um etwa 19.00 durfte er dann das Gefängnis verlassen. Eine Gruppe von Tibetern aus seinem Heimatdorf hatte seit dem frühen Morgen vor dem Gefängnis gewartet, um ihm ein herzliches Willkommen zu bereiten. Als sie den Schriftsteller nach Hause begleiten wollten, durften sie aber nicht den direkten Weg vom Kreis Tsekhog nach Siling nehmen, sondern mußten einen Umweg über den Kreis Trika machen.

Wegen der Einschränkung der Kommunikation und der Zensur des Internets gibt es keine Nachricht über Gartse Jigmes Gesundheitszustand.

Es scheint, daß Gartse Jigme zusätzlich zu der Gefängnisstrafe von fünf Jahren zu einem Jahr „Aberkennung der politischen Rechte“ verurteilt wurde. Dem chinesischen Gesetz zufolge müssen alle der Verbrechen gegen die Staatssicherheit überführten Gefangenen eine zusätzliche Strafe der „Aberkennung der politischen Rechte“ verbüßen, die üblicherweise für ein bis fünf Jahre verhängt wird. Das Urteil der „Aberkennung der politischen Rechte“ gestattet den Behörden, einem entlassenen politischen Gefangenen weitreichende Restriktionen aufzuerlegen, und das ohne die geringste Rechenschaftspflicht oder Kontrolle.

Der Grund für Gartse Jigmes verspätete Entlassung bleibt unbekannt. Er hätte am 31. Dezember 2017 entlassen werden sollen. Am 1. Januar 2013 war er von einer Abordnung des Staatssicherheitsbüros der Präfektur Malho und des Public Security Bureau von Gartse in seiner Unterkunft festgenommen worden. Die Beamten plünderten seine Mönchsbehausung und durchsuchten seine Habe, auch seine elektronischen Geräte wie Laptop und Telephon. Nachdem sie ihn vier Monate lang in der Stadt Siling und im Kreis Rebkong (chin. Tongren) in geheimen Haftzentren festgehalten hatten, wurde er am 14. Mai 2013 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt (2).

Während das TCHRD Gartse Jigmes verspätete Freilassung begrüßt, sollte er in erster Linie überhaupt nicht eingesperrt worden sein. Es ist sehr bedauerlich, daß die chinesischen Behörden weiterhin viele Tibeter wie Gartse Jigme verfolgen und hinter Gitter setzen, nur deshalb, weil sie ihre Menschenrechte friedlich ausübten. Gartse Jigme wurde ins Gefängnis geworfen, weil er seine Ansichten und seine Meinung über wichtige Fragen, die hauptsächlich für die gegenwärtige Menschenrechtskrise in Tibet verantwortlich sind, friedlich ausdrückte. Wie viele andere tibetische Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger stellte er die unmenschlichen und skrupellosen Akte der chinesischen Behörden bloß und verlangte, daß den Tibetern Menschenrechte und Selbstbestimmung gewährt werden. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und Meinungsfreiheit wird sowohl von der chinesischen Verfassung als auch dem internationalen Recht garantiert. Durch die Inhaftierung von Gartse Jigme demonstrierten die chinesischen Behörden wieder einmal, daß ihre Behauptung, sie förderten die Rechtsstaatlichkeit in Tibet nichts als ein Täuschungsmanöver ist, um das Gesetz als Werkzeug zu benutzen, mit dem friedlicher Dissens und Kritik an ihrer repressiven Politik zerschlagen werden.

Gartse Jigme vor seiner Festnahme

Gartse Jigme wurde 1976 in der Nomadensiedlung Garwa in der Gemeinde Gartse im Kreis Rebkong geboren. Nach Absolvierung der Grund- und Mittelschule trat er ins Kloster Gartse ein und vollendete 1995 seine Studien in buddhistischer Dialektik. Seit 1999 ist er schriftstellerisch tätig und hat mehrere regionale Literaturpreise gewonnen. Sein erstes Buch „Träumereien und Überlegungen“ wurde von Freunden und anderen Personen seiner Gemeinschaft günstig aufgenommen. Er ist auch ein buddhistischer Gelehrter, der 2003 wichtige buddhistische Lehrgänge in seinem Kloster erfolgreich absolvierte.  

(1) 21. Mai 2013, "Die chinesische Regierung und die Selbstverbrennung von Tibetern" - von Gartse Jigme, http://www.igfm-muenchen.de/tibet/TCHRD/2013/GartseJigme-TsenpoiNyingtob_21.5.html

(2) 31. Mai 2013, China verurteilt tibetischen Schriftsteller vom Kloster Gartse zu fünf Jahren Gefängnis, http://www.igfm-muenchen.de/tibet/TCHRD/2013/GartseJigme-5Jahre_21.5.html