26. Mai 2018
Tibetisches Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD), www.tchrd.org
TenzinWoeser-MonlamKyi

Tibetischer Mönch berichtet von Folter und sexuellem Missbrauch in politischen Umerziehungszentren

Ein Bericht aus erster Hand, geschrieben von einem ehemaligen Häftling, enthüllt den Horror, dem die Insassen der von der chinesischen Regierung in Tibet betriebenen Umerziehungszentren, abgesondert von der Öffentlichkeit, wie sie darin sind, im Namen der „Rechtserziehung“ ausgesetzt sind.

Dieser von einem Mönch, dessen Identität aus Sicherheitsgründen anonym bleiben muß, verfaßte Bericht bestätigt die vom TCHRD im Laufe der letzten Jahre gesammelten, sporadischen Aussagen über solche vor den Augen der Öffentlichkeit verborgene Zentren, die der Erziehung von „politisch unzuverlässigen“ Tibetern dienen sollen.

So wurde etwa der tibetische Schriftsteller und Lehrer Gangkye Drupa Kyab kurz nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis 2016 zur Teilnahme an einem zweiwöchigen Umerziehungskurs gezwungen. Ebenso wurde ein anderer politischer Gefangener über zwei Monate lang „umerzogen“, weil er sich einer Aufforderung der Behörden an Mönche und Nonnen, ihre monastischen Institutionen in Gegenden außerhalb der TAR zu verlassen, widersetzt hatte.

Der anonyme Mönch und Verfasser des Berichts verbrachte etwa vier Monate in einem Umerziehungszentrum im Bezirk Sog (chin. Suo), Präfektur Nagchu, TAR. In seinem Bericht bezieht er sich auf die Zentren als „Transformationszentren durch Erziehung“ (chin. jiaoyu zhuanhua, tib. lobso yosang teyney khang). Alle Insassen des Umerziehungszentrums, in dem er sich damals befand, waren, abgesehen von zwei oder drei Laien, Mönche und Nonnen. Er war einer von vielen Mönchen und Nonnen, die nach Hause zurückkehren und ihr Studium in monastischen Einrichtungen außerhalb der TAR aufgeben mußten. Der Mönch studierte in der Provinz Tsognon (Qinghai), von wo aus er, falls er sich keine „ernsten Konsequenzen“ einhandeln wollte, zur Rückkehr nach Sog gezwungen wurde.

Nonnen beim Exerzieren

Ohne irgendein Gesetz zu übertreten und nur meine mir zustehenden Rechte ausübend, war ich zum Studium nach Tsognon (Qinghai) gegangen. Doch am 13. Juli 2017 wurde ich unter Gewaltandrohung in meine Heimatstadt zurückbeordert. Man sagte mir, daß diejenigen, die nicht zurückkehrten, mit Sippenhaft rechnen müßten, daß also ihre Eltern und Geschwister inhaftiert würden. Den Kindern aus solchen Familien wird zudem die Aufnahme in eine Schule verweigert, und sie dürfen nicht den Raupenkeulenpilz (cordyceps sinensis) sammeln. Daher blieb mir nichts anderes übrig, als angesichts solch repressiver Anweisungen in meine Heimat zurückzukehren“.

Bei seiner Ankunft im Kreis Sog verbrachte ein Beamter des Staatssicherheitsbüros (SSB) den Mönch in ein neu errichtetes Trainingszentrum zur „Transformation durch Bildung“. Außer Kleidung, Handtuch, Zahnpasta und Zahnbürste durfte er nichts mitnehmen.

„Der Staatssicherheits-Beamte erklärte mir: ‚Die Einrichtung, in die Sie jetzt verlegt werden, ist eine Schule und kein Gefängnis’“.

Dem Mönch wurde jedoch bald klar, daß das Umerziehungszentrum in der Tat ein Gefängnis war und alles, was er dort an Bildung erhielt, lediglich Versuche waren, seinen Glauben an und seine Loyalität für das tibetische spirituelle Oberhaupt, S.H. den Dalai Lama, zunichte zu machen.

„Wir mußten einen Kurs besuchen. Der Unterricht bestand mehr als alles andere darin, uns zu züchtigen und S.H. den Dalai Lama schlecht zu machen. Um Gesetze und Bestimmungen ging es nur am Rande, so daß wir kaum Nutzen aus dieser Art von Rechtskunde zogen. Manchmal sahen die Sicherheitsleute wie ein Haufen launischer Kinder aus. Wenn man sieht, wie so eine mächtige Nation (China) sich in geheimgehaltenen Denunzierungskampagnen gegen einen alten im Exil lebenden Mönch (S.H. den Dalai Lama) ergeht, kommen einem gleichzeitig die Tränen und das Lachen“.

Der Unterricht fand auf Chinesisch statt. Er beinhaltete auch Selbstkritik im Stil der von den Chinesen in den ersten Jahren der Besatzung in den 50ern und während der Kulturrevolution abgehaltenen „Kampfsitzungen“:

„Während der Abendklassen wurden wir manchmal „Kampfsitzungen“ unterzogen, die Erinnerungen an 1959 wachriefen, und manchmal mußten wir exerzieren wie die Soldaten. Mir taten immer die älteren Mönche und Nonnen leid. Sie verstanden ja kein Chinesisch, und obendrein waren sie physisch schwach, weshalb sie von den Gefängnisaufsehern immer die meisten Schläge abbekamen“.

Nonnen in Uniform singen "rote Lieder"

Sexueller Mißbrauch, der sich vor allem gegen Nonnen richtet, ist in den Umerziehungszentren anscheinend weit verbreitet.

 „Öfters einmal verloren die Nonnen bei den Militärübungen das Bewußtsein. Manchmal brachten die Aufseher die bewußtlosen Nonnen dann nach innen, wo ich sah, wie sie ihre Brüste und ihren ganzen Körper begrapschten. Bei einem der Drills kollabierten Nonnen und verloren ihr Bewußtsein. Augenblicklich rannten die Umerzieher herbei, um die Nonnen hinein zu bringen. Wer weiß, was sie ihnen sonst noch antaten? Ich hörte jedoch, daß einige der Sicherheitsbeamten im Schlafzimmer der Nonnen lagen und die bewußtlosen Körper unter sich preßten“.

Alle Insassen mußten militärartige Uniformen tragen, die sie obendrein aus eigener Tasche zu bezahlen hatten. Eine Uniform kostete die Mönche 150 RMB. Der Bericht dieses Mönches bestätigt auch die Echtheit eines kurzen Videos von 2016 über tibetische Nonnen in militärartigen Uniformen, die ein populäres rotes Lied der offiziellen tibetischen Sopranistin Chinas, Tseten Dolma, singen (1).

„Als ich in das Zentrum kam, sah ich, wie einige Frauen in Uniformen herauskamen. Kaum hatten sie den mich begleitenden SSB-Beamten erblickt, rückten sie zusammen und setzten sich hin. Der SSB-Beamte sagte etwas zu ihnen, worauf die Frauen ‚Jawohl, Jawohl’ riefen. Das fand ich sehr seltsam. Später wurde mir klar, daß die Frauen in den Uniformen Nonnen waren“.

Das von den Nonnen in dem zuvor genannten Video gesungene rote Lied bildet einen wichtigen Teil des „Umerziehungskurses“ in dem Haftzentrum.

„Als der Mann gegangen war, fragten mich die Wachen nach meinem Namen und wo ich herkomme, und sie notierten alles. Dann fragten sie: ‚Glaubst Du an die Partei?’ Ich zögerte mit der Antwort, doch aus den Augenwinkeln heraus sah ich andere Insassen mir Warnzeichen geben. So sagte ich ‚Ja’. Mir wurde befohlen, die chinesische Nationalhymne auswendig zu lernen, ein chinesisches Lied und Tseten Dolmas ‚Die Sonne und der Mond sind die Töchter ein und derselben Mutter’. Die Wachen warnten mich, daß ich nicht so leicht davonkäme, wenn ich diese Lieder innerhalb der nächsten drei Tage nicht lernte“.

Screenshot aus dem Video

Die Insassen wurden auch gefoltert und anderer grausamer und herabwürdigender Behandlung unterzogen, etwa kollektiver Bestrafung, Nahrungsentzug, Schlafentzug, langem Stehen an der Wand und Schlägen.

„Einige wurden ausgesondert und so fürchterlich mit elektrischen Schlagstöcken traktiert, daß sie das Bewußtsein verloren. Die Wärter brachten die bewußtlosen Insassen wieder zu sich, indem sie ihnen Wasser ins Gesicht spritzten. Diese Bewußtseinsverluste und Wiederbelebungsversuche wechselten sich so eine Zeit lang ab, bis schließlich die Schergen ein schwarzes Plastikrohr nahmen, um die Nonnen zu schlagen und ihren ganzen Körper naß zu machen. Und dann schlugen sie einige zusätzlich mit elektrischen Schlagstöcken. Bald zeigten sich schwarze und blaue Flecken am Körper der Opfer, die inzwischen halbtot waren. Erstaunlich, daß selbst nach dieser Behandlung niemand gebrochene Knochen davontrug. Nach meiner Entlassung hörte ich jedoch von einigen Mönchen, denen durch die Schläge ihre Hände gebrochen worden waren.

Wenn auch nur ein Insasse irgendwelche Zeichen von Opposition erkennen ließ, und sei es auch nur ein geänderter Gesichtsausdruck, wurde allen Insassen das Essen entzogen. Deshalb hatten wir keine andere Wahl als zu schweigen. Selbst wenn alle vor Wut fast platzten, wagte niemand, es sich ansehen zu lassen. Später bekamen viele der Insassen ernste Herzkrankheiten, die nicht mehr geheilt werden konnten. Zum Frühstück bekamen wir tsampa und schwarzen Tee. Die tsampa war schrecklich abgestanden und voller Staub, Würmern und Steinchen. Aber eine andere Nahrung hatten wir nicht.

Das Essen dieser tsampa verdarb uns dermaßen den Magen, daß wir wiederholt zum Klo laufen mußten. Die Insassen durften jedoch nicht unbegrenzt oft die Toilette aufsuchen. Wir hatten daher Angst, diese tsampa zu essen, aber wir mußten es tun, sonst wären wir verhungert. Es gab Zeiten, wo wir in den von den Angestellten übrig gelassenen Essensresten in den Abfalleimern nach etwas Eßbarem suchten. Bald gewöhnten wir uns an die tsampa.

Manchmal weckten uns bei Nacht ein- oder zweimal laute Sirenen auf. Wenn jemand weiterschlief oder zu spät aufwachte, nachdem die Sirenen geheult hatten, wurde diese Person ausnahmslos mit Schlägen traktiert. Die Sirene war das Zeichen, unser Bettzeug auf den Kopf zu laden und es zu verstauen. Dann mußten wir eine, zuweilen auch zwei Stunden rennen. Schließlich begannen viele Insassen mit den Kleidern ins Bett zu gehen. Nur die Schuhe zogen sie aus.

Kurze Zeit nach dem Mittagessen mußten wir draußen vor unseren Zellentüren in der Sonne stehen. Wenn jemand eine Bewegung machte, dann schlugen die Wärter diese Person sofort. Wenn einer von uns sich bewegte, dann grinsten sie sogleich und kamen angeschossen, um uns zu schlagen. Es schien, als ob sie immer auf eine Gelegenheit warteten, jemanden zusammenzuschlagen.

Später einmal ließen sie mich etwa drei Stunden lang vor einer Mauer stehen. Aus den Augenwinkeln sah ich ein wenig nach rechts und links von mir, und auf dem Korridor im ersten Stock sah ich einige Männer und Frauen in Uniformen herumlaufen. Von Zeit zu Zeit schauten diese mich an. Es war ein zweistöckiges Gebäude, und ich war auf dem zweiten Stockwerk“.

Die Repressalien gegen die „Umerziehungs-Kandidaten“ endeten nicht einmal nach ihrer Entlassung. Zurück an ihren Heimatorten mußten sich alle ehemaligen Insassen bei ihren örtlichen Polizeistationen melden. An einigen Orten mußte man das täglich tun, an anderen alle drei Tage oder einmal in der Woche.

„Wenn wir antraten, dann zwangen uns die Polizisten, ihren Arbeitsplatz zu putzen, ihre Wäsche zu waschen und ihr schmutziges Geschirr zu spülen. Man schärfte uns immerzu ein, daß wir keine Mönchsroben mehr tragen, in kein Kloster mehr eintreten und uns auch nicht an einen anderen Ort begeben dürften. Wir dürfen nicht über unsere Kreisstadt hinaus reisen. Das Sicherheitsbüro nahm uns unsere Personalausweise ab. Bis jetzt erhielten wir sie nicht zurück.

Unter diesen Umständen leben wir fast ein Jahr und drei Monate und waren nicht in der Lage, unser Recht auf Freizügigkeit, auf Weiterbildung und Arbeit wahrzunehmen. Alles, was wir bekommen haben, nachdem wir ihre Anweisungen [sich gut zu benehmen] angehört haben, ist nur noch mehr Restriktion und Kontrolle, aber keinerlei Nutzen. Selbst das Atmen fällt einem schwer, wenn man unter solchen Bedingungen leben muß und solcher Rassendiskriminierung ausgesetzt ist“.

In seiner Kritik der gegenwärtigen chinesischen Politik in Tibet ruft der Mönch die chinesischen Behörden zu einer Politik der Gespräche auf als einem Mittel zur Lösung der Tibetfrage auf der Grundlage des vom Dalai Lama propagierten Mittleren Weges.

„Die Politik der Rassendiskriminierung wird die Kluft zwischen dem tibetischen und dem chinesischen Volk nur noch vertiefen. Wenn sie ‚ethnische Harmonie’ und ‚Einheit’ erreichen wollen, müssen sie ihre Politik der schamlosen Unmenschlichkeit ändern und Vertrauen zu dem von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama vorgesehenen Mittleren Weg, nämlich der Anbahnung von Gesprächen, aufbringen. Wenn sie die repressive Politik der Vernichtung der tibetischen Religion, Kultur und Sprache nicht aufgegeben, wird sich die Krise nur noch verschärfen. Überdies wird die Politik der gewaltsamen Enteignung des Landes der Nomaden, der Förderung der Zuwanderung einer großen Anzahl von Chinesen nach Tibet und der Zerstörung der Umwelt durch Bergbau den Schmerz, Unmut und Groll bei den Tibetern nur noch verstärken.

Die Tibeter sind menschliche Wesen und haben ein Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit, Bewegungsfreiheit, die Freiheit, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, Handel zu treiben und die Freiheit, Bildung zu erwerben. Ohne diese Freiheiten können die Herzen der Tibeter allein durch die wirtschaftliche Entwicklung niemals gewonnen werden. Wenn man uns die Bildungsfreiheit wegnimmt, dann ist das zweifelsohne eine repressive, barbarische und verabscheuungswürdige Politik.

Wir haben kein Verbrechen begangen und wurden dennoch festgenommen. Es fand kein ordentliches Gerichtsverfahren gemäß den Gesetzen des Landes statt. Und hätten wir tatsächlich etwas Illegales getan, laßt uns wissen, welche Gesetzesvorschrift wir dann übertreten haben sollen?“

Seit 2012 zwingen die chinesischen Behörden Mönche und Nonnen, die in verschiedenen Teilen von Amdo studieren, im Rahmen einer besonderen Politik der Kontrolle und des Umgangs mit der Mönchspopulation, an ihre jeweiligen Heimatorte in der TAR zurückzukehren. So wurden unlängst im Verlauf der teilweisen Demolierung des Buddhistischen Lehrinstituts Larung Gar die Mönche und Nonnen aus der Präfektur Nagchu (TAR) aus dem Institut ausgewiesen und gezwungen, in die TAR zurückzukehren. Als sie dort ankamen, wurden sie wochen- und monatelang ohne Zugang zu einem Rechtsweg in Umerziehungszentren festgehalten.

Diese illegalen Umerziehungszentren sind eine andere Form des gefürchteten Systems der „Umerziehung durch Arbeit“ (chin. liajiao), von dem die chinesische Regierung behauptet, sie habe es 2013 abgeschafft.

Das TCHRD ruft die chinesische Regierung auf, die Menschenrechte aller Tibeter zu garantieren, darunter auch die der Mönche und Nonnen, die widergesetzlich der Umerziehung unterzogen und denen ihre Personalausweise abgenommen wurden, und zwar sofort und bedingungslos. Wie in der chinesischen Verfassung und den internationalen Menschenrechtsgesetzen vorgesehen, haben die Tibeter das Recht, an einem Ort oder in einer Institution ihrer Wahl ihre Religion auszuüben und ihre Kultur und ihre Sprache zu pflegen.

Wenn es der chinesischen Regierung ernst ist mit der Rechtsstaatlichkeit, dann muß sie damit aufhören, die Gesetze im Hinblick auf ihre eigenen Interessen zu interpretieren und die Öffentlichkeit ihrer legitimen Rechte und Freiheiten zu berauben. Sie muß ihre repressive Politik einstellen und sich mit den der Unzufriedenheit und den Protesten in Tibet zugrundeliegenden Ursachen befassen.

Das TCHRD kann, um seine Person zu schützen, leider nicht den vollen Bericht des Mönches zur Verfügung stellen. Daher werden hier nur ausgewählte Auszüge veröffentlicht.

 (1) http://tchrd.org/wp-content/uploads/2018/05/nuns-in-re-education-centre.mp4?_=1