5. August 2019
Tibetisches Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD), www.tchrd.org

Im Namen der Internet-Sicherheit machen die chinesischen Behörden die freie Meinungsäusserung in Tibet zunichte

Die chinesischen Behörden veröffentlichten in der Autonomen Region Tibet (TAR) eine Bekanntmachung, in der sie Belohnungen von bis zu 300.000 Yuan (US$ 44.000) für die Anzeige von unerlaubten Online-Inhalten in Aussicht stellten, um im Rahmen ihrer „sozialen Überwachungsstrategie die Allgemeinheit zu mobilisieren, wirksam illegale und kriminelle Online-Inhalte zu verhindern und zu bekämpfen“.

Das Internetinformationsamt in der TAR, das Department für Öffentliche Sicherheit und die Kommunikationsabteilung gaben am 28. Februar 2019 eine diesbezügliche Bekanntmachung heraus. Diese Maßnahme, die einen großen Anreiz bietet, trat sofort vom Tag der Ankündigung an in Kraft. Die Behörden der TAR, die sich auf diverse chinesische Gesetze und Regelwerke wie die Verfassung, das Strafgesetz, das Sicherheitsverwaltungs-Strafgesetz, das Anti-Terror-Gesetz, das Netzsicherheits-Gesetz und den Beschluß des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses zum Schutz der Internet-Sicherheit berufen, erklärten, die in der Bekanntmachung enthaltenen Maßnahmen zur Schaffung von Anreizen seien im Hinblick auf die „aktuelle Lage in der TAR“ erforderlich.

Die Bekanntmachung verbietet die Verwendung von „Mitteln der Netzwerkkommunikation“, um „böswillige Offensiven gegen die KPC und die chinesische Regierung, das sozialistische System, die regionale ethnische Autonomie, die Partei und die Verwaltungspolitik in der TAR zu sammeln, herzustellen, herunterzuladen, zu veröffentlichen, zu verbreiten und publik zu machen“. Sie verbietet weiterhin „die Erfindung oder die absichtliche Verbreitung von Informationen, die dem Ansehen des Landes schaden, die Interessen des Landes ernstlich gefährden und die Geschichte der Partei, der Nation und der Armee entstellen“.

Weiterhin kriminalisiert die Bekanntmachung Informationen, welche „die Untergrabung der Staatsgewalt, den Umsturz des sozialistischen Systems und die Spaltung des Landes“ zum Inhalt haben.

Der Bekanntmachung zufolge handelt es sich bei den „Werkzeugen zur Netzwerkkommunikation“ um Computer, Mobiltelefone, Instant Messaging, Bildtelefone, tragbare Netzwerk-Geräte, usw. Und die Online-Inhalte, die überwacht werden, umfassen (sind aber nicht beschränkt auf) Worte, Bilder, Audio- und Videoaufzeichnungen, Zeichen, persönliche Informationen, Karikaturen usw.

Die Verwendung von Online-Banking und Online-Zahlungsmethoden, wie elektronische Schecks und Kreditkarten (so wie Alipay und WeChat), um Spenden an Organisationen und Personen zu schicken, die „mit ethnischen, separatistischen Kräften, extremistischen religiösen Kräften, gewalttätigen terroristischen Kräften“ im Kontakt stehen, wird ebenfalls kriminalisiert.

Die Bekanntmachung verbietet auch „die illegale Weitergabe von Informationen über politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche, militärische, religiöse und andere Staatsgeheimnisse oder nachrichtendienstliche Erkenntnisse an ausländische Organisationen, Institutionen und Personen“. Weitere verbotene Informationen betreffen „die Provozierung und Schaffung von ethnischen Konflikten“, „die Aufhetzung zu ethnischem Haß und zur Diskriminierung“, „die Provozierung und Anstiftung zu Feindseligkeit, Konfrontation und Konflikten unter den verschiedenen Glaubensrichtungen und religiösen Ideologien“.

Netzbürger, die Kommunikationswerkzeuge verwenden, um „im Namen von Gemeinwohl, Umweltschutz, Bildung, Medizin und Armutsbekämpfung oder um die Partei- und Regierungspolitik zu verzerren und anzugreifen, illegale Zusammenschlüsse organisieren oder bilden“, werden ernsten Konsequenzen entgegensehen. In ähnlicher Weise verbietet die Bekanntmachung das Internetsurfen, die Verbreitung, das Herunterladen und Speichern von Informationen, die von Organisationen und Personen veröffentlicht wurden, die „mit in- und ausländischen separatistischen Kräften, religiösen extremistischen Kräften und gewalttätigen terroristischen Gruppen“ in Verbindung stehen.

Online-Aktivitäten und andere Kommunikationsmethoden wie das Telefonieren unterliegen ohnehin schon scharfen Restriktionen in Tibet. Die chinesischen Behörden greifen schon lange zu Überwachung und Zensur von Online-Inhalten, um Dissens und Kritik an der Regierungspolitik zu unterdrücken. Doch diese neueste Bekanntmachung erscheint im Zusammenhang mit dem derzeitigen landesweiten Feldzug zur Ausmerzung von „schwarzen und bösen Kräften“ und dem immer enger werdenden Spielraum für freie Meinungsäußerung, freies Denken und Informationsweitergabe besonders gewichtig.

Die chinesischen Behörden messen diesen angeblichen Vergehen großes Gewicht zu, da sie eine Bedrohung für die Stabilität der chinesischen Nation in ihnen sehen. Viele der in der Polizeibekanntmachung der TAR vom Januar 2018 zur Ausmerzung von „organisierten Verbrechen“ aufgezählten kriminellen Aktivitäten, die nur vage definiert sind, werden auch in der jetzigen Bekanntmachung aufgeführt, was auf die Verknüpfung dieser zwei auf den ersten Blick separaten Maßnahmen hinweist.

2018 stellte das Büro für Öffentliche Sicherheit der TAR Belohnungen von bis zu 100.000 Yuan (US$ 15.600) in Aussicht. Dies ist ein Riesenunterschied zu der kolossalen Summe von 300.000 Yuan, die in der jetzigen Bekanntmachung angeboten wird, was zeigt, daß die KPC der Kenntnis von angeblichen illegalen Aktivitäten große Wichtigkeit beimißt.

Darüber hinaus beinhaltet die jetzige Bekanntmachung unklare und sehr dehnbare „Verbrechen“ wie „die Ablehnung von Chinas territorialen Ansprüchen auf Tibet“, „die Beteiligung an separatistischen Aktivitäten“, „die Befürwortung des Mittleren Weges“, das „Eintreten für die Muttersprache“, die „Benutzung der Religion, um sich in die Administration auf Basisebene oder das Bildungswesen einzumischen“, die denen in der Bekanntmachung von 2018 ähneln.

Diese vage definierten „Verbrechen“ geben den chinesischen Behörden noch mehr Spielraum, um Personen zu verfolgen, die friedlichen Widerstand leisten oder an der repressiven Regierungspolitik Kritik üben. Im Namen der „allgemeinen Überwachungsstrategie“ versuchen die Behörden, aus den Bürgern Spitzel für die Regierung zu machen, denn mit den gebotenen Anreizen verlocken sie die Tibeter, sich gegenseitig anzuzeigen. Das ist gerade einmal ein Beispiel für die Schaffung eines Polizeistaates in Tibet.