12. November 2022

Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD), www.tchrd.org

Die Verfolgung tibetischer Buddhisten, weil sie ihren spirituellen Lehrern spendeten, ist eine Verletzung der Religions- und Glaubensfreiheit

Das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) verurteilt aufs Schärfste die jüngste Verhaftung von vier Tibetern, darunter einer älteren Frau, lediglich weil sie der tibetisch-buddhistischen Praxis folgend tibetischen spirituellen Lehrern oder Lamas finanzielle Opfergaben darbrachten.

Geshe Rachung Gendun

Dem TCHRD vorliegende Informationen bestätigen die Verurteilung der beiden tibetischen Mönche Rachung Gendun und Sonam Gyatso zu drei bzw. zwei Jahren Gefängnis im Juli dieses Jahres. Beide waren Mönche aus dem örtlichen Kloster Kirti im Kreis Ngaba in der Autonomen Präfektur der Tibeter und Qiang in der Provinz Sichuan (tibetische Provinz Amdo). Sie werden im Gefängnis von Mianyang bei Chengdu festgehalten.

Geshe Rachung Gendun

Die Verurteilung der Mönche erfolgte, nachdem die örtlichen chinesischen Behörden durch die Überwachung ihrer Mobiltelefone erfahren hatten, daß sie finanzielle Opfergaben an Seine Heiligkeit den Dalai Lama und Kirti Rinpoche, das Exiloberhaupt des Klosters Kirti in Indien, geschickt hatten.
Rachung Gendun und Sonam Gyatso, beide Inhaber des Geshe-Titels (des höchsten akademischen Grades im tibetischen Buddhismus), wurden im April 2021 verhaftet und blieben bis zu ihrer Verurteilung an einem unbekannten Ort eingesperrt. Geshe Rachung Gendun, gebürtig aus dem Nomadendorf Meuruma im Kreis Ngaba, wurde in der Nacht zum 1. April plötzlich von der chinesischen Polizei an seinem Klostersitz festgenommen. Danach war er drei Monate lang verschwunden.

Geshe Sonam Gyatso

Geshe Sonam Gyatso, gebürtig aus dem Nomadendorf Lhadhe Gabma im Kreis Ngaba, wurde in der Nacht zum 3. April von der chinesischen Polizei in der Stadt Chengdu, wo er sich zu diesem Zeitpunkt aufhielt, festgenommen. Er wurde über ein Jahr lang ohne Kontakt zur Außenwelt in einer Haftanstalt in der Nähe der Präfekturhauptstadt Barkham (chin. Ma'erkang) festgehalten.

Aufgrund der langen Zeit der Untersuchungshaft besteht große Sorge um die Gesundheit und das Wohlergehen der Mönche. Quellen berichteten dem TCHRD, daß die Mönche rigorosen Verhören unterzogen wurden. Insbesondere während der Untersuchungshaft ist es gängige Praxis der chinesischen Polizei, Folter und andere unmenschliche Methoden anzuwenden, um Geständnisse zu erzwingen und den Geist jener Tibeter zu brechen, die sich vermeintlicher Verbrechen schuldig gemacht haben.

Geshe Sonam Gyatso

Tsering Lhamo, die ältere Schwester von Geshe Sonam Gyatso, die früher in einer Bank in Ngaba arbeitete, wurde vor mehr als einem Jahr festgenommen. Ihr Zustand und ihr Status sind weiterhin unbekannt.

Dolma Kyi, 68 Jahre alt und wohnhaft im Kreis Ngaba, wurde im Oktober dieses Jahres 20 Tage lang inhaftiert, ehe sie zu einer Geldstrafe von 30000 chinesischen Yuan (ca. 4000 US-Dollar) verurteilt wurde, weil sie Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama über eine dritte Person finanzielle Zuwendungen zukommen ließ. Ihr wurde das Recht auf eine medizinische Grundversicherung für fünf Jahre entzogen, und ihr Personalausweis wurde für fünf Jahre auf eine schwarze Liste gesetzt. Die örtlichen chinesischen Behörden untersagten ihren Familienmitgliedern während ihrer Inhaftierung, einen Rechtsbeistand zu engagieren.

Dolma Kyi wird derzeit in einem Krankenhaus behandelt. Sie steht unter strenger Überwachung und darf keinen Kontakt zu ihren Familienangehörigen aufnehmen. Die Zeit in der Haft hat ihren Gesundheitszustand eindeutig verschlimmert, darunter eine Herzerkrankung sowie neurologische und Nierenprobleme. Kyis Familienangehörige sind aufgrund der derzeitigen Einschränkungen nicht in der Lage, sich über ihren Gesundheitszustand zu informieren.

Die Verstöße gegen das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit in Tibet sind seit Jahrzehnten dokumentiert. In jüngster Zeit haben die chinesischen Behörden in tibetischen Gebieten außerhalb der Autonomen Region Tibet, wie z. B. in Ngaba, die Beschränkungen für die Zurschaustellung von Fotos des Dalai Lama und die Kommunikation mit außerhalb Tibets lebenden Tibetern verschärft. Das strenge Vorgehen gegen tibetisch-buddhistische Gläubige, die ihren außerhalb Tibets lebenden Lamas religiöse Opfergaben schicken, trifft den Kern einer der wichtigsten Praktiken des tibetischen Buddhismus. Es besteht die Gefahr, daß die spirituellen Bande zwischen einem Lama und einem Schüler zerrissen werden und einem religiösen Gläubigen das Recht verwehrt wird, spirituellen Trost oder geistiges Wohlergehen zu suchen.

In den oben erwähnten Fällen von Inhaftierung haben tibetische Gläubige gemäß den uralten Praktiken des tibetischen Buddhismus Geldopfer in Form von Kyab-ten und Ngo-ten dargebracht. Sie tun dies, um eine karmische Verbindung mit einem bestimmten Lama herzustellen. Geldopfer helfen dabei, die Arbeit eines Lamas auf praktische Weise zum Nutzen aller Wesen zu ermöglichen. Die Kyab-ten-Darbringungen werden in der Regel gemacht, um Schutz vor Schaden oder die Beseitigung von Hindernissen im Allgemeinen zu erbitten. Bei Ngoten bringen die Verwandten, Kinder oder Freunde einer verstorbenen Person Geld oder Besitztümer des Verstorbenen dar, die einem Lama übergeben werden, damit er für diese Person bete.

Nach der Erklärung der Vereinten Nationen zur Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Weltanschauung umfaßt das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit unter anderem die Freiheit, „die notwendigen Gegenstände und Materialien, die mit den Riten oder Gebräuchen einer Religion oder Weltanschauung zusammenhängen, herzustellen, zu erwerben und in angemessenem Umfang zu verwenden“; „freiwillige finanzielle und andere Beiträge von Einzelpersonen und Institutionen zu erbitten und entgegenzunehmen“; „auf nationaler und internationaler Ebene mit Einzelpersonen und Gemeinschaften in Religions- und Glaubensangelegenheiten in Verbindung zu treten und diese aufrechtzuerhalten.“

Das TCHRD fordert die sofortige Rücknahme aller Anklagen gegen Geshe Rachung Gendun und Geshe Sonam Gyatso und ihre Freilassung aus der ungerechtfertigten Inhaftierung. Wir sind sehr besorgt über den Verbleib und den Zustand von Tsering Lhamo, die ohne Auflagen freigelassen werden sollte. Lhamos Familienangehörige müssen über ihren Aufenthaltsort informiert werden, und es muß ihnen gestattet werden, sich unverzüglich mit ihr zu treffen. Chinesische Beamte, die für die willkürliche Inhaftierung von Dolma Kyi verantwortlich sind, müssen für ihre Rolle bei der verlängerten Inhaftierung von Kyi ohne Beweis vor Gericht gestellt werden. Im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen müssen die chinesischen Behörden das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Glaubensfreiheit des tibetischen Volkes garantieren.