7. April 2003
Ansprache von Norzin Dolma, Tibetan Centre for Human Rights and Democracy, an die UN-Menschenrechtskommission
59. Sitzung, Punkt 10

Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte

Verehrte Frau Vorsitzende, ich mache diese Aussage im Namen der "International Fellowship of Reconciliation" (IFOR).

Die internationale Gemeinschaft begrüßte es, daß die VR China den ICESCR (International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights) ratifizierte, doch die chinesischen Behörden respektieren weiterhin nicht das Recht des tibetischen Volkes auf die Bewahrung seiner kulturellen, religiösen und nationalen Identität. Um nur einen Aspekt davon zu nennen, möchte ich auf den Zustand des Bildungswesens in Tibet hinweisen. Der verstorbene Dungkar Lobsang Trinley, einer der führenden Intellektuellen Tibets, sagte einmal: "Die Tibeter laufen Gefahr, ihre kulturelle Eigenständigkeit zu verlieren, wenn es nicht in allen Lebensbereichen gebildete Menschen gibt, die sich in ihrer eigenen Sprache ausdrücken können. Und diesen Punkt haben wir jetzt erreicht."

In einem der chinesischen Weißbücher von 2001 war die Rede von der großen Bedeutung, die nunmehr dem Recht auf das Studium, die Verwendung und die Entwicklung der tibetischen Sprache beigemessen wird. Unabhängige Studien und Berichte von Flüchtlingen enthüllen jedoch, daß es in Tibet keine nennenswerte Entwicklung im Erziehungswesen gibt. Das UNDP (United Nations Development Programme) stellte fest, daß der Bildungsindex für Tibet der niedrigste unter den 31 Provinzen des heutigen Chinas ist. Ebenso steht Tibet, was die Gesamtschülerzahl und den Prozentsatz der des Lesens und Schreibens kundigen Erwachsenen angeht, an letzter Stelle.

Verehrte Frau Vorsitzende, in Wirklichkeit haben es die Chinesen mit ihrer Erziehungspolitik in Tibet darauf abgesehen, den Kindern die Liebe zum Kommunismus und zum "Mutterland" anzuerziehen, wobei gleichzeitig ihre Abkehr vom tibetischen Nationalgefühl gefordert wird. Der Lehrplan an den Schulen höhlt das Wesen der tibetischen Sprache, Literatur und Kultur aus, denn er basiert auf der marxistischen Auslegung der Geschichte, welche die Kulturen als auf verschiedenen Entwicklungsstufen stehend wahrnimmt. Dieser Lehrplan, dem zufolge hauptsächlich in der Standard-Sprache, nämlich dem Mandarin-Chinesisch, unterrichtet wird, und der ungeachtet der ethnischen Zusammensetzung einer Region in ganz China zwingend ist, schafft allgemein kein Umfeld, in dem tibetische Kinder ihre Kultur, Sprache oder Geschichte als etwas von Wert wahrnehmen würden. Chinesisch ist vorwiegend zur Geschäfts- und Verwaltungssprache in Tibet geworden - eine Entwicklung die, wie viele Beobachter festgestellt haben, besorgniserregende Auswirkungen auf die tibetische Kultur hat. Tibetischen Studenten wird die chinesische Version der tibetischen Geschichte und die chinesische Weltsicht beigebracht, während ihnen das Wissen über ihre eigene unabhängige Geschichte vorenthalten wird. Offiziellen Statistiken zufolge sind 42% der Menschen in Tibet totale oder halbe Analphabeten. Der Prozentsatz an vollständigem oder partiellem Analphabetentum liegt in manchen Gegenden bei bis zu 90%. Heutzutage sind tibetische Kinder in hohem Maße benachteiligt, was den Zugang zu Erziehungsmöglichkeiten betrifft, denn schätzungsweise 85% der Eltern wohnen auf dem Lande, und haben ein so geringes Einkommen, daß sie ihren Kindern den Luxus des Besuchs der Schulen, in denen hohe Gebühren verlangt werden und die weit entfernt liegen, nicht erlauben können.

Verehrte Frau Vorsitzende, um es kurz zu sagen: Ungeachtet wie viele Institutionen die chinesische Regierung seit 1959 wirklich in Tibet geschaffen hat, ihr alles überragendes Bildungsziel für Tibeter war schon immer die Heranbildung von Bürgern, die gegenüber Peking politisch loyal sind. Das kommt in einer Rede von Chen Kuiyuan, dem früheren kommunistischen Parteisekretär in der sogenannten Autonomen Region Tibet deutlich zum Ausdruck, wenn er sagt: "Der Erfolg unserer Bildungspolitik liegt nicht in der Anzahl von Diplomen, die den Absolventen der Universitäten, Colleges und höheren Schulen ausgestellt werden. Nein, er liegt vielmehr darin, ob diese der Dalai-Clique (gemeint ist die Tibetische Regierung-im-Exil) Widerstand leisten oder ihr Herz an sie verloren haben, und ob sie unserem hehren Mutterland und der großen Sache des Sozialismus treu sind oder ihnen gleichgültig gegenüberstehen."

Letztendlich bedauern wir es tief, daß die VR China immer noch nicht ihren ersten Bericht bei der CESCR (Kommission für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte) eingereicht hat, der am 30. Juni 2002 fällig gewesen wäre. Gleichermaßen beunruhigend ist das Versäumnis Pekings, seinen zweiten periodischen Bericht der CRC (Übereinkunft über die Rechte des Kindes) zu unterbreiten, der am 31. März 1999 fällig gewesen wäre.

Verehrte Frau Vorsitzende, ich danke Ihnen.