28. Oktober 2003
Aus: World Tibet News

Amnesty International weist vor dem EU-China-Gipfeltreffen auf die fortgesetzte Unterdrückung Tibets hin

Gemäß Amnesty International fuhren die Chinesen während der vergangenen Monate fort, abweichende politische Meinungen ebenso wie die Glaubensfreiheit zu unterdrücken, obwohl es Anzeichen für einen zögernden tibetisch-chinesischen Dialog gab. Im neuen Bericht über die Menschenrechte in China vom 28. Oktober 2003 äußert Amnesty Besorgnis über die anhaltende Verweigerung des Rechts auf Rede- und Versammlungsfreiheit in Tibet, sowie über die große Anzahl von buddhistischen Mönchen und Nonnen, die als Gewissensgefangene inhaftiert sind.

Es folgt der Text des Tibet betreffenden Teil des Berichtes von Amnesty International (nicht-autorisierte Übersetzung):

Autonome Region Tibet (TAR): Trotz der vorzeitigen Entlassung einiger Gewissensgefangener im Jahr 2002 und erster Anzeichen eines behutsamen Dialogs zwischen den chinesischen Behörden und der tibetischen Regierung-im-Exil hielt während der letzen Monate die Unterdrückung abweichender politischer Meinungen sowie der Glaubensfreiheit in der TAR und in den tibetischen autonomen Regionen in den Provinzen Sichuan und Gansu unvermindert an. Seit Anfang 2003 wurden mehrere Personen festgenommen und nach unfairen Prozessen in Haft gehalten, nur weil sie ihre politische und religiöse Auffassung zum Ausdruck gebracht hatten. In den meisten Fällen äußert sich die chinesische Regierung weder zu den Anklagepunkten, noch gibt sie über den Verbleib, den legalen Status oder den Gesundheitszustand der Gefangenen Auskunft.

Zwei Mönche aus dem Kloster Kunchok Labrang Tashikyel in der Kanlho TAP, Provinz Gansu, Jigme Jamdrup (Jigme Jamtruk) (37) und Kunchok Jamyang (Kunchok Choephel Labrang) (40), wurden im April 2003 wegen des Besitzes von Broschüren mit Reden des Dalai Lama verhaftet. Berichten zufolge wurde Jigme Jamdrup am 23. April 2003 gegen Kaution entlassen, während sich Kunchok Jamyang weiterhin in Haft befindet. Sein gegenwärtiger Aufenthaltsort und sein legaler Status sind nicht bekannt. Beide Mönche gelten als politische Aktivisten und standen bereits seit den frühen neunziger Jahren unter scharfer Beobachtung. Jigme Jamdrup wurde 1995 wegen des Anbringens von Plakaten mit Slogans wie "Erhebt Euch, Tibeter!" verhaftet und wegen "Volksverhetzung durch konterrevolutionäre Propaganda" zu zwei Jahren Haft verurteilt. Kunchok Jamyang wurde im Jahr 1995 ebenfalls für drei Monate festgehalten, weil er sich politisch engagiert hatte; Berichten zufolge wurde er im Gefängnis mehrmals geschlagen.

Über 100 Tibeter, vorwiegend Mönche und Nonnen, verbleiben unter absoluter Nichtachtung ihrer grundlegenden Menschenrechte in Haft. Viele von ihnen werden immer wieder gefoltert, und zu ihren Haftbedingungen gehören häufig grausame, unmenschliche oder demütigende Behandlung. Zu diesen Gefangenen gehört auch Phuntsog Nyidron, eine buddhistische Nonne, die im Gefängnis ist, weil sie an einer friedlichen Demonstration in Lhasa teilgenommen hatte, in der die Unabhängigkeit für Tibet gefordert wurde. Sie wird weiterhin im Distriktsgefängnis Nr. 1 der TAR (gemeinhin als Drapchi-Gefängnis bekannt) gefangengehalten, wo sie Berichten zufolge der Folter und schlechter Behandlung mit häufigen Schlägen ausgesetzt war sowie in Einzelhaft kam. Ihre Strafe wurde um acht Jahre verlängert, nachdem sie und weitere 13 Nonnen, darunter auch ihre damalige Zellengenossin Ngawang Sangdrol, heimlich Unabhängigkeitslieder aufgenommen hatten, die danach aus dem Gefängnis geschmuggelt worden waren. Ihre 17-jährige Haftstrafe wurde später um ein Jahr reduziert; ihre Entlassung ist nun für März 2005 vorgesehen. Laut Ngawang Sangdrol ist der Gesundheitszustand von Phuntsog Nyidron auf Grund der erlittenen Folter und mangelhafter medizinischer Versorgung sehr schlecht. Sie fällt häufig in Ohnmacht und leidet unter Erbrechen und Depressionen.

Amnesty International ist weiterhin besorgt über die infolge des aufgeschobenen Todesurteils gegen Tenzin Delek Rinpoche und der Hinrichtung von Lobsang Dhondup im Januar 2003 von Repression und Einschüchterung geprägte Atmosphäre in der TAP Kardze, Provinz Sichuan. Berichten zufolge wurden in den vergangenen Monaten immer wieder Menschen festgenommen und verhört, weil sie sich in Grüppchen versammelt und den Fall besprochen hatten.

Infolge der im Mai 2003 erfolgten zwangsweisen Abschiebung tibetischer Flüchtlinge aus Nepal wächst bei Amnesty International die Besorgnis über die Sicherheit von tibetischen Asylsuchenden in den Nachbarländern. Am 31. Mai 2003 wurden 18 Asylsuchende unter Mißachtung des internationalen Flüchtlingsrechts und der Menschenrechte in einer Gemeinschaftsaktion von nepalesischen und chinesischen Behördenvertretern unter Zwang von Nepal nach China deportiert. Die 18 Menschen gehörten einer Gruppe von insgesamt 21 Tibetern an, 11 davon waren unter 18 Jahren; sie waren Mitte April 2003 von der Polizei verhaftet worden, nachdem sie die nepalesische Grenze von Tibet aus überschritten hatten. Sie wurden beschuldigt "illegal" in Nepal eingedrungen zu sein und wurden zu bis zu 10 Monaten Haft verurteilt, da sie nicht in der Lage waren, die von den nepalesischen Behörden verhängten Geldstrafen zu bezahlen. Mindestens acht Gefangene waren krank, Berichte zufolge wurde ihnen der Zugang zu angemessener ärztlicher Behandlung verweigert.

Augenzeugen berichteten über die enge Zusammenarbeit der chinesischen mit den nepalesischen Behörden im Verlauf der Aktion. So wurden die 18 Tibeter von nepalesischen Beamten aus dem Gefängnis geschleift, in einen Bus mit verdecktem Nummernschild verladen und von chinesischen sowie nepalesischen Beamten zur Grenze begleitet. Ein chinesisches Polizeifahrzeug wartete auf der nepalesischen Seite, von wo aus die 18 in einem chinesischen Auto zur anderen Seite gebracht wurden.

Das UNHCR hatte öffentlich erklärt, daß es sich der Flüchtlinge annehmen und ihre jeweiligen Fälle prüfen wolle, doch wurde seinen Vertretern der Zugang zu ihnen verwehrt. Gemäß dem UNHCR handelt es sich bei einer Abschiebung vor Klärung des tatsächlichen Status der Flüchtlinge um eine klare Verletzung internationaler Rechtsnormen.

Wie verlautet, wurden die 18 Asylsuchenden nach der Abschiebung in eine Haftanstalt in Shigatse in der südlichen TAR eingeliefert. Berichten zufolge soll der Gouverneur der TAR im August 2003 gesagt haben, daß alle Häftlinge freigelassen worden seien und man ihnen gestattet habe, "zu ihren Höfen und Herden zurückzukehren".