10. Oktober 2004
Aus: World Tibet News

Sozial engagierter Buddhismus

Odyssey, 9. Oktober 2004 - Im Laufe des letzten Jahrhunderts haben politische Ereignisse dazu geführt, dass die Frage der Menschenrechte den ersten Platz auf der Tagesordnung für Buddhisten und Buddhismus in Asien eroberte. Renato Palmi von der Tibetgesellschaft Südafrika berichtet.

Die chinesische Invasion in Tibet, der ethnische Konflikt in Sri Lanka und die Militärdiktatur in Burma haben alle drei den Buddhismus mit Erfahrungen von Menschenrechtsverletzungen aus erster Hand versorgt.

"Sozial engagierter Buddhismus" ist ein neues Konzept, das im Westen von Anhängern des Buddhismus entwickelt wurde. Er bedeutet eine persönliche Verpflichtung überall dort, wo es Konflikte gibt, mit friedlichen Mitteln Frieden zu schaffen.

Viele Westler, die Tibetischen Buddhismus ausüben, können nicht oder wollen bewußt nicht die Notlage des Tibetischen Volkes und die Erhaltung des Tibetischen Buddhismus als ein miteinander verbundenes Problem erkennen. In einer Botschaft an die Buddhisten in aller Welt sagte der Dalai Lama bei seinem Besuch in Südafrika 1999:

"Wandel findet nur durch Taten statt. Offen gesagt, nicht durch Gebet und Meditation, sondern durch Aktivität."

Unglücklicherweise sind seine Worte auf viele verschlossene oder taube Ohren gefallen. Tibet war und ist möglicherweise noch die wichtigste Quelle für buddhistische Lehren. Es ist Ironie, zu denken, dass es der chinesische Einmarsch in Tibet 1950, die erzwungene Flucht des Dalai Lama und die fortgesetzte Flucht vieler Tausend seiner Leute aus ihrer Heimat waren, die es uns leicht gemacht haben, Zugang zu den tibetisch-buddhistischen Lehren zu finden.

Die Position des Dalai Lama als Führer einer Gemeinschaft im Exil hat ihn gezwungen sich in einer Welt zurecht zu finden, die sehr anders ist als die traditionelle buddhistische Gesellschaft, in die er hineingeboren wurde. Alle Tibeter betrachten ihn als Schlüsselfigur in ihrem Kampf um Freiheit. Er hat sich der Herausforderung gestellt und wurde nicht nur zum prominentesten Fürsprecher für die Sache Tibets, sondern auch ihr wichtigster Theoretiker. Als Buddhistischer Führer glaubt er, dass er für alle fühlenden Wesen Verantwortung trägt, aber er sagt, dass ein Großteil seiner Energie auf die Sache Tibets konzentriert ist, und er ermuntert westliche Buddhisten, sich auf die gleiche Weise wie er aktiv für diese Sache zu engagieren, das heißt, dem "mittleren Weg" der Gewaltlosigkeit zu folgen.

In einer Rede vor Buddhisten in Amerika sprach der Dalai Lama eine direkte Bitte aus:
"Als buddhistisch Praktizierende sollten Sie die Notwendigkeit, den tibetischen Buddhismus zu bewahren, verstehen. Für das Land, das Land Tibet, ist dies entscheidend. Wir haben nach besten Kräften versucht die tibetischen Traditionen außerhalb Tibets zu bewahren, aber schließlich gibt es eine echte Gefahr, dass sie außerhalb unseres Heimatlandes, das sie schützt und nährt, nicht überleben werden. Deshalb, um der Bewahrung des tibetischen Buddhismus willen, der als vollständige Form des Buddha Dharma betrachtet werden kann, ist das heilige Land Tibet von entscheidender Bedeutung. Wir kommen nicht darum herum Verantwortung zu übernehmen und zu versuchen die politische Lage in Tibet zu verbessern."

Man sollte westlichen Buddhismus-Praktizierenden klar machen, dass, während sie die Freiheit haben mit ihrer Dharmapraxis fortzufahren, die Tibeter in Tibet dies nicht können. Um dieser unterdrückten Tibeter willen müssen westliche Buddhisten soziales Engagement in Menschenrechtsfragen und –aktivitäten entwickeln.

Als Tibet-Aktivist stelle ich oft die folgende Frage: "Stell dir vor eine/r der (anderen) großen Meister/innen wäre noch bei uns und er/sie und sein/ihr Volk müssten aus ihrem Heimatland fliehen, um ihren Glauben in Frieden ausüben zu können, während sie gleichzeitig alles versuchen, um für die Besetzung ihres Heimatlandes eine Lösung zu finden. Stell dir dich selbst in einem fernen Land vor, wie du dem Glauben dieses Meisters/dieser Meisterin in Ruhe und Frieden folgst – würdest du nicht den Wunsch haben dem Meister deines Glaubens auf jede nur mögliche Weise zu helfen und zu dienen?

Daher denke das nächste Mal, wenn du meditierst, an jene tibetischen Mönche und Nonnen, die im Gefängnis sitzen, gefoltert oder getötet werden, nur weil sie ihrem Glauben nachgehen. Dann, ich bitte dich inständig, setze diese liebenden Gedanken in die Tat um und verpflichte dich ein/e sozial engagierte/r Buddhist/in zu werden.

Übersetzung: Gesine Belser, Nürnberg