10. Juni 2008
World Tibet Network News, http://www.tibet.ca

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In dem von Polizeitruppen belagerten Kloster Kirti hielten die Mönche Gebetszeremonien für die Opfer der Erdbebenkatastrophe ab

Selden, ein im Exil in Dharamsala lebender Mönch erhielt spät abends am 15. Mai einen Anruf aus dem Kloster Kirti in Sichuan, also aus der Gegend, wo das verheerende Erdbeben Zehntausende Opfer gefordert hatte.

Die Person am anderen Ende berichtete Selden, die monastische Gemeinschaft in Kirti habe die chinesischen Behörden um Erlaubnis ersucht, für all die vielen Chinesen, die durch die Katastrophe großes Leid erfuhren, Gebete rezitieren zu dürfen.

Seit dem 6. März ist das Kloster Kirti von einer großen Zahl chinesischer Sicherheitskräfte umstellt. Der dortigen tibetischen Bevölkerung ist seit den Demonstrationen im März, an denen Tausende von Mönchen teilnahmen und auf die hin Massenverhaftungen erfolgten, der Zutritt zu dem Kloster verwehrt. Für ein paar Tage war Kirti zu einem Leichenhaus für 15 Tibeter geworden, die von den chinesischen Polizeitruppen erschossen wurden, weil sie friedlich demonstriert hatten. In den folgenden Tagen fielen Dutzende weiterer Demonstranten den Schüssen der Sicherheitskräfte zum Opfer.

Zwei Wochen später, nachdem Bilder der bei den Protesten Getöteten in die Außenwelt gelangt waren, stürmten Truppen der Bewaffneten Volkspolizei und Beamte des Büros für Öffentliche Sicherheit das Kloster und durchsuchten die Quartiere der Mönche. Dabei verunstalteten sie Bilder des Dalai Lama – für die tibetischen Mönche ein unglaublicher Frevel!

Und in einer solchen Atmosphäre äußerten die Mönche von Kirti ihre bescheidene Bitte, für die chinesischen Erdbebenopfer Gebete rezitieren zu dürfen. Seit März ist es den Mönchen von Kirti nämlich nicht mehr gestattet, ihre täglichen buddhistischen Rituale auszuführen, aber am 15. Mai gab es eine Ausnahme und sie erhielten eine Sondergenehmigung. Die Mönche begannen den Tag mit einer Gebetszeremonie und sammelten Spenden bei den Gläubigen. Sie schrieben auch Beileidsbriefe an die Hinterbliebenen und Leidtragenden.

Die Mönche des im Bezirk Ngaba in Amdo gelegenen Klosters richteten dabei die folgende Botschaft an das chinesische Volk:

„An alle mitfühlenden Wesen und an all jene, die für das Wohl anderer wirken, wo auch immer sie sein mögen, an alle mitfühlenden Wesen, die von einer Mutter geboren wurden, an alle Mönche, die ihrem Leben einen Sinn geben. An alle fortschrittlichen Länder dieser Welt, und an alle Bildungseinrichtungen, sowie an all jene, die das Gesetz von Ursache und Wirkung (Karma) respektieren und Glauben an die Religion haben. Ich habe eine aus tiefstem Herzen kommende Botschaft an euch:

1. Am 12. Mai um 14:28 Uhr hat sich ein schweres Erdbeben in China ereignet, von dem die Provinz Sichuan und weitere Gegenden betroffen sind, und das zu Zehntausenden von Toten, Verletzten und zu großem Leid führte. Viele schrieen in ihre Mobiltelefone, sie seien verschüttet worden. Es ist noch nicht bekannt, wie viele von denen, die verschüttet wurden, noch am Leben sind. Im Bezirk Lungu waren alle Straßen zerstört, so daß es für Fahrzeuge unmöglich war, hindurchzugelangen. Diese Gebiete waren nur mit Flugzeugen oder Helikoptern zu erreichen. Angesichts einer derart großen Zerstörung erbitte ich die Erlaubnis, alles tun zu dürfen, was erforderlich und geeignet ist, um den Notleidenden zu helfen.

2. Ich bitte um die Erlaubnis, dafür wirken zu dürfen, daß die Verstorbenen ohne Furcht ihren Körper verlassen können, daß sie kein Leid in ihrem nächsten Leben erfahren und daß sie in Ländern wiedergeboren werden, die friedliebend und wohlhabend sind. Ich bete darum, daß die Traurigkeit all jener, die überlebt haben, bald verfliegen möge; und dafür, daß alle Verletzten von ihren Schmerzen und aus allen widrigen Situationen befreit werden und wieder ein glückliches Leben führen mögen.

So wie Lama Tsong Khapa sagte: ‚Allen, die mich beleidigen und zu anderen über meine beschämenden Taten sprechen, möge ich ohne Haß vergeben und nur in positiver Weise von ihnen sprechen’. Ich bitte darum, religiöse Zeremonien abhalten zu dürfen, wenn es möglich ist; falls nicht, so bitte ich darum, wenigstens Mantras wie OM MANI PEME HUNG (das Mantra des Buddhas des Mitgefühls) für den größtmöglichen Nutzen der Notleidenden und für all diejenigen, die verstorben sind, sprechen zu dürfen.

3. Wie kann vollkommene Freiheit erlangt werden? Wie kann man ein gutes Klima zurückgewinnen? Wie kann man wohlhabend sein? Wie kann man dem Leben wieder Glück verleihen? Wie können Krankheiten, Kriege, Armut und Naturkatastrophen vermieden werden? Alle gebildeten Menschen und alle politischen Führer aller Länder auf der Welt sollten eingehend über all diese Fragen beraten. Und alle religiösen Führer dieser Welt sollten intensiv beten.

4. Diese Nachricht wurde am 15. Mai 2008 von 3000 Mönchen des Klosters Ngaba Kirti im südlichen Amdo verfaßt, in der Hoffnung, daß sie von allen namhaften Gremien dieser Welt wohlwollend aufgenommen werde.“

Sie wurde so aufgezeichnet, wie sie per Telefon übermittelt wurde. Am Tag dieser Botschaft wurden im Kloster Kirti besondere religiöse Zeremonien durchgeführt, um das durch die Zerstörung entstandene große Leid zu lindern.

Die folgende Erklärung wurde zusätzlich zu dieser Botschaft abgegeben. Es ist nicht bekannt, ob sie von einem Mönch oder einem Laien stammt. So sehen die ortsansässigen Tibeter die Wichtigkeit dieser Botschaft, d.h. die Bitte um Erlaubnis zum Abhalten von Gebetszeremonien für die Erdbebenopfer:

„Buddhismus heißt, anderen ohne Unterschied zu helfen. Wir sind Anhänger Buddhas; egal, welchen Umständen wir auch ausgesetzt sein mögen, wir werden niemals diese Lehre verletzen. Auch diesmal tun wir, was wir können.

Seit dem 10. März finden überall in den drei traditionellen tibetischen Regionen Protestdemonstrationen gegen die chinesischen Behörden statt. Die chinesische kommunistische Partei setzte verstärkt Polizeitruppen ein, jeder Tibeter, vor allem jedoch die Mönche, werden als ‚kriminell’ hingestellt. Viele wurden erschossen oder zu Tode geprügelt, es floß so viel Blut – für unsere Herzen zu viel zu ertragen und für unsere Augen zu viel mitanzusehen. In den Köpfen der Chinesen, mit denen wir seit Jahrtausenden in nachbarschaftlichem Verhältnis leben, wurden auf diese Weise unschuldige Tibeter zu ‚Kriminellen’ gemacht. Aufgrund der negativen Darstellung in den Medien werden die Tibeter, vor allem die Mönche, nun von den gewöhnlichen Chinesen wie Feinde behandelt. Wir möchten noch einmal ganz deutlich machen, daß wir nicht gegen das chinesische Volk sind, sondern einzig und allein gegen die Tibet-Politik der Regierung protestieren. Was auch immer in der Tibet-Frage geschieht: Tibeter und Chinesen müssen Seite an Seite miteinander leben. Wir hoffen auf eine baldige Besserung der Beziehungen beider Völker.“

Quelle: Rebecca Novick in Huffington Post