27. Januar 2009
Canada Tibet Committee (CTC)
www.tibet.ca

Version in pdf

Historische Dokumente aus Kanadas Tibet-Akten: Kanada hat Chinas Anspruch auf Tibet von Anfang an bestritten

Am 27. Januar 2009 veröffentlichte das Canada Tibet Committee (CTC) mehrere von der kanadischen Regierung freigegebene Geheimdokumente. Es handelt sich dabei um insgesamt 66 Seiten, unter denen sich auch ein Rechtsgutachten der „Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten“ aus dem Jahr 1950 befindet. Aus der Sicht des Völkerrechts kommt dieses Papier zu dem Schluß, daß für Tibet zu dem Zeitpunkt der chinesischen Invasion alle Voraussetzungen für die Anerkennung als unabhängiger Staat vorgelegen haben.

Dazu sagte der Vorsitzende des Canada Tibet Committee Dermod Travis: „Dessen ungeachtet, wie emsig die chinesische Regierung versucht, die Geschichte umzuschreiben, sie läßt sich auch fünfzig Jahre nach dem tibetischen Volksaufstand von 1959 nicht auslöschen. Diese kanadischen Regierungsberichte und -memoranden widerlegen unzweifelhaft die chinesische Behauptung, die Tibeter seien durch den Einmarsch der chinesischen Streitkräfte in Tibet befreit worden. Unter diesen Umständen ist Chinas Absicht, seinen militärischen Einmarsch als ’Tag der Befreiung aus der Sklaverei‚ feierlich zu begehen, der Gipfel der Absurdität.“

In einem Memorandum vom November 1950 schrieb der damalige kanadische Hochkommissar in Indien, Warwick Chipman, nach Ottawa: „Wenn Tibet tatsächlich zu China gehören würde, so ergäbe es doch keinen Sinn, eine Eroberungsarmee dorthin zu schicken. Die Tatsache, daß eine Armee entsandt wurde, kommt einem Eingeständnis gleich, daß es sich um keine innere Angelegenheit handelt.“

Fünf Tage danach erschien eine juristische Stellungnahme des kanadischen Außenministeriums (damals noch Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten) zum rechtlichen Status Tibets. Die in einem Memorandum von 1950 enthaltene Stellungnahme lautete: „Die Frage ist, ob Kanada Tibet als unabhängigen Staat, als einen Vasallenstaat Chinas oder als integralen Bestandteil des chinesischen Staatswesens betrachten soll. Es wird darauf hingewiesen, daß der Anspruch Chinas auf Souveränität über Tibet nicht gut begründet ist. Es mag vor 1911 eventuell eine, wenn auch mangelhaft definierte, chinesische Oberhoheit [das wäre die über einen Vasallenstaat gewesen] über Tibet gegeben haben; gemäß den uns vorliegenden Fakten besteht diese seither jedoch nicht mehr und alle dementsprechenden Behauptungen sind als schiere Fiktion zu werten. Tatsächlich hat Tibet offenbar während der vergangenen 40 Jahre seine inneren und äußeren Angelegenheiten selbst verwaltet. In Anbetracht dessen bin ich der Auffassung, daß Tibet aus der Sicht des Völkerrechts für die Anerkennung als unabhängiger Staat qualifiziert ist.“

„Die tibetische Geschichte wird nicht ausgelöscht werden“, fuhr Travis fort. „Ungeachtet aller Kampagnen zur patriotischen Umerziehung, welche die chinesische Regierung den Tibetern bis zum heutigen Tag aufzwingt, werden die Tibeter sich auch weiterhin den Versuchen, ihre Geschichte, ihre Kultur und ihren Geist auszulöschen, widersetzen.

Bereits 1944 schrieb die kanadische Gesandtschaft in Chungking in China nach Ottawa: „Ohne jeden Zweifel ist das offizielle China fest entschlossen, sich Sinkiang, Tibet, die Äußere Mongolei, Gansu und Sikang [Kham] einzuverleiben, ungeachtet dessen, was die Einwohner dieser Regionen davon halten mögen“. Die Chinesen erkennen nicht, daß der Versuch, die Tibeter dazu zu zwingen, sich selbst und ihr Land als integralen Bestandteil in das chinesische Staatsgebiet eingliedern zu lassen, definitiv einen Akt der Aggression darstellt.“

Die zwischen 1944 und 1969 erstellten Dokumente wurden auf die Website von CTC gestellt, www.tibet.ca/, http://tibet.ca/_media/PDF/secret_canada_tibet_file.pdf und umfassen Memoranden, durch die die kanadische Regierung über die militärische Aggression Chinas in der Region informiert wurde, ein Dokument des Verteidigungsministeriums von 1950 mit dem Titel „The Strategic Importance of Tibet“ und einen Brief Seiner Heiligkeit des Dalai Lama von 1961 an Premierminister John Diefenbaker.


19. Februar 2009

Foreign NewsWeekly Embassy, Canada,
http://www.embassymag.ca

Kanada hat Chinas Anspruch auf Tibet von Anfang an bestritten

Stephen Harper und der frühere progressiv-konservative Premierminister John Diefenbaker werden häufig wegen ihrer sturen Art und ihrer bissigen Parteilichkeit miteinander verglichen. Anscheinend haben sie auch die Vorliebe für den Dalai Lama und infolgedessen und ungeachtet allen chinesischen Grolls ihre pro-tibetische Einstellung gemeinsam.

Vor drei Wochen veröffentlichte das Canada-Tibet-Committee eine Reihe freigegebener Dokumente der Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten, der Vorgängerin des heutigen kanadischen Außenministeriums. Es handelt sich um 68 Seiten verschiedener Geheimdokumente, die jahrelang von Library and Archives Canada unter Verschluß gehalten wurden. Sie umfassen amtliche Verlautbarungen zu Tibet auf höchster Ebene und stammen großenteils aus den 50er und frühen 60er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Wie diese freigegebenen Dokumente enthüllen, war die Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten der Auffassung, China habe keine legitimen Ansprüche auf Tibet, weshalb Tibet als unabhängige Nation anerkannt werden sollte.

1950 marschierte die chinesische Volksbefreiungsarmee in Tibet unter dem Vorwand ein, die tibetischen Leibeigenen aus der Unterdrückung befreien zu müssen. Auf diese Invasion Chinas hin prüfte die Rechtsabteilung des kanadischen Amtes für Auswärtige Angelegenheiten den völkerrechtlichen Status Tibets, und der damalige Außenminister Lester B. Pearson setzte die kanadischen Botschaften in Washington D.C und bei den Vereinten Nationen in New York über die daraus resultierende Rechtsauffassung in Kenntnis.

„Die Frage ist, ob Kanada Tibet als unabhängigen Staat, einen Vasallen Chinas oder als einen integralen Bestandteil Chinas betrachten soll“, heißt es in dem Memorandum. „Wir sind der Ansicht, daß der Anspruch Chinas auf Souveränität über Tibet nicht fundiert genug ist.“

Chinas Anspruch auf Oberhoheit über Tibet, der mit einem angeblichen historischen Vasallenverhältnis begründet wird, weist das Rechtsgutachten als „bloße Fiktion“ zurück.

„Tatsächlich hat Tibet ganz offensichtlich während der vergangenen 40 Jahre die volle Kontrolle über seine inneren und äußeren Angelegenheiten ausgeübt“, heißt es in dem Gutachten. „In Anbetracht dessen bin ich der Auffassung, das Tibet dem Völkerrecht zufolge alle Voraussetzungen für die Anerkennung als unabhängiger Staat besitzt“.

1959 kam es in Tibet zu einer antichinesischen, antikommunistischen Erhebung, und das spirituelle Oberhaupt der Tibeter, der Dalai Lama, floh aus dem Land, nachdem in der Umgebung seines Palasts chinesische Artilleriegeschosse eingeschlagen waren.

Zu den freigegebenen Dokumenten gehört auch ein Brief von Premierminister Diefenbaker an den Dalai Lama, in dem er ihm die Unterstützung Kanadas bei den Vereinten Nationen zusagt.

Ich habe Ihr Schreiben erhalten..., in dem Sie um die Unterstützung der kanadischen Regierung für die Resolution zur Tibetfrage ersuchen, die ...der Generalversammlung vorgetragen werden wird“, schreibt Diefenbaker am 29. September 1960. „Erlauben Sie mir, Ihnen zu versichern, daß die kanadische Delegation allen Initiativen, die auf die Sicherstellung der Achtung der Menschenrechte des tibetischen Volkes abzielen, aufgeschlossen gegenüberstehen wird.“

Inzwischen verschlechterte sich die Lage in Tibet weiter.

Im März 1961 schrieb der Dalai Lama erneut an Diefenbaker und schilderte die „außerordentlich prekäre“ Lage in Tibet.

„Die mir vorliegenden Informationen zeigen unmißverständlich, daß Tod und Zerstörung in Tibet unverzüglich ein Ende gesetzt werden muß, denn sonst wird von Tibet nichts übrig bleiben“, schreibt er und bittet den Premierminister noch einmal um die Unterstützung Tibets vor den Vereinten Nationen, damit „die gegenwärtige grausame Tragödie zu einem friedlichen Ende gebracht werden kann.“

Der Dalai Lama schreibt: „Bei mehreren Gelegenheiten haben Kanada und seine Regierung sich in führender Rolle für die Rechte der kleineren Nationen auf der Welt eingesetzt. Daher fühle ich mich in der Hoffnung bestärkt, daß mein persönlicher Appell an Eure Exzellenz nicht vergeblich sein wird.“

Am 20. Dezember 1961 verabschiedete die 16. Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution, in der sie ihrer „tiefen Sorge über die Gewalt in Tibet“ sowie den „massenhaften Exodus tibetischer Flüchtlinge“ Ausdruck verliehen und die „Unterdrückung des ganz besonderen kulturellen und religiösen Lebens, (das die Tibeter) ihrer Tradition gemäß führten“ beklagten.

Diese Resolution forderte die „Einstellung der Praktiken, durch welche das tibetische Volk seiner fundamentalen Rechte und Freiheiten einschließlich des Rechts auf Selbstbestimmung beraubt wird.“

Entwicklung im Laufe der Jahrzehnte

Jahrzehnte später nimmt die Regierung von Premierminister Stephen Harper eine Position zu Tibet ein, die an Diefenbakers Haltung erinnert.

„Kanada hat ernste Bedenken wegen der Menschenrechtslage in China, was Tibet mit einschließt und bringt diese Bedenken bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegenüber der chinesische Regierung zum Ausdruck“, schrieb ein DFAIT (Foreign Affairs and International Trade Canada) Sprecher in einer E-Mail. „Unsere Regierung fordert die Regierung Chinas regelmäßig dazu auf, das Recht der Tibeter auf gewaltlosen Protest zu respektieren und Schritte zur Verbesserung der Menschenrechtslage in Tibet zu unternehmen.“

Als Harper im Oktober 2007 dem Dalai Lama einen offiziellen Empfang in seinem Büro auf dem Parliament Hill bereitete, rief das massive Reaktionen seitens der chinesischen Regierung hervor. Der Dalai Lama fand damals eine beträchtlich freundlichere Aufnahme als beim ehemaligen liberalen Premier Paul Martin, der ihn nur außerhalb des parlamentarischen Raums empfing.

Harper ging nicht so weit, China öffentlich dazu aufzufordern, es möge Tibet die Unabhängigkeit gewähren, sondern er forderte die chinesischen Behörden zu ernsthaften Verhandlungen mit dem Dalai Lama und seinen Gesandten auf, damit es in der Region Frieden geben möge. Der Dalai Lama selbst hat Forderungen nach Unabhängigkeit ebenfalls eine Absage erteilt und sagt, die Tibeter wollten einfach nur eine wirkliche kulturelle und religiöse Autonomie.

Ungeachtet dessen sagte der konservative Senator Consiglio Di Nino, Vorsitzender der „Parliamentary Friends of Tibet“, das Rechtsgutachten der Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten von 1950 sei korrekt und beglückwünschte Harper zu seiner Rückkehr zur prinzipientreuen Einstellung zu Tibets Recht auf Selbstbestimmung.

Er sagte, Kanada hätte sich im Lauf der Jahre von seiner klaren Haltung entfernt. Die liberalen Regierungen hätten die Frage der Rechte der Tibeter heruntergespielt, um die Beziehungen zu China nicht zu komplizieren und von dessen wirtschaftlicher Entwicklung zu profitieren.

Jacob Kovalio, Professor für asiatische Geschichte an der Carleton-Universität stimmte dem zu. Er sagte, die liberalen Regierungen hätten sich von der streitbaren und prinzipienfesten Haltung zu Tibet entfernt.

„Die Konservativen waren anders und, meiner Ansicht nach, besser, in dem Sinne, daß sie ... sagten, die Rechte Tibets sollten anerkannt werden und es sollte Einfluß auf China genommen werden, damit es das Richtige tut“, meinte er.

Charles Burton, ein China-Experte an der Brock-Universität sah starke Parallelen zwischen der Auffassung der Premiers Harper und Diefenbaker.

Ich denke, wir haben uns auf Diefenbakers Position und die schon vor seiner Zeit bestehende Auffassung zurückbesonnen, indem wir die Tibeter als einheitliche Gruppe anerkennen und uns insbesondere für ihre Menschenrechte interessieren“, sagte er.

Der Vorsitzender des Canada Tibet Committee, Dermod Travis, erklärte, das kanadische Rechtsgutachten zu Tibet von 1950 sei bis heute von Bedeutung und es erlege Kanada die „moralische Pflicht“ auf, Tibet bei seinem Kampf um Autonomie innerhalb des chinesischen Staatswesens weiterhin zu unterstützen. „In Anbetracht unserer eindeutigen Position im Jahr 1950 und dieser Dokumente obliegt es uns, jeden nur möglichen Einfluß auf die chinesische Regierung auszuüben und gemeinsam mit unseren Verbündeten eine Lösung auf dem Verhandlungswege herbeizuführen“, sagte er.