26. April 2000
Environment & Development Desk
Department of Information and International Relalations,
Central Tibetan Administration
Dharamsala, 176 215, H.P. India
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Tibet 2000: Umwelt- und Entwicklungsfragen

Tibet 2000: Environment and Development Issues

Presseerklärung

Das Ressort für Umwelt und Entwicklung der Tibetischen Regierung-im-Exil, Dharamsala, gab einen neuen Bericht "Tibet 2000: Environment and Development Issues" heraus, der bei der 8. Sitzung der UN Kommission über nachhaltige Entwicklung (Commission on Sustainable Development) am 26. April 2000 in New York von dem Vertreter der tibetischen Regierung-im-Exil in New York vorgelegt wurde. Der letzte umfassende Bericht über die Umweltslage in Tibet wurde von selbigem Ressort im Zusammenhang mit dem "Rio Earth Summit" 1992 herausgegeben. Der jetzige Bericht stellt die ausführlichste Umweltstudie seit jener Zeit dar. Es folgt die diesbezügliche Presseerklärung.

Inhalt
  1. Tibet wird verwüstet, die Welt schaut zu
  2. Durch Bergbau verursachter Schaden
  3. Durch Abholzung verursachter Schaden
  4. Durch Wasserkraft-Projekte verursachter Schaden
  5. Durch Umweltverschmutzung entstandener Schaden
  6. Schädigung der Artenvielfalt
  7. Der durch Überbevölkerung verursachte Schaden
  8. Richtlinien für die Zukunft
1.

Tibet wird verwüstet, die Welt schaut zu

Dies ist die erste gründliche Studie über die Auswirkung von 41 Jahren chinesischer Herrschaft auf die Umwelt Tibets. Diese Studie zeigt, daß die chinesische Politik zu ausgedehnten Umweltschäden auf dem tibetischen Hochland führte. Dem tibetischen Volk brachte sie indes keinen Nutzen. Peking ist nur daran interessiert, Tibets Naturschätze für seinen eigenen Vorteil an sich zu raffen, und dabei zerstört es durch Umweltdegradierung und den Bevölkerungstransfer von chinesischen Siedlern nach Tibet eine uralte Lebensweise und Kultur. Über 70% der Tibeter in der TAR (Tibet Autonomous Region) leben unter der Armutsgrenze. Es folgen einige Grunderkenntnisse:

2.

Durch Bergbau verursachter Schaden

Der ökologisch katastrophale Bergbau, der China von 1952-1990 über 2 Mrd. US$ einbrachte, wird noch zunehmen. Die Reserven an mineralischen Rohstoffen alleine in U-Tsang (Zentraltibet) werden auf 81,3 Mrd. US$ geschätzt.

Das Tsaidam Becken, das flächenmäßig beinahe so groß wie Großbritannien ist, besitzt Erdölvorkommen von 42 Mrd. Tonnen und Erdgasreserven von 1.500 Mrd. m3. Die Ausbeutung der Lagerstätten in diesem Becken wird sich mit der geplanten Legung einer Erdgaspipeline von den Erdgasfeldern bei Terlingkha (chin. Delingha) zuerst nach Lanzhou und dann nach Shanghai noch verstärken. Der erste Abschnitt wird im Oktober 2001 fertiggestellt sein. Bis 2010 plant China sogar den Aufbau eines nationalen Pipelinenetzes, das ein Fünftel des gesamten Erdgasverbrauchs Chinas liefern wird. Die Erdgasreserven des Tsaidam Beckens werden einhundertprozentig zur Versorgung der boomenden Industriestädte Chinas, wie Shanghai, Wuhan und Nanjing eingesetzt werden. Dem tibetischen Volk wird überhaupt kein Nutzen daraus entstehen, weil alle Gewinne der CNPC (China National Petroleum Corporation) zufließen werden.

3.

Durch Abholzung verursachter Schaden

Tibet ist das größte und höchste Plateau der Erde; von seinen Gletschern nehmen 10 der größten Flüsse Asiens ihren Ursprung. Diese Ströme bilden die Lebensgrundlage für 85% der Bevölkerung Asiens, was 47% der Weltbevölkerung entspricht. Ausgedehnter Kahlschlag führte bereits zu schwerer Verschlammung dieser Flüsse.

Die Abholzung von 46% des Waldbestandes von vor 1950 hatte zunehmende Desertifikation und Überschwemmungen in China und Südasien zur Folge. Berichte des World Watch Institute schätzen, daß die ehemals äußerst waldreiche Region von Amdo (chin. Qinghai) bis zum Yangtse Becken 85% ihres ursprünglichen Waldbestandes eingebüßt hat. Das Resultat ist, daß der Yangtse nun jährlich 500 Mio. Tonnen Schlick in das ostchinesische Meer entlädt, eine Menge, die dem entspricht, was Nil, Amazonas und Mississippi zusammen an Schlick ins Meer transportieren.

1998 wurde China von der schlimmsten Überschwemmung seit 1954 heimgesucht, als die sintflutartigen Hochwasser des Yangtse 3.656 Menschen mit sich rissen. Inoffiziell wird die Zahl der Todesopfer jedoch auf bis zu 10.000 geschätzt. Über 240 Mio. Menschen waren betroffen, während der der chinesischen Wirtschaft entstandene Verlust US$37,5 Mio. betrug. Im Jahr 1999 fielen wieder 400 Menschen der Flut des Yangtse zum Opfer, und insgesamt waren 66 Mio. Menschen von ihr betroffen.

1998 trat auch der Brahmaputra im indischen Subkontinent in einer noch nie dagewesenen Weise über die Ufer. Durch Abholzung verursachte Erdrutsche und Bodenerosion verstärkten noch den Schlicktransport in die Bucht von Bengalen. Ein Drittel der 2 Mrd. Tonnen Sedimente wird in den Ebenen von Bangladesh abgelagert, wodurch die Flüsse an Tiefe verlieren und jedes Jahr verheerende Überschwemmungen verursachen.

4.

Durch Wasserkraft-Projekte verursachter Schaden

·Das größte hydroelektrische Potential auf der Erde besitzt die Schlucht bei der großen Biegung des Yarlung Tsangpo in Tibet. Chinesische Wissenschaftler behaupten, daß sie 70.000 Megawatt Strom liefern könnte, annähernd das Vierfache der Kapazität des Drei-Schluchten-Dammes in China. Im Bau befindliche große Staudämme und Stauseen sind vielleicht in der Lage, dem kritischen Energieengpaß in China zu begegnen, aber sie wirken sich gleichzeitig in zerstörender Weise auf die Ökologie Tibets aus. China erlaubt nun einer privaten Gesellschaft, in Tibet Staudämme zur Stromerzeugung zu bauen, zu nutzen und sogar privat zu besitzen, was nur die dort wohnenden tibetischen Nomaden vertreiben, aber keinen Strom für die Tibeter erzeugen wird.

5.

Durch Umweltverschmutzung entstandener Schaden

Die einst makellos sauberen Wasseradern Tibets sind nun durch chemischen, nuklearen und industriellen Abfall verschmutzt. In dem Bericht zur Umweltlage der TAR (1996) heißt es, daß 41,9 Mio. Tonnen flüssiger Abfallprodukte in den Kyichu Fluß bei Lhasa flossen.

1971 wurden die ersten Kernwaffen nach Tibet gebracht. Heute unterhält China 17 geheime Radarstationen, 14 militärische Luftwaffenstützpunkte, 8 Raketenabschußbasen, 8 Abschußbasen für Interkontinentalraketen, 70 Raketen mit mittlerer Reichweite und 20 Mittelstreckenraketen in Tibet. Durch die Schließung der "Neunten Akademie", einer Kernwaffenforschungsstation in Amdo, kam es zu einer begrenzten Entnuklearisierung auf dem tibetischen Plateau.

Um sein atomares Programm zu unterstützen, richtete China an vielen Orten Tibets Bergwerke zum Uranabbau ein. Diese Minen verleihen dem ohnehin schon bestehenden Problem der Verschmutzung der Wasserläufe Tibets eine noch gefährlichere Komponente.

6.

Schädigung der Artenvielfalt

Eine Artenvielfalt in ihrer Fülle vergleichbar derjenigen des Regenwaldes am Amazonas, wird, noch ehe sie überhaupt vollständig dokumentiert wurde, durch die von Peking in Tibet betriebene wirtschaftliche Ausbeutung gefährdet. Die massive Abholzung und der Bergbau haben die Zerstörung der empfindlichen, einst unberührten Natur beschleunigt. Seltene Tier-, Vogel- und Pflanzenarten sind nun der Ausrottung nahe. Es gibt derzeit nachweislich 81 gefährdete Tierarten auf dem tibetischen Plateau.

7.

Der durch Überbevölkerung verursachte Schaden

Durch die Integrierung Tibets in das wirtschaftliche Entwicklungsprogramm Chinas hat die Einwanderung von Chinesen nach Tibet drastisch zugenommen, was die Tibeter noch mehr an den Rand der Gesellschaft und in die Armut drängt. Die Bevölkerung Tibets hat sich als Ergebnis der Einwanderung von Chinesen, sowohl militärischer als auch ziviler Personen, mehr als verdoppelt. Alleine das Militär- und Sicherheitspersonal wird auf 500.000 bis 600.000 geschätzt. 6 Mio. Tibeter sind heutzutage gegenüber 7,5 Mio. chinesischen Zuwanderern in der Minderheit.

1999 stellte die Weltbank zum ersten Mal in ihrer Geschichte Gelder bereit, welche die chinesische Politik der Bevölkerungsverschiebung von über 60.000 Chinesen nach Tibet unterstützen. Das "Projekt zur Linderung der Armut in Westchina" wird den Anteil von Tibetern im Distrikt Dulan, Qinghai, von 19% auf 10,1% verringern. Es wird erwartet, daß die Weltbank US$160 Mio. zu diesem Bevölkerungstransfer beisteuert.

Die Internationale Juristenkommission kam 1997 zu dem Schluß: "70% der Tibeter in der TAR leben unter der Armutsgrenze". Sogar die von China eingeleiteten "Projekte zur Linderung der Armut", wie etwa das auf US$5,5 Mio. bezifferte Welternährungsprogramm der UNO in Amdo, sind eher darauf angelegt, die Weizenproduktion für den chinesischen Verbrauch zu steigern, als die Gerstenerzeugung, das Grundnahrungsmittel der Tibeter.

8.

Richtlinien für die Zukunft

Umweltrechte und Menschenrechte sind im Völkerrecht miteinander verknüpft; ebenso wenig sind sie hinsichtlich des Lebensstils der tibetischen Nomaden voneinander zu trennen. Die Zerstörung der Weideflächen, Wälder, Wassersysteme und heiligen Stätten Tibets durch Überweidung, Abholzung, Abbau von Bodenschätzen und nukleare Proliferation bedeutet eine grobe Verletzung der Rechte eines jeden Tibeters.

Wie der Nobelpreisträger Amartya Sen feststellt, ist Freiheit für die Entwicklung unentbehrlich. Die Behauptung Chinas, Tibet "zu entwickeln", basiert auf der Politik Pekings, das Wirtschaftswachstum auf Kosten der Zerstörung der Umwelt Tibets zu verfolgen und die Menschen Tibets in ihrer Heimat noch weiter zu entmächtigen. Daher führt die chinesische Politik in Wirklichkeit zu zweierlei Wirtschafts- und zweierlei Gesellschaftsstrukturen in Tibet: der urbanen, reichen chinesischen Wirtschaft und der agraren, armen, tibetischen Wirtschaft mit nicht ausreichendem Kapital.

In Anbetracht der Schlußfolgerungen dieses Berichtes wird es noch wesentlicher und dringender, daß die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen unsere Richtlinien zur Entwicklung in Erwägung ziehen und Druck auf die chinesische Regierung ausüben, um den Schutz der einzigartigen Umwelt und Kultur Tibets, sowie der Tradition seines Volkes sicherzustellen.

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