März 2000
Revision September 2004
Environment & Development Desk
Department of Information and International Relations,
Central Tibetan Administration, Dharamsala, 176 215, H.P. India
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Version in pdf.
Tibet 2000: Umwelt und Entwicklungsfragen

Nicht autorisierte Übersetzung der Zusammenfassung des Umweltreports "Tibet 2000: Environment and Development Issues", der im April 2000 von dem Ressort für Umwelt und Entwicklung des "Department for Information and International Relations" der tibetischen Regierung-im-Exil herausgegeben wurde. Englischer Text der Zusammenfassung: http://www.tibet.com/Eco/tibet-2000-1.html

Inhalt

Kapitel 1: Artenvielfalt
Kapitel 2: Wasservorräte
Kapitel 3: Landwirtschaft
Kapitel 4: Forstwirtschaft
Kapitel 5: Bevölkerungsdruck
Kapitel 6: Mineralien, Erze und Bergbau
Kapitel 7: Nukleare Bedrohung
Kapitel 8: Menschenrechte und Umwelt

Teil 1

Kapitel 1: Artenvielfalt

Einer der frühen Forscher und Botaniker (Joseph Rock, 1930) empfand Tibet als einen einzigen "großen zoologischen Garten". Isoliert und unberührt, wie sie bis Mitte des 20. Jahrhunderts blieb, bildete die große Landmasse von 2,5 Mio. km2 dieses Hochlandes eine Schatzkammer, in der unzählige Spezies, die für das biologische Gleichgewicht auf der ganzen Erde notwendig sind, bewahrt wurden. "Was in Tibet vor sich geht, wirkt sich auch auf die globale biologische Vielfalt und das Leben der Menschen in der ganzen Welt aus", meint der World Wide Fund for Nature.

Obwohl Tibet immer noch eines der wenigen Länder auf der Erde ist, wo nur wenig wissenschaftliche Forschung zur Biologie verschiedener Arten betrieben wird, vergleichen Wissenschaftler die Artenvielfalt des tibetischen Hochlandes mit dem Artenreichtum des Amazonas-Regenwaldes(1). In der endemischen Flora und Fauna gibt es viele bedrohte Arten, und wegen der Vielfalt und Komplexität der einzigartigen ökologischen Nischen in dieser gewaltigen Landschaft gilt Tibet immer noch als ein letztes Refugium für einige der seltenen Pflanzen- und Tierarten unserer Erde.

Die Statistiken sind umwerfend. Es wurden über 12.000 Arten von Tracheophyten in 1.500 Gattungen von Gefäßpflanzen identifiziert; die Pilze allein machen bei 700 Gattungen 5.000 Arten aus, und von den über 5.000 höheren Pflanzenarten in 280 Familien sind über 100 Familien Holzgewächse mit verschiedenen 300 Arten. Insgesamt gibt es auf dem tibetischen Hochplateau 400 Rhododendren-Arten, die 50% der Arten auf der ganzen Erde darstellen. Die über 2.000 wilden Arzneipflanzen sind für die medizinische Wissenschaft von großem Wert und stellen ein immenses Potential dar.

Die Tierwelt weist einen ebenso großen Reichtum auf. Es gibt 210 Säugetierarten in 29 Familien. Es gibt viele endemische Tierarten, zu denen der Schneeleopard, das Blauschaf, der Riesenpanda, der Rote Panda, der Goldstumpfnasenaffe, das Argalischaf, der Takin, das Moschustier, die Tibetantilope, die Tibetgazelle, der Wildyak, das Himalaya Murmeltier und der Tibetische Wollhase gehören(2). Obwohl das tibetische Hochplateau mit 532 Vogelarten in 57 Familien nach wie vor ein ornithologisches Paradies ist, sind mindestens 37 davon gefährdet, darunter der seltene endemische Schwarzhalskranich, der Tragopan(3), der tibetische Ohrenfasan(4), das tibetische Schneehuhn(5) und das tibetische Steppenhuhn(6). Heute sind über 81 Tierarten in Tibet gefährdet.

Die Gefahr des Aussterbens setzte mit der chinesischen Invasion 1949 ein. In rabiaten Umkehrung des buddhistischen Prinzips der Achtung für alle Lebewesen, nach welcher der Mensch in wechselseitiger Abhängigkeit von seiner Umgebung lebt, betrachten die chinesischen Kolonialherren schon immer die Tierwelt als wirtschaftlichen Rohstoff zum alleinigen Nutzen der Menschen. Diese Einstellung liegt dem heutigen rapiden Verlust an Artenvielfalt zugrunde.

Die meisten der seltenen Tier-, Vogel- und Pflanzenarten kommen in den Wäldern Ost- und Südosttibets mit gemäßigterem Klima vor - in den sehr alten, dichten Wäldern, die am meisten von dem Kahlschlag der Chinesen betroffen sind. Um chinesische Einwanderer ansiedeln und ernähren zu können, werden die artenreichen Naturgebiete Nordosttibets in Ackerland umgewandelt, wodurch die Nomaden ihre traditionellen Weidegründe verlieren.

Die Säugetiere sind am meisten durch Jagen und Wilderei gefährdet - einige Tiere werden wegen des Marktwertes ihrer Wolle, Geweihe, Häute, Pelze, Knochen und inneren Organe, andere eher als Trophäen niedergeschossen, um sie nach Hause nach China mitzunehmen oder als Fleisch zu verkaufen. Die Fische in den Seen und Flüssen werden mit Dynamit "gefischt". Wenn auch im chinesischen Rechtssystem einige Gesetze zum Schutz der Tierwelt enthalten sind, ist ihre Umsetzung gering und sie werden kaum eingeklagt, weil die Tierwelt unter staatlicher Kontrolle steht und daher als eine Rohstoffquelle gilt, die sich selbst regeneriert und ausgebeutet werden kann.

Weil der Verlust der einzigartigen Flora und Fauna Tibets irreversibel wäre, ist seine potentielle Auswirkung auf die Struktur des biologischen Systems des Hochlandes und auf den Evolutionsprozeß ein ernstzunehmendes, globales Anliegen.

Teil 2

Kapitel 2: Wasservorräte

Der politisch brisanteste Rohstoff des 20. Jahrhunderts war das Erdöl. Wenn Umweltexperten nun Wasser als die Ressource bezeichnen, welche im 21. Jahrhundert zu Kriegen führen könnte, wird Tibets herausragende Bedeutung zur Erhaltung des Lebens auf unserer Erde sich mehr und mehr bemerkbar machen. Im tibetischen Hochland entspringen die 10 größten Flußsysteme Asiens, welche in ihrem Unterlauf die am dichtesten besiedelte Region der Erde versorgen: China, Indien, Nepal, Bhutan, Bangladesh, Pakistan, Vietnam, Burma, Kambodscha, Laos und Thailand - sie alle sind zum Überleben auf die von dem tibetischen Hochplateau herabfließenden Flüsse und ihr Einzugsgebiet in Tibet angewiesen. Diese Länder entsprechen 47% der Weltbevölkerung.

Die Quellflüsse der zwei großen Ströme Chinas, des Yangtse und des Gelben Flusses, liegen hoch oben in den nordöstlichen und östlichen Provinzen Tibets: flußabwärts hängen 1,25 Mrd. Chinesen von ihren Fluten ab, die vier Fünftel des Wassers für China liefern müssen. Im Sommer 1998 und 1999 waren diese Ströme Anlaß riesiger Katastrophen. Die verheerendste Überschwemmung des Yangtse seit 40 Jahren forderte im August 1998 zwischen 3.656 und 10.000 Todesopfer. Ein Jahr später waren erneut 66 Mio. Menschen betroffen: 400 kamen bei dieser zweiten Sintflut ums Leben. In einem Appell zum Umweltschutz riet Präsident Jiang Zemin seinem Volk, "das Gesetz der Natur zu begreifen... und ihm zu folgen, um unsere wirtschaftliche Entwicklung zu erleichtern".

Die chinesische Politik der Entwicklung, Industrialisierung, Extraktion von Bodenschätzen und des Bevölkerungstransfers auf das tibetische Hochland hatte auch massive Eingriffe in das Fluß- und Seensystem Tibets zur Folge. Die am weitesten entwickelte Region Amdo (chin. Qinghai) weist riesige Staudämme auf, die Energie für die aufblühenden Städte in Westchina liefern und die wachsenden chinesischen Niederlassungen von Neusiedlern in Amdo versorgen. Die Anlegung von Staudämmen in Kham (chin. Sichuan) führte zu einer Teilung und Umleitung der Flüsse, während die totale Abholzung den Wasserhaushalt durcheinander brachte. U-Tsang (Zentraltibet), dessen Flüsse in Richtung Süd- und Ostasien fließen, wird nun auch zunehmend hydroelektrisch entwickelt, und damit einhergehend bedrohen Staudammprojekte und Wasserverschmutzung durch industriellen und landwirtschaftlichen Abfall das natürliche Gleichgewicht. Als das größte hydroelektrische Potential der Welt wurde von chinesischen Wissenschaftlern die große Schleife des Yarlung Tsangpo in U-Tsang bezeichnet - eine Schlucht, die 70.000 Megawatt Strom liefern könnte. Im Vergleich dazu wird der Drei-Schluchten-Damm eine Kapazität von 18.200 Megawatt haben.

Tibets Wasserkraftpotential zählt zu den höchsten auf der ganzen Erde. Um dem wachsenden Energiemangel auf dem chinesischen Festland zu begegnen und um für die weitere Industrialisierung und Urbanisierung Tibets den notwendigen Strom liefern zu können, verfolgt China weitere große Pläne zur Nutzbarmachung seiner Wasserwege. Die Staudämme und Stauseen haben die Fragmentierung und das Trockenfallen der Flüsse zur Folge, was wiederum die Zerstörung der Ökologie, Fischsterben und schließlich das Aussterben von bereits gefährdeten Pflanzen und im Wasser lebenden Arten nach sich zieht. Indem die Dämme die Überflutung von weiter stromabwärts gelegenem Schwemmland regulieren, wird dort gleichzeitig auch die Bildung von fruchtbarem Ackerboden verhindert.

China wurde bereits mit verheerenden Folgen für seine Einmischung in den Quellregionen des Yangtse und des Gelben Flusses bestraft. Nun, da der Bergbau zu einer der "Vier Pfeiler Industrien" in der TAR (Autonome Region Tibet) ernannt wurde, werden die Flüsse Süd- und Ostasiens, Indus, Salween, Brahmaputra und Mekong, durch toxische Bergwerkabfälle verschmutzt, die auch in den Boden einsickern und die stromabwärts gelegenen Wasserläufe verunreinigen. Toxische Rückstände aus enormen Bergwerkprojekten stellen heutzutage eine der Hauptursachen für die Wasserverschmutzung in Amdo dar. Die Flüsse um Lhasa herum sind bereits zunehmend von dem Problem der Verschmutzung durch ungeklärte Abwässer und Industrieabfälle betroffen - sowie durch Salze und Nitrate, den Rückständen aus den Kunstdüngern, die bei den intensiven landwirtschaftlichen Projekten eingesetzt werden, um den Nahrungsbedarf der expandierenden chinesischen Bevölkerung Zentraltibets zu decken.

Das ungezügelte wirtschaftliche Wachstum Chinas, die Industrialisierung und Urbanisierung haben die Ursachen zur weitverbreiteten Wasserverschmutzung und zum zunehmenden Wassermangel geliefert. In China herrscht mancherorts der schlimmste Wassermangel auf der ganzen Erde. Von 640 größeren Städten sehen sich bereits über 300 mit akuter Wasserknappheit konfrontiert und 100 sind von ausgesprochenem Wassermangel bedroht. Etwa 700 Mio. Menschen, über die Hälfte der Bevölkerung Chinas, bekommen kein reines Trinkwasser. Die schädliche Wirkung der Wasserverschmutzung auf die menschliche Gesundheit wurde auf jährlich 3,9 Mrd. US$ geschätzt. Der Umweltbericht der TAR von 1996 konstatiert, daß 41,9 Mio. Tonnen flüssiger Abfallstoffe in den Kyichu Fluß entladen wurden.

Ebenso wie Tibet reich an Flüssen ist, kann es sich zahlreicher Seen rühmen, die 25.000 km2 des Plateaus einnehmen und von denen viele als heilig gelten. Dem Yamdrok See in U-Tsang kommt eine besondere spirituelle Bedeutung zu. Dennoch wird seine natürliche Ökologie durch ein Pumpspeicher-Kraftwerk zur Deckung von Lhasas Strombedarf zerstört - ein Projekt, dessen Konzeption jetzt als fehlerhaft erkannt wird, weil es das Absinken des Wasserspiegels des Sees, seine Versalzung und den Verlust der Lebensräume für die vielfältige und reichhaltige Tierwelt, einschließlich der Fische und Vögel, zur Folge hat. Überfischung, Verschmutzung, menschliche Intervention und Wasserschwund infolge von Klimaveränderung sind alles Faktoren, welche die Reinheit und das ökologische Überleben der legendären Seen Tibets gefährden.

Chinas Bergbau und Abholzung sind offensichtliche Beispiele für koloniale Ausbeutung durch Ausschöpfung der natürlichen Ressourcen. Aber die Nutzung der Wasserwege Tibets zur Energiegewinnung und Bewässerung, besonders dort, wo die Energie hauptsächlich den Industriestädten in China zugeführt wird oder nur den chinesischen Einwanderern in Tibet dient, ist gleichermaßen von ausbeuterischer Natur. Peking scheint der Meinung zu sein, daß Tibet eine unerschöpfliche Rohstoffquelle für den wirtschaftlichen Fortschritt Chinas sei.

Teil 3

Kapitel 3: Landwirtschaft

Da über 80% der Bevölkerung Tibets ihren Lebensunterhalt immer noch primär in der Landwirtschaft verdienen, sind es hauptsächlich Bauern und Nomaden, die unter Chinas Ausbeutungspolitik zu leiden haben. Eine Lebensweise, die einstmals harte Arbeit in einer unwirtlichen Umwelt mit Autarkie, Freiheit und Verbundenheit mit der Natur belohnte, wird nun von einer Unzahl von wirtschaftlichen und entwicklungsorientierten Kontrollen bedroht. Das bloße Überleben des Nomadentums ist in Frage gestellt, weil die Weideflächen degradieren und durch zu große Viehbestände, Umwandlung in Ackerland, Einzäunung und das Vordringen der chinesischen Industrie und Besiedelung dahinschwinden.

Trotz ihrer unbeschwerten einfachen Lebensweise, waren die Nomaden Tibets einst nicht unvermögend. Ihr Reichtum waren ihre Herden, ihr Lebensstil, sie verdienten am Tauschhandel und vom Verkauf einer Reihe von Rohprodukten. Heutzutage aber ist China fest entschlossen, die Freiheit der Nomaden einzuschränken. So erwähnte der stellvertretende Landwirtschaftsminister Chinas 1998 lobend, daß 67% der Hirten von Amdo nun seßhaft geworden seien, in Häusern wohnten und ein Ende des nomadischen Lebensstils bald zu erwarten sei.

Nomaden, oder drokpa, zogen schon immer mit ihren gemischten Herden über die Weidegründe, Steppen und Berghänge, die Tibet seit über 4.000 Jahren charakterisieren. Ihr Weideland macht 70% des Hochplateaus aus, auf dem heute rund 1 Mio. Nomaden und Halbnomaden bis zu 70,2 Mio. Tiere hüten. Ackerland macht hingegen nur 2% Tibets aus. Amdo (chin. Qinghai) im Nordosten besteht zu 96% aus Weideflächen, die zentrale TAR besteht zu 56% aus Hochlandweide und Kham (chin. Sichuan), die fruchtbare Ost-Provinz, kann sich der besten Weide und Grasflächen rühmen. Über Jahrhunderte hinweg gaben die Nomaden das Wissen weiter, wie dieses Grasland durch ein kompliziertes System der zyklischen Beweidung gesund und lebensfähig erhalten werden kann.

Die relativ kleinen bebaubaren Ackerlandstreifen entlang der Flußtäler in allen drei Provinzen des traditionellen Tibets waren bis zur chinesischen Invasion mehr als genug, um den Bedarf des Landes an Getreide zu decken. Organische Methoden des Anbaus, Fruchtwechsel, Zeiten des Brachliegens und gemischter Ackerbau erhielten die Fruchtbarkeit des Bodens in einer empfindlichen Gebirgsgegend. Während vorwiegend Hochlandgerste geerntet wurde, wurden auch ansehnliche Mengen an Reis, Mais, Senf, Hirse, Sorghum, Buchweizen und Rapssamen produziert, dazu eine Reihe von Gemüsearten, die dank des reichlichen Sonnenscheins oft üppig gediehen.

Chinas Zerstörung von Ackerbau und Viehzucht auf dem Hochplateau begann mit den "demokratischen Reformen" der Kommunisten in den fünfziger und sechziger Jahren, welche die Neuverteilung des Viehbestandes, das Verbot von Tauschhandel, die Erhebung von Steuern und den Klassenkampf mit sich brachten. Der Viehbestand verringerte sich, und zum ersten Mal in der Geschichte kam es zu einem Mangel an Getreide in Tibet. Die Kulturrevolution von 1966-76 führte die Kommunen ein, womit der Privatbesitz von Land und Vieh zu existieren aufhörte. Durch die einschneidende Besteuerung, die Produktionsquoten, den Export von Fleisch und Getreide nach China und die Änderungen in der Landwirtschaftspolitik, welche die gesellschaftlichen und geographischen Realitäten ignorierte, wurde Tibet von einer totalen Hungersnot heimgesucht, die viele Todesopfer forderte.

Damals wurden erstmals die Randgebiete kultiviert, um die landwirtschaftlichen Erträge für den Export nach China zu steigern; ebenso wurden ertragreichere Weizensorten eingeführt. Die vermehrte Getreideproduktion und Viehhaltung führte zu weitverbreiteter Zerstörung des empfindlichen Weidelandes - ein ökologischer Rückschlag, der sich bis heute auswirkt.

In der dritten Phase der experimentellen Agrarpolitik Chinas in Tibet, dem sogenannten "ein Haushalt-eine-Verantwortung-System", wo jeder für seinen eigenen Haushalt verantwortlich ist, wurden nach 1982 die Kommunen aufgelöst, eine Neuverteilung von Ackerland und Vieh vorgenommen, und die Bauern durften, nachdem sie ihre Quoten erfüllt hatten, einen eventuellen Überschuß behalten. Aber 1989 wurde diese "liberale Politik" wieder abgeschafft, und die Landwirtschaft wurde mit Hilfe eines zentralisierten Systems kontrolliert, um die Landnutzung zu intensivieren und Getreideüberschüsse für den Staat zu produzieren. Diese zentrale Kontrolle hält bis heute an, was zur Folge hat, daß sich die Bauern wegen der Getreidequoten, einer Unmenge von Steuern, der sich ständig ändernden staatlichen Beschaffungsmaßnahmen und einer Tendenz zu intensivem landwirtschaftlichem Anbau mit Monokulturen immer weniger motiviert fühlen. Letzterer erfordert hohe Ausgaben für Kunstdünger, was die Rentabilität mindert und die natürliche Fruchtbarkeit des Bodens zerstört. Darüber hinaus haben die Tibeter ständig vor Augen, wie die chinesischen Neusiedler subventionierten Reis und Weizen verbrauchen, während ihr eigenes Hauptgetreide, die Hochlandgerste, den Kräften des Marktes überlassen bleibt.

Im Gegensatz zu den irreversiblen Umweltschäden, die Holzwirtschaft, eine verfehlte Wasserwirtschafts- und Bergbaupolitik verursachen, könnte Chinas schädliche Kontrolle über die Nahrungsmittelproduktion durch eine Dezentralisierung der Agrarpolitik, eine Revision der Preisgestaltung, die Änderung der Modelle für die Landnutzung und eine Verbesserung der Anbautechniken durch Schulung und Investition in moderne Geräte korrigiert werden. Die Nomaden könnten von einer Ausbildung profitieren, wie man das Weideland und die Grasflächen maximieren, die Lebensqualität verbessern und den Artenreichtum der Natur erhalten kann.

Aber auch Experten und Forscher sollten Programme entwickeln, welche die Erfahrung und die ökologischen Einsichten der Nomaden im Umgang mit ihrer unwirtlichen Umwelt respektieren. Um die Fehler eines halben Jahrhunderts der von China im Agrarsektor aufgezwungenen Mißwirtschaft wieder gut zu machen, sollten unbedingt in allen Fragen der "Entwicklung" und "Modernisierung" Tibeter zu Rate gezogen werden.

Teil 4

Kapitel 4: Forstwirtschaft

Erst nachdem das Hochwasser des Yangtse im August 1998 zu einer landesweiten Katastrophe in China geführt hatte, erkannte Peking schließlich die Ursache dafür in der massiven Abholzung in der Quellregion dieses Flusses in den tibetischen Provinzen Kham (chin. Sichuan) und Amdo (chin. Qinghai). Jetzt beginnen die chinesischen Wissenschaftler langsam die verheerende Rolle der Abholzung bei den immer häufiger auftretenden und immer größeren Überschwemmung zu artikulieren und dokumentieren. Chinas "Agenda 21" führt sogar die Bodenerosion auf dem tibetischen Hochland als eines der ernstesten Umweltprobleme des Landes auf.

Bis 1949 wies Tibet einige der ältesten Waldbestände in ganz Zentralasien auf. Diese Wälder im Osten, Südosten und Süden des Landes wuchsen im großen und ganzen unberührt an steilen, abgeschiedenen Berghängen. Ihre Regeneration erfolgte auf natürliche Weise, weil Holzfällen und das Schlagen der Bäume für Brennholz verboten waren.

Nachdem China, der drittgrößte Holzkonsument der Welt, seine eigenen Wälder kahl geschlagen hatte, brachte es fertig, zwischen 1950 und 1985 den Waldbestand Tibets von 25,2 Mio. Hektar auf 13,57 Mio. Hektar zu verringern. Diese Reduzierung um 46% hat einen Marktwert von schätzungsweise 54 Mrd. US$. Von 1949 bis 1998 warfen die Wälder Ost-Khams für die staatlichen chinesischen Forstbetriebe über 241Millionen Dollar an Steuern und Gewinnen ab. In vielen Gegenden wird jedoch immer noch in unverantwortlicher Weise Kahlschlag betrieben. Obwohl es ein Programm zur Wiederaufforstung gibt, kommen auf einen neu gepflanzten Baum immer noch 10 gefällte. Die Entwaldung und die chinesische Einwanderung stellen heutzutage die zwei Hauptfaktoren dar, die für eine Verschlechterung der Umweltbedingungen in Tibet verantwortlich sind.

Offiziell wird die Politik der intensiven Entwaldung in Tibet nun revidiert. Im Gefolge des Hochwassers von 1998 wurden die regierungseigenen Holzmärkte geschlossen und ein generelles Fällverbot über 4,6 Mio. Hektar Waldgebiet in Kham im südöstlichen Tibet verhängt. Im Dezember 1998 gab es inoffizielle Berichte über eine vorübergehende Schließung der Holzverarbeitungswerke in der südöstlichen TAR und über den Beginn von Wiederaufforstungsprojekten, bei denen die bisherigen Holzfäller nun als Baumpflanzer eingesetzt werden sollten. Neueste Berichte aus Tibet - von Mitte 1999 und Januar 2000 - besagen jedoch, daß die Entwaldung in Kham und Amdo weiter fortschreitet.

Das Motiv hinter der verbesserten Umweltpolitik Pekings scheint von der Außenpolitik diktiert zu sein: Da die Rolle des "guten internationalen Bürgers" Priorität hat, ist es leicht, mit "Umwelt-Diplomatie" ein gutes Image aufzubauen. Es fehlt jedoch an vorbeugenden Maßnahmen und der Durchsetzung von politischen Richtlinien. Staatseigene Forstwirtschaftsunternehmen, welche die Mehrheit der Holzbestände kontrollieren, sind verpflichtet, jährliche Quoten zu erfüllen. Aber weil diese Unternehmen gezwungen sind, einen Überschuß an Holz zu fällen und zu verkaufen, um das niedrige Einkommen durch den Verkauf ihrer Quote unter dem Preis zu subventionieren, zerstört sich der Forstwirtschaftssektor im Endeffekt selbst. Darüber hinaus wird vermutet, daß illegales Fällen die staatlich geplante Holzproduktion in der TAR sogar noch übertrifft.

Die schlechte Forstverwaltung ist eine der Hauptursachen, die am Schwinden des tibetischen Waldbestandes schuld ist: darunter fallen Holzdiebstahl, hochrentabler industrieller Einschlag, mangelnde Kontrolle von Waldbränden, Baumkrankheiten und die Umwandlung von Waldgebieten in landwirtschaftliche Nutzflächen und Baugrund für neue Siedlungen.

Die Auswirkungen von Chinas habgierigem Umgang mit den Wäldern Tibets reichen weit über die Landesgrenzen hinaus und sind sehr ernst zu nehmen. Die Vegetation Tibets regelt nicht nur, ob die zehn großen Flüsse, welche China und Südasien mit Wasser versorgen und die Lebensgrundlage für 47% der Weltbevölkerung bilden, verschlammen, verschmutzen und für Überschwemmungen sorgen, sondern auch den Wärmehaushalt des Hochplateaus, was wiederum das rechtzeitige Einsetzen des Monsuns in Asien beeinflußt. Indien etwa bekommt 70% seiner Niederschläge durch den Monsun. Entwaldung zieht auch unausweichlich Desertifikation nach sich: Im Gegensatz zur Überflutung verringert diese die Wassermenge der Flüsse - ein Phänomen, das bereits in den neunziger Jahren bei dem Gelben Fluß in China sichtbar war, als er mehrere Male austrocknete und sein Fließvolumen insgesamt einen Abfall um 23% verzeichnete. In seinem Oberlauf heißt der Gelbe Fluß in Tibet Machu, der sein Einzugsgebiet in Amdo hat.

Angesichts von 400 chinesischen Städten, die bereits unter Wasserknappheit leiden, 108 Städten, deren Wasserversorgung kritisch geworden ist, und größeren Ernteeinbußen infolge mangelnder Bewässerung, muß sich Peking auf weitere ökologische Katastrophen gefaßt machen, die von der überall präsenten, offiziellen Mißachtung der Natur heraufbeschworen werden.

Teil 5

Kapitel 5: Bevölkerungsdruck

Der Bevölkerungstransfer von Chinesen nach Tibet weist alle Merkmale der Diskriminierung eines bestimmten Volkes auf, so wie sie in den internationalen Konventionen niedergelegt sind. Es besteht eine deutliche Diskriminierung bei der Wohnungsbeschaffung, auf dem Beschäftigungssektor, im Schulwesen, der Gesundheitsfürsorge, dem Gebrauch der Muttersprache, der Pflege der nationalen Bräuche und schließlich im Fehlen politischer Rechte. Tibeter werden immer mehr marginalisiert und in ihrem eigenen Land eine zahlenmäßige Minderheit. Dies stellt, wie der Dalai Lama sagt, "die ernsteste Bedrohung für das Überleben der tibetischen Kultur und der nationalen Identität dar".

Durch die Manipulation der demographischen Zusammensetzung strebt Peking unerbittlich sein politisches Ziel an, Tibet endgültig China einzuverleiben. Lhasa ist schon überwiegend eine chinesische Stadt geworden, in der chinesisches Verwaltungspersonal, eingewanderte Geschäftsleute, Militär- und Sicherheitskräfte (die in der TAR inzwischen auf 500.000 bis 600.000 geschätzt werden) beinahe einen doppelt so großen Bevölkerungsanteil wie die Tibeter stellen. Diese Tendenz ist in allen urbanen Zentren in ganz Tibet vorhanden und erreicht ihr Maximum in Amdo (chin. Qinghai), wo in manchen Städten über 90% der Einwohner Chinesen sind.

Pekings Politik des Bevölkerungstransfers trägt eindeutig koloniale Züge, denn sie zielt darauf ab, den Widerstand gegen die chinesische Herrschaft zu brechen, die natürlichen Ressourcen auszubeuten, eine Lösung für den eigenen Bevölkerungsdruck und die Arbeitslosigkeit zu schaffen und Chinas Machtstellung in einer militärisch und strategisch wichtigen Zone in Zentralasien zu konsolidieren.

Mit zahlreichen Maßnahmen werden die chinesischen Siedler wirtschaftlich gegenüber den Tibetern begünstigt: von der Wohnungsbeschaffung und "Härtezulagen", welche die Gehälter der Kader aufbessern, bis zu Erleichterungen bei Beschaffung von Lizenzen für Industrie- und Geschäftsunternehmen. Die Tibeter werden jedoch bei den "Entwicklungs- und Modernisierungsprogrammen", die derzeit die Wirtschaft und Landschaft Tibets umformen, benachteiligt und an den Rand gedrängt. Infolge der Bildungspolitik, die auf die Beherrschung von Chinesisch in Wort und Schrift ausgerichtet ist, können nur wenige Tibeter in den Genuß höherer Bildung kommen. Dieser Umstand sorgt für weitere Diskriminierung, weil nämlich in der Folge bei Stellenangeboten Chinesen bevorzugt werden, und er verstärkt die Einkommensdiskrepanz und schließt Tibeter von einer entscheidungstragenden Rolle bei der Wirtschaft und der gesellschaftlichen Entwicklung aus. Die Regierung in Lhasa, die zugibt, daß 20,7% der Tibeter in der TAR unter der Armutsgrenze leben - obwohl ein Bericht der Internationalen Juristenkommission von 1997 diese auf über 70% beziffert - führt dies auf die "inhärente Rückständigkeit und Entlegenheit" der Region zurück.

Durch seine in den ganzen Jahren 1990 betriebene Wirtschaftspolitik der Öffnung, die ausländische Investitionen anziehen sollte, und durch die Einbeziehung Tibets in sein wirtschaftliches Entwicklungsprogramm intensivierte Peking den Ausbau der Infrastruktur und die Nutzung der Ressourcen auf dem tibetischen Hochland, was wiederum eine stetige Zunahme chinesischer Arbeitskräfte rechtfertigt. Der Ausbau des Straßen- und Eisenbahnnetzes, die Lockerung der Aufenthaltsbestimmungen, das freie Marktsystem, eine Lockerung der Bestimmungen zur Vergabe von Geschäftslizenzen und die Steuerbefreiungen haben Tibet für chinesische Wander- und Saisonarbeiter, Einzelhändler und Kleinunternehmer zugänglicher und attraktiver gemacht.

Weil es keinen unabhängigen Zensus gibt und wegen der neu gezogenen Grenzen Tibets, infolge derer nun beinahe die Hälfte des Hochplateaus chinesischen Provinzen einverleibt ist, stehen keine genauen Bevölkerungsdaten zur Verfügung. Die offiziellen Statistiken sind aufbereitet, um den politischen Anforderungen zu genügen, und daher unzuverlässig. Fest steht jedoch, daß die offizielle Politik des Bevölkerungstransfers, die bereits Ostturkestan (chin. Xinjiang), die Innere Mongolei und Manchurien durch massive Migration in China integriert hat, heutzutage auch auf Tibet angewendet wird. In der Inneren Mongolei kommen heute auf einen Mongolen 10 Chinesen - vor einem halben Jahrhundert wünschte sich Mao ein ähnliches Verhältnis für ein zukünftiges Tibet.

Teil 6

Kapitel 6: Mineralien, Erze und Bergbau

Der enorme Reichtum Tibets an Bodenschätzen war einer der Hauptgründe für die Invasion der Chinesen 1949. Dank Tausenden von geologischen Karten, in denen die Funde von Hunderten von wissenschaftlichen Untersuchungen verzeichnet sind, kontrolliert Peking heute das, was wohl noch das wahrhaft letzte große unerschlossene Gebiet in einer erzabbauenden Welt ist.

Über 126 Mineralien wurden identifiziert, darunter einige der bedeutendsten Vorkommen der Erde an Uran, Chromit, Lithium, Bor, Borax und Eisen. Die Vorkommen an Erdöl, Erdgas, Gold, Silber, Kupfer und Zink haben globale Bedeutung, und zusätzlich finden sich im tibetischen Hochland Korund, Vanadium, Titanium, Magnesit, Schwefel, Glimmererde, Caesium, Rubidium, Arsen, Graphit, Lepidolith und Pottasche.

Da Chinas Industrialisierung in großem Maße von einem riesigen Verbrauch an Mineralien und Energie abhängig ist und viele seiner eigenen Lagerstätten beinahe erschöpft sind, gewinnen die reichen Vorräte Tibets nun höchste Wichtigkeit. Eine Autarkie bei Rohstoffen hilft China, seine Auslandsschulden zu reduzieren, wobei alle Überschüsse exportiert werden.

Die Folgen für die Landschaft und die Lebensqualität der Tibeter sind beklagenswert. Der unkontrollierte Abbau von Bodenschätzen führte bereits zu massiven Umweltschäden, die oft eine permanente Veränderung der Landschaft mit sich brachten. Riesige Schutthaufen, Schlackenhalden, stillgelegte Bergwerke und die Destabilisierung der Hänge zerstören das Gelände an der Oberfläche. Unterirdisch wird der Boden durch die Rückstände vom Bergbau und die toxischen Abfälle der bei der Extraktion verwendeten Substanzen verunreinigt. Diese führten zu mysteriösen Krankheiten, angeborenen Mißbildungen und sinkenden Ernteerträgen um die Bergwerksgebiete herum. Da die Abfallstoffe und toxischen Rückstände in die Wasserläufe sickern, ist das Gesundheitsrisiko für das flußabwärts gelegene Asien von wachsendem internationalem Interesse.

Es wird auch von enormer Verschwendung aufgrund ungeeigneter Methoden des Abbaus, veralteter Technologien und zu geringer Effizienz bei der Gewinnung, Förderung und Nutzung der Bodenschätze berichtet. Zusätzlich zu der Plünderung der Natur entstanden soziologische Probleme, denn der forcierte Mineralabbau schürt den Zustrom von chinesischen Wanderarbeitern, die von den hohen Löhnen und Zuschüssen angezogen werden. Mit einer verbesserten Straßen- und Eisenbahninfrastruktur, die Tibet nach außen öffnet, werden auch illegale Bergarbeiter von den Chancen auf einen gut bezahlten Arbeitsplatz im unkontrollierten Mineralabbau angezogen. In der Folge wird Tibet nicht nur seinen Reichtum an Bodenschätzen verlieren, sondern die chinesischen Massenansiedlungen gefährden die Lebensqualität der Tibeter, verwässern ihre Kultur und Traditionen und führen unweigerlich zu sozialen Konflikten.

Das überarbeitete Bergbaugesetz Chinas vom Januar 1997 dient mehr dazu, ausländische Investoren anzulocken und die weitere Erforschung und den Abbau von Mineralien zu fördern, anstatt die illegale Extraktion, die Korruption, die Handhabung gefährlicher Abfälle und ineffiziente Bergwerksoperationen unter Kontrolle zu bringen. Sporadische Umweltproteste von Tibetern werden bestenfalls ignoriert, im schlimmsten Fall werden sie mit Folter und jahrelanger Gefangenschaft bestraft.

Multinationale Konzerne und internationale Hilfsorganisationen subventionieren durch ihre Investitionen das, was nun die wichtigste Aktivität auf dem industriellen Sektor in Tibet geworden ist. Die Extraktion von Mineralien ist der Faktor, der in den letzten fünf Jahren am meisten zu dem jährlichen Wirtschaftswachstum von 30% in Tibet beigetragen hat. China investiert heutzutage allein 1,25 Mrd. US$ in die Suche nach Bodenschätzen und die Erschließung der Rohstofflager in den zentralen und westlichen Regionen Tibets - ein Gebiet, in dem sich nach Schätzungen der Experten Vorkommen an Bodenschätzen im Wert von 81,3 Mrd. US$ befinden. Offizielle Angaben spielen sicherlich das wahre Ausmaß dieser Lagerstätten herunter, aber die Geschwindigkeit, mit der sie in Angriff genommen werden, und die hohen Investitionen lassen darauf schließen, daß man sich Mammut-Gewinne daraus verspricht.

Obwohl die größten Lagerstätten im Tsaidam Becken, in Nagchu, Golok, Chamdo, Chang Thang, Kandze und Lhoka konzentriert sind, sind die Mineralvorkommen über das ganze Hochplateau verstreut. Das Tsaidam Becken besitzt immense und verschiedenartige Reserven, die über eine Fläche von 220.000 km2, ein Gebiet beinahe von der Größe Großbritanniens, verteilt sind. Zusätzlich zu den primär bedeutsamen Erdölfeldern - die auf 42 Mrd. Tonnen geschätzt werden und gegenwärtig bis zu 2 Mio. Tonnen jährlich produzieren - sind die auf 1.500 Mrd. m3 geschätzten Erdgasreserven des Tsaidam Beckens dabei, eine wichtige neue und saubere Energiequelle für China zu werden. Bei dem gegenwärtigen Verbrauch würden diese Reserven den gesamten Bedarf Chinas für 7 Jahre decken. Die erste Phase eines riesigen Pipelinenetzes wird 2001 das Erdgas des Tsaidam Beckens von Amdo (chin. Qinghai) zu der Hauptstadt von Gansu Lanzhou bringen.

Tibets Chromitmine von Norbusa in U-Tsang (Zentraltibet) mit einem geschätzten Gesamtwert von 375-500 Mio. US$ gehört zu den größten Mineralvorkommen der Erde. Es wird erwartet, daß die laufenden jährlichen Einkünfte aus dem Abbau dieser erstklassigen Lagerstätte von 1,5 Mio. US$ auf 3,75 Mio. US$ steigen werden. Die Yulong Kupfermine in der Nähe von Chamdo ist mit über 6,5 Mio. Tonnen eine der größten Kupferlagerstätten der Erde, und ihre derzeitige jährliche Fördermenge von 20.000 Tonnen, die einen Gewinn von 2,5 Mio. US$ erbringt, soll bis 2010 auf 100.000 Tonnen gesteigert werden.

Das chinesische Wort für Zentraltibet ist "Xizang", was "Westliches Schatzhaus" bedeutet. China hat Tibet schon immer als "eine Schatzgrube, die erschlossen werden muß", bezeichnet. Indem der Bergbau zu einer "Schlüsselindustrie" gemacht wird, mit dem Ziel, die wirtschaftliche Entwicklung des Hochplateaus voranzutreiben, wird Peking letzten Endes Tibet seiner lange verborgen gebliebenen Bodenschätze berauben.

Teil 7

Kapitel 7: Nukleare Bedrohung

Es ist eine Ironie des Karma, daß Tibet, das einst bis in die letzte Einzelheit von den buddhistischen Grundsätzen der Gewaltlosigkeit regiert wurde und die Rolle eines natürlichen Pufferstaates zwischen den zwei asiatischen Riesen, Indien und China, einnahm, heute ein Lager für chinesische Atomwaffen und eine Stätte zum Abladen von radioaktiven Abfällen geworden ist.

Die Ankunft der Vorhut der Volksbefreiungsarmee im September 1951 in Lhasa war der erste Schritt zur Militarisierung Tibets durch Maos China. Nun ist das Hochplateau militärisch gesehen zu einem Demonstrationsobjekt für Pekings Ambitionen geworden, ganz Asien zu dominieren und die Vormachtstellung einer Supermacht zu erwerben.

1971 wurde bekanntlich die erste Atomwaffe nach Tibet gebracht und im Tsaidam Becken im nördlichen Amdo (chin. Qinghai) aufgestellt. Heute wird angenommen, daß das Verteidigungsarsenal 17 streng geheime Radarstationen, 14 Militärflugplätze, von denen jetzt 11 für die neuen Langstrecken-Kampfflugzeuge erweitert werden, acht Raketen-Abschußbasen, mindestens acht Interkontinentalraketen, dazu 70 Raketen mit mittlerer Reichweite und 20 Mittelstreckenraketen umfaßt.

Chinas eigenes nukleares Programm wurde teilweise auf dem tibetischen Hochplateau entwickelt, und zwar in der "Nordwest-Akademie zur Erforschung und Konstruktion von Atomwaffen" (der sogenannten "Neunten Akademie"), die 100 km westlich der Hauptstadt Amdos, Siling (chin. Xining), liegt. Die Akademie arbeitete seit Anfang der sechziger Jahre an Prototypen für Atombomben, und die erste Serie dort hergestellter Kernwaffen wurde Anfang der siebziger Jahre an zwei Standorten und Abschußbasen für Atomraketen im Tsaidam Becken gelagert.

Heutzutage befinden sich die chinesischen Interkontinentalraketen vom Typ DF-4 mit Reichweiten von 4.000 - 7.000 km an Stützpunkten im Tsaidam Becken. Weitere DF-4 Raketen sind 217 km südöstlich von Tsaidam bei dem Terlingkha (chin. Delingha) Hauptquartier eines Raketenregiments mit vier Abschußrampen stationiert. Ein vierter neuer Atomraketen-Stützpunkt, der im südlichen Amdo an der Grenze zu Sichuan liegt, verfügt über vier CSS-4 Raketen mit einer Reichweite von 12.874 km.

In den siebziger Jahren wurde auch an einem Raketenstützpunkt bei Nagchuka in der TAR gearbeitet, wo jetzt in unterirdischen Komplexen "Kurz-Mittelstrecken-Raketen" (medium range ballistic missiles) und "Weit-Mittelstrecken-Raketen" (intermediate range ballistic missiles) gelagert sind. Dieses Gelände wurde als Alternative zu dem Lop Nor in Xinjiang für mögliche Atomwaffenversuche ausgewählt. Ein weiterer unterirdischer Komplex in der Nähe von Lhasa enthält Boden-Luft-Raketen und Boden-Boden-Raketen, die alljährlich beim Tag der chinesischen Armee in einer Parade durch die Hauptstadt gefahren werden. Weitere Lager dieser Flugkörper befinden sich in Kongpo in der südöstlichen TAR. Da China sein Verteidigungsarsenal rasch vergrößert und modernisiert und entschlossen ist, sein nukleares Aufrüstungsprogramm weiter voranzutreiben, kann die strategische Bedeutung Tibets für die militärische Stationierung und Proliferation von Atomwaffen in diesem Jahrhundert nur zunehmen.

Die größte Sorge bereiten den Bewohnern jedoch Anhaltspunkte dafür, daß spaltbare Materialien und andere gefährliche Abfallprodukte auf dem tibetischen Hochland abgelagert werden. Die offizielle chinesische Nachrichtenagentur Xinhua gab 1995 zu, daß radioaktive Schadstoffe von der "Neunten Akademie" auf einer 20 m2 großen Müllkippe in der Nähe des Ufers des Kokonor Sees abgelagert wurden. Ein chemisches Institut, das mit hoch angereichertem Uranbrennstoff experimentierte, wurde Ende der siebziger Jahre in der Akademie eingerichtet. Radioaktiver Müll, in Wasser gelöste Substanzen, feste und gasförmige Abfallprodukte wurden von der Akademie, die in dem Quellgebiet des Tsang Chu Flusses - später Chinas Gelbem Fluß - liegt, abgeladen. Obwohl die Akademie 1987 stillgelegt wurde, wird sie immer noch rund um die Uhr bewacht.

Es ist bekannt, daß China immer noch die Methode der "oberflächenahen Vergrabung" von nuklearem Abfall, die im Westen als überholt gilt, anwendet. Und entlegene Regionen Tibets sind nach Pekings Plänen dafür vorgesehen, das profitträchtige Recycling von gefährlichen und toxischen Abfallprodukten von Industrienationen kommerziell zu betreiben. Aus der Gegend um die nuklearen Produktionsanlagen in Kyangtsa und Thewo in Amdo wird bereits über eine abnorme Rate an Säuglingssterblichkeit, angeborenen Mißbildungen, über noch nie dagewesene und mysteriöse Krankheiten bei Menschen und eine hohe Mortalitätsrate bei Tieren und Fischen berichtet. Unter den Nomaden und Dorfbewohnern in der Nähe der Neunten Akademie gibt es auch viele Krebserkrankungen bei Kindern, wie sie ähnlich nach Hiroshima gefunden wurden.

Ähnliche Berichte über Mißbildungen und mysteriöse Krankheiten bei Mensch und Tier gibt es im Zusammenhang mit dem Uranabbau, der überwiegend in der TAR und in Amdo betrieben wird. So heißt es, daß verseuchtes Abwasser aus der größten Uranmine Tibets bei Thewo im südlichen Amdo in den dortigen Fluß eingeleitet wurde, und die Opfer, sowohl Menschen als auch Tiere, verfärbten sich nach dem Tode blau oder blauschwarz.

Wenn man bedenkt, daß Asiens Versorgung mit Wasser in so hohem Maße von Tibet abhängig ist, können Schadstoffe, die auf dem Hochplateau entsorgt werden, verheerende, weit über die Grenzen hinausgehende Folgen für die flußabwärts gelegenen Anrainerländer haben. Die massive Abholzung verschärft noch die Gefahr, daß spaltbare Abfallprodukte aus den Uranbergwerken in die Wasserläufe Asiens geraten. Die Lage ist bereits so dramatisch geworden, daß nur 32 % des Flußwassers in China als trinkbar eingestuft werden. Die nukleare Verseuchung auf dem tibetischen Hochland sollte daher Anlaß zu ernstem Nachdenken geben.

Teil 8

Kapitel 8: Menschenrechte und Umwelt

"Umwelt-Menschenrechte" sind ein Begriff vom Ende des 20. Jahrhunderts, der zuerst in einer UN-Deklaration 1972 auftauchte und dann von dem UN-Unterausschuß über die "Verhinderung von Diskriminierung und den Schutz von Minoritäten" in einer Reihe von vier, zwischen 1989 und 1993 an die UN-Kommission für Menschenrechte unterbreiteten Berichten untersucht und definiert wurde. Diese richtungsweisenden Berichte legten die rechtlichen Grundlagen und die Notwendigkeit von Umweltrechten für die Menschen dar und empfahlen, gewisse Rechte mittels eines Entwurfes zu einer Grundsatzerklärung über Menschenrechte und Umwelt im internationalen Recht zu verankern.

In diesem Kapitel geht es darum, festzustellen, wie und wann Umweltverletzungen in Tibet begangen wurden: Ihre Auswirkungen werden anhand des Deklarationsentwurfes analysiert. Grundsätze mit besonderer Relevanz für Tibet sind etwa der fünfte: "... das Recht aller Personen, frei von Umweltverschmutzung und allen Arten von Umweltdegradierung zu sein, die das Leben, die Gesundheit, den Lebensunterhalt, das Wohlergehen oder die nachhaltige Entwicklung bedrohen", und der sechste: "... die Grundlagen für das menschliche Überleben in gesunden Ökosystemen und die Aufrechterhaltung biologischer Vielfalt."

Zu den untersuchten Themen zählt auch die Nahrungsmittelproduktion Chinas und die Zwangsverkäufe an die Regierung, die Zerstörung von Weideland und die Eingriffe in das Nomadentum, die kommerzielle Abholzung, der Raubbau an Bodenschätzen und die Plünderung heiliger Stätten im Namen der "Entwicklung".

Das grundlegende Recht, vor Hunger geschützt zu sein, wird durch die in China zur Norm gewordene Agrarpolitik verletzt. Die von Hungersnöten geprägten Jahrzehnte der Kollektivierung und der Kommunen wurden von der heutigen "Kommando-Wirtschaft" abgelöst, bei der Bauern und Nomaden durch die starke Abhängigkeit von der staatlichen Beschaffung und die hohe Steuerbelastung nur mehr ein Existenzminimum übrig bleibt. Durch die wachsende kommerzielle Nutzung der Weidegebiete und die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit nimmt China den Nomaden ihr "Recht auf umweltverträgliche Nutzung der Natur und der natürlichen Gegebenheiten zu kulturellen und spirituellen Zwecken".

Die kulturelle und spirituelle Komponente bei der Nichtbeachtung der Menschenrechte wird besonders bei den zahlreichen heiligen Stätten Tibets offenbar. In ganz Tibet werden heutzutage Pilgerstätten und religiös bedeutungsvolle Orte durch die chinesischen "Entwicklungsprojekte" entweiht, verschmutzt und ihrer Schätze beraubt. Bergbau, Projekte zur Nutzung der Wasserkraft und die Entwaldung entweihen irreversibel das spirituelle Erbe des tibetischen Hochlandes.

Indem China die natürlichen Ressourcen des Landes ausbeutet, was zu einer Verschlechterung der Umweltbedingungen durch massive Verschmutzung führt, nimmt es den Tibetern auch ihr Recht auf Selbstbestimmung. "Im Mittelpunkt der wirtschaftlichen Ausbeutung, die der dominierenden Macht zugute kommt, steht die Umweltdimension des Rechtes auf Selbstbestimmung", besagt die Präambel der Deklaration. Zusätzlich werden unter der kolonialen Besatzung Chinas die international festgelegten Rechte auf Meinungsfreiheit, Information über Umweltfragen und Mitbestimmung verweigert. Diese Situation ist ein wahrer Teufelskreis: "Menschenrechtsverletzungen führen zu Umweltschäden, und die Umweltschäden hat die Verletzung der Menschenrechte zur Folge", schließt die Präambel.

Fußnoten
von

Dr Axel Gebauer
1 Im Hochland selbst gibt es zwar aufgrund der wenig verschiedenen Lebensräume – Steppe, Wüste, Felsen - keine so große Artenvielfalt wie in den Randregionen Tibets, wo in den Flußtälern, Wäldern etc. auch aufgrund eines günstigeren Klimas wirklich sehr viele Tierarten leben.

2 Schneeleoparden gibt es z.B. auch in der Mongolei, Blauschafe auch in Nepal, Rote Pandas auch in Nepal und Indien, Argalischafe auch in der Mongolei, Moschustiere auch in der Mongolei und Rußland, Himalaya-Murmeltiere auch in Nepal.

3 Hier kommen drei Arten in Frage, die zwar auch keine Tibetendemiten sind: Grey bellied tragopan - Blyth-Tragopan - Tragopan blythii, Satyr tragopan - Satyr-Tragopan - Tragopan satyra und der Temminck tragopan - Temminck-Tragopan - Tragopan temminckii.

4 Tibetan eared pheasant - Crossoptilon crossoptilon.

5 Kann folgendes sein: Snow patridge – Haldenhuhn - Lerwa lerwa oder Tibetan snowcock – Tibetkönigshuhn - Tetraogallus tibetanus.

6 Tibetan sand grouse – Tibetflughuhn - Syrrhaptes tibetanus.

Originalbericht

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