Der Zehnte Panchen Lama - Ein Leben voller Leid und Opfer
Der letzte Panchen Lama wurde am 3. Februar 1938 in dem Dorf Darang Bidho in Amdo, Nordost-Tibet, geboren. Fast seit dem Augenblick seiner Geburt war er ein Gefangener des politischen Spiels zwischen den chinesischen Ambitionen in Tibet und Tibets hartnäckigem Widerstand gegen die chinesischen Ansprüche.
Der Panchen Lama war gerade elf Jahre als, als der Befehlshaber der Militärdivision Lanzhou der Volksbefreiungsarmee (PLA) in seinem Namen ein Telegramm an Mao Zedong schickte, in dem er um die "Befreiung Tibets" bat. Mao antwortete: "Das tibetische Volk hegt große Liebe zum Mutterland. Es widersetzt sich den ausländischen Imperialisten und ist willens, der neuen vereinten, und mächtigen Nation der Volksrepublik China anzugehören, in der alle alle die gleichen Rechte haben".
In Verfolgung ihrer Politik von "teile und herrsche" versuchte die kommunistische Regierung Chinas, den Panchen Lama als einen Rivalen zu Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama aufzubauen. 1951 wurde der Panchen Lama nach Peking eingeladen, und zwar zeitgleich mit der Ankunft einer tibetischen Delegation, welche schließlich gezwungen wurde, das "Siebzehn-Punkte-Abkommen über Maßnahmen zur friedlichen Befreiung Tibets" zu unterzeichnen. Während seines Aufenthalts in Peking wurde dem Panchen Lama befohlen, ein Telegramm an den Dalai Lama zu senden, in dem er die Wichtigkeit der "Verwirklichung des Siebzehn-Punkte-Abkommens unter der Führung der Volksrepublik China" betonte.
Am 28. April 1952 traf der Panchen Lama auf dem Weg zu seinem in Shigatse gelegenen Kloster Tashilhunpo in Lhasa ein. Während seines kurzen Aufenthalts in Lhasa hatte er zwei Audienzen bei Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama. Dieser hielt seine Eindrücke vom Panchen Lama während des Zusammentreffens in seiner Autobiographie "Mein Land und mein Volk" fest. Seine Heiligkeit sagt dort, daß der Panchen Lama "echten Respekt für meine Position zeigte, so wie es sich dem Brauch des Buddhismus gemäß einem älteren Mönch gegenüber gehört. Sein Benehmen war korrekt und angenehm, ich hatte, kurz gesagt, einen echten Tibeter vor mir, von dessen natürlichem Wohlwollen ich beeindruckt war. Ich war mir sicher, daß er, wäre er sein eigener Herr gewesen, von ganzem Herzen Tibet gegen die Eingriffe der Chinesen verteidigt hätte".
Nach der Flucht Seiner Heiligkeit des Dalai Lama nach Indien im Jahre 1959 wurde der Panchen Lama zum stellvertretenden Vorsitzenden des "Vorbereitungskomitee für die Bildung der Autonomen Region Tibet" ernannt. 1960 machten ihn die Chinesen außerdem zum Vize-Präsidenten des Nationalen Volkskongresses, denn sie hofften, ihn als einen ihnen hörigen Sprecher für ihre Politik in Tibet benutzen zu können. Der Panchen Lama vertrat jedoch standhaft die nationalen Interessen Tibets. Er war tief erschüttert, als er erfuhr, daß die Chinesen Hunderttausende von Tibetern - Regierungsbeamte, hohe Lamas und Gelehrte, regionale Führungspersönlichkeiten und Menschen aus allen Schichten und Berufen - ins Gefängnis geworfen hatten. Er warf der chinesischen Führung vor, daß sie das gesamte tibetische Volk terrorisiere. Diese tat seinen Protest jedoch schnell ab, indem sie erklärte, derartige Fehler seien bei allen Reformbewegungen unvermeidlich.
In seiner Eigenschaft als Vize-Präsident des Nationalen Volkskongresses reiste der Panchen Lama durch viele Gegenden Tibets. Im Mai 1962 unterbreitete er eine 70.000 Wortzeichen umfassende Petition an Mao Zedong und Zhou Enlai, in welcher die von der chinesischen Armee an den Tibetern begangenen Brutalitäten detailliert geschildert wurden. Unter anderem hieß es darin: "Die Einführung der Reformen fügte dem Buddhismus dermaßen ernsten Schaden zu, daß er nun kurz vor der Auslöschung steht... Viele Gefangene kamen auf schreckliche Weise zu Tode, als die Diktatur des Proletariats eingeführt wurde. Dadurch wurde die tibetische Bevölkerung in den letzten Jahren erheblich reduziert... Abgesehen von den alten Menschen, Frauen und Kindern wurden in den tibetischen Gebieten Qinghais, Gansus, Sichuans und Yunnans die meisten der gesunden, kräftigen und intelligenten Leute ins Gefängnis geworfen."
Der "Vorsitzende" Mao Zedong reagierte wütend auf diese Petition und nannte sie einen "vergifteten Pfeil, der auf die Kommunistische Partei Chinas gerichtet ist".
Der Panchen Lama brachte die chinesische Führung auch 1964 gegen sich auf, als er in Shugtri Lingka, seiner Residenz in Lhasa, vor einer großen Menschenmenge erklärte, daß Seine Heiligkeit der Dalai Lama für ihn "die Zuflucht für dieses und für das nächste Leben" sei.
In der Folge griffen bei einer Sitzung des TAR Vorbereitungs-Komitees, das vom 18. September bis zum 4. November 1964 tagte, Zhang Guohua und andere chinesische Funktionäre den Panchen Lama heftig an und warfen ihm vor, er sei gegen die Partei, gegen den Sozialismus und gegen das Volk. Er wurde daraufhin seines Postens als Vorsitzender des Komitees enthoben und den berüchtigten thamzing (Kampfsitzungen) unterworfen. Später wurde er nach Peking gebracht und unter Hausarrest gestellt.
Mit Ausbruch der Kulturrevolution verschlimmerte sich seine Lage noch mehr. Im August 1966 wurde er wieder mit einem thamzing gepeinigt und von den roten Garden angegriffen, gedemütigt und gefoltert. 1969 wurde er dann offiziell im Pekinger Qin Cheng Gefängnis inhaftiert, aus dem er erst im Oktober 1977 entlassen wurde.
Wei Jingsheng, Chinas bekanntester Dissident, schrieb am 3. März 1979 auf einer 20 Seiten langen Wandzeitung, das Leben im Qin Cheng Gefängnis sei damals dermaßen unerträglich gewesen, daß der Panchen Lama, ebenso wie andere Insassen, zu einer bestimmten Zeit versucht hätte, Selbstmord zu begehen. Er verweigerte die Nahrung und sagte, er wolle nicht mehr leben. "Ihr könnt meinen Körper zum Zentralkomitee bringen", soll er laut Wei erklärt haben.
Die Außenwelt erfuhr erstmals im am 26. Februar 1978 vom Wiederauftauchen des Panchen Lama, als die New China News Agency verkündete, daß er bei der fünften Tagung des Nationalkomitees der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes in Peking anwesend gewesen sei. Bis dahin wußten selbst die Tibeter in Tibet nicht, ob der Panchen Lama noch am Leben war oder nicht.
1980 wurde der Panchen Lama wieder als Vize-Präsident des Nationalen Volkskongresses eingesetzt. Unmittelbar nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis ersuchte er die chinesische Regierung um Erlaubnis, Tibet besuchen zu dürfen.
Als er in Lhasa eintraf, erklärte er: "Tibet ist meine Heimat und dieses Land liegt mir besonders am Herzen. Obwohl ich die letzten achtzehn Jahre abwesend war, schlug mein Herz stets für die Menschen in Tibet. Stets habe ich Tibet und mein Volk vermißt und mich um sein Wohlergehen gesorgt." Bis zu seinem Tode besuchte er Lhasa noch siebenmal und reiste außerdem durch verschiedene Teile Amdos und Khams.
Als er 1985 während des Monlam Festes zu einer Versammlung von Tibetern in Lhasa sprach, sagte der Panchen Lama. "Seine Heiligkeit den Dalai Lama und mich verbindet eine geistige Freundschaft. Es gibt keinen Unterschied zwischen Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama und mir. Einige Leute versuchen, einen Keil zwischen uns zu treiben, aber das wird ihnen nicht gelingen".
Auf der Sitzung des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses (TAR), die im März 1987 in Peking stattfand, kritisierte der Panchen Lama unverhohlen vor einer Versammlung von Tibetern die von der chinesischen Regierung in Tibet betriebene Bildungs- und Wirtschaftsentwicklungs- und Siedlungs-Politik, sowie die diskriminierende Behandlung der Tibeter.
Am 9. Januar 1989 traf der Panchen Lama in Shigatse ein, um die soeben renovierten Mausoleen des Fünften und Neunten Dalai Lamas einzuweihen. Am 24. Januar 1989 verkündete er Lama in Shigatse öffentlich, die chinesische Herrschaft in Tibet habe dem Volk mehr Zerstörung als Nutzen gebracht. Und am 28. Januar 1989, vier Tage nach dieser historischen Verurteilung, starb der Panchen Lama im Kloster Tashilhunpo.
Sein so plötzlicher und mysteriöser Tod gab zu einer Menge Spekulationen Anlaß. Wurde er umgebracht oder starb er eines natürlichen Todes? Jedoch wurde seit seinem Tod immer klarer, daß der Zehnte Panchen Lama ein Patriot und Märtyrer für die Sache Tibets gewesen war. Daran gehindert, seinen Gedanken und Gefühlen Gehör zu verschaffen und über ein Jahrzehnt lang eingekerkert und beschimpft, war er dennoch einer der heftigsten und mutigsten Kritiker der Politik Maos in Tibet.
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