14. August 2003
Tibet-Bureau Genf

Die UNESCO fordert China auf, den Stadtentwicklungsplan von Lhasa zu überarbeiten

Aufruf zum Schutz aller traditionellen Gebäude in der tibetischen Hauptstadt

Das Komitee, welches die Erfüllung der UNESCO-Konvention hinsichtlich des Schutzes des Weltkultur- und Naturerbes überwacht, hat die chinesischen Behörden dringend gebeten, ihren Stadtentwicklungsplan für die tibetische Hauptstadt Lhasa nochmals zu überarbeiten.

Diese Entscheidung wurde auf der 27. Sitzung des Weltkulturerbe-Komitees der UNESCO getroffen, die vom 30. Juni bis 5. Juli dieses Jahres in Paris abgehalten wurde. Auf Grund dieses Beschlusses schlug das Komitee den chinesischen Behörden eine Reihe von Maßnahmen vor, um so die durch den Entwicklungsdruck verursachten negativen Auswirkungen auf den Wert des Kulturerbes dieser Gebäude abzumildern, während es gleichzeitig die Formulierung einer nationalen Politik zum Schutz aller in Lhasa verbliebenen historischen Gebäude forderte.

Diese neueste Initiative der UNESCO erfolgt auf den von dem Komitee auf seiner 26. Sitzung im Juni 2002 in Budapest gebilligten Beschluß, in dem die Einwilligung der chinesischen Behörden gewürdigt wurde, einer "reactive monitoring mission" (ad-hoc-Expertengruppe in beratender/empfehlender Mission) einen Besuch in Lhasa zu gestatten, um den Stand der Erhaltung der Bausubstanz zu überprüfen und beratende Gespräche mit den Baubehörden zu führen. Auf den Budapester Beschluß hin reisten im Oktober 2002 bzw. April 2003 Experten der UNESCO und des ICOMOS (International Council on Monuments and Sites) nach Lhasa.

ICOMOS (www.international.icomos.org) wird in der Konvention über das Weltkulturerbe als eine der professionellen Berater-Organisationen des UNESCO Weltkulturerbe-Komitees anerkannt. Die Internetseite der Organisation besagt, daß sie für die Einschätzung kultureller Gebäude zur Aufnahme in die Liste des Weltkulturerbes zuständig ist und auch bei Berichten über den Stand der Erhaltung und die Verwaltung der bereits in die Liste eingetragenen Gebäude mitarbeitet. Dies bedeutet einerseits eine systematische Berichterstattung auf Ersuchen des Weltkulturerbe-Komitees oder der Regierungen der Länder, die Vertragsstaaten der Konvention sind, und andererseits die Erstellung von Expertisen über die in die Liste aufgenommenen Gebäude, deren kultureller Wert durch natürliche Einwirkungen oder menschlichen Einfluß bedroht ist.

Einen Monat vor der Konferenz in Budapest rissen die chinesischen Behörden eine Reihe historisch relevanter tibetischer Häuser in Lhasa ab (www.savetibet.org/news), was ernsthafte Bedenken hervorgerufen hat, ob Peking wirklich zu seiner Verpflichtung steht, die Vereinbarungen der UNESCO-Konvention einzuhalten.

Bei der 59. Sitzung der UN-Kommission für Menschenrechte in diesem Jahr berichtete der Sonderberichterstatter für angemessene Unterbringung, Miloon Khothari (Indien), er habe sich als Antwort auf all die Appelle, die er von Gesellschaften, Vereinen und Einzelpersonen wegen des Abbruchs historischer Gebäude und Häuserkomplexe in Lhasa und des Vorwurfs der Zwangsräumung der größtenteils tibetischen Bewohner aus ihren Häusern erhalten hatte, schriftlich an die chinesische Regierung gewandt. Im Oktober 2002 erhielt er von dieser eine Antwort, worin ausführlich über die Bemühungen der Regierung um Gesetzesänderungen und die Einführung von Maßnahmen zur Renovierung von Gebäuden in schlechtem baulichem Zustand unter Erhaltung ihres historischen und kulturellen Wertes berichtet wird. Während er die vorgeschlagene bauliche Lösung der Regierung würdigte, betonte er die Notwendigkeit, den Dialog in dieser Angelegenheit fortzuführen und dabei die Auswirkungen der Baugesetzgebung und der politischen Maßnahmen auf die Einhaltung des Menschenrechtes auf angemessene Wohnung im Blick zu behalten. Dies ist insbesondere bedeutsam im Zusammenhang mit den Verpflichtungen, welche die einzelnen Staaten mit dem ICESCR (International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights), welchen China 2002 ratifizierte, eingegangen sind.

Das Weltkulturerbe-Komitee, das nach Prüfung der Ergebnisse und Empfehlungen der beiden Erkundungsmissionen nach Lhasa am Hauptsitz der UNESCO in Paris zusammentrat, erklärte: "Unter Berücksichtigung der laufenden Veränderungsprozesse und der Stadtentwicklung wird empfohlen, den Stadtentwicklungsplan noch einmal zu überarbeiten, um die schwierige Aufgabe der einheitlichen Erhaltung des Stadtgebietes von Lhasa zufriedenstellend zu lösen. Der aktuelle Denkmalschutzplan für die Jahre 1995 bis 2015 sollte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, um ihr Verständnis für diesen Plan zu verbessern. Zur regelmäßigen Prüfung der Relevanz des Denkmalschutzplanes sollte im Planungsprozeß selbst ein geeigneter Mechanismus geschaffen werden".

"Die Tatsache, daß die Delegation der UNESCO-ICOMOS die Lage in Lhasa direkt vor Ort in Augenschein nehmen konnte, läßt uns neuen Mut schöpfen. Die im jüngsten Beschluß über die zum Weltkulturerbe erklärten Gebäude in Lhasa ausgesprochenen Empfehlungen werden, sollten sie umgesetzt werden, gewiß dazu beitragen, das reiche kulturelle Erbe der Tibeter zu bewahren", meinte Chhime R. Chhoekyapa, der Vertreter Seiner Heiligkeit des Dalai Lama für UN-Angelegenheiten in Europa.

Als Reaktion auf die Abrißaktionen, die in Lhasa stattgefunden haben, forderte das Komitee einen Abbruchstopp, insbesondere im Stadtteil Shol. "Falls unter außergewöhnlichen Umständen ein Abbruch erforderlich ist, sollte der Neubau im Einklang mit dem historischen Wesen des Stadtteils stehen. Der Vertragsstaat wird gebeten, das Weltkulturerbe-Komitee über seine Politik zur Erhaltung des historischen Stadtgefüges Lhasas in Kenntnis zu setzen".

Die chinesischen Behörden wurden ebenfalls gebeten, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Ergebnissen und Empfehlungen der "reaktiven Monitoringkommission" in konzertierter Weise Folge zu leisten und zum 1. Februar 2004 einen Fortschrittsbericht "über die eingeleiteten Schritte und die langfristige Entwicklungsstrategie, die sie für die Bausubstanz vorschlagen", zur Begutachtung durch das Weltkulturerbe-Komitee bei seiner 28. Sitzung im Jahr 2004 vorzulegen.

Der Potala Palast, der Jokhang Tempel und der Norbu Lingka Palast wurden unter der Sammelbezeichnung "Historisches Ensemble des Potala Palastes" zum Weltkulturerbe ernannt. Diese drei berühmten Gebäudekomplexe Lhasas wurden 1994, 1998 bzw. 2001 auf die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes gesetzt.

Am 20. Dezember 1994 teilte die tibetische Regierung im Exil in einer Presseerklärung mit: "Es wäre historisch nicht korrekt, wenn die UNESCO den Potala Palast als historisches Denkmal der Chinesen eintragen würde. ... Der Potala Palast ist ein tibetisches Kulturerbe, errichtet und erhalten von dem tibetischen Volk. ... Für den angemessenen Schutz des Palastes muß die UNESCO eine Möglichkeit zur Kontrolle der Schutzmaßnahmen durch internationale Experten vor Ort schaffen. Ferner ist es unerläßlich, daß die Überwachung unter Einbeziehung der Tibeter und unter Berücksichtigung der tibetischen Tradition stattfindet".