21. Juli 2018
Central Tibetan Administration, www.tibet.net

Chinas WeiSSbuch über Tibets Ökologie: zu viele Lügen und Widersprüche

Von Zamlha Tenpa Gyaltsen*

Chinas jüngstes Weißbuch „Ökologischer Fortschritt auf dem Qinghai-Tibet-Plateau“ beginnt mit der dreisten Lüge, daß die Kommunistische Partei Chinas (KPC) und die chinesische Regierung dem ökologischen Fortschritt stets große Bedeutung zugemessen hätten.

In der Tat geht der berüchtigte Slogan „Der Mensch muß die Natur besiegen“ auf Mao Zedong, den Gründer der KPC, zurück. In seiner Eröffnungsrede vor der Nationalen Konferenz der KPC am 21. März 1955 erklärte er, daß „es möglich ist, sogar die Natur als einen Feind zu erobern“. Er führte weiter aus, daß „sogar die hohen Berge sich beugen und die Flüsse sich fügen müssen“. Diese Haltung der KPC gegenüber der Natur und ihre Forderung nach Entwicklung um jeden Preis hat China zu einem der am meisten verschmutzten Länder auf der Erde gemacht.


Zu viele Lügen und sachliche Irrtümer

Das Weißbuch könnte eine wunderbare Lektüre für jemanden abgeben, der sehr wenig über Tibet weiß, doch für einen regelmäßigen Beobachter enthält es zu viele Lügen und sachliche Fehler. In dem Papier heißt es, daß „das Qinghai-Tibet-Plateau eine der Regionen mit der strengsten Wasserbewirtschaftung und dem strengsten Gewässerschutz in China ist“. Doch dafür gibt es zu viele Fälle von Fabriken und Bergbauunternehmen, die die lokalen Gewässer verschmutzten, und nicht dafür bestraft wurden.

Der Fall, wo die Ronda Lithium Co. Ltd. Abwässer aus den Lithium-Minen in den Fluß Lichu in Minyak Lhagong (Region Kardze) spülte, ist nur ein solches Beispiel. Die toxischen Abfallprodukte (4. Mai 2016) führten zu einem massenhaften Fischsterben und verunreinigten die Trinkwasserquellen der lokalen Gemeinden.

In einem ähnlichen Fall protestierten am 23. September 2014 über eintausend Tibeter der Dörfer Dokar und Zibuk in der Nähe von Lhasa gegen die Vergiftung ihres Flusses durch die Kupfer Polymetall Mine von Gyama (1). Das Bergwerk liegt an einem Fluß, der der örtlichen Bevölkerung als Quelle für Trinkwasser, zur Bewässerung ihrer Felder und zum Tränken ihres Viehs dient.

Jiajikal Lithium Mine in Tagong

Ein anderes Beispiel für das Fehlen einer ordnungsgemäßen Wasserbewirtschaftung ist die hemmungslose Verkippung von ländlichem und städtischem Abfall in die Flüsse. Das Weißbuch behauptet, daß 6,3 Mrd. RMB für Projekte zur Klärung von Haushaltsabwässern und zur Müllentsorgung aufgebracht worden seien, doch in Wirklichkeit gibt es in Tibet, insbesondere in ländlichen Gegenden, praktisch keine Müllabfuhr und Entsorgungsanlagen.

Ferner wird in dem Weißbuch behauptet, die Qinghai-Tibet-Eisenbahn sei ein Beispiel für grüne Entwicklung. Dazu wird das Science Magazine vom 27. April 2007 zitiert, wo stehe, daß die Eisenbahn „die nachhaltige ökologische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung Westchinas letzten Endes fördern wird“. Tatsächlich lautet der Satz in einem Artikel von Science Magazine mit dem Titel „Building a Green Railway in China“, aber so: „Bei gewissenhaftem Betrieb wird die Qinghai-Tibet-Eisenbahn die nachhaltige ökologische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung Westchinas letzten Endes fördern“. Zur Stützung ihres Arguments mißachten die Autoren des Weißbuches die intellektuelle Integrität, indem sie unvollständige Sätze selektiv und falsch aus Science Magazine zitieren, womit der tatsächliche Kontext verändert wird.

Widersprüche zwischen der Politik und ihrer Umsetzung

Es gibt viel zu viele Widersprüche zwischen den politischen Überlegungen für den Umweltschutz und deren tatsächlicher Umsetzung vor Ort. In dem Weißbuch wird behauptet, daß „die betreffenden Provinzen und Autonomen Regionen aktiv Maßnahmen ergriffen haben, um das öffentliche Bewußtsein für die Erhaltung der Natur zu schärfen, wie etwa die vermehrte Durchführung von öffentlichen Kampagnen über die Wichtigkeit des Umweltschutzes“.

Doch in einer am 7. Februar 2018 von der Abteilung für Öffentliche Sicherheit der TAR herausgegeben amtlichen Mitteilung werden alle Aktivitäten für den Umweltschutz in Tibet als illegal erklärt. Dies widerspricht allerdings den zuvor aufgestellten Behauptungen.

Die Mißachtung der Proteste der Tibeter in Amchok gegen die Förderung von Mineralien ist auch so ein Widerspruch. Am 31. Mai 2016 protestierten ungefähr zweitausend Tibeter in Amchok in Nordosttibet gegen den Abbau von Bodenschätzen an ihrem heiligen Berg Gong-nyong Lari. Die chinesische Regierung ging brutal gegen die Protestierenden vor. Es gab zahlreiche ernsthaft Verletzte und sechs Personen wurden festgenommen. Sie hatten den „Schutz der Umwelt, den Schutz des heiligen Berges und den Schutz der Menschen“ gefordert.

Protest gegen Bergbau in Amchok

Einige wichtige Fragen werden ignoriert

Obwohl die tibetischen Gebiete in den letzten Jahren von verheerenden Überflutungen, Erdrutschen und Schlammlawinen heimgesucht wurden, gibt es in dem Weißbuch keine Erwähnung von solchen Naturkatastrophen (2).

Die gebirgige tibetische Hochebene ist wegen ihrer großen Höhenlage bei geringer geographischer Breite von den Auswirkungen des Klimawandels besonders stark betroffen. Die Situation wird durch die hemmungslose Bauwut und die Bergbauaktivitäten in der Region weiter verschärft. Seit 2016 gab es so viele Naturkatastrophen wie nie zuvor. Gerade jetzt finden an vielen Orten Nordost- und Zentraltibets Überschwemmungen und Erdrutsche statt. Leider ist in dem Weißbuch von all diesen Katastrophen keine Rede, ebensowenig von etwaigen Maßnahmen der chinesischen Regierung, um ihnen zu begegnen.

Das ist offensichtlich so, weil der chinesischen Regierung das wirkliche Verständnis für die augenblickliche Umweltsituation in Tibet fehlt. Sie hat kaum etwas gegen den Klimawandel unternommen, und keine vorbeugenden Maßnahmen gegen die durch die immer häufiger werdenden Naturkatastrophen entstehenden Schäden ergriffen. Wie schon so oft der Fall, waren es die Mönche der tibetischen Klöster, die bei den Naturkatastrophen herbeieilten, um den Menschen zu helfen.

Während das Weißbuch von großen Fortschritten bei der Schaffung von Naturreservaten spricht, wird die mißliche Lage von Millionen von zwangsangesiedelten Nomaden einfach übergangen. Der Mangel an Arbeitsplätzen und Bildungseinrichtungen an den Umsiedelungsorten haben die Nomaden an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wo sie dem Alkoholismus und der Prostitution verfallen und ihre Kinder zu Kleinkriminellen werden. Eine ganze Generation von Tibetern ist verarmt und in die Verelendung gestürzt worden.

In dem Schriftstück finden sich sehr wenige Informationen über die Regionen von Ngawa und Kardze in Osttibet. Diese Regionen wurden in letzter Zeit von immer mehr Naturkatastrophen heimgesucht, es kam zu häufigen Protesten gegen den Bergbau, und die Menschen leiden schwer unter den repressiven politischen Maßnahmen des Staates.

Schlußfolgerungen

Angeblich umwelterhaltende Maßnahmen werden den Tibetern vom Staat einfach aufgezwungen, ohne sie vorher zu informieren oder die Ortsbewohner mit einzubeziehen. Solche kolonialen Vorgehensweisen führten schon oft zu Konfrontationen zwischen der Bevölkerung und der Regierung. Dabei sind es gerade die Tibeter, welche die empfindliche Natur des Hochplateaus Tausende von Jahren bewahrt und ein großes indigenes Wissen über das Land und seine Klimamuster erworben haben.

Die Regierung unternimmt keinerlei Anstrengungen, um der neuen Umweltsituation und den neuen klimatischen Bedingungen gerecht zu werden, was ein schwerwiegendes Versäumnis ist. Die Tibeter sollten doch in den kommenden Jahren nicht mit solchen Naturkatastrophen alleine gelassen werden, wie es in den vergangenen drei Jahren geschehen ist.

Die Einführung strengerer Regeln zum Schutz der Naturreservate ist zu begrüßen. Eine ähnliche Politik wäre dringend erforderlich, um den Zustrom von Millionen von Touristen auf das Hochplateau einzudämmen, denn sie könnten einen massiven CO2-Fußabdruck auf dem fragilen Ökosystem Tibets hinterlassen.

Die Millionen umgesiedelter Nomaden sollten Jobs bekommen, Bildungsmöglichkeiten und medizinische Versorgung, damit sie sich ihren Lebensunterhalt wieder verdienen können und ihre Würde zurückerhalten.
Seit Xi Jinping seines Amtes als Präsident Chinas waltet, gab es in ganz China und auch in Tibet positive Ansätze im Umweltschutz. Doch der Mangel an Umweltwissen, an Achtung vor der Umwelt und an einem aufrichtigen Wunsch nach Umweltschutz bei den chinesischen Funktionären führte zu einer ganzen Reihe von Widersprüchen und Konfrontationen. Das Ergebnis ist, daß die Umweltschutzprojekte vieler chinesischer Regionalregierungen in Tibet nur dazu führen, daß die lokale Umwelt noch mehr geschädigt und die Lebensgrundlage der Einheimischen zerstört wird.

*Zamlha Tenpa Gyaltsen ist ein Umweltforscher am Tibet Policy Institute,
http://tibet.net/2018/07/chinas-white-paper-on-tibets-ecology-too-many-lies-and-contradictions/

(1) Chinesische Bergwerke belasten Tibets Bäche und Flüsse durch Schadstoffe,
http://www.igfm-muenchen.de/tibet/RFA/2013/ChineseMines_6.5.html

(2) 04.09.2017, Wasserfluten in Tibet: Kampf um die Anpassung an die neuen Gegebenheiten,
http://www.igfm-muenchen.de/tibet/diir/2017/FloodedTibet%204.9.17.html