30. Juli 2018
Central Tibetan Administration, www.tibet.net

Behörden gehen gegen soziale Gruppierungen von Tibetern vor

Neue Bestimmungen verbieten soziale Aktivitäten von Tibetern unter dem Vorwand der Bekämpfung von „organisiertem Verbrechen“

In einem am 30. Juli veröffentlichten Bericht schildert Human Rights Watch, wie die chinesischen Behörden mittels einer angeblichen Anti-Mafia Gesetzgebung gegen als politische Dissidenten Verdächtigte vorgehen und wie sie so alle Bürgerinitiativen in den tibetischen Gebieten unterdrücken. Sie behandeln nun auch traditionelle Formen von gesellschaftlicher Betätigung, sogar die Vermittlungsversuche von Lamas oder anderen Respektspersonen bei Auseinandersetzungen in der Familie oder Gemeinschaft direkt vor Ort als illegal.

Chinesische Polizei marschiert vor dem Potala

Der über einhundert Seiten umfassende Bericht „Illegal Organizations: China’s Crackdown on Tibetan Social Groups“ (1) handelt von dem Bestreben der KPC, auch noch die letzte Einflußnahme von Lamas und traditionellen Wortführern in den tibetischen Gemeinschaften auf lokaler Ebene auszumerzen. Der Bericht enthält selten veröffentlichte ausführliche Interviews mit betroffenen Tibetern, Cartoons der staatlichen Medien, die die neuen Restriktionen veranschaulichen, und Fälle von Tibetern, die wegen ihres Engagements in Gemeinschaftsaktivitäten willkürlich festgenommen wurden.

„Die Polizei und die KPC hatten ja schon jetzt praktisch unbegrenzte Macht über das tägliche Leben der Tibeter“, sagte Sophie Richardson, die Leiterin des China-Ressorts bei Human Rights Watch. “Doch nun können die Behörden die Leute wegen ganz gewöhnlicher Versammlungen, aus welchem Anlaß auch immer, die nicht direkt vom Staat angeordnet oder gebilligt wurden, verfolgen“.

Im Februar 2018 veröffentlichte das Büro für Öffentliche Sicherheit der TAR in einem Verwaltungsschreiben eine Liste von neu definierten Formen des „organisierten Verbrechens“. Es war der erste Schwung solcher auf Provinzebene erlassener Verbote. Die nun verbotenen Aktivitäten betreffen alle Initiativen für die Förderung der einheimischen Sprache und Kultur und für den Schutz der heimatlichen Umwelt. Das Dokument erachtet diese Aktivitäten als Ausdruck der Unterstützung für das tibetische geistliche Oberhaupt, den Dalai Lama, und deshalb als subversiv. Ebenso werden traditionelle Formen von sozialer Organisation wie etwa die Vermittlung bei Gemeinschafts- und Familiendisputen und Fonds für gemeinnützige Zwecke als organisiertes Verbrechen eingestuft.

Human Rights Watch konstatiert, daß die Kriminalisierung von harmlosen Formen der sozialen Betätigung in manchen tibetischen Gebieten schon seit 2012 offizielle Politik war. Dieser Politik sind in dieser Zeit viele Festnahmen, die Verfolgung von Wohltätern der Gesellschaft, die Schließung von örtlichen Schulen und andere Initiativen von Selbsthilfe-Gruppen zuzuschreiben.

Cartoon der Präfektur Malho: Prozessionen, kollektive Proteste, Ansammlungen von Personen werden niedergeschlagen


Verordnungen des Regierungsbezirks Chamdo in der TAR und der Präfektur Malho in der Provinz Qinghai verbieten „jede Gruppierung von über fünf Personen“, die sich ohne offizielle Erlaubnis bildete. Und jede von der Bevölkerung ausgehende Initiative für die Bewahrung der tibetischen Sprache, Kultur und Religion oder für den Schutz der heimischen Umwelt und Fauna wird zur Bewegung für tibetische Unabhängigkeit und geheimen Absprache mit „ausländischen, gegen China gerichteten Kräften“ erklärt.

Als ein Mitglied der Vereinten Nationen akzeptiert China die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die die Rechte auf Vereinigungsfreiheit, friedliche Versammlung, freie Meinungsäußerung und die Freiheit, am kulturellen Leben der Gemeinschaft teilzunehmen, anerkennt. Wie Human Rights Watch erklärt, sind diese neuen Bestimmungen ein deutlicher Beweis dafür, daß China diese Rechte in den tibetischen Gebieten systematisch verletzt. Die chinesische Regierung, die Parteifunktionäre und der Staatsschutz sollten sofort ihre ungerechtfertigten Interventionen bei der Gründung und der Betreibung unabhängiger sozialer Gruppierungen in den tibetischen Gemeinschaften beenden.

Besorgte Regierungen in aller Welt und die UN-Gremien sollten Chinas Staatsführer öffentlich dazu aufrufen, die Gesetze und politischen Maßnahmen, die die Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlungen und Vereinigungen einschränken, mit ihrem Anspruch auf Rechtsstaatlichkeit in Einklang zu bringen. Diese Besorgnis sollte auch bei Chinas Überprüfung hinsichtlich des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung im August bei der UNO zum Ausdruck gebracht werden.

„Peking behauptet immerzu, die Tibeter hätten Autonomie und ihre Rechte als ethnische Minderheit würden respektiert“, fuhr Richardson fort. „Doch die tatsächlichen Gegebenheiten zeigen nur die zunehmende Repression der Tibeter im täglichen Leben und die Unterdrückung ihrer grundlegenden Menschenrechte“.   
 

https://www.hrw.org/news/2018/07/29/china-crackdown-tibetan-social-groups

(1) full report:
https://www.hrw.org/sites/default/files/report_pdf/tibet0718_web.pdf


„Illegal Organizations: China’s Crackdown on Tibetan Social Groups“