26. Juli 2019
Central Tibetan Administration (CTA), www.tibet.net

Chinas Weissbuch zur Landesverteidigung: ein Säbel mit Zuckerglasur

von T. G. Arya*

Inmitten der wachsenden Turbulenzen auf Hongkong Island und der immer stärker werdenden Stimme für die Unabhängigkeit Taiwans, der Unterdrückung und des kulturellen Völkermords in Tibet und der Uiguren sowie des eskalierenden US-Handelskrieges hat China am 24. Juli ein Weißbuch mit dem Titel "Chinas National Defense in the New Era" veröffentlicht. Loyale Kommentare und Rechtfertigungen folgten unmittelbar darauf in Chinas offiziellen Sprachrohren, Xinhua News und Global Times.

Die einundfünfzigseitige englische Übersetzung des Whitepapers umfaßt etwa sechs Kapitel, in denen bewiesen wird, wie notwendig es für China ist, eine verstärkte nationale Verteidigung und ein starkes Militär aufzubauen. Der Zweck des Whitepapers lautet: "Die Erläuterung der defensiven nationalen Verteidigungspolitik Chinas und die Erläuterung der Praxis, der Ziele und der Bedeutung der Bemühungen Chinas, eine verstärkte nationale Verteidigung und ein starkes Militär aufzubauen, in der Absicht, der internationalen Gemeinschaft zu helfen, die nationale Verteidigung Chinas besser zu verstehen".

Weißbuch: "China's National Defense in the New Era", Foto CTA

Dort steht: "Frieden ist ein gemeinsames Anliegen der Menschen auf der ganzen Welt". Das Whitepaper enthält viele Informationen über Frieden, Zusammenarbeit und Entwicklung, um die Tätigkeit des chinesischen Militärs und die Rolle der People’s Liberation Army (PLA) zu rechtfertigen. Darüber hinaus hat es eine drastische Warnung gegenüber Taiwan ausgesprochen und Tibet und die Uiguren als nationales Sicherheitsrisiko eingestuft. Hongkong wurde bewußt ausgelassen, das stillschweigende Nahziel.

China sagt im Whitepaper, daß es "niemals Hegemonie, Expansion und Einfluß anstreben wird", was wir begrüßen, und wie wir es alle wünschen, wenn es wahr sein könnte. Leider werden China-Beobachter und die internationale Gemeinschaft diese Aussage angesichts der sachlichen und historischen Verzerrung, die China in den in der Vergangenheit zu Tibet veröffentlichten Weißbüchern absichtlich vorgenommen hat, nicht für bare Münze nehmen.

Es steht da, China strebe nicht nach Hegemonie, aber was ist dann mit den Regionen, die bereits unter seiner illegalen Besetzung stehen, wie Tibet? Was ist mit den 12 Entwicklungsländern, deren Häfen, Medien, Wirtschaft und Zivilbehörden in die Schuldenfalle der Belt and Road Initiative (BRI) geraten sind und die China übernommen hat? ["Chinese Malign Influence and the Corrosion of Democracy" International Republican Institute (IRI), Bericht von 2019]

In dem Papier heißt es: "Egal, wie die Entwicklung weitergehen wird, China wird nie ein anderes Land bedrohen oder dort einen Einflußbereich suchen."

Die chinesische Einmischung in Nepal, um die Tibeter an der Leine zu halten, stumm, unbeweglich und außer Landes, hat die Grenze des Einflußbereiches bereits überschritten. Die jüngste Abschiebung eines tibetisch-amerikanischen Mannes, der einen ähnlichen Namen wie der ehemalige Präsident [Penpa Tsering] des tibetischen Parlaments im Exil trägt, durch die nepalesische Einwanderungsbehörde hat das Ausmaß der diktatorischen Autorität Chinas in der Zivilverwaltung Nepals gezeigt.

„China wird nie jemand bedrohen“ - Erst kürzlich hat China Indien bedroht, indem es das Land gemahnt hat, sich bezüglich der Wiedergeburt des 15. Dalai Lama an das Diktat des kommunistischen China zu halten.

In dem Whitepaper heißt es: "Seit ihrer Gründung vor 70 Jahren hat die Volksrepublik China (VR China) nie einen Krieg oder Konflikt begonnen."

Wurde Tibet in den 1950er Jahren nicht illegal besetzt, und was verursachte den Tod von 1,2 Millionen Tibetern und die Flucht Seiner Heiligkeit des Dalai Lama und der Tibeter ins Exil? Was ist mit der nicht provozierten chinesischen Aggression gegen Indien im Jahr 1962, dem sogenannten chinesisch-indischen Krieg und den zahlreichen Grenzübergriffen, die Indien erlebt hat, zuletzt die Doklam-Pattsituation im Jahr 2017?

Die wichtige Frage ist nun: Was hat das kommunistische Regime veranlaßt, zu diesem Zeitpunkt ein Weißbuch über die nationale Verteidigung herauszugeben? Wenn wir die Tatsachen, die die gegenwärtige Situation ausmachen, analysieren, verraten sie uns Chinas Plan, das Militär und seine PLA-Armee zur Eindämmung ziviler Unruhen einzusetzen, weshalb die Menschen in Hongkong wachsam sein sollten. Während es Taiwan in einem aggressiven Ton vor seinem Unabhängigkeitsdrang warnt, werden Tibet und die Uiguren nur als Bedrohung für Chinas nationale Sicherheit und soziale Stabilität dargestellt.

Das Weißbuch hat die USA wegen ihrer einseitigen Politik offen zur Rede gestellt und angegriffen. Es kritisierte die Trump-Administration für ihre erhöhte Aktivität wegen der sogenannten Freiheit des Schiffsverkehrs im Südchinesischen Meer. Aber sollte sich China nicht Gedanken darüber machen, was diese erhöhte Aktivität verursacht hat? Wer hat zuerst den Frieden in diesem ansonsten friedlichen Süd- und Ostchinesischen Meer gestört? Welches Land in der Region steht nicht im Clinch mit China?

Beunruhigend ist, wie explizit der Zweck des Whitepapers in der Global Times erklärt wird, wo es heißt: "Das Whitepaper hat auch zum ersten Mal definiert, daß die Missionen und Aufgaben der PLA darin bestehen, strategische Unterstützung zu leisten, um die Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) und des sozialistischen Systems zu festigen, die nationale Souveränität, Einheit und territoriale Integrität zu wahren, die Interessen Chinas im Ausland zu schützen und Frieden und Entwicklung in der Welt zu fördern".

Die obige Aussage verheißt schlechte Zeiten für diejenigen, die sich im Widerspruch mit dem kommunistischen Regime befinden. Tibeter und Uiguren, obwohl sie schon völlig unter militärischer Kontrolle stehen, warnt das Whitepaper, daß weitere Repressionen unter Beteiligung der PLA-Armee anstehen. Es gibt bereits Anzeichen dafür, daß die Art von uigurischen Haftanstalten oder Gulags auch in Tibet auftaucht. Die unmittelbare Zielscheibe des Weißbuchs sind Hongkong und Taiwan, und China strebt indirekt eine internationale Zustimmung zu den bevorstehenden Militäraktionen in diesen Regionen an. Es ist eine klare Botschaft aus China, die internationale Gemeinschaft darüber zu informieren, daß sich das chinesische Militär und die Volksbefreiungsarmee (PLA) sehr bald in den Straßen von Hongkong und später in Taiwan befinden könnten.

* T.G. Arya ist der Informationssekretär der Abteilung für Information und Internationale Beziehungen (DIIR) der zentraltibetischen Verwaltung. Haftungsausschluß: Die oben geäußerten Ansichten sind die eigenen des Autors.