18. Juni 2021
Central Tibetan Administration (CTA), www.tibet.net

Einhundert Jahre der Verwüstung

Chinas Macht über die Flußsysteme Asiens

von Brahma Chellaney, Projekt Syndikat

Die Annexion des wasserreichen tibetischen Hochplateaus - des Ausgangspunkts von Asiens zehn großen Flußsystemen - durch die Kommunistische Partei Chinas im Jahr 1951 verlieh China eine enorme Macht über Asiens Gewässerkarte. In den darauffolgenden Jahrzehnten hat das Land das Beste aus diesem geographischen Vorteil gemacht, allerdings zu einem enormen sozialen und ökologischen Preis.

Am 1. Juli wird die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) zur Feier des hundertsten Jahrestages ihrer Gründung ein phantastisches patriotisches Ereignis inszenieren. Unter den Errungenschaften, die sie feiern wird, ist auch der Baihetan-Staudamm, der sich am Jinsha-Fluß (Zufluß des Yangtse) am südöstlichen Rand des tibetischen Hochplateaus befindet. Der Staudamm  wird am selben Tag in Betrieb genommen.

Staudamm am Yarlung Tsangpo in Zhangmu, Präfektur Lhoka, TAR

Die KPCh liebt den Superlativ. Sie ist der größte Produzent und Exporteur der Welt und verfügt über die größten Devisenreserven aller Länder. Sie rühmt sich der höchstgelegenen Eisenbahnlinie der Welt und der höchsten und der längsten Brücken. China ist auch das Land mit den meisten Staudämmen der Welt, mit mehr großen Staudämmen als der Rest der Welt zusammen, und es ist stolz darauf, das größte Wassertransfer-Kanalsystem der Welt zu besitzen.

Die Dämme selbst sind oft schon Superlative. Der Drei-Schluchten-Damm ist das größte Kraftwerk der Welt, was die installierte Leistungsfähigkeit betrifft, und der Baihetan-Damm wird als die größte Bogenstaumauer der Welt gepriesen sowie als das weltweit erste Projekt, bei dem ein riesiger 1-Gigawatt (GW)-Wasserturbinengenerator zum Einsatz kommt. Mit 16 solcher Generatoren ist Baihetan der zweitgrößte Staudamm der Welt (nach dem Drei-Schluchten-Staudamm mit 22,5 GW). All das ist großartiges Futter für den von der KPCh angeheizten Nationalismus, was für die Legitimität der Partei wesentlich ist.

China protzt oft mit seinen wasserbaulichen Fähigkeiten - einschließlich der Ausführung des ehrgeizigsten Wassertransfersystems zwischen Flüssen, das jemals erdacht wurde -, um seine militärische und wirtschaftliche Macht zu unterstreichen. (Natürlich gibt es auch Superlative, mit denen China bei seiner bevorstehenden Hundertjahrfeier nicht protzen wird - angefangen mit dem weltweit größten Netzwerk von Konzentrationslagern.)

Doch Chinas Dämme sind nicht bloße Symbole der Bedeutung des Landes. Noch ist ihr Zweck bloß, Chinas Wassersicherheit zu gewährleisten, wie die KPCh behauptet. Sie sind ebenso geplant als Quelle für die Einflußnahme, die China ausüben kann, um die flußabwärts gelegenen Länder unter Kontrolle zu halten. Die Annexion des wasserreichen tibetischen Plateaus, dem Ausgangspunkt der zehn großen Flußsysteme Asiens, durch die KPCh im Jahr 1951 verlieh China eine enorme Macht über Asiens Gewässersystem. In den darauffolgenden Jahrzehnten hat das Land das Beste aus diesem geographischen Vorteil gemacht. Durch den Bau von 11 riesigen Staudämmen am Mekong, kurz bevor dieser nach Südostasien weiterfließt, hat China die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen, den Wasserhahn der Region abzudrehen.

Doch die KPCh läßt die hohen Kosten ihrer Strategie außer Acht, die weit über politische Differenzen mit den Nachbarn hinausgehen. Die unersättliche Staudammbauwut der Partei richtet in den großen Flußsystemen Asiens, einschließlich der beiden Lebensadern des chinesischen Festlandes, dem Gelben Fluß und dem Yangtse, ökologische Verwüstungen an.

Riesige Staudämme schädigen die Ökosysteme, verursachen das Aussterben von Süßwasserspezies, lassen Flußdeltas zurückweichen und stoßen oft mehr Treibhausgase aus als fossile Kraftwerke. Mehr als 350 Seen sind in den letzten Jahrzehnten in China verschwunden, und da es nur noch wenige frei fließende Flüsse gibt, sind die Fragmentierung und die drohende Austrocknung der Flüsse endemisch geworden. Die sozialen Kosten sind nicht minder schwerwiegend.

Aufgrund der schlampigen Bauweise in den ersten drei Jahrzehnten der kommunistischen Herrschaft brachen bis 1981 etwa 3.200 Dämme zusammen, wobei allein der Kollaps des Banqiao-Damms 1975 den Tod von ungefähr 230.000 Menschen verursachte. Natürlich hat China seine Fähigkeiten im Staudammbau seither gewaltig gesteigert, und Baihetan wurde in nur vier Jahren fertiggestellt. Aber da die ersten Dämme in die Jahre kommen und das Wetter immer extremer wird, bleiben katastrophale Dammbrüche ein ernsthaftes Risiko.

Außerdem wurde durch die Staudammprojekte eine enorme Anzahl von Chinesen vertrieben. Im Jahr 2007, als Chinas Megadammbau an Fahrt gewann, enthüllte der damalige Premierminister Wen Jiabao, daß China seit der Machtübernahme der KPCh 22,9 Millionen Menschen umgesiedelt hat, um Platz für Wasserprojekte zu schaffen - eine Zahl, die größer ist als die Gesamtbevölkerung von mehr als 100 Ländern. Allein durch den Drei-Schluchten-Damm wurden mehr als 1,4 Millionen Menschen umgesiedelt, was die KPCh nicht sonderlich zu stören scheint.

Die Überflutung großer Teile des dünn besiedelten Hochlandes von Baihetan hat die Bewohner, die meist der relativ armen Volksgruppe der Yi angehören, dazu gezwungen, Randgebiete in höheren Lagen zu bewirtschaften. Da China seinen Fokus von den staudammgesättigten Flüssen in seinem Kernland auf die Flüsse in den von der KPCh annektierten Heimatgebieten der ethnischen Minderheiten verlagert, werden Chinas wirtschaftlich und kulturell marginalisierte Gemeinschaften am meisten leiden. Und es besteht kaum ein Zweifel daran, daß es so kommen wird.

Die KPCh hat nun den Bau des ersten Superstaudamms der Welt ins Visier genommen, und zwar am Yarlung Tsangpo-Fluß - besser bekannt als Brahmaputra - in der Nähe der stark militarisierten Grenze von Tibet zu Indien.

Neuer Highway von Nyingchi nach Medok entlang des Yarlung Tsangpo

Der Brahmaputra macht eine U-Kurve um den Gebirgsstock und bildet den längsten und tiefsten Canyon der Welt, wenn er aus einer Höhe von 2.800 Metern in die indischen Flußniederungen hinabstürzt. Ihn einzudämmen, bedeutet, auf einer Höhe von mehr als 1.500 Metern zu bauen - dem höchsten Punkt, an dem ein Megastaudamm jemals gebaut wurde. Und weil die Schlucht die weltweit größte ungenutzte Konzentration von Flußenergie birgt, soll der Superdamm eine Wasserkraftkapazität von 60 GW bekommen, fast dreimal so viel wie der Drei-Schluchten-Damm.

Die Tatsache, daß es sich bei der Schlucht um eine der artenreichsten Regionen der Welt handelt, scheint die KPCh wenig zu kümmern, die viel mehr daran interessiert ist, Wasser als Waffe gegen Indien, ihren asiatischen Rivalen, einsetzen zu können. China hat bereits die Weichen für den Bau gestellt, indem es vor kurzem einen Highway durch den Canyon fertigstellte und den Beginn einer Hochgeschwindigkeitsschienentrasse zu einer Militärstadt in der Nähe der Schlucht ankündigte. Dies wird den Transport von schwerem Gerät, Material und Arbeitern in die abgelegene Region ermöglichen, die wegen ihres tückischen Geländes lange Zeit als unzugänglich galt.

Die KPCh betrachtet ihr hundertjähriges Bestehen als Grund zum Feiern. Aber der Rest der Welt sollte die Partei als das sehen, was sie ist: repressiv, völkermörderisch und „umwelträuberisch“. Und sie sollte sich darauf vorbereiten, was das zweite Jahrhundert der KPCh der Welt bringen könnte.