10 March 2006

Commission on Human Rights

E/CN 4/2006/6/Add.6


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Bericht des Sonderberichterstatters für Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Bestrafung

von Manfred Nowak
Mission nach China

(Nichtautorisierte Übersetzung des Tibet betreffenden Teils S. 41 - 44)

Menschenrechtskommission
Zweiundsechzigste Sitzung
Punkt 11 (a) der vorläufigen Tagesordnung
10. März 2006

B. Lhasa Autonome Region Tibet (TAR)

IV. Das Lhasa Gefängnis Nr. 1

(besucht am 26. November 2005)

13. Das Gefängnis hat 800 männliche Insassen, von denen ca. 70% Tibeter sind, ungefähr 20% sind Han-Chinesen und 10% Angehörige anderer Ethnien. Die allgemeinen Bedingungen waren zufriedenstellend, die Häftlinge werden zur Arbeit eingesetzt – sie weben tibetische Matten, pflanzen Blumen an und reparieren Autos. Bezüglich der Einzelhaft vermerkte der Sonderberichterstatter, daß die Zellen 4 x 8 m groß sind und über ein großes Fenster sowie einen Betonboden verfügen. Es wurde ihm gesagt, die Häftlinge würden zwischen einem und fünfzehn Tagen in Einzelhaft gehalten. Der Sonderberichterstatter konnte keinen Zugang zu den Gefängnisakten erlangen, da der zuständige Vollzugsbeamte nicht anwesend war.

14. Die erste Gruppe von Häftlingen, mit denen der Sonderberichterstatter ein Interview führen wollte, schlug die Gelegenheit aus, mit ihm zu sprechen. Nach längeren Zusicherungen zeigte sich schließlich ein Gefangener bereit, offen mit dem Sonderberichterstatter zu reden.

15. Tseren Puntso, 23 Jahre alt, wurde am 13. Juli 2002 im Zusammenhang mit dem Tod eines Menschen an seiner Arbeitsstelle verhaftet, der infolge einer tätlichen Auseinandersetzung am Vortag gestorben war. Auf dem Polizeirevier gestand er die Tat unverzüglich und wurde daraufhin ins Shikaze-Untersuchungsgefängnis verbracht. Dort verblieb er, bis er im Januar 2003 ins Lhasa-Gefängnis transferiert wurde, um seine siebenjährige Haftstrafe zu verbüßen. Diese wurde inzwischen um ein Jahr auf sechs Jahre reduziert. Bis April 2003 war er in der “Sektion für neue Häftlinge” inhaftiert, wo Neuankömmlinge in den Gefängnisregeln unterrichtet werden. Seinen Angaben zufolge wurde er nicht mißhandelt. Im Sommer führt er einfache mechanische Reparaturarbeiten aus. Im Haupthof der Anstalt können die Häftlinge während ihrer Freizeit Basketball spielen. Es gibt Unterricht in Tibetisch, Chinesisch und Mathematik im Gefängnis.

V. Gefängnis der Autonomen Region Tibet, auch unter dem Namen Drapchi bekannt

(besucht am 27. November 2005)

16. In der auch als Drapchi-Gefängnis bezeichneten Haftanstalt sitzen ca. neunhundert Häftlinge ein, von denen 7 – 8 % Frauen sind. Der Sonderberichterstatter wurde darüber informiert, daß nahezu alle Insassen ihre Straftaten gestanden hätten, und daß diejenigen, welche noch nicht geständig gewesen seien, besonderes erzieherisches Augenmerk genössen. Die Fälle von Einzelhaft hätten stark abgenommen. Seit 2003 soll es nur einen einzigen davon gegeben haben, weil die betroffene Person angeblich selbstmordgefährdet war. Es gibt zehn Isolationszellen, von denen eine speziell für selbstmordgefährdete Häftlinge entworfen und ausgestattet wurde. Alle verfügten über ein Fenster in der Decke, das Tageslicht einläßt, und über eine Überwachungskamera. Dem Sonderberichterstatter wurde außerdem eine Liste mit den Namen von 15 Häftlingen vorgelegt, die während ihrer Haft gestorben sind. Einer von ihnen kam durch Selbstmord um, die anderen 14 verstarben infolge von Krankheiten. Keiner der im TAR-Gefängnis befragten Häftlinge erwähnte etwas von Folterung oder Mißhandlung. Dem Sonderberichterstatter liegen jedoch Informationen von ehemaligen Gefangenen aus dem TAR-Gefängnis vor, die derzeit in anderen Haftanstalten einsitzen und die berichten, sie seien gefesselt und mit sandgefüllten Plastikstöcken oder mit elektrischen Schlagstöcken traktiert worden. Obwohl hochrangige Vertreter der TAR dem Sonderberichterstatter mitgeteilt hatten, alle Häftlinge mit Strafen von über zehn Jahren verbüßten ihre Haft im TAR-Gefängnis, erfuhr er erst während seines Besuchs dort, daß die meisten Gefangenen, die er befragen wollte, am 12. April 2005 in das neu erbaute Qushui-Gefängnis (Chushur) verlegt worden waren. Dessen Existenz war bei keiner der Vorbesprechungen mit den Vertretern der TAR-Regierung erwähnt worden.

17. Der Sonderberichterstatter verlangte, eine Anzahl von Gefangenen zu sprechen; nach einer längeren Verzögerung wurde ihm jedoch mitgeteilt, daß die betreffenden Häftlinge im April 2005 in eine neue Haftanstalt, das Qushui-Gefängnis, verlegt worden seien. Die im Drapchi-Gefängnis befragten Gefangenen baten um absolute Vertraulichkeit.

VI. Qushui-Gefängnis

(besucht am 27. November 2005)

18. Das Qushui-Gefängnis ist eine neue Haftanstalt, die im April 2005 in Betrieb genommen wurde. Dort sitzen über 300 männliche Häftlinge ein. Im Rahmen der Umstrukturierung des Gefängnisses der TAR (Drapchi) wurde eine große Anzahl von Gefangenen in diese neue Anstalt verlegt. Dem Sonderberichterstatter wurde mitgeteilt, nach Qushui kämen Kriminelle mit besonders schweren Verbrechen (d.h. mit Strafen über 15 Jahren). Dort würden die Hauptstraftäter inhaftiert, während ihre Komplizen in Drapchi einsäßen. Der Sonderberichterstatter war insbesondere über Berichte besorgt, in denen es hieß, tibetischen Mönchen, die in diesem Gefängnis inhaftiert sind, sei es nicht erlaubt zu beten, und manche von ihnen dürften ihre Zellen nur 20 Minuten am Tag verlassen. Besorgnis bereitete ihm auch die Information, die Gefangenen würden dort nicht arbeiten oder sich sportlich betätigen und bekämen nichts zu lesen. Die Inhaftierten selbst klagten über das Essen, die extremen Temperaturen, denen sie während der Sommer- und Wintermonate in ihren Zellen ausgesetzt seien, und über ein allgemeines Schwächegefühl auf Grund des Mangels an körperlicher Betätigung. Gefangene, die aus Drapchi verlegt worden waren, erklärten, dort seien die Haftbedingungen besser gewesen. Insbesondere gibt es in diesem Gefängnis keine Arbeits- und Erholungsmöglichkeiten für Langzeithäftlinge.

Der Sonderberichterstatter empfiehlt, daß den Häftlingen Freizeitaktivitäten ermöglicht werden, daß ihnen die Religionsausübung gestattet wird, daß die Temperaturen, besonders in den Sommer- und Wintermonaten, auf angemessene Weise kontrolliert werden und die Ernährung qualitativ verbessert wird.

19. Auf Grund von zeitlichen Engpässen (verspätete Ankunft aus Drapchi, strikte Arbeitszeiten der Gefängnisbediensteten) konnte der Sonderberichterstatter statt der geplanten zehn Gefangenen nur drei befragen.

20. Jigme Tenzin (Bangri Tsamtrul Rinpoche), 43 Jahre alt, Lama und Gründer eines Waisenhauses, wurde im August 1999 verhaftet und im September 2000 vom Mittleren Volksgerichtshof Lhasa wegen Anstiftung zu spalterischen Aktivitäten zu 15 Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt. In seinem Urteil ist von Beweisen gegen ihn die Rede, die ein Treffen mit dem Dalai Lama und die Annahme einer Spende für das Waisenhaus von einer Organisation in Indien umfassen, wie auch von Geschäftsverbindungen zu einem tibetischen Bauunternehmer, der im August 1999 eine chinesische Flagge eingeholt hatte und sich anschließend vor dem Potala-Palast mittels Sprengstoffs umbringen wollte. Er gab zu, den Dalai Lama getroffen und die Spende angenommen zu haben sowie den Bauunternehmer gekannt zu haben, aber er widersprach den gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen und wies den vom Gericht dargestellten Ablauf der Ereignisse zurück. Er sagte dem Sonderberichterstatter, die ersten fünf Tage seiner Haft seien die schrecklichsten gewesen, da er ununterbrochen Tag und Nacht verhört wurde. Man hatte ihn mit Handschellen gefesselt, indem man ihm einen Arm über die Schulter zog und den anderen auf den Rücken zerrte und dabei leere Flaschen in die Zwischenräume klemmte. Seine Beine waren gefesselt und man hatte ihm eine Kapuze übergezogen. Außerdem mußte er 1 ½ Stunden lang auf einem Hocker knien. Seine Zelle war dunkel und schmutzig und ohne Tageslicht. Während der folgenden drei Monate wurde er regulär verhört. Die meiste Zeit war er mit Handschellen und Fußfesseln gefesselt, sogar beim Essen und Schlafen. Aus diesem Grund und auch weil er große Angst hatte, konnte er oft kaum schlafen. Die Polizei wollte, daß er sich wegen des Zwischenfalls mit der Flagge schuldig bekannte, außerdem sollte er zugeben, daß er das Kinderheim aus politischen Gründen errichtet hätte. Er wurde nach Gutsa gebracht und dort ein Jahr lang inhaftiert. Danach verlegte man ihn nach Drapchi. In Gutsa war er mit drei bis fünf Personen in einer Zelle untergebracht, in der Überwachungsapparaturen installiert waren. In seinem Trakt befanden sich ausschließlich “politische Gefangene”. Nach dem Jahr 2000 wurde er besser behandelt. Er hatte Zugang zu einem Fernsehgerät, bekam Wasser, wenn er danach fragte und hatte mehr Freizeit. Er mußte an Schulungskursen über den Status Tibets teilnehmen. Nach diesen Schulungen legte er ein Geständnis ab, da er nicht sein “ganzes Leben” im Gefängnis verbringen wollte, nachdem er nun schon seit sechs Jahren in Haft sei. Er klagt über Herzbeschwerden und Gallensteine, beide Leiden versucht er mit Heilmitteln zu kurieren, die ihm seine Familie besorgt hat. Diese besucht ihn einmal im Monat. Er darf nicht telefonieren, aber er kann seiner Frau Briefe schicken. Er beklagte sich über Eintönigkeit und Langeweile, da er die meiste Zeit in seiner Zelle verbringen müsse und es ihm nicht erlaubt sei, seine Gebete zu verrichten. Er sagte dem Sonderberichterstatter, die gefährlichsten Kriminellen würden fast die ganze Zeit in ihren Zellen eingeschlossen. Er könne seine Zelle jedoch vom Morgen bis zum Mittag verlassen.

Da Jigme Tenzin wegen einer politischen Straftat verurteilt wurde, möglicherweise auf Grund von Aussagen, die man durch Folter aus ihm erpreßt hatte, appelliert der Sonderberichterstatter an die Regierung, ihn freizulassen.

20. Lobsang Tsuitrim (Tsultrim), 29 Jahre alt, Mönch. Er wurde am 8. November 1995 verhaftet. Während der Verhöre wurden ihm mittels eines elektrischen Schlagstocks am ganzen Körper sowie im Gesicht Stromstöße versetzt. Bei einem Vorkommnis am 4. Mai 1998 in Drapchi wurden seine Arme und Beine zusammengebunden, und man schlug ihm mit einem mit Sand gefüllten Rohr aus Plastik, weil es wegen einer Flaggenzeremonie zu Unstimmigkeiten gekommen war. Seither sei er nicht mehr mißhandelt worden und er soll voraussichtlich im Jahr 2009 aus der Haft entlassen werden. Er erklärte, die Haftbedingungen in Drapchi seien besser gewesen als im Qushui-Gefängnis: Die Ernährung ist hier schlechter, er darf nur 20 Minuten pro Tag seine Zelle verlassen, im Sommer ist es in den Zellen unerträglich heiß und im Winter sehr kalt. In Qushui sei es ebenso wie in Drapchi sehr langweilig, denn die Häftlinge müßten tatenlos in ihren Zellen sitzen und dürften nicht beten, obwohl viele von ihnen sehr religiös seien. Sie könnten auch nicht arbeiten, keinen Sport treiben und hätten nichts zu lesen.

Da Lobsang Tsuitrim wegen einer politischen Straftat verurteilt wurde, möglicherweise auf der Grundlage von Informationen, die durch Folter aus ihm erpreßt wurden, appelliert der Sonderberichterstatter an die Regierung, ihn freizulassen.

21. Jigme Gyatsu wurde am 30. März 1996 verhaftet und von der Kriminalpolizei bei der Untersuchung schwer geschlagen. Am 25. November 1996 wurde er vom Mittleren Volksgerichtshof Lhasa zu 15 Jahren Haft sowie der fünfjährigen Aberkennung seiner politischen Rechte verurteilt, weil er die Staatssicherheit gefährdet und eine illegale Organisation gegründet haben soll. Er sagte dem Sonderberichterstatter, in Gutsa, wo er ein Jahr und einen Monat inhaftiert war, sei er am schlimmsten mißhandelt worden. Da seine Mitangeklagten bereits gestanden hatten, entschloß er sich ebenfalls zum Geständnis. Danach wurde er im April 1997 nach Drapchi verlegt. Einmal rief er im März 2004 “Lang lebe der Dalai Lama!”, woraufhin er getreten und geschlagen wurde. Dabei wurde er auch mit elektrischen Schlagstöcken auf dem Rücken und der Brust traktiert. Dies verursachte ihm entsetzliche Schmerzen, und seine Peiniger hörten erst dann auf, auf ihn zu einzuschlagen, als der Polizeichef dazu kam und den Mißhandlungen Einhalt gebot. Nach diesem Vorkommnis wurde seine Strafe um weitere zwei Jahre verlängert. Seiner Einschätzung nach sind die allgemeinen Verhältnisse in Drapchi besser als im Qushui-Gefängnis: besseres Essen, besser beleuchtete und belüftete Zellen, die Innentemperaturen im Sommer und Winter sind nicht so extrem. Er darf 3 ½ Stunden täglich außerhalb seiner Zelle verbringen.

Da Jigme Gyatsu wegen einer politischen Straftat verurteilt wurde, möglicherweise auf der Grundlage von Informationen, die durch Folter aus ihm erpreßt wurden, appelliert der Sonderberichterstatter an die Regierung, ihn freizulassen.

Den gesamten Bericht gibt es unter folgendem Link: http://www.freetibet.org/campaigns/stoptorture/SRTreport_Missiontochina.pdf