18. August 2008

Free Tibet Campaign (FTC)
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In Peking die Olympiade – in Tibet die totale Sperre

Die Free Tibet Campaign gab am 18. August einen Überblick über die Menschenrechtsverletzungen heraus, die von Seiten der Behörden in Tibet begangen wurden, während gleichzeitig die olympischen Spiele in Beijing stattfanden. Der Dalai Lama sagte in einem Interview mit dem französischen Radiosender TF1, daß sogar während der olympischen Spiele die Tibeter schlecht behandelt würden und daß die Zivilbevölkerung weiterhin unter Verhaftungen und schwerer Folter zu leiden hätte, die manchmal soweit ginge, daß sie den Tod verursache. Seine Aussagen wurden von AP berichtet, siehe: http://www.iht.com/articles/ap/2008/08/17/europe/EU-France-Dalai-Lama.php.

Die Worte des Dalai Lama widerlegen das, was Wang Wei, der oberste Funktionär für die olympischen Spiele, bei einer Pressekonferenz erklärte: "Die olympischen Spiele verhelfen China zu einer weiteren Öffnung und zu weiteren Reformen" (siehe: http://news.bbc.co.uk/2/hi/asia-pacific/7560269.stm).

Eine solche Öffnung konnte jedenfalls in Tibet nicht beobachtet werden, wo sich die Lage immer mehr verschlechtert. Dieser Überblick besteht aus Auszügen aus verschiedenen Berichten, aus denen das dichte Netz von Einschränkungen, denen die chinesische Regierung die Tibeter unterwarf, ersichtlich wird. Diese erdrückenden Restriktionen bezwecken, alle Formen des Aufbegehrens im Keime zu ersticken, da diese für China gerade im Moment sehr peinlich werden könnten. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß die nachstehend geschilderten Restriktionen und Maßnahmen eingeführt worden wären, wenn China die olympischen Spiele nicht zugesprochen bekommen hätte. Indem er die katastrophale Situation in Tibet beschreibt, widerlegt dieser Überblick die Behauptungen sowohl der chinesischen Regierung als auch  des IOC, die olympischen Spiele würden zu einer Verbesserung der Menschenrechtssituation in Tibet führen.

Natürlich gibt diese Zusammenfassung kein vollständiges Bild sämtlicher Einschränkungen in Tibet. Da die chinesische Regierung nach dem Beginn der Proteste im März alle ausländischen Medienvertreter des Landes verwiesen hatte, ist es sehr schwer geworden, Informationen aus Tibet zu erhalten. Mitarbeiter der Free Tibet Campaign, die bis vor kurzem noch häufig mit Familienmitgliedern und Freunden in Tibet sprechen konnten, finden ihre Kontaktpartner nun nicht mehr zu Aussagen bereit. Mobiltelefonnummern, über die man bisher noch Auskünfte aus Tibet erhalten konnte, sind plötzlich unerreichbar, oder eine chinesische Stimme möchte etwas über die Identität des Anrufers erfahren. Doch aus den unten aufgeführten Berichten geht eindeutig hervor, daß die chinesische Regierung eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen hat, um Proteste während der Spiele zu verhindern.

Klöster und der übrigen Bevölkerung wurden strenge Beschränkungen auferlegt; am heftigsten sind diese in den Gegenden, die besonders durch Proteste auffielen.

Die schwersten Beschränkungen scheinen in der Tibetisch-Autonomen Präfektur (TAP) Kardze (chin. Ganzi), Provinz Sichuan, zu herrschen. Die einzige Möglichkeit, ein genaues Bild der Situation dort zu erhalten, wäre die Entsendung einer unabhängigen Untersuchungskommission. Die Free Tibet Campaign ruft daher Gordon Brown und andere führende Persönlichkeiten dieser Welt dazu auf, offene Kritik daran zu üben, daß die Volksrepublik China (VRC) ihre Versprechen hinsichtlich der Verbesserung der Menschenrechtssituation in Tibet gebrochen hat, und eine sofortige unabhängige Untersuchung der Lage in Tibet zu verlangen.

 

Die Tibetisch-Autonome Präfektur (TAP) Kardze

Im April gab die Free Tibet Campaign die Nachricht über eine Demonstration bekannt, die sich am 3. April in der Tibetisch-Autonomen Präfektur (TAP) Kardze (chin. Ganzi), Provinz Sichuan, ereignet hatte. Augenzeugenberichten zufolge eröffneten bewaffnete chinesische Sicherheitskräfte dabei das Feuer auf die friedlich demonstrierende Menge, wobei mindestens acht Tibeter ums Leben kamen. Von diesem Vorfall wurde weltweit in den Medien berichtet, etwa in "The Guardian", in "Daily Telegraph" und in der „South China Morning Post“ (http://www.freetibet.org/newsmedia/040408-thonkor-killings).

Die Tibeter dieser Region sind bekannt für ihr starkes Streben nach der Unabhängigkeit, und die Free Tibet Campaign erfuhr immer noch von Protesten in dieser Gegend lange, nachdem das chinesische Militär bereits andere Gebiete unter seine vollständige Kontrolle gebracht hatte. So gab es Berichte über Proteste von Mönchen und Nonnen in der Stadt Kardze am 23. April und am 11., 12. und 13. Mai. Am 14. Mai veranstalteten 76 Nonnen des Klosters Pungrina eine Demonstration in der Stadt Kardze (chin. Ganzi), wobei sie die Rückkehr seiner Heiligkeit des Dalai Lama forderten. 52 der Nonnen wurden verhaftet (Siehe http://www.freetibet.org/newsmedia/150508-scores-nuns-arrested-khardze-county-sichuan-province-following-protests und http://www.freetibet.org/newsmedia/190508-khardze-nuns-update).

Als die Proteste auch nach dem großen Erdbeben am 12. Mai nicht abrissen, war klar, daß die Region um Kardze eine der unruhigsten Gegenden ganz Tibets ist. Die chinesischen Behörden antworteten auf diese Unruhen mit einer Aufstockung des Militärs und einer ganzen Reihe mit einander koordinierter extrem scharfer Maßnahmen, um gegen die aufsässigen Nonnen/Mönche und Klöster vorzugehen. Der Zweck dieses zweigleisigen Vorgehens war mit ziemlicher Sicherheit, die Tibeter in der kritischen Zeit vor und während der olympischen Spiele an jeglicher Form des Aufbegehrens zu hindern. Solche Proteste würden nämlich daran erinnern, daß die Tibeter die Legitimität der Anwesenheit der Chinesen bestreiten, und stünden im Widerspruch zu Chinas Behauptung, daß in China die ethnischen Minderheiten zusammen mit den Han-Chinesen unter der Herrschaft der Kommunistischen Partei Chinas (CPC) in Harmonie leben. Die chinesische Regierung wollte deshalb in den besonders aufsässigen Gegenden wie Kardze derartige Proteste um jeden Preis vermeiden.

Die Säuberung der Klöster in Kardze (chin. Ganzi)

Am 28. Juli veröffentlichte die Free Tibet Campaign ein Dokument über eine behördliche Säuberung der Klöster in Kardze (chin. Ganzi). Dabei handelte es sich um die Übersetzung einer Ankündigung in tibetischer Sprache auf der staatlichen Website für Tibet. (Siehe: http://zw.tibet.cn/news, 18. Juli, diese Ankündigung bezog sich auf einen Artikel, der schon früher in dem offiziellen Blatt Tibet Daily erschienen war).

Die Übersetzung dieses Artikels durch die Free Tibet Campaign wurde von Tsering Topgyal, einem Akademiker an der London School of Economics, überprüft (Für weitere Informationen siehe: http://www.freetibet.org/newsmedia/28-july-2008).

Dieser Ankündigung zufolge bleiben Mönche und Nonnen, denen ein mittelschweres Vergehen vorgeworfen wird, in Haft und werden Sitzungen der "Patriotischen Erziehung" unterzogen, bis sie kooperieren, indem sie die Wahrheit sagen, sich zu ihren Taten bekennen und einen shuyig (einen Geständnisbrief) unterzeichnen. Sie müssen außerdem bereit sein, von sich aus die Wahrheit zu sagen.

Schwere Bestrafung ist für diejenigen Klöster vorgesehen, die in Protestaktionen im März und April involviert waren. In Klöstern, in denen zwischen 10 % und 30 % der Nonnen und Mönche an Protestaktionen teilgenommen haben, dürfen keine religiösen Zeremonien mehr stattfinden. Die Bewegungsfreiheit der Mönche wird stark eingeschränkt. Dies wurde vom "Daily Telegraph" aufgegriffen (siehe: http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/asia/china/2463385/China-plans-sweeping-purge-of-Tibetan-monasteries.html).

Obwohl es der Free Tibet Campaign nur möglich war, derartige Maßnahmen aus der Tibetisch-Autonomen Präfektur (TAP) Kardze (chin. Ganzi) zu dokumentieren, machen Mitteilungen der offiziellen Stellen in Tibet deutlich, daß in ganz Tibet ähnliche Maßnahmen eingeführt werden. In einem am 13. Juli in der "Sunday Times" veröffentlichten Artikel mit der Überschrift: "Olympic Crackdown: China’s secret plot to tame Tibet" (http://www.timesonline.co.uk/tol/news/world/asia/article4322537.ece) wurde Lie Que, der Propagandachef in Tibet, mit den Worten zitiert: "Wir müssen die Klöster säubern und die Verwaltungskomitees stärken". Als Quelle für dieses Zitat gab die "Sunday Times" die Tageszeitung „Tibet Daily“ an.

Die gleiche Ausgabe der "Sunday Times" berichtete, daß rund 1000 Mönche in den Hauptklöstern Lhasas sich auch vier Monate nach den März-Protesten noch unter strenger Militäraufsicht befinden und die Klöster die schlimmste Unterdrückung der Religionsfreiheit seit Jahrzehnten erfahren (siehe: http://www.timesonline.co.uk/tol/news/world/asia/article4322537.ece).

Aufstockung des Militäraufgebotes in Kardze (chin. Ganzi)

Zwei Wochen vor dem Beginn der olympischen Spiele reiste eine taiwanesisch-amerikanische Touristin nach Kham (chin. Provinz Sichuan). Die 24jährige Wen Yan-King besuchte Kardze (chin. Ganzi) und weitere Gegenden. Sie hörte von Einwohnern dieser Gegenden und erlebte selbst sowohl eine starke Militärpräsenz als auch eine tiefe Furcht unter den Tibetern, weil die chinesischen Behörden die Gegend im Vorfeld der olympischen Spiele von der Außenwelt abgeriegelt hatten. Es war Wen möglich, in Gegenden zu gelangen, zu denen ausländische Medienvertreter keinen Zutritt haben, weil sie als Taiwanesin reiste. Taiwanesen werden von den Chinesen als Chinesen angesehen. Was sie sah und erlebte, berichtete sie Rebecca Novick, Herausgeberin des tibetischen Radioprogramms (http://www.thetibetconnection.org/).

Das Interview mit Wen wurde kürzlich von der Huffington Post (siehe http://www.huffingtonpost.com/rebecca-novick/arrested-in-tibet-a-young_b_118342.html) veröffentlicht.

Darin beschreibt Wen die Situation in Kardze wie folgt: Sie reiste in Gegenden, die seit Monaten nicht mehr von ausländischen Medienvertretern bereist worden waren. Einige Orte, die sie besuchte, waren offiziell für alle ausländischen Besucher abgeriegelt, aber weil den Chinesen bereits in der Schule beigebracht wird, Taiwan gehöre zu China, wurde sie von den chinesischen Behörden als Chinesin angesehen. Ihr Fahrer versuchte dennoch Straßen zu benutzen, bei denen sie die Checkpoints vermeiden konnten, die immer mehr wurden, je westlicher sie kamen. Doch es war in Kardze, wo die Atmosphäre der Einschüchterung, die sie bis dahin erlebt hatte, ganz andere Dimensionen annahm. Wen sagte: "Es gibt einen guten Grund dafür, daß Ausländer nicht in diese Gegend gelassen werden. Sie gleicht nämlich einem Kriegsschauplatz. In Kardze ist die Polizei überall auf den Straßen. Sie sitzen mit ihren Helmen und mit ihren Waffen und Schildern in Reihen von 10 oder 15. Sie sitzen unter blauen Planen zu beiden Seiten des Gehsteigs. Sie sitzen in überall aufgestellten Wachposten aus Metall, von denen aus sie die Straße überblicken. Ich konnte nirgendwo hingehen, ohne daß ich von einem Dutzend Polizisten beobachtet wurde. Ich habe niemals zuvor in meinem Leben so viel Polizei und Militär in einer Stadt gesehen. Auch habe ich nie zuvor solch eine tiefsitzende Angst erlebt".

Verstärkung des Militäraufgebotes auch außerhalb von Kardze  

Lithang

Wen besuchte weitere Gegenden in Kham (chin. Provinz Sichuan), in denen die Truppen verstärkt wurden, um jegliche Form des Aufbegehrens zu verhindern. Auch in Lithang war das Polizeiaufkommen sehr hoch. Sie zählte allein sieben Polizeistationen im Umkreis von etwa einem Quadratkilometer. Wen sagte: “Die Polizeistationen sind nach den Protesten im März aus dem Boden geschossen. Wenn es einen Weg gibt, Menschen Furcht einzuflößen, dann ist es dieser. Man geht nicht auf die Straße zum Protestieren, wenn man 50 Polizisten zu seiner Linken und Rechten sieht." Die Leute in Lithang erzählten ihr, einige Personen seien kürzlich einfach verschwunden und niemand wisse, was mit ihnen passiert sei (http://www.huffingtonpost.com/rebecca-novick/arrested-in-tibet-a-young_b_118342.html).

Die Gegend um Lithang wird von den chinesischen Behörden als eine besonders brisante angesehen, weil dort im August 2007 infolge der Verhaftung des Nomaden Runggye Adak Proteste großen Ausmaßes ausgebrochen waren. Er wurde verhaftet, nachdem er bei dem jährlich in Lithang stattfindenden Pferderennen vor chinesischen Beamten und einer großen Menschenmenge sich leidenschaftlich für die Rückkehr Seiner Heiligkeit des Dalai Lama nach Tibet ausgesprochen hatte. Er wurde zu acht Jahren Haft verurteilt.

Bezirk Ngaba (chin. Aba)

Wie die Free Tibet Campaign am 10. August erfahren hat, schoß die chinesische Polizei in der Stadt Ngaba, Tibetisch-Autonome Präfektur (TAP) Ngaba (chin. Aba; Provinz Sichuan), auf zwei Frauen. Augenzeugen aus der Gegend berichten davon, daß die Truppenanzahl von 2000 auf 10000 gestiegen sei. Auf jeder größeren Straße in Ngaba befinden sich Checkpoints und es besteht eine Ausgangssperre für die Stadt Ngaba, die um 19.00 Uhr beginnt, was es den Leuten beinahe unmöglich macht, in der Stadt auszugehen. Die Truppen sollen einigen tibetischen Quellen zufolge bis zum Ende der olympischen Spiele in der Stadt bleiben. Eine sehr verläßliche Quelle erklärte gegenüber der Free Tibet Campaign, es herrsche eine extreme Furcht unter den Bewohnern der Stadt: Die Tibeter haben wegen der starken Militärpräsenz und der Überwachung Angst, mit irgend jemandem zu sprechen, der von außerhalb in die Stadt kommt. Sie sagen, die Truppen seien deshalb aufgestockt worden, weil die Tibeter dieser Region für ihr starkes tibetisches Identitätsgefühl bekannt sind und Protestaktionen während der olympischen Spiele in jedem Falle vermieden werden sollten. Die Mönche der Klöster benötigen eine spezielle Ausgangserlaubnis ihres „Arbeitsteams“, um das Kloster verlassen zu können. Ein „Arbeitsteam“, das für die „Patriotische Erziehung“ zuständig ist, ist nun ständig in den Klöstern stationiert. Die Ausgangserlaubnis ist sehr schwer zu erhalten. Für einen detaillierten Bericht der Situation im Kloster Kirti und in Ngaba siehe die Pressemitteilung der Free Tibet Campaign: http://www.freetibet.org/newsmedia/100808).

Wie in Kardze, wo chinesische Truppen das Feuer auf eine demonstrierende Menge in der Stadt Tongkor eröffnet hatten, kam es auch in Ngaba zu einem schrecklichen Massaker. Chinesische Militärkräfte schossen dabei am 16. März in eine demonstrierende Menge, wobei mindestens acht Frauen und Männer ums Leben kamen. Vermutlich wurde das Truppenaufkommen in Kardze und Ngaba verstärkt, weil dort nach den Protesten im März und April die Gefühle noch stark aufgeheizt sind und von den chinesischen Behörden in diesen Regionen darüber hinaus am ehesten Proteste  während der Olympischen Spiele befürchtet werden.

Das Kloster Kumbum

Ein Journalist aus dem Büro von AFP in Beijing reiste kürzlich zum Kloster Kumbum in der Region Amdo (chin. Provinz Qinghai). Aufgrund der starken Verbindung dieses Klosters zu dem Panchen Lama zog es schon immer besondere Aufmerksamkeit seitens der chinesischen Behörden auf sich. Der 11. Panchen Lama, der vom Dalai Lama anerkannt worden ist, wurde 1995, im Alter von sechs Jahren, entführt und sein Verbleib bleibt eines der von der chinesischen Regierung am besten gehüteten Geheimnisse. In dem Artikel des Journalisten hieß es, die Mönche  dieses Klosters seien besonders stark von den olympischen Spielen in Beijing in Mitleidenschaft gezogen; so sprachen nur wenige der Mönche mit den Journalisten und sie taten dies mit großer Vorsicht. Sie beschrieben Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit und Sicherheitsmaßnahmen in Zusammenhang mit den Spielen. Einer der Mönche sagte, bis zum Ende der Spiele hätten sie keine Möglichkeit E-mails zu erhalten oder zu versenden.