7. März 2012
Free Tibet, www.freetibet.org, Radio Free Asia, www.rfa.org

Behörden in Drango nahmen Dutzende von Tibetern fest – Haus von Schüssen durchsiebt - Schiessbefehl auf Demonstranten

Über einhundert Tibeter aus dem Bezirk Drango, TAP Kardze, Präfektur Sichuan, sind seit Januar festgenommen worden oder verschwunden. Am 23. Januar eröffneten die Sicherheitskräfte das Feuer auf Demonstranten und erschossen dabei zwei Tibeter und verwundeten 34 weitere. Das ist die größte Zahl an Tibetern, die von staatlichen Organen seit 2008 auf einmal angeschossen wurden.

Die Behörden erklärten, daß jeder, der an der Demonstration beteiligt war, festgenommen würde, einer nach dem anderen. Anhand von Überwachungskameras identifizierten sie die Teilnehmer. Die Leute hätten Drango in großer Zahl verlassen, heißt es, einige seien in die Berge geflohen. Chinesische Staatsbeamte gingen von Tür zu Tür, um nach Teilnehmern zu fahnden (1).

Tsering Gyaltsen
Lobsang Tenzin
Dralha

In mehreren Fällen ging das Sicherheitspersonal bei der Festnahme der Tibeter mit grober Gewalt vor. So wurde Tsering Gyaltsen, ein Mönch des Klosters Drango, bei der Festnahme übel zusammengeschlagen. Folter ist in Tibet Routine, weshalb Free Tibet sich um das Befinden der Inhaftierten große Sorgen macht.

Mindestens vier ältere Mönchsbeamte sind in Chengdu in Haft, obwohl sie bei der Demonstration gar nicht dabei waren. Free Tibet vermutet, daß durch ihre Festnahme Druck auf die Bevölkerung ausgeübt werden soll (2).

Gebildete Tibeter, höherrangige Mönche, Kulturschaffende und ehemalige politische Gefangene werden routinemäßig festgenommen, damit sie andere Leute nicht mehr beeinflussen oder „Unruhe stiften“ können. Auch ein Dorfvorsteher ist inhaftiert worden, was als Strafe dafür angesehen wird, daß er seine Leute nicht „in Zaum“ hielt.

Auf die Protestaktionen hin haben das Bezirksbüro für religiöse Angelegenheiten und die Einheitsfrontabteilung des Bezirks die patriotische Umerziehung erneut in Gang gesetzt. 10 - 20 chinesische Offizielle haben sich im Kloster Drango eingenistet, auch in den Dörfern der Umgebung und unter dem einfachen Volk wird nun der patriotische Unterricht durchgeführt.

Augenzeugen zufolge schossen chinesische Sicherheitskräfte bei der Hetzjagd nach der Protestaktion vom Januar auf ein Haus, in dem eine 14köpfige tibetische Familie wohnte. Zwei der Männer wurden getötet und fünf weitere verletzt, darunter auch Kinder und eine 70jährige Frau.

Yeshe Rigsel, ein Mönch des Klosters Drango, war an der Protestaktion vom 23. Januar beteiligt gewesen und hatte Aufnahmen gemacht. Angesichts der schweren Restriktionen in Tibet kann Fotografieren als ein „politisches Delikt“ gewertet werden, und das mag der Grund gewesen sein, warum die Sicherheitskräfte Yeshi Rigsel verfolgten. Yeshe Rigsel und sein Bruder Yeshe Samdup waren nach der Protestaktion geflohen und hatten sich im Winterquartier der Familie versteckt.

Nach dem Bericht eines Augenzeugen hätten drei Einheiten der Staatssicherheitskräfte sich am Morgen des 9. Februar Yeshi Rigsels Haus im Dorf Norpa genähert. Als ein Mitglied der Familie aus dem Haus kam und die Sicherheitskräfte sah, rannte er wieder hinein und verriegelte die Tür von innen. Vier Kinder wurden in einer Ecke versteckt. Die Sicherheitskräfte erzwangen sie sich den Zugang zu dem Haus mit Gewalt und es kam zu einem Handgemenge.

Danach verließen sie das Haus, doch andere umstellten es von allen Seiten und eröffneten das Feuer. Diejenigen drinnen sagten später, es habe förmlich „Kugeln gehagelt“. Dabei kamen Yeshe Rigsel und Yeshi Samdup ums Leben (3) und ihr Bruder Yonten Sangpo erlitt einen Schuß in den Hals, die Mutter Ama Sang Lha in den linken Arm, auch drei Töchter von Yonten und zwei seiner Nichten erlitten Verletzungen. Yeshe Samdrups Frau Namdrol, die bei dem Angriff auch zugegen war, wurde in Handschellen gelegt, aus dem Haus gezerrt und geschlagen. Ein tibetischer Angehöriger der Staatssicherheit soll ebenfalls getötet worden sein.

Nach dem Massaker plünderte das Sicherheitspersonal das Haus, entwendete 6.200 RMB und Wertgegenstände und verbrannte drei zu dem Haushalt gehörende Motorräder. Ein Augenzeuge berichtete: „Ich sah, wie sie die Leichen von Yeshi Rigsel und Yeshi Samdup mit Seilen, die sie ihnen um die Hälse gelegt hatten, den Hügel hinabschleiften“. Yonten Sangpo, der dritte Bruder, sei aus dem Haus gebracht und schrecklich geschlagen worden, so daß er stark aus dem Mund blutete. Sieben Tibeter seien in das Polizeirevier gebracht worden.

Geshe Tsewang Namgyal
Thrinley
Shonnu

Andere Tibeter gingen zum Polizeirevier und baten um die Herausgabe der verletzten Familienmitglieder, damit diese ärztlich versorgt werden könnten, ebenso um die Körper von Yeshi Rigsel und Yeshi Samdup. Der Mutter mußte der linke Arm amputiert werden, weil sie keine rechtzeitige Behandlung erhalten hatte. Sie befindet sich nun, ebenso wie Yonten Sangpos drei Töchter und zwei Nichten im Kreiskrankenhaus von Kardze. Ob und wann sie dort entlassen werden können, ist unbekannt.

Am 4. März wurde ein Tibeter namens Rinchen Tsering unter dem Verdacht der Beteiligung an einem Anschlag auf ein Regierungsgebäude festgenommen. Bei dem Angriff Anfang Februar brannte ein Gebäude in der Gemeinde Dzame völlig ab. Bei dem zweiten Angriff in der Präfektur Kardze Anfang Februar wurde in der Ortschaft Nangdo im Bezirk Derge ein Gebäude in Brand gesetzt, aber das Feuer konnte schnell gelöscht werden.

Klöster und Gemeinden in diesen Gegenden werden nun einer rigorosen patriotischen Umerziehung unterzogen. „Die Lokalbehörden machten die tibetischen Bewohner darauf aufmerksam, daß sie von der Provinz- und der Zentralregierung ermächtigt worden seien, auf jeden, der gegen die Regierung protestiere, mit scharfer Munition zu schießen“.

(1) Bilder von einigen der Festgenommenen bei Free Tibet

(2) Tulku Lobsang Tenzin, 40, aus dem Kloster Gochen
Geshe Tsewang Namgyal, 42, aus dem Kloster Drango
Thinley, 42, der Verwalter des Klosters Drango
Dralha oder Tashi Thupgyal, 31, Buchhalter des Klosters Drango
Tsering Gyaltsen, Mönch aus dem Kloster Drango
Shonnu, 43, Mönch aus dem Kloster Drango, Ausbildung in Indien

(3) 9.2.2012, „Sicherheitskräfte stellen zwei bereits verwundete Tibeter und erschießen sie“