17. September 2021
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD), www.tchrd.org

China führt den Unterricht in Mandarin-Chinesisch für Vorschulkinder in Tibet ein

In diesem Monat trat ein Erlaß des chinesischen Bildungsministeriums in Kraft, wonach alle Kinder im Vorschulalter Mandarin-Chinesisch lernen müssen. Xi Jinping legt nämlich Wert darauf, die Kinder schon in jungen Jahren mit dieser Sprache vertraut zu machen, und verweist dabei auf die Bedeutung der zweisprachigen Erziehung, die den Kindern den Einstieg in das Schulsystem erleichtern soll.

Das Ministerium für Erziehung hatte im Juli angekündigt, daß das Projekt „Kinder-Homophonie“ bei der Erziehung von Vorschulkindern in Putonghua (Standardchinesisch) ab dem 1. September in Kraft treten wird, um eine solide Grundlage für die Allgemeinsprache Mandarin zu schaffen und dazu beizutragen, daß bei allen „von klein auf ein Gemeinschaftsgefühl für die chinesische Nation entsteht“.

Tibetisches Klassenzimmer

Alle Kindergärten in ethnischen und ländlichen Gebieten werden angewiesen, von nun an Mandarin-Chinesisch als Unterrichtsmedium bei den Vorschulaktivitäten zu verwenden, während die Lehrer von 2021 bis 2025 einen mehrere Stufen umfassenden „Kurs zur Anwendung der nationalen gemeinsamen Sprache“ absolvieren müssen.

Sinisierung vorantreiben

Der Plan beinhaltet auch das im Rahmen der Sinisierungskampagne weit verbreitete Konzept der „Paarbildung und Assistenz“, bei dem wohlhabende chinesische Provinzen zur Koordinierung und Realisierung von „Lehrer-zu-Lehrer- und Kindergarten-zu-Kindergarten-Paarbildung“ in ethnischen und ländlichen Gebieten motiviert werden. Außerdem sollen geeignete Lehrer vom chinesischen Festland in die Minderheitengebiete entsandt werden.

Der Plan wird gleichzeitig mit dem Teachers' Day am 10. September und der jährlichen Putonghua Promotion Week in der dritten Septemberwoche flächendeckend unterstützt. Er orientiert sich an Artikel 43 des 14. Fünfjahresplans (2021-2025), in dem es heißt: „Wir werden die Qualität und das Niveau der Bildung in den Regionen der ethnischen Minderheiten anheben und die Bemühungen um die Verbreitung der gemeinsamen Landessprache und des Schriftsystems verstärken.“

„Ein Dorf, ein Kindergarten“

Der Erlaß fordert eine breitere Anwendung des Modells „ein Dorf, ein Kindergarten“, das in der Provinz Sichuan bereits eingeführt wurde. In Sichuan wurde 2018 das Pilotprojekt „Mandarin lernen in der Vorschule“ gestartet, neben anderen ähnlichen Projekten zur Förderung des Mandarinunterrichts.

Die Vorschul- oder Kindergartenerziehung dauert drei Jahre und betrifft Kinder im Alter von fünf bis sechs Jahren. China hat sich im 14. Fünfjahresplan eine Einschulungsrate von 90% für Kindergärten zum Ziel gesetzt. Das Ministerium für Erziehung meldete am 27. August, daß im Jahr 2021 die grobe Einschulungsrate für die Vorschulerziehung auf 85,2% gestiegen sei.

Lokale staatliche Medien berichteten, daß der Verbreitungsgrad von Putonghua in Sichuan 80% überschritten habe. Bislang hat die Provinz 4.884 Vorschulbildungsstätten nach dem Prinzip „ein Dorf, ein Kindergarten“ eingerichtet und 16.000 Mandarin-Betreuer ausgebildet, so daß 278.800 Kinder aus ethnischen Minderheiten noch vor der eigentlichen Schule Mandarin lernen können.

Die autonome tibetische Präfektur (TAP) Kardze (chin. Ganzi) und die autonome tibetische und Qiang-Präfektur Ngaba (chin. Aba) machen etwa die Hälfte der Landmasse Sichuans aus, so daß die tibetische Bevölkerung in der Provinz stark vertreten ist. In der Hauptstadt Chengdu gab es vor zehn Jahren etwa 200.000 Tibeter als wandernde Bevölkerung.

Die Sinisierung zielt vor allem auf tibetische Oberschulen in der Region ab, wobei auch karitative Schulen für arme tibetische Kinder nicht verschont werden.

Anfang August bekam die Gyalten Getsa-Schule (Wohltätigkeitsschule) in der Gemeinde Tehor Rongbatsa (chin. Rongbacha) in Kardze in der tibetischen Provinz Kham von der lokalen Regierung eine schriftliche Mitteilung, die sie vor der Schließung warnte.

Darin heißt es, daß die Schule geschlossen werden wird, wenn sie nicht zu den staatlich erstellten Lehrbüchern übergeht und Chinesisch als Unterrichtssprache und für die Durchführung der jährlichen Schulprüfung verwendet.

Am 16. August 2021 wurde eine Gruppe tibetischer Schüler festgenommen, die beim örtlichen Regierungsbüro eine Petition eingereicht hatten, in der sie forderten, dem Unterricht in tibetischer Sprache in der Gemeinde Trotsik in Ngaba den Vorrang zu geben. Alle Schüler der Gruppe wurden wieder freigelassen, mit Ausnahme von Sherab Dorjee, der weiterhin inhaftiert ist.

Unter den 121 Tibetern, die zwischen dem 23. August und dem 3. September in der Gemeinde Wonpo in der Region Dzachuka im Kreis Sershul (chin. Shiqu) in der TAP Kardze in Haft genommen wurden, befinden sich auch wichtige Mitglieder der Wonpo Tibetan Language Protection and Welfare Association.

Der ehrenamtliche Verein ist dafür bekannt, daß er Erwachsenenunterricht für tibetische Analphabeten organisiert und Schülern in den Schulferien Sprachunterricht erteilt.

Berichten zufolge werden die inhaftierten Tibeter schlecht ernährt und der politischen Umerziehung in Sershul unterzogen. Unter den Inhaftierten befindet sich auch eine schwer erkrankte Frau, die im Kreiskrankenhaus nicht behandelt werden kann, und der die Erlaubnis verweigert wird, ein größeres Krankenhaus aufzusuchen.

Hartes Durchgreifen in Qinghai

Der Erlaß vom Juli unterstreicht auch die Notwendigkeit, die Behörden in der Provinz Qinghai beim Umgang mit Putonghua in den Kindergärten von Ackerbau- und Viehzucht-Gemeinden zu unterstützen und anzuleiten.

Die Einführung und die Ersetzung von Tibetisch durch Mandarin als Unterrichtssprache sind in der Vergangenheit auf heftigen Widerstand bei den Tibetern gestoßen. So kam es im Jahr 2010 zu Protesten für ihre Sprache, die in ganz Tibet Widerhall fanden.

Seit Juli stehen die Tibeter in Qinghai verstärkt unter Beobachtung, was zu einer wachsenden Zahl willkürlicher Verhaftungen und Inhaftierungen geführt hat, insbesondere im Zusammenhang mit Fragen der Sprachrechte.

Am 1. August 2021 wurde Rinchen Kyi, eine der dienstältesten Lehrerinnen an der kürzlich geschlossenen Sengdruk-Taktse-Schule im Kreis Darlag (chin. Dari) in der tibetischen autonomen Präfektur (TAP) Golog (chin. Guoluo) von den örtlichen Sicherheitskräften festgenommen, weil sie nach der Schließung der Schule in einen Hungerstreik trat.

Rinchen Kyi

Die Sicherheitskräfte, die bei einer Routinekontrolle auf ihren Zustand aufmerksam wurden, nahmen sie wegen „Anstiftung zum Separatismus“ fest. Sie war zunächst im Kreis Darlag inhaftiert, bevor sie nach Xining verlegt wurde.

Die Sengdruk-Taktse-Schule war dafür bekannt, daß sie die tibetische Sprache vermittelte und eine umfassende tibetische kulturelle Bildung anbot. Sie verzeichnete über 500 Absolventen.

Zwei ehemalige Schüler der Sengdruk Taktse Schule, Yangri und Gudak, wurden am 24. August im Kreis Darlag festgenommen, weil sie sich in einer WeChat-Gruppe kritisch über die neue Bildungspolitik geäußert hatten.

Aus Protest gegen die Schließung der Sengdruk-Taktse-Schule am 8. Juli und die Einführung einer auf Assimilation ausgerichteten Bildungspolitik im Herbstsemester, das in diesem Monat begann, hatten die beiden Berichten zufolge gesagt, es sei besser, ein Leben als Hirte zu führen, als eine Schule mit einem stark sinisierten Bildungssystem zu besuchen.

Aushöhlung des regionalen Autonomiegesetzes

Tibet steht an prominenter Stelle in den Zielgebieten für den Bau und die Renovierung von integrativen Kindergärten in den „Drei Regionen und drei Präfekturen“ des 14. Fünfjahresplans.

Seit den späten 1990er Jahren bildet die Förderung des Mandarin-Chinesischen einen wichtigen Punkt im nationalen Programm, der zu einer zunehmenden Marginalisierung der tibetischen Sprache führt.

Artikel 10 des Gesetzes über die Regionale Nationale Autonomie von 1984 sowie die Verfassung der Volksrepublik China und andere nationale Gesetze und Bestimmungen sehen vor, daß in Minderheitengebieten sowohl die jeweiligen einheimischen Sprachen als auch Mandarin-Chinesisch (Putonghua) verwendet werden, und Bürger und Beamte sowohl die Minderheitensprachen als auch Putonghua lernen müssen.

Die Aushöhlung des Gesetzes über die regionale Autonomie geht seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2001 vonstatten, mit der die Sprachenpolitik der VR China zugunsten der Assimilationsziele des Parteistaats geändert wurde.

Im Januar 2021 erklärte Chinas Jasager-Parlament, der Nationale Volkskongreß, den Gebrauch von Minderheitensprachen für „verfassungswidrig“ und zementierte damit die aggressiven Versuche des chinesischen Parteistaats, die nationalen Minderheiten zu einer einheitlichen chinesischen nationalen Identität zusammenzuschweißen.