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Tibetischer Mönch Rinchen Tsultrim zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt
Rinchen Tsultrim war seit 2019 an einem ungenannten Ort willkürlich festgehalten worden; die ganze Zeit über wurden seine Angehörigen über sein Schicksal im Ungewissen gelassen.
Free Tibet hat nun die Nachricht erhalten, daß Rinchen Tsultrim, ein 29-jähriger tibetischer Mönch, Anfang dieses Jahres zu vier Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt wurde, weil er Kontakte außerhalb Tibets pflegte. Diese Information lieferte Tibet Watch, der Recherchepartner von Free Tibet in Dharamsala.
Ein Gericht in Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan, fällte das Urteil. Am 26. März 2021 rief die Polizei des Kreises Ngaba die Eltern von Rinchen an und teilte ihnen mit, daß Rinchen Tsultrim zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden sei und sich in einem Gefängnis (Mianyang) in der Nähe von Chengdu befinde. Weitere Informationen, einschließlich des Datums der Verurteilung und der Gründe für die Inhaftierung, sind aufgrund der verschärften Kontrolle, die den Informationsfluß blockiert und verhindert, daß Nachrichten über Tibet die Außenwelt erreichen, nicht bekannt.
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Rinchen Tsultrim |
Das Public Security Bureau von Ngaba teilte ihnen auch mit, daß seine Familienangehörigen ihn besuchen dürften, trotzdem fand aus unbekannten Gründen bisher kein Besuch statt.
Am 1. August 2019 hatte ihn das Büro für Öffentliche Sicherheit des Kreises Ngaba (chin. Aba) unter dem Verdacht des Separatismus in Kardo im Kreis Ngaba in der Provinz Sichuan verhaftet. Während der gesamten Zeit seiner willkürlichen Inhaftierung, die mehr als ein Jahr währte, wurde sein genauer Aufenthaltsort nie bekannt gegeben, so daß seine Familie und seine Verwandten sich große Sorge über seinen Zustand und Verbleib machten.
Im Dezember 2020 bekam Tibet Watch einen offiziellen Bescheid des Büros für Öffentliche Sicherheit in Ngaba vom 23. März 2020 zu Gesicht, demzufolge Rinchen Tsultrim wegen Anstiftung zum Separatismus, einem Staatssicherheitsverbrechen, angeklagt worden war. Laut den Quellen von Tibet Watch wurde Rinchen Tsultrim vorgeworfen, auf seinem WeChat-Account Artikel zu für Tibet relevanten Themen veröffentlicht zu haben. Die chinesische Polizei erfuhr davon, als sie sein Mobiltelefon beschlagnahmte und es zensierte. Er wurde inhaftiert und erhielt ein Verbot, WeChat, eine beliebte chinesische Messaging-App, zu nutzen.
Im Jahr 2019, am Geburtstag Seiner Heiligkeit des 11. Panchen Lama, hatte er sich mehr als zwei Stunden lang mit einem im Ausland lebenden Tibeter unterhalten. Das Gespräch wurde von den chinesischen Behörden abgehört.
Außerdem wurde ihm vorgeworfen, über viele tibetbezogene Themen auf seinem persönlichen Blog „Chetawa“, der später ebenfalls geschlossen wurde, zu schreiben. Zuvor hatte er in den sozialen Medien und auf WeChat Fotos von seiner jüngeren Schwester Kunsang Dolma gepostet, die in Indien studiert und an Bildungskonferenzen teilnimmt. Die chinesischen Behörden unterstellten ihm, daß es sich dabei um eine politische Aktivität handle. Seitdem stand er unter strenger Überwachung durch die lokalen chinesischen Behörden und wurde in jeder seiner Bewegungen eingeschränkt.
Rinchen Tsultrim entstammt einer bescheidenen Bauernfamilie im Dorf Kashul, Bezirk Ngaba, Tibetisch-Autonome Präfektur Ngaba, Provinz Sichuan. Er hat die Philosophie der Bön-Tradition studiert. Seit seinem sechsten Lebensjahr war er Mönch im Kloster Nangshig, das eines der größten Zentren für Bön-Studien ist. Sein Vater Tashi Dhondup ist 68 Jahre alt und seine Mutter Tsomo ist 57 Jahre alt. Seine Geschwister sind Dukmo Kyi, Kunsang Dolma, Norbu Tsering und Phulrab Tso.
Er ist intelligent und strebsam. Er mag logisches Denken und philosophische Studien. Besonders die tibetische Sprache und das tibetische Volk liegen ihm sehr am Herzen. Er interessiert sich auch für das internationale Zeitgeschehen und ist sehr aufgeschlossen für Geschichte. Der junge Mönch ist bei allen beliebt, besonders bei den Menschen im Kloster und in seiner Stadt. Er ist jemand, der die Überzeugung vertritt, daß tibetisches traditionelles Wissen zusammen mit moderner Bildung große Veränderungen zum Besseren bewirken können.
Er erkennt auch an, daß Normen, die für die modernen Wege und Denkweisen nicht förderlich sind und nicht mit ihnen in Einklang stehen, korrigiert werden sollten. Seiner Ansicht nach ist die Spezialisierung in tibetischer Sprache und in traditionellem tibetischem Wissen Tibets Hoffnung für die Zukunft. Seine Idee, der eigenen Nation gegenüber Patriotismus zu empfinden, zeigt sich darin, wie und ob die Menschen ihre eigene Sprache schützen. Seine grenzenlose Liebe zu seinem Land kommt in all seinen Schriften, Diskussionen und Vorträgen deutlich zum Ausdruck.
Schon vor 2016 hatten die Cyber-Überwachungsbehörden Rinchens WeChat-Konten häufig gesperrt. Rinchen meldete sich weiterhin in den sozialen Medien und eröffnete ein neues Online-Konto unter dem Namen „niren1959“. 1959, das Jahr, in dem der Dalai Lama nach Indien floh, hat sich tief in das Bewußtsein der Tibeter eingebrannt; dieses symbolische und unvergeßliche Jahr spiegelt sich häufig in E-Mail-Adressen, Paßwörtern und Profilnamen der Tibeter in den sozialen Medien wider.
Am 25. April 2019, dem Geburtstag des 11. Panchen Lama, der im Alter von sechs Jahren von der chinesischen Regierung entführt worden war, wurden Rinchens Telefongespräche mit Tibetern außerhalb Tibets abgehört und aufgezeichnet. Im Jahr 2018 hatte ihn das Büro für öffentliche Sicherheit zweimal wegen seiner Online-Posts in den sozialen Medien verwarnt. Seine persönliche Website mit dem tibetischen Titel „Bho tu che ta wa“ („Skeptische Haltung zu Tibet“) wurde ebenfalls abgeschaltet. Er ist bekannt für sein Engagement für den Erhalt der tibetischen Sprache. Sie warfen ihm zudem vor, sich seltene, wichtige religiöse Schriften aus dem Ausland zu beschaffen und sie auf dem Postweg innerhalb Tibets zu verbreiten. Es heißt, Rinchens Familie stehe unter dem ständigen Druck der chinesischen Behörden.
In Rinchen Tsultrims letztem Eintrag auf seinem Konto „niren1959“ heißt es:
„Derjenige, der die Wahrheit der Moral erkannt hat, spricht über die Weisheit des Buddha, desjenigen, der die Quelle des Glaubens ist, desjenigen, der die Zuflucht für dieses Leben und das zukünftige ist.“
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