27. November 2001

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Mehr chinesischsprachiger Unterricht an tibetischen Schulen

Es gibt weitere Anzeichen dafür, daß nun Chinesisch zur Hauptunterrichtssprache in Schulen in der Autonomen Region Tibet (TAR) wird, angesichts der Tatsache, daß auch an Grundschulen Chinesisch als Unterrichtssprache mehr und mehr in den Vordergrund tritt. An Mittelschulen ist die vorherrschende Unterrichtssprache bereits Mandarin Chinesisch (putonghua). Berichte aus Tibet lassen schließen, daß in einer Reihe von Grundschulen in der Nähe von Lhasa nun auf Chinesisch unterrichtet wird, mit Plänen, diese Sprache in der ganzen Region mehr zu benutzen.

Tibetische Lehrer fürchten Berichten nach um die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze, weil die Umsetzung dieser Pläne höchstwahrscheinlich zu der Einstellung von mehr Lehrern chinesischer Nationalität führen wird. Pekings Fünfjahresplan betont, wie wichtig es ist, mehr Lehrer aus China zur Arbeit nach Tibet zu schicken.

Die neuen Änderungen bei den Unterrichtsbestimmungen für die TAR betreffen den Unterricht von Mathematik und Chinesisch - und in einigen Schulen auch von Englisch - auf Grundschulebene durch das Medium des Chinesischen. Voll umgesetzt, würde dies bedeuten, daß an Grund- und Mittelschulen einzig noch das Fach "tibetische Sprache" auf Tibetisch gelehrt würde. Diese Maßnahmen stellen eine wesentliche Veränderung dar, denn die Mehrheit der Grundschulen in der TAR unterrichten gegenwärtig auf Tibetisch. 1996 hieß es, an mindestens 95% der Grundschulen sei Tibetisch die Unterrichtssprache (Xinhua, 20. März 1996). An einer kleinen Zahl von Grundschulen in der TAR wurde allerdings schon einige Jahre lang der Unterricht auf Chinesisch gehalten, teilweise aus Mangel an tibetischen Lehrern.

Viele Tibeter begrüßen es, daß sowohl Chinesisch als auch Englisch in der Grundschule unterrichtet wird, weil sie auf diese Weise beide Sprachen beherrschen lernen, was sie befähigt, mit ihren chinesischen Gleichaltrigen zu konkurrieren. Dies entspricht auch der wirtschaftlichen Realität in der TAR, wo die meisten Geschäfte auf Chinesisch abgewickelt werden. Dennoch herrscht bei vielen Tibetern angesichts dieser Pläne Besorgnis hinsichtlich des Fortbestands der tibetischen Sprache, die als wichtiges Element tibetischer Identität und Kultur gilt.

Berichte aus Tibet lassen schließen, daß Lehrer und Eltern sich auch Sorgen machen, die Pläne zur Abhaltung des Unterrichts auf Chinesisch statt wie bisher auf Tibetisch könnten zu schlechten Leistungen bei den tibetischen Grundschülern führen, weil Tibetisch ja ihre Muttersprache ist. Die Neuerungen werden ungeachtet der Tatsache eingeführt, daß im Laufe der letzten Jahre tibetische Experten und Lehrer eine Reihe von modernen tibetisch-sprachigen Lehrbüchern für Mathematik und Naturwissenschaften für Schüler an Grund- und Mittelschulen verfaßten.

Einige tibetische Lehrer, die Fächer wie Englisch und Mathematik auf Tibetisch lehren, sind, wie TIN erfuhr, besorgt um ihre Arbeitsplätze und Berufschancen. Die Konkurrenz, der sie schon jetzt seitens der chinesischen Lehrer ausgesetzt sind, wird sich wohl noch verschärfen, wenn an den Grundschulen in der ganzen Region Chinesisch als Unterrichtsmedium die Norm wird. In einer Landschule in der Nähe von Lhasa wurde eine Reihe von chinesischen Lehrern eingestellt, um Englisch zu lehren, aber weil die Schüler dem Unterricht nicht folgen konnten, wurden schließlich die Englischstunden wieder den tibetischen Lehrern übertragen.

Die chinesische Regierung erklärte in ihrem 10. Fünfjahresplan für die TAR, daß Lehrer aus China eingestellt werden müssen, um das Bildungsniveau in der Region zu fördern. In einem Auszug aus dem Plan, der am 9. Juni in Tibet Daily abgedruckt wurde, steht: "Wir müssen das bereits vorhandene qualifizierte Personal gut nutzen und aktiv von außerhalb der TAR weiteres qualifiziertes Personal heranziehen, welches wir dringend benötigen". Weiter heißt es: "Hervorragende Leute sollten für den Lehrberuf gewonnen werden. Gleichzeitig müssen weiterführende Bildungseinrichtungen im Innern Ausbildungszentren für ein gehobenes Lehrerkollegium für Tibet bieten, um den Aufbau eines fähigen Lehrkörpers für Tibet zu beschleunigen".

Seitdem die Chinesen 1949-50 Kontrolle über die Region gewannen und besonders seit der vorübergehenden Phase der Liberalisierung Anfang der 80-er Jahre stellte tibetische Sprachpolitik stets eines der wichtigsten Themen in dem Erziehungswesen der TAR dar. Seit der ersten Verfassung der VR China haben die nationalen Minderheiten im Prinzip das Recht, ihre eigene Sprache in der Verwaltung und im Schulwesen zu verwenden. Das Schulgesetz von 1995 beinhaltet sogar, daß die "Minoritäten", wenn sie wollen, sich für die Abhaltung des Schulunterrichts in ihrer eigenen Sprache entscheiden können. Art. 12 des Gesetzes legt fest, daß "Schulen und andere Bildungseinrichtungen der nationalen Minderheiten die bei der betreffenden ethnischen Volksgruppe oder in der Gegend in Wort und Schrift allgemein gängige Sprache als Unterrichtsmedium verwenden können" (Xinhua, Bericht über das Erziehungsgesetz, 20. März 1995).

Auf Anregung des 10. Panchen Lama, der zwei Jahre später starb, und des hochrangigen tibetischen Funktionärs Ngabo Ngawang Jigme, verabschiedete der Volkskongreß der TAR 1987 die "Verfügungen über das Studium, die Verwendung und die Förderung der tibetischen Sprache", ein ausführliches Dokument, das Richtlinien für die Umsetzung der tibetischen Sprachpolitik im Bildungswesen und im öffentlichen Leben gab. Der 10. Panchen Lama sagte damals: "In den über 30 Jahren seit der friedlichen Befreiung Tibets folgten das Studium, die Verwendung und die Entwicklung der tibetischen Sprache einem recht kurvenreichen Pfad" (laut Lhasa Radio, 12. Juli 1987). Die Bestimmungen, denen zufolge Tibetisch die erste Sprache sein sollte, legten fest, daß ab 1993 alle neuen Mittelschüler auf der Unterstufe auf Tibetisch zu unterrichten und ab 1997 die meisten Schulstunden an der Oberstufe und den Fachoberschulen auf Tibetisch zu erfolgen haben. Diese Bildungsziele wurden aber nicht völlig umgesetzt, teilweise wegen der Apathie oder dem Widerstand seitens einiger lokaler Kader und teilweise aus Geldmangel. Nach dem "Dritten Arbeitsforum zu Tibet" von 1994 wurde die positive Haltung gegenüber tibetischen Kadern fallen gelassen, und die stärkere Angliederung ans "Mutterland" erhielt Priorität gegenüber der Vorstellung der kulturellen Eigenart. Drei Jahre später erfolgte eine weitere Akzentverschiebung mit der Ankündigung von Plänen zur Einführung des Chinesischunterrichts schon vom ersten Schuljahr an. Tenzin, der frühere hohe Funktionäre in TAR Regierung, der erst kürzlich von seinem Posten nach Peking abberufen wurde (siehe TIN News "Stellvertretender Parteisekretär Tenzin nach Peking versetzt" vom 13. Sept. 2001), hatte 1997 geäußert, die Politik von 1987 sei "undurchführbar" und "entspreche nicht der Realität in Tibet...., weshalb in den Schulen der autonomen Region nun sowohl Tibetisch als auch Chinesisch gelehrt werde" (17. April 1997, Xinhua).

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