14. Juni 2002

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Neue Informationen über tibetische Gefangene in Drapchi

TIN gingen einige Berichte mit neuen Informationen über sechs Gefangene zu, die an den Gefängnisprotesten vom Mai 1998 in Drapchi beteiligt waren. Die zwei Strafgefangenen Karma Dawa und Karma Sonam, welche die Proteste begannen, sind noch am Leben und im Gefängnis. Dies widerspricht früheren Berichten, denen zufolge mindestens einer von ihnen nach dem Aufruhr gestorben sei.

Weitere Informationen betreffen geringfügige Reduzierungen der Haftstrafen der zwei bekannten Nonnen Ngawang Sangdrol und Phuntsog Nyidrol, deren Gesundheitszustand Anlaß zu ständiger Besorgnis gibt. Anderen Berichten zufolge sollen die zwei Nonnen Ngawang Choekyi und Tenzin Thubten vor Beendigung der festgesetzten Strafe entlassen worden sein. Alle genannten sechs Gefangenen wurden auf die Proteste vom Mai 1998 hin schweren Mißhandlungen unterworfen und mit Verlängerungen ihrer Haftstrafen belegt.

Karma Dawa (auch Kardar genannt) und Karma Sonam fingen am 1. Mai 1998 einen Protest im Drapchi Gefängnis an, indem sie bei einem von der Gefängnisleitung angeordneten Flaggenappell "Free Tibet" und "Lang lebe der Dalai Lama" riefen. Andere Gefangene fielen sofort in ihre Rufe ein. TIN berichtete anfänglich, daß der 1995 verhaftete Karma Dawa entweder hingerichtet wurde oder als Folge von Mißhandlungen starb, aber jetzt erfuhr TIN, daß beiden die Haftstrafen verlängert wurde und sie noch im Gefängnis sind.

Die Gefangenen, die sich an dem ersten Protest vom 1. Mai und dem zweiten vom 4. Mai, demselben Tag, an dem eine Delegation der EU das Gefängnis besuchte, beteiligten, wurden mit schwerer Folterung bestraft, darunter Schläge und Einzelhaft. Mindestens 8 Häftlinge, drei Mönche und fünf Nonnen, starben auf die Proteste hin, während die Haftstrafen für mindestens 19 politische und kriminelle Gefangene ihre Haftstrafen verlängert wurden (siehe: TIN News Update 15 December 1999 unter www.tibetinfo.net/news-updates/nu151299.htm und die Seiten 39-59 von Rukhag 3: "The Nuns of Drapchi Prison" www.tibetinfo.net/publications/bbp/rukhag_3htm).

Die Tatsache, daß zwei kriminelle Strafgefangene, nämlich Karma Dawa und Karma Sonam, einen politischen Protest anzettelten, sowie die dabei zu Tage getretene Einmütigkeit unter kriminellen und politischen Häftlingen muß den Behörden große Sorge bereitet haben. Die zwei Kategorien von Häftlingen werden in Drapchi meistens getrennt voneinander in verschiedenen Gefängnistrakten gehalten, damit die Gewissensgefangenen nicht gar noch die kriminellen mit ihren Ideen beeinflussen.

Die chinesische Regierung leugnet weiterhin, daß es auf die Mai-Proteste hin zu Todesfällen kam. Die Chinesen hatten westlichen Regierungen zuerst erklärt, daß eine Untersuchung der Vorfälle im Gefängnis eingeleitet worden sei. Bei dem unlängst erfolgten Dialog mit westlichen Regierungen verneinten die Chinesen indessen wieder, daß es einen Protest gegeben hätte, obwohl sie früher von einem "Vorfall" im Gefängnis im Mai 1998 "im Zusammenhang mit einer depressiven weiblichen Gefangenen, die einen Selbstmordversuch unternahm", gesprochen hatten.

Die chinesischen Behörden erwähnten auch, daß die Haftstrafe Ngawang Sangdrols, der 25-jährigen Nonne aus dem Kloster Garu, die mit nur 13 Jahren festgenommen wurde und mit 15 ihre jetzige Strafe begann, um anderthalb Jahre herabgesetzt wurde, weil sie "letztes Jahr Anzeichen von Reue gezeigt" habe. Daraus wird ersichtlich, daß die Chinesen bei dieser international bekannten politischen Gefangenen etwas Nachsicht zeigen wollen, obwohl ihre grundlegende harte Linie gegen jedweden politischen Dissens natürlich unverändert bleibt. Nach den TIN zugegangenen Informationen bedeutet die Strafmilderung, daß sie am 3. November 2011 entlassen wird. Westliche Regierungen fordern weiterhin Ngawang Sangdrols sofortige Entlassung.

Ngawang Sangdrol wurde 1992 wegen friedlichen Protestes zu 3 Jahren verurteilt; ihre Strafe wurde 1993 um 6 Jahre, 1996 um 8 Jahre und 1998 um weitere 6 Jahre verlängert. Diese letzte Verlängerung, die vom Volksgericht der Stadt Lhasa im Oktober 1998 verhängt wurde, scheint die Folge ihrer Beteiligung an den Protesten vom Mai 1998 in Drapchi und weiterer individueller Proteste im selben Jahr gewesen zu sein. Die Aussagen, die von den Chinesen gegenüber westlichen Regierungsvertretern über ihre Strafe gemacht werden, sind weiterhin widersprüchlich. So ist etwa die Information, die Peking westlichen Regierungen bei dem Menschenrechtsdialog über das Maß ihrer verschiedenen Urteilsverlängerungen und das Entlassungsdatum geliefert hat, nicht zutreffend. Ngawang Sangdrols gesundheitlicher Zustand soll infolge der Mißhandlung in der Haft sehr schlecht sein.

Phuntsog Nyidrol, eine andere Nonne im Drapchi Gefängnis, soll einer offiziellen chinesischen Quelle zufolge ebenfalls "in den letzten Jahren Zeichen der Reue gezeigt" haben, weshalb ihre Strafe im Mai 2000 um 1 Jahr vermindert wurde. Phuntsog Nyidrol, die 1989 verhaftet wurde und eine der längsten Haftstrafen als politische Gefangene in Tibet verbüßt, soll nun 2005 entlassen werden. Die Informationen, die westlichen Regierungen über Phuntsog Nyidrols Urteil gegeben wurden, passen auch nicht zu den Details, die TIN zuvor notiert hatte, wie etwa das Datum ihrer Festnahme - Peking gab neulich an, sie sei im März 1989 festgenommen worden, während TINs Unterlagen ein späteres Datum nennen, nämlich Oktober. Der Prozeß fand im November 1989 statt. Wegen Phuntsog Nyidrols Gesundheit herrscht ebenfalls große Besorgnis. Obwohl sie bereits gebrechlich war, wurde sie, im Zusammenhang mit den Gefängnisprotesten in Drapchi im Mai 1998 ebenso wie andere dort inhaftierte Nonnen schwer geschlagen; jetzt soll sie sich in extrem geschwächtem Zustand befinden.

Zwei weitere Nonnen, Tenzin Thubten, 32, und Ngawang Choekyi, 33, sollen einem TIN zugegangenen bestätigten Bericht zufolge vorzeitig entlassen worden sein. Tenzin Thubten wurde im August 1990 verhaftet und ihre Entlassung stand für August dieses Jahres an. Ngawang Choekyi wurde im März 1992 verhaftet und hätte im März 2005 entlassen werden sollen. Beide Nonnen wurden wegen friedlicher Proteste ins Gefängnis geworfen und beide wurden nach den Mai-Protesten schwer mißhandelt. Sie gehörten zu einer Gruppe von 14 Nonnen - darunter auch Ngawang Sangdrol und Phuntsog Nyidrol - deren Strafen 1993 verlängert wurden, weil sie insgeheim Lieder auf Tonkassetten aufgenommen hatten. Darin drückten sie ihre Gefühle über die Gefängnisbedingungen aus und gaben der Außenwelt eine Botschaft von Hoffnung in der Verzweiflung. Das Tonband wurde aus Drapchi geschmuggelt und TIN bekam eine Kopie davon. Über die Gründe für die vorzeitige Entlassung der zwei Nonnen ist nichts bekannt geworden.

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