27. Januar 2003

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Todesurteile wegen "Untergrabung der Einheit Chinas" und "Terrorismus"

Das Höhere Volksgericht der Provinz Sichuan in Chengdu bestätigte am Sonntag, den 26. Januar 2003, die über den tibetischen buddhistischen Lehrer Tenzin Deleg Rinpoche und seinen Gehilfen und Verwandten Lobsang Thondup verhängten Todesurteile. Wie die offizielle chinesische Nachrichtenagentur Xinhua berichtet, wurden die Urteile wegen "Sabotage gegen die Einheit des Landes und die Einheit der verschiedenen ethnischen Gruppen" sowie wegen "Terrorismus-Verbrechen" ausgesprochen. Lobsang Thondup wurde einer Meldung von AP zufolge am Sonntag Nachmittag hingerichtet.

Tenzin Deleg Rinpoche wurde am 7. April 2002 festgenommen, doch sein Aufenthaltsort war unbekannt, bis das Mittlere Volksgericht von Kartse in der gleichnamigen Autonomen Präfektur ihn und Lobsang Thondup am 2. Dezember zum Tode verurteilte. Xinhua berichtet, am 29. November habe es eine Anhörung des Falles hinter geschlossenen Türe gegeben, in deren Verlauf das "Beweismaterial deutlich zeigte", daß beide Männer wiederholt Terrorakte begangen und sich zu ihren "Verbrechen bekannt" hätten. Tenzin Deleg Rinpoche (auf Chinesisch: A'an Zhaxi) wurde wegen "Sprengstoffdelikten" zum Tode mit zwei Jahren Vollstreckungsaufschub verurteilt und seiner politischen Rechte auf lebenslang beraubt. Darüber hinaus erhielt er 14 Jahre Gefängnis wegen "Aufhetzung zur Spaltung des Landes", und die politischen Rechte wurden ihm für drei Jahre entzogen. Lobsang Thondup (chin. Lorang Toizhub) wurde wegen des "Begehens von Sprengstoff-Verbrechen" zum unmittelbaren Tode verurteilt und lebenslang seiner politischen Rechte beraubt. Außerdem wurde er wegen "Aufhetzung zur Spaltung des Landes" mit 12 Jahren Gefängnis und dem Verlust der politischen Rechte für zwei Jahre und wegen "illegalen Besitzes von Schußwaffen und Munition" mit drei Jahren Gefängnis bestraft.

Xinhua zufolge hatte Tenzin Deleg Rinpoche seine Verteidigung vor Gericht zwei Rechtsanwälten, Chen Shichang und Yu Jianbo von dem Anwaltsbüro der Präfektur Karze, übertragen. Da Lobsang Thondup keine gesetzliche Vertretung beantragt hatte, bestimmte das Mittlere Volksgericht von Karze Kuai Qinghua und Liu Shijian, zwei Anwälte derselben Agentur, zu seiner Verteidigung.

Bereits vor April 2002 hatten die Behörden mindestens zweimal (1998 und 2000) versucht, Tenzin Deleg Rinpoche zu verhaften. Beide Male wurde er jedoch von der Lokalbevölkerung in Schutz genommen, die zu seinen Gunsten Petitionen unterzeichnete. Es scheint, daß er auch von Sympathisanten in der Lokalverwaltung gewarnt worden war. Seit Ende der 80er Jahre gilt der Rinpoche als ein sehr populärer religiöser Führer in der Region Karze und Lithang. Mit Erfolg vermittelte er in mehreren lokalen Konflikten, die hauptsächlich zwischen Nomaden und in die Region eingeströmten Chinesen entstanden waren. Auch unter der chinesischen Bevölkerung von Kardze hat er etliche Unterstützer. Tenzin Deleg Rinpoche betrieb eine Reihe charitativer Einrichtungen wie Schulen, Waisenhäuser und Altersheime und befürwortete Proteste gegen die exzessive Abholzung. Er gründete oder erneuerte sieben Klöster in der Region. Bekannt ist auch, daß er die Anbetung von Shugden vehement zurückwies, einer Schutzgottheit im tibetischen Buddhismus, von deren Verehrung der Dalai Lama wegen ihrer sektiererischen Implikationen abriet. Während er sich mit solchen Aktivitäten beachtliche Sympathie unter der Bevölkerung erwarb, erregte er Mißfallen sowohl bei den Lokalbehörden als auch bei Teilen des etablierten Klerus der Region, die als traditionelle Hochburg des Shugden Kultes gilt.

Tenzin Deleg Rinpoche wurde schließlich bei einer Polizeioperation am 7. April 2002 verhaftet, vier Tage, nachdem eine Sprengstoffexplosion den Hauptsplatz der Provinzhautstadt Chengdu erschüttert hatte. Lobsang Thondup, der sich gerade auf Geschäftsreise in Chengdu befand, wurde sofort nach der Explosion festgenommen. Er soll angeblich der Polizei gestanden haben, daß er den Sprengsatz im Auftrag von Tenzin Deleg Rinpoche gelegt habe. Der Rinpoche wurde bei Nacht im Kloster von Jamyang Choekorling in Nyagchu Dzong festgenommen. Acht weitere Personen sollen gleichzeitig mit ihm oder am folgenden Tag festgenommen worden sein. Mindestens drei weitere Personen aus der Umgebung von Tenzin Deleg wurden im darauffolgenden Monat festgenommen, außerdem sollen drei verschwunden sein. Während fünf davon inzwischen freigelassen wurden, sollen sich noch mindestens vier in Haft befinden, ohne daß sie vor Gericht gestellt wurden.

Der chinesische Schriftsteller Wang Lixiong berichtete, die Behörden hätten auf die Festname von Tenzin Deleg Rinpoche hin bei der örtlichen Bevölkerung Einschüchterungskampagnen durchgeführt und den Leuten damit gedroht, daß eine Unterstützung ihrerseits als Mittäterschaft an den ihm angelasteten Verbrechen betrachtet würde. Zwei der in diesem Zusammenhang festgenommenen Personen hatten sich in Petitionen bei der Regierung um seine Freilassung eingesetzt oder Geldmittel gesammelt, um einen zuverlässigen Rechtsanwalt zu engagieren, der ihn vor Gericht verteidigen sollte.

Die drastischen Urteile vom 2. Dezember über Tenzin Deleg Rinpoche und Lobsang Thondup riefen weltweite Bestürzung hervor. Amnesty International und mehrere Tibet Unterstützungsgruppen beanstandeten den Mangel an Transparenz bei dem Prozeß in Kardze und verlangten eine Wiederaufnahme des Verfahrens in einer offenen Atmosphäre , sowie die Heranziehung von Rechtsanwälten, die das Vertrauen des Angeklagten genießen. Eine von Wang Lixiong und 23 weiteren chinesischen Intellektuellen unterzeichnete Petition wurde dem Nationalen Volkskongreß sowie dem Obersten Gericht und dem Mittleren Volksgericht von Kardze überreicht. Zwei prominente chinesische Anwälte, Zhang Sizhi und Li Huigeng, die früher chinesische Dissidenten wie Wei Jingsheng und Wang Juntao verteidigt hatten, wurden angeheuert, um Tenzin Deleg Rinpoche und Lobsang Thondup bei der Berufungsanhörung zu vertreten. Ihre Dienste wurden jedoch von dem Provinzgericht Sichuan mit dem Hinweis abgelehnt, beide Häftlinge hätten bereits ihren Rechtsbeistand. Xinhua zufolge handelt es sich dabei um dieselben Rechtsanwälte, die sie bereits in erster Instanz vertraten, doch anderen Quellen zufolge wurden sie nicht von den Angeklagten ausgewählt, sondern ihnen vom Gericht zugeteilt. Xinhua erwähnt auch, daß Lobsang Thondup das Urteil der ersten Instanz akzeptiert und keine Berufung eingelegt habe. Sein Fall scheint dennoch am Sonntag in Chengdu erneut zur Verhandlung gekommen sein.

Unklarheit besteht hinsichtlich des Datums der Berufungsanhörung, die anfänglich für den 10. Januar erwartet war, aber dann wohl auf den folgenden Montag verschoben wurde, obwohl sie auch an diesem Tag nicht stattfand. Letzte Woche verlautete, Radio Free Asia sei im Besitz eines Tonbandes, das im Gefängnis von Tenzin Deleg Rinpoche aufgenommen wurde und worin er seine Unschuld beteuerte. Die Veröffentlichung einer Liste von Personen, die aus dem Umkreis des Rinpoche verhaftet wurden, durch ICT am 21. Januar veranlaßte die US Regierung, ihre Besorgnis über den Fall auszusprechen. Die amerikanische Botschaft in Peking gab eine schriftliche Erklärung heraus, in der sie beanstandete, daß diese zusätzlichen Festnahmen bei der letzten Runde des US-China Menschenrechtsdialogs im Dezember von den chinesischen Regierungsvertretern nicht erwähnt wurden, obwohl der Leiter der amerikanischen Delegation, Lorne Craner, deutlich seine Bedenken wegen der Festnahme und Verurteilung von Tenzin Deleg Rinpoche und Lobsang Thondup kundgetan hatte.

Als eine Art indirekte Antwort auf die westliche Kritik an der mangelnden bei dem Verfahren berichtete Xinhua am Sonntag, "das Gericht habe keine offene Anhörung abgehalten, weil einige der kriminellen Delikte der Angeklagten sich auf Staatsgeheimnisse bezögen".

Obwohl ein Todesurteil mit Vollzugsaufschub, wie das von Tenzin Deleg Rinpoche, in China gewöhnlich in lebenslange Haft umgewandelt wird, werden Todesurteile ohne Aufschub, wie das über Lobsang Thondup verhängte, oft wenige Stunden nach dem endgültigen Urteil vollstreckt.