27. August 2003
Tibet Information Network,
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Evangelisten haben es auf die arme tibetische Landjugend abgesehen

Berichten aus Tibet zufolge haben evangelistische Missionare, die in Lhasa und anderen Teilen Tibets schon seit langem aktiv sind, ihre Missionstätigkeit im Zuge der engeren Zusammenarbeit zwischen Tibetern und in Tibet arbeitenden Ausländern verstärkt und ausgeweitet. Anscheinend ohne sich von den Behörden irritieren zu lassen, betätigen sich europäische, US-amerikanische und zunehmend auch asiatische Missionsgesellschaften in offiziellen und halboffiziellen Bildungseinrichtungen sowie im geschäftlichen Bereich und bemühen sich in zunehmendem Maße, junge, intelligente Menschen für Ausbildung und Beschäftigung zu gewinnen.

Lhasa und die Hauptstadt der Provinz Qinghai im nordöstlichen Randgebiet von Tibet, Xining, scheinen die zwei Hauptzentren der Missionstätigkeit zu sein. Die Missionare nehmen besonders junge, intelligente Leute, die aus armen ländlichen Gebieten kommen, aufs Korn. Da es keinerlei säkulare Jugendprogramme gibt, nehmen die Jugendlichen die Unterstützung der Missionsstationen bei ihrer Ausbildung gerne an. Um sie zu gewinnen, werden üblicherweise zuerst persönliche Kontakte angeknüpft, worauf das Angebot an die Jugendlichen, als Tibetischlehrer oder Übersetzer zu arbeiten, folgt - manchmal wird ihnen sogar ein Studium im Ausland in Aussicht gestellt. Sobald sie jedoch enger mit den Missionsstationen zusammenarbeiten, wird ihnen nahegelegt, ihren buddhistischen Glauben zugunsten des Christentums aufzugeben. Obwohl viele Tibeter die positiven Auswirkung der von Ausländern betriebenen charitativen Projekte begrüßen, ist im allgemeinen, unabhängig davon, ob Missionsabsichten mit im Spiel sind oder nicht, das Mißtrauen ihnen gegenüber im Steigen begriffen. Beunruhigt über die gegenwärtige Lage sind auch die in Tibet tätigen westlichen Hilfsorganisationen, denn sie sehen sich nicht nur in ihrer Arbeit von den Evangelisten behindert, sondern dadurch selbst noch Zielscheibe von Verdächtigungen werden.

Ein junger Mann, der keine Eltern hat, aus Lhasa erzählte dem TIN, was er mit koreanischen Missionaren erlebt hat. Sie hatten seine Schule besucht und sich mit ihm angefreundet. Dann verhalfen sie ihm zum Besuch von EDV-Kursen, aber das, was anfangs wie selbstlose Großzügigkeit erschien, stellte sich bald als ein Plan heraus, ihn als Übersetzer und Herausgeber christlicher Texte in tibetischer Sprache zu gewinnen. Bald nahmen sie ihn als Dolmetscher in Dörfer in der Umgebung von Lhasa mit und spornten ihn an, den Dorfbewohnern das Wort Christi zu erläutern. Der Junge beschreibt, wie er mit der Zeit erkannte, daß es ihr Ziel war, junge Tibeter wie ihn zum Christentum zu bekehren und in ihrer Missionstätigkeit einzusetzen. "Für mich war es unglaublich peinlich, daß von mir erwartet wurde, diesen älteren, tiefgläubigen buddhistischen Dorfbewohnern, die große Kraft aus ihrem Glauben schöpfen, eine fremde Religion zu predigen. Nachdem mir klar wurde, daß sie mich bekehren wollten, wurde ich sehr traurig und wütend. Es belastet mich besonders, daß viele junge Tibeter begonnen haben, ihre Sonntags-Gottesdienste und Picknicks zu besuchen". Der junge Mann sollte bei der Verteilung von Bibeltexten in tibetischer Sprache helfen. "Mönche würden diese Bücher zerreißen, unser Lehrer hatte mich schon früher vor den Missionaren gewarnt, die unsere Schule besuchten". Persönlich hatte der Junge hatte nie das Gefühl, daß seine eigenen religiösen Überzeugungen durch die Missionierungsversuche geschwächt würden, er befürchtet aber, daß viele ungebildete junge Leute aus ländlichen Gegenden diesen Aktivitäten, die vordergründig praktische Hilfe versprechen, tatsächlich aber auf Bekehrung abzielen, leicht zum Opfer fallen könnten.

Noch befindet sich die Missionierung in Tibet in einem relativ rudimentären Stadium, und die diversen evangelikalen Organisationen geben selbst zu, daß sie "behutsam" vorgehen müssen; ihre eigentlichen Ziele sind jedoch meistens klar erkennbar. Ein Bericht der amerikanischen "Mission Network News" vom 20.07.01 zitiert Dave Bast von der Organisation "Words of Hope" (WOH): "Bast zufolge haben sie große Pläne mit diesen neuen Gläubigen (...), das Ziel ist, eine Generation von Führungspersönlichkeiten für die Kirchen, die wir unter den Tibetern zu errichten hoffen, heranzuziehen." Die WOH, ein Zweig des "Gospel Communications Network", produziert in Zusammenarbeit mit "Far East Broadcasting Asia" eine tägliche Radiosendung in tibetischer Sprache namens Gaweylon, die sowohl in den tibetischen Gebieten Chinas als auch in den Regionen Indiens mit einem hohen Anteil an tibetischen Flüchtlingen ausgestrahlt wird. Im Mai 2003 berichtete die WOH, daß "ihre Radiosendungen in einsamen, abgelegenen Gegenden dieser Region besonders begrüßt werden" und daß "die Zuhörer-Resonanz im letzten Jahr mit über 22.000 Rückmeldungen ungewöhnlich stark war". Bisher haben die Missionare vor allem in bedeutenden Stadtzentren wie Lhasa, einschließlich der großen Klöster, Schriften und auf Band aufgenommenes Material verteilt. In letzter Zeit gibt es jedoch vermehrte Berichte aus der TAR und auch aus Amdo (Qinghai und die nordtibetischen Gebiete von Sichuan), daß sie sich auch bei der Errichtung und Förderung von Schulen engagieren.

Während viele Tibeter meinen, daß die ausländischen Missionare und die chinesischen Behörden ein gemeinsames Ziel verfolgen - und einander dabei auch taktisch unterstützen - nämlich die Verminderung des buddhistischen Einflusses sowohl auf den Einzelnen als auch auf die Gesellschaft, ist den Missionsgesellschaften doch nicht ganz wohl im Hinblick auf ihre Beziehungen zur Regierung. Indessen verkünden sie ganz offen, durch den Einfluß des chinesischen kommunistischen Regimes sei im Laufe der Jahre der Weg für künftige Bekehrungen frei gemacht worden. Auf der Website von "Mission Network" kann man folgendes Zitat von Lee DeYoung von WOH lesen: "Wir können erkennen, daß die Traditionen des tibetischen Buddhismus ernsthafte Anzeichen von Erosion zeigen. In Tibet gibt es heutzutage viermal so viele ethnische Chinesen wie Tibeter. Es wird für Tibeter immer schwieriger, Arbeit zu finden. Die chinesische Regierung mischt sich ständig in tibetische buddhistische Angelegenheiten ein".

Weitere Lektüre:
Religion: http://www.tibetinfo.net/reports/trrel.htm
Kultur: http://www.tibetinfo.net/reports/trcult.htm