19. Mai 2000

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Neuer politischer Druck auf tibetische Fremdenführer

Die Regierung der TAR (Tibet Autonomous Region) stellte kürzlich über 100 chinesische Touristenführer ein. Die Ernennungen stellen eine neue Gefahr für die Beschäftigung tibetischer guides dar, die im allgemeinen von Touristen aus dem Westen bevorzugt werden. Tibetische guides stehen unter zunehmendem politischem Druck, da die Behörden das damit verbundene Sicherheitsrisiko fürchten, wenn Tibeter mit Ausländern über ihre Kultur und Geschichte und den Dalai Lama sprechen. Von den Fremdenführern in der TAR wird nun ein Schulabschluß der Mittelschule verlangt. Damit wird es für Tibeter, die in den Exilgemeinden in Indien Englisch gelernt und tibetische Kultur studiert haben, schwierig, nach ihrer Rückkehr nach Tibet eine Anstellung als guide zu finden.

Außerdem müssen Fremdenführer in Tibet schon seit einiger Zeit eine politische Prüfung bestehen. Laut einem Exemplar dieses Prüfungsbogens, der TIN zuging, wird von ihnen verlangt, den chinesischen Standpunkt zu Taiwan zu billigen, zu akzeptieren, daß alle Naturschätze Tibets dem chinesischen Staat gehören und sich an einen "freiwilligen Verhaltenskodex" zu halten, der "die Verteidigung der Landesinteressen und der Ehre der nationalen Einheit einschließt".

Diese Maßnahme der Behörden, neue chinesische Fremdenführer einzustellen, scheint ein Zeichen der anhaltenden Besorgnis der Regierung wegen des "Sicherheitsrisikos", wenn Tibeter mit ausländischen Touristen zu tun haben, aber sie mag auch in dem Wunsch begründet sein, besser für die chinesischen Besucher, die in wachsender Zahl nach Tibet kommen, zu sorgen. Ein westlicher Tourist, der gerade aus Tibet zurückkehrte, sagte, daß Hunderte von Chinesen sich um die neuen Stellen als Touristenführer in Tibet beworben hätten und daß diese guides gut ausgebildet seien und über tibetische Geschichte und Kultur Bescheid wüßten. "Sie scheinen gut Englisch zu können und tibetische Geschichte und Buddhismus studiert zu haben", meinte der Tourist TIN gegenüber. "Es ist gut möglich, daß sie nach und nach die tibetischen Touristenführer ersetzen, wodurch es für Westler schwieriger werden wird, in Tibet von tibetischen guides begleitet zu werden". Ende der achtziger Jahre versuchte die tibetische Regierung schon einmal, das Verhältnis der chinesischen guides in Lhasa anzuheben, dies erwies sich aber als unpopulär bei westlichen Touristengruppen und wurde einstweilen wieder fallen gelassen.

Die Bedingung, nach der alle Touristenführer ein Abgangszeugnis von einer chinesischen oder tibetischen Mittelschule haben müssen, scheint ein weiterer Schritt des Staates zu sein, Tibeter, die in Indien zur Schule gingen, von der Beschäftigung als guides auszuschließen. 1997 verweigerten die Behörden die Verlängerung der Lizenzen von über 60 tibetischen Touristenführer, weil sie ohne Genehmigung Indien besucht hatten. Die chinesische Regierung ist schon seit einigen Jahren wegen der Sicherheitsrisiken beunruhigt, wenn Tibeter für ausländische Touristen arbeiten. Im Juni 1994 gab die Regierung in ihrem jährlichen Arbeitsbericht bekannt, Touristenführer sollten besser überwacht werden, um das "Tun und Treiben einiger guides zu unterbinden, die mit ausländischen Touristen unter einer Decke stecken um der Staatssicherheit zu schaden". Ein Tibeter aus Lhasa berichtete TIN: "Diese Leute (tibetische guides) werden geduldet, weil sie Englisch sprechen und für Kommerz und Tourismus notwendig sind, aber sie stehen unter ständigem Verdacht und werden streng überwacht". Ein beträchtlicher Anteil der rund 3.000 oder mehr Tibeter, die jedes Jahr nach Indien reisen, wo die tibetische Exilregierung ihren Sitz hat, kehren zurück, nachdem sie dort Englisch und tibetische Kultur studiert haben, Kenntnisse, die in der Touristenbranche in Tibet sehr gefragt sind. Diese Reisen nach Indien erfolgen heimlich, aber in den letzten 4 Jahren konnte die Polizei in Tibet wegen der verstärkten Grenzkontrollen fast alle Rückkehrer identifizieren, von denen nun viele, sobald sie wieder in Tibet auftauchen, bis zu 3 Monaten festgehalten und vernommen werden. Die Sicherheitsvorkehrungen an der Grenze wurden im Anschluß an die Flucht des 14-jährigen Ugyen Trinley Dorje, dem 17. Karmapa, ins Exil hin weiter verstärkt.

Der Prüfungsbogen für Touristenführer, den TIN kürzlich erhielt, beinhaltet Fragen über Tourismusbestimmungen und Politik. Zu den Themen der Prüfungsfragen gehören solche wie: "Kapitalismus und Sozialismus sind endgültig eingezogen - richtig oder falsch?" (die korrekte Antwort ist: richtig). Die Fremdenführer müssen in dieser Prüfung auch genaue Angaben über den "freiwilligen Verhaltenskodex für die einzelnen Fremdenführer" machen, der so lautet: "die Interessen des Landes und die Ehre der Nation verteidigen" und "weder durch Handlungen noch durch unverantwortliches Gerede die Interessen des Landes und das Ansehen der Nation untergraben". Bei einer weiteren Frage müssen die Touristenführer den Satz "Alles was auf dem Territorium der VR China gefunden wird..." durch die Aussage ergänzen "alles was es auf dem Land und unter der Erde gibt - Wälder, Flüsse und Meere - ist Eigentum des Staates". Die Touristenführer müssen außerdem bei der folgenden Frage ihr Verstehen der "Ein-China-Politik" beweisen: "Sind Diskussionen über die Taiwan-Frage etwas, das im Rahmen der Ein-China-Politik entschieden werden kann?" Die richtige Antwort auf diese Frage ist ein simples Ja. Die Behörden begannen 1996 damit, Prüfungen für Fremdenführer einzuführen. Damals wurden von der Sicherheitspolizei und dem Tourismusministerium aus Peking und Tibet 20 Tage lang Prüfungen für Touristenführer abgehalten.

Die Bestimmungen für die Touristenführer betonen die "Stabilität"

Ein internes Dokument vom März 1999 im Besitz von TIN besagt, daß Reisebüros in Tibet, die mit Ausländern zu tun haben, sich wegen der Sorge um die "Stabilität" in der Region an strenge Regeln halten müssen. Nach diesem Dokument, einem Schreiben der "Management Verantwortlichkeit für Personal von jenseits unserer Grenzen für die Einheiten in Lhasa, die Ausländer betreuen" müssen Agenturen, die mit Ausländern zu tun haben, "deren Beteiligung an Aktivitäten, die unserem nationalen Interesse schaden könnten, verhindern helfen". Das Dokument warnt davor, daß Reiseagenturen und Fremdenführer für "Vorfälle, in die Ausländer verwickelt sind, zur Verantwortung gezogen werden könnten. Reisebüros haben auch die Pflicht, das lokale PSB (Büro für öffentliche Sicherheit) innerhalb von 24 Stunden davon in Kenntnis zu setzen, wenn sie Ausländer in einen Distrikt oder Verwaltungsbezirk in Tibet begleiten. In dem Schreiben heißt es, daß Ausländer, die Handlungen vollziehen, "welche unvereinbar mit ihrem Status sind, so wie z.B. der illegale Erwerb von Kunstgegenständen oder die Unterhaltung komplexer Beziehungen zu Leuten", den Behörden ein besonderes Anliegen sind. Die Art der "komplexen Beziehungen zu Leuten" wird in dem Dokument nicht spezifiziert, könnte sich aber auf die Unterhaltungen zwischen Ausländern und Tibetern über politische Themen wie die tibetische Unabhängigkeit oder den Dalai Lama beziehen.

Einzelne Touristenführer können in ernste Schwierigkeit geraten, wenn ihre Kunden diese Regeln übertreten, und manchmal sogar, ohne daß sie es tun. Ein 20-jähriger früherer Touristenführer aus Tibet erzählte TIN, daß er nach der Abreise einer Touristengruppe aus Tibet von der Sicherheitspolizei vernommen wurde. Der jetzt im Exil lebende Tibeter sagte TIN gegenüber: "Ich begleitete einige Photographen durch ein Kloster, wo sie Erlaubnis hatten, Photos zu machen. Ich merkte, daß mir Leute von der Staatssicherheit folgten. Nachdem die Touristen gegangen waren, wurde ich in deren Büro zitiert und einem Verhör unterzogen. Sie wollten wissen, wohin ich die Gruppe in den 3 Tagen geführt hatte und was ich ihr erzählt hatte. Sie befragten auch einige meiner Kollegen. Schließlich überredete das DMC (Demokratisches Verwaltungskomitee) des Klosters sie, uns laufen zu lassen".

Laut dem Chinesischen Nationalen Tourismus Ministerium besuchten 1998 87.039 Ausländer und 5.861 Chinesen aus Übersee Tibet (Yearbook of China Tourism Statistics, 1999). 14.497 Touristen kamen aus den USA und 5.362 aus Großbritannien. 1998 wurde also bei der Zahl an internationalen Touristen, welche die TAR besuchen, ein Anstieg von 17,9% gegenüber dem Vorjahr verzeichnet.

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