27. Dezember 1999

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Mehr Todesfälle im Gefängnis in Tibet

Eine Studie von TIN zum Jahresende über politische Gefangene läßt vermuten, daß die Anzahl der Gefangenen in dem Drapchi Gefängnis in Lhasa seit dem Höhepunkt 1995/6 etwas zurückgegangen ist, was darauf zurückzuführen ist, daß die regulären Abgänge über die Ankunft neuer Gefangener überwiegen. Jedoch gibt es keinerlei Hoffnung auf eine Minderung der Mißhandlungen in dem offiziell Gefängnis Nr. 1 der TAR genannten Drapchi und anderen. Sechs Gefangene, Mönche und Nonnen, deren Entlassung 1999 anstand, starben, fünf davon in der Haft oder kurz nach der Freilassung. Die zu Tode Mißhandelten standen alle kurz vor der Entlassung.

Da der Informationsfluß über tibetische politische Gefangene immer schwieriger wird, ist es natürlich, daß die Menschenrechtsorganisationen nicht über das tatsächliche Ausmaß der politischen Inhaftierung in Tibet Bericht erstatten können. Sich auf die zur Verfügung stehenden Daten stützend zeigt eine Analyse von TIN zum Jahresende, daß mindestens 110 Gefangene mit gerichtlicher oder administrativer Verurteilung 1999 ihrer Entlassung entgegen sahen. Dreiviertel von ihnen etwa war in Drapchi eingesperrt. Die Hälfte der übrigen Gefangenen wurden in Trisam festgehalten, einem Umerziehungslager durch Arbeit auf Provinzebene, wo die Insassen administrativ zu bis zu drei Jahren verurteilt werden. Auf diese Art der Bestrafung wird immer weniger zurückgegriffen, denn die Urteile werden nun meistens von Gerichten ausgesprochen. Die zur Entlassung anstehenden Gefangenen waren im Durchschnitt fünf Jahre eingesperrt. Mindestens zwei, vielleicht auch drei waren vorzeitig aus gesundheitlichen Gründen entlassen worden.

Von den 6 Verstorbenen, die 1999 entlassen worden wären, war der erste Pasang Dawa, ein Mönch des Klosters Sang-ngag Khar in Distrikt Taktse, der im Alter von 18 Jahren 1994 festgehalten wurde. Ein ehemaliger Gefangener, ein Mönch, der nun im Exil lebt und zusammen mit Pasang Dawa in demselben Gefängnistrakt war, beschrieb wie Pasang Dawas Gesundheit durch die entsetzlichen Schläge zusammengebrochen war und wie ihm die medizinische Hilfe versagt wurde: "Als die Peiniger schließlich merkten, daß er in einem bedrohlichen Zustand war und beschlossen, ihn zu hospitalisieren, starb er auf dem Weg zum Krankenhaus". Hätte er überlebt, wäre er nun entlassen worden.

Zwei Mönche und zwei Nonnen, die durch die Vergeltungen nach den Gefängnisdemonstrationen in Drapchi im Mai 1998 starben, gehörten auch zu denen, die 1999 hätten entlassen werden sollen. Tashi Lhamo aus dem Kloster Jewo Thekchogling in Distrikt Nyemo wurde im Jan. 1995 mit 21 Jahren verhaftet. Dekyi Yangzom aus dem Kloster Rangjung in Phenpo in Distrikt Lhundrub wurde mit 19 Jahren verhaftet. Beide hatten ein Urteil von 4 Jahren und wären Anfang dieses Jahres entlassen worden, aber sie starben im Juni 1998 in ihren Zellen. Als Grund wurde inoffiziell Selbstmord durch Erstickung angegeben, aber von den Behörden wurde bisher keine offizielle Erklärung geliefert.

Der Mönch Khedrub von Ganden wurde im März 1994 festgehalten und zu 5 Jahren Haft verurteilt. Er war auch einer der Todesfälle im Zusammenhang mit den Ereignissen vom Mai 1998 in Drapchi, aber die Umstände seines Todes sind immer noch unklar. Einer Aussage eines Augenzeugen zufolge, die TIN im vergangenen Monat zuging, starb er in dem "Hochsicherheitstrakt des Drapchi Gefängnisses". Kürzlich erhaltene Informationen über den Mönch Lobsang Choephel aus dem Kloster Khangmar in Distrikt Damshung bestätigen, daß auch dieser einer der Verstorbenen ist. Er soll sich am 12. Mai 1998 das Leben genommen haben.

Der sechste Todesfall unter den 1999 zur Entlassung Anstehenden war der von Ngawang Jinpa, einem Mönch aus Ganden, der 1995 verhaftet und zu 4 Jahren verurteilt war. Ende März 1999 wurde er aus dem Gefängnis nach Hause geschickt. Er starb zwei Monate später Mitte Mai. TIN konnte noch nicht herausfinden, ob sein Tod den Mißhandlungen oder anderen gesundheitlichen Gründen zuzuschreiben war.

Der am längsten eingesperrte politische Gefangene, der 1999 entlassen werden sollte, war der Mönch Lobsang Yeshe (Phuntsok Gyaltsen), der nach der großen Demonstration vom 5. März 1988 verhaftet und zu 11 oder 12 Jahren verurteilt worden war. Ein Bericht von 1996 besagt, daß er wegen gesundheitlicher Probleme entlassen wurde, aber wegen schwerer Nierenschäden durch die Schläge nun an einen Rollstuhl gefesselt ist. Sein jetziger Zustand ist nicht bekannt.

Nach den neuesten TIN zugänglichen Informationen standen in den Jahren 1997, 1998 und 1999 insgesamt über 300 politisch verurteilte Gefangene zur Entlassung an, davon 230 alleine in Drapchi. Diesem Trend zufolge wird angenommen, daß die Belegung von Drapchi nun unter der von 1995-1997 bleibt, falls es zu keiner neuen Verhaftungswelle kommt.

Mindestens 9 politische Gefangene, die in diesen drei Jahren hätten entlassen werden sollen, sind nun tot. Auch zwei von den 1998 fälligen sind gestorben, einer in der Haft und der andere kurz nach der Entlassung. Choekyi Wangmo aus dem Nonnenkloster Shar Bumpa starb am 7. Juni 1998, eine Woche, ehe sie regulär entlassen worden wäre, angeblich durch Selbst-Erstickung in ihrer Zelle. Am 6. Mai 1998 wurde der 22-jährige Yeshe Samten aus Ganden nach einer zweijährigen Strafe in Trisam entlassen. Sechs Tage später starb er zu Hause als Folge der schweren Schläge und anderen Mißhandlungen. TIN ist dabei, nach einer Bestätigung der Berichte über zwei weitere Todesfälle, ein Mönch und eine Nonne, deren Entlassung 1998 fällig war, zu forschen.

TIN bemüht sich, herauszufinden, ob der Tod der in dieser Gruppe genannten Gefangenen tatsächlich auf die erlittenen Mißhandlungen zurückzuführen ist. Zuweilen nicht eindeutige Berichte aus Tibet, sowie eine Tendenz alle Todesfälle von Gefangenen den Folterungen zuzuschreiben, machen die Auswertung oft schwierig.

Drapchi steht nun als die gefährlichste Strafanstalt in Tibet da, obwohl die Ursache für den Tod vieler dort Inhaftierter bereits durch Mißhandlungen in den Untersuchungsgefängnissen Gutsa oder Seitru gelegt wurde. Nach den TIN vorliegenden Angaben, die sich über einen Zeitraum von 12 Jahren seit 1987 erstrecken, ist die Wahrscheinlichkeit, daß eine politische Gefangene in Drapchi an Mißhandlung sterben wird, 1 zu 22. Die statistische Aussicht für männliche politische Gefangene in Drapchi hat sich im letzten Jahr verschlechtert, sie liegt nun bei 1 zu 37, vielleicht auch niedriger. Weiterhin liegt die Wahrscheinlichkeit, daß ein politischer Gefangener, der nach 1987 festgehalten wurde, wegen der grausamen Haftbedingungen seine Strafe nicht überleben wird, bei 1 zu 32. Für die politischen Gefangenen in Drapchi, die 1998 und 1999 ins Zivilleben hätten zurückkehren sollen, sah es jedoch schlimmer aus, von ihnen starben nämlich 1 von 24.