Januar 2008
Tibetan Writers Abroad PEN-Centre

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Schicksal eines im August 2006 verschwundenen tibetischen Schriftstellers

Im August 2006 berichtete Phayul über die Verhaftung des tibetischen Mönchs und Schriftstellers Rinchen Sangpo.

Rinchen Sangpo war ursprünglich Mönch im Kloster Tsernga in Shamdo im Distrikt Mangra, Tibetisch-Autonome Präfektur Tsolho, Provinz Qinghai, studierte jedoch seit dem Jahre 2000 im Kloster Drepung, Lhasa, buddhistische Philosophie. Im Juli 2006 war er von der chinesischen Polizei auf dem Weg von Lhasa in seine Heimat verhaftet worden. Seitdem gab es keine weiteren Informationen über seinen Verbleib.

Es erreichte uns nun eine Information von Tibetan Writers Abroad Pen Centre, nach der es im Herbst 2007 gelungen war, erstmalig telefonischen Kontakt mit Rinchen Sangpo aufzunehmen. Im Folgenden nun der Bericht des Tibetan Writers Abroad Pen Centre in Auszügen.

„Wir, das Tibetan Writers Pen Centre, haben in den letzten Monaten immer wieder versucht, auf verschiedenste Weise mit Rinchen Sangpo in Kontakt zu treten. Im Herbst 2007 ist es uns nun endlich gelungen, ein Telefongespräch mit ihm zu führen. Nachstehend fassen wir zusammen, was er uns berichtet hat. Seine Aussage zeugt von der in Tibet herrschenden Angst unter den Tibetern und den Gefahren, unter denen tibetische Autoren in Tibet leben.

Während seiner Zeit im Kloster Drepung hatte Rinchen Sangpo ein Tagebuch mit dem Titel "The Hot Tear With Blood" geführt. Eines Tages verschwand dieses Tagebuch auf unerklärliche Weise aus seinem Zimmer im Kloster.

Aufgrund verschiedener Faktoren, darunter auch gesundheitlicher Probleme wegen einer sich verschlechternden Hepatitis, suchte Rinchen Sangpo Anfang 2006 ein Krankenhaus in Lhasa auf. Der Arzt dort riet ihm, sich in einem anderen Krankenhaus behandeln zu lassen. Rinchen Sangpo verließ daher Lhasa Anfang Juli, um in seine Heimat zurückzukehren und seine Behandlung dort fortzusetzen. Er trug damals einen seiner Aufsätze mit dem Titel "Middle Path" bei sich, den er in Kürze zu veröffentlichen gedachte. Doch dazu sollte es nicht kommen.

In Ngagchu kamen chinesische Polizisten in den Zug und verhafteten ihn. Sie verbanden ihm die Augen mit einem Stück Tuch und fuhren ihn fünf Stunden in einem Polizeiwagen an einen unbekannten Ort. Als ihm dort die Augenbinde abgenommen wurde, fand er sich in einem unterirdischen Kerker wieder. Er wurde dort insgesamt zwei Monate festgehalten. In den ersten zwölf Tagen seiner Haft wurde er, immer wieder unter Gewaltanwendung, verhört und zu seinen zahlreichen Veröffentlichungen seit seinem sechzehnten Lebensjahr befragt. Sie zeigten ihm das Tagebuch "The Hot Tear Mixed With Blood", das in Drepung aus seinem Raum verschwunden war. Es scheint, daß es von jemandem gestohlen und der chinesischen Polizei übergeben worden war. Sie warfen ihm die unzähligen Vergehen vor, die er mit dem Abfassen dieses Tagebuches und der Kritik an der kommunistischen Besetzung begangen habe. Vor seinen Augen verbrannten sie seinen Aufsatz "Middle Path" und befahlen ihm, mit dem Schreiben aufzuhören. Ferner beschuldigten sie ihn, Kontakt zu der tibetischen Exilregierung zu haben. Rinchen Sangpo wies diese Anschuldigungen zurück.

Während der gesamten Haftzeit wurde Rinchen Sangpo grausam gefoltert. Seine Gesundheit verschlechterte sich rapide. Schließlich wurde er aus "medizinischen Gründen" entlassen. Er verbrachte insgesamt einen Monat und zwanzig Tage in einem Krankenhaus, wo sich sein Zustand infolge der Behandlungen leicht besserte. Es war ihm jedoch bewußt, daß er nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus wieder in die Hände der chinesischen Polizei fallen würde, und so beschloß er, aus dem Krankenhaus zu fliehen. Von diesem Tage an hielt er sich in ländlichen Gegenden auf, in denen überwiegend Nomaden leben, wobei er darauf achtete, die Orte häufig zu wechseln und immer verborgen vor der chinesischen Polizei zu bleiben.

Anfang 2007 machte sich Rinchen Sangpo erneut auf den Weg nach Lhasa. Auf die Situation in Lhasa war er nicht vorbereitet; die chinesische Polizei versuchte erneut, ihn zu verhaften. Es gelang ihm jedoch zu fliehen. Er begab sich nach Golog in Amdo. Bei seiner Ankunft dort wurde er sofort von der chinesischen Polizei verhaftet. Sie brachten ihn zunächst in die Polizeistation von Barkham. Dort banden sie ihm Arme und Beine zusammen und hängten ihn von 13.00 h mittags bis 8.00 h am folgenden Morgen auf. Zwei Tage später verbrachten sie ihn in die Polizeistation des Bezirks Gyalrang, wo sie ihn unter Schlägen verhörten, grausam folterten und nach dem Zweck seines Kommens fragten. Unter dem Vorwand, er müsse auf die Folter hin nun medizinisch versorgt werden, verabreichten sie ihm mehrere Spritzen. Seither leidet Rinchen Sangpo unter häufigen, mehrere Tage lang andauernden Schmerzen in den Beinen, wegen derer er das Bett oftmals nicht verlassen kann. Es ist davon auszugehen, daß durch diese "medizinische Maßnahme" die Folter fortgesetzt und er ernsthaft verletzt werden sollte. Die Polizisten bedrängten ihn mit Fragen wegen seiner beiden kritischen Artikel "The Story Of Lhasa" und "The Story Of Blood" und schlugen ihn immer wieder. Schließlich und unter Umständen, die nicht näher bekannt sind, wurde er entlassen, aber er hat keine Bewegungsfreiheit.

Rinchen Sangpos Situation ist sehr ernst. Seine Gesundheit verschlechtert sich von Tag zu Tag. Er kann keiner Arbeit nachgehen und keine dauerhafte Unterkunft finden. Nach wie vor hält er sich in ländlichen Gegenden auf und verbirgt sich vor der chinesischen Polizei.

Trotz dieser äußerst schwierigen Bedingungen hält Rinchen Sangpo treu an seinem Auftrag auf. Er hat damit begonnen, den verbrannten Artikel "Middle Path" und das von den Chinesen gestohlene Tagebuch "The Hot Tear Mixed with Blood" zu rekonstruieren. Er betont, daß er sich immerfort und ohne Furcht für das Wohl des tibetischen Volkes einsetzen und alles tun werde, damit die Geschichte Tibets nicht aus den Herzen der Menschen der gegenwärtigen Generation verschwinde.

Rinchen Sangpo bittet demütig darum, seine Geschichte in so vielen Medien wie nur irgend möglich zu verbreiten und appelliert an die Weltöffentlichkeit, ihn bei seinem Kampf für Wahrheit und Gerechtigkeit zu unterstützen.

Wir, das Tibetan Writers Abroad Pen Centre, schließen uns dieser Bitte an. Wir fordern alle internationalen Menschenrechtsorganisationen und alle mitfühlenden Personen auf, Rinchen Sangpo zu unterstützen, einen Schriftsteller, der in seinem eigenen Land nicht das Recht hat, seine Meinung zu äußern und Opfer schrecklicher Menschenrechtsverletzungen geworden ist.“  

Kontaktperson: Jigme Dorjee
Tibetan Writers Abroad Pen Centre
Telefon: +91+1892+226574
E-Mail: tibpen@yahoo.com