23. Januar 2021
Central Tibetan Administration (CTA), www.tibet.net, Human Rights Watch (HRW), www.hrw.org

Junger tibetischer Mönch stirbt nach Folter in chinesischer Haft, sechs weitere werden in Dza Wonpo verurteilt

Ein 19jähriger tibetischer Mönch aus Dza Wonpo ist am 19. Januar gestorben, nachdem er wegen friedlicher Unabhängigkeitsproteste im November 2019 ins Gefängnis gekommen war und dort schwer geschlagen und gefoltert wurde.

Sechs weitere Tibeter, darunter vier Mönche und zwei Laien, wurden im Zusammenhang mit denselben Protesten, zu denen es in der Ortschaft Dza Wonpo, Landkreis Sershul, Tibetisch-Autonome Präfektur (TAP) Kardze (chin. Ganzi), in der traditionellen Provinz Kham kam, zu bis zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Tenzin Nyima, auch Tamey genannt, wurde zunächst zusammen mit drei anderen Mönchen, Kunsal (20), Soetra und Tsultrim (beide um 18 Jahre alt) festgenommen - zwei Tage, nachdem am 7. November 2019  Hunderte von handgeschriebenen Flugblättern, die für die Unabhängigkeit Tibets warben, vor dem Büro der Kommunalverwaltung verstreut, gefunden worden waren. Am 21. November wurden Yonten und Choegyal, zwei weitere junge Männer aus Dza Wonpo, festgenommen, nachdem sie einen ähnlichen Protest inszeniert und entsprechende Videos auf WeChat veröffentlicht hatten. Choegyals jüngerer Bruder Nyimey wurde am 18. November 2019 inhaftiert, weil er seine Solidarität mit dem Protest der Mönche aus dem Kloster Dza Wonpo Gaden Shedrup vom 7. November zum Ausdruck gebracht und Online-Posts mit Kritik an der chinesischen Politik veröffentlicht hatte.

Der 19jährige Tenzin Nyima vor und nach den Mißhandlungen im Gefängnis

Tibeter im Exil, die über die Entwicklungen in der Region Wonpo Bescheid wissen, sagten, daß die Proteste im November 2019 vor dem Hintergrund einer erhöhten Unzufriedenheit stattfanden, nachdem lokale Beamte immer mehr Forderungen an umgesiedelte Nomaden und andere Bewohner gestellt hatten. Die Beamten hatten von den ehemaligen Nomaden verlangt, die „Armutsbekämpfungspolitik“ der chinesischen Regierung, die in ganz China durchgeführt wird und zu der in Tibet in der Regel die Zwangsumsiedlung von Nomaden und anderen Landbewohnern gehört, zu bejubeln.

Berichten zufolge hatten Beamte ehemalige Nomaden und andere arme Familien in Wonpo, das etwa 2.000 Haushalte umfaßt, dazu aufgefordert, vor der Kamera oder gegenüber offiziellen Besuchern zu erklären, daß sich ihr Leben durch die Armutsbekämpfung erheblich verbessert habe. „Arme Familien wurden gezwungen, sich das Vieh und die Möbel anderer Leute zu leihen, um eine Show abzuziehen und zu zeigen, daß sie reicher geworden seien“, sagte die Quelle, und lokale Beamte „drohten vielen armen Haushalten, daß sie, falls sie diese Dinge nicht hätten, sie sich von anderen leihen und zur Schau stellen müßten, andernfalls würden sie später verhaftet und bestraft werden.“

Die Quelle sagte, daß lokale Beamte in Wonpo „kurz vor dem 7. November 2019 einen weiteren solchen Auftritt planten, und das machte die Leute wütend. Es gab eine Menge Meinungsäußerungen diesbezüglich, und es war zu dieser Zeit, daß der Protest stattfand.“

Tenzin Nyima wurde nach seiner willkürlichen Inhaftierung am 9. November 2019 im Mai 2020 kurzzeitig freigelassen, bevor er am 11. August erneut verhaftet wurde. Während seiner Inhaftierung wurde er von den chinesischen Beamten heftig geschlagen und gefoltert, wodurch er schwere Verletzungen davontrug. Zudem erhielt er keine angemessene Ernährung, was ihn dermaßen schwächte, daß er sich schließlich nicht mehr bewegen noch sprechen konnte. Anfang Oktober informierte die Gefängnisleitung Tenzin Nyimas Familie über seinen ernsten Gesundheitszustand und legte ihr nahe, ihn aus dem Gefängnis abzuholen.

Laut unserer Quelle brachten die Angehörigen ihn am 6. Oktober 2020 in ein Krankenhaus in Chengdu, doch die Ärzte erklärten, daß sein Zustand äußerst kritisch und seine Verletzungen unbehandelbar seien. Die Familie sammelte Geld, um die für seine Behandlung erforderlichen Mittel von 40.000 RMB (US$ 6.200) aufzubringen, aber nachdem sich sein Zustand nach mehreren Wochen nicht gebessert hatte, wurde er entlassen.

Die Familie sorgte für seine Aufnahme in anderen Krankenhäusern, in der Hoffnung, daß er in seinem gelähmten, komatösen und schwerkranken Zustand Hilfe erfahren könnte. Am 10. November wurde er in ein Krankenhaus in Dartsedo (chin. Kangding) in der TAP Kardze eingeliefert, doch auch dort gaben die Ärzte ihn auf und entließen ihn.  Die Familie brachte ihn zu Hause unter, wo er kurz darauf am 19. Januar 2021 verstarb.

Die chinesische Polizei und die Gefängnisaufseher foltern und mißhandeln routinemäßig Häftlinge, wobei die Situation in den Regionen der ethnischen Minderheiten besonders schlimm ist. Die chinesische Regierung sollte eine sofortige und unparteiische Untersuchung der mutmaßlichen Folterung von Tenzin Nyima anordnen und seine Peiniger zur Rechenschaft ziehen, so Human Rights Watch. Die Behörden sollten seiner Familie eine faire und angemessene Entschädigung zukommen lassen, wie es die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen verlangt, der China beigetreten ist.

Der Präsident der tibetischen Zentralverwaltung, Sikyong Dr. Lobsang Sangay, drückte den Familienmitgliedern seine tiefe Trauer und sein Beileid aus. Er sagte: „Ich bete darum, daß er als großer Patriot in Tibet wiedergeboren und den Freiheitskampf fortsetzen wird. Wir werden die Opfer von sechs Millionen Tibetern niemals vergessen und ihren Erwartungen unermüdlich folgen, bis sie erfüllt sind.“

Unserer Quelle zufolge fanden die Prozesse gegen Tenzin Nyima und sechs weitere Tibeter am 10. und 12. November 2020 vor dem Mittleren Volksgericht in Sershul statt.

Im Uhrzeigersinn: Choegyal, Soetra, Nyimey, Kunsel, Tsultrim, Yonten

Das chinesische Gericht verurteilte die Mönche Choephel (auch Kunsal genannt), 20, zu vier Jahren, Soetra (auch Woeser genannt) zu drei Jahren und Tsultrim, 16, zu einem Jahr Gefängnis. Alle drei wurden beschuldigt, in der Nacht des 7. Novembers 2019 Flugblätter verteilt und Slogans gerufen zu haben, weshalb sie der „Aufhetzung zur Spaltung des Landes“ angeklagt wurden. Tenzin Nyima (Tamey) wurde desselben Vergehens angeklagt, aber das Gericht gab aufgrund seines Gesundheitszustandes sein Strafmaß nicht bekannt.

Nyimey, ein 22jähriger Mönch, der zwar nicht an den Protesten beteiligt war, aber die Nachricht über die Verhaftungen in Dza Wonpo in den sozialen Medien gepostet hatte, erhielt die längste Gefängnisstrafe von fünf Jahren.

Tsultrim, der zum Zeitpunkt der Proteste noch keine 15 Jahre alt und damit minderjährig war, wurde entgegen chinesischem und internationalem Recht dennoch vor Gericht gestellt und verurteilt.

Die zwei anderen jungen Männer aus Wonpo, Choegyal und Yonten, wurden ebenfalls wegen „Anstiftung zur Spaltung des Landes“ zu je vier Jahren Gefängnis verurteilt. Vor Gericht sagten sie aus, daß sie kurz vor ihrem Protest einen Videoclip mit Pro-Unabhängigkeits-Flugblättern und Fotos des Dalai Lama an Choegyals Onkel in der Schweiz geschickt hätten.

Choegyal und Yonten hatten auch Erklärungen in den sozialen Medien veröffentlicht. Choegyal hatte geschrieben: „Die Loyalität zu unserem Volk ruht auf den Schultern eines jeden von uns und darf niemals aufgegeben werden.“ Yonten schrieb: „Ich habe von dem Elend gehört, das die Helden erlitten haben, die ihr Leben für unser Volk gegeben haben, die Krieger, die für unsere Unabhängigkeit gekämpft haben, und jetzt bin ich furchtbar traurig, daß unsere Brüder aus Wonpo ins Gefängnis geworfen wurden. Mögen unsere Brüder bald freigelassen werden!“

Ausführliche Informationen zu den Dza Wonpo-Protesten und den Verhaftungen, über die in den Jahren 2019 und 2020 berichtet wurde, finden Sie unter den nachstehenden Links:

19. November 2019: Vier Mönche, die in Sershul Unabhängigkeit für Tibet forderten, festgenommen,
http://www.igfm-muenchen.de/tibet/RFA/2019/VierMoencheDzaWonpoSershul_19.11.19.html

25. November 2019: Sechs tibetische Mönche und zwei junge Männer wegen Flugblättern in Dza Wonpo, Sershul, festgenommen, http://www.igfm-muenchen.de/tibet/diir/2019/6MonksDzaWonpo_25.11.19.html

6. Januar 2020: Chinesische Behörden halten immer noch fünf im November verhaftete tibetische Mönche fest, http://www.igfm-muenchen.de/tibet/RFA/2020/Sershul_6.1.20.html