November 2003
Free Tibet Campaign
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Die Geschichte des Falles Tenzin Delek Rinpoche

Aus "Free Tibet" Issue No. 35, Autumn 2003

Am 2. Dezember jährt sich der Urteilsspruch gegen den angesehenen buddhistischen Würdenträger Tenzin Delek Rinpoche. Er und der 28 Jahre alte Bauer Lobsang Dhondup wurden beschuldigt, im April 2002 an einer Reihe von Sprengstoffexplosionen beteiligt gewesen zu sein.

Obwohl der unfaire Prozeß, in dem den beiden Angeklagten eine ordentliche und unabhängige anwaltliche Vertretung verweigert wurde, weltweit Verurteilung fand, wurde Lobsang Dhondup nach Ablehnung seines "Gnadengesuchs" am 26. Januar 2003 hingerichtet - und das trotz der Versprechungen der chinesischen Regierung, sie werde die internationale Gemeinschaft über alle Entwicklungen auf dem laufenden halten und alle Entscheidungen dem Obersten Volksgericht Chinas zur Prüfung vorlegen.

Das aufgeschobene Todesurteil gegen Tenzin Delek Rinpoche wurde ebenfalls bestätigt, und sofort nach dem Prozeß wurde er an einen geheimgehaltenen Ort gebracht. Bis heute wurde keinem Anwalt, Arzt oder Familienangehörigen ein Besuch bei ihm gestattet, was Anlaß zu tiefer Besorgnis hinsichtlich seiner Sicherheit und seines Wohlbefindens gibt.

Beweise, welche die Verwicklung des Rinpoche in die Explosionen hätten belegen sollen, wurden überhaupt keine erbracht. China versucht nämlich den "Kampf gegen den Terrorismus" als Vorwand für seine massiven Menschenrechtsverletzungen in der Provinz Sichuan zu mißbrauchen. Wie es heißt, wurde der Rinpoche während der Haft gefoltert, was jedoch (soweit Free Tibet Campaign bekannt ist) niemals von irgendeiner juristischen Instanz untersucht wurde. Der einzige vorgelegte "Beweis" bestand in einem Geständnis von Lobsang Dhondup, welches dieser später wieder zurücknahm, weil es unter Folter erfolgt sei.

Der tatsächliche Grund für den Prozeß gegen den Rinpoche scheint der Unmut der Behörden von Sichuan über seinen Einfluß bei der örtlichen Bevölkerung und seine Unterstützung für den Dalai Lama gewesen zu sein. Bereits im Jahr 2000 wollten die Behörden den Rinpoche verhaften, Mitbürger brachten jedoch eine Petition in Gang, unter die etwa 40.000 Unterschriften gesammelt wurden. Tserang Dhondup, ein Dorfältester, war einer der Organisatoren der Petition und versuchte im Jahr 2002 Gelder für die Verteidigung des Rinpoche zu sammeln, was wahrscheinlich der Anlaß für seine eigene Inhaftierung war.

In den 12 Monaten zwischen April 2002 und 2003 wurden mindestens 16 Tibeter verhaftet und verurteilt oder ohne Anklage festgehalten, weil sie den Rinpoche unterstützt hatten. Im Oktober 2003 waren fünf von ihnen immer noch in Haft oder werden in Verbindung mit diesem Fall nach wie vor vermißt.

Infolge des internationalen Druckes gab es ein paar Freilassungen. Drei Mönche wurden im April 2003 vorzeitig aus einem Lager für Umerziehung-durch-Arbeit entlassen. Der seit Februar 2003 ohne Anklage inhaftierte Geschäftsmann Didi, welcher der Weitergabe von Informationen über den ersten Prozeß des Rinpoche im Dezember verdächtigt worden war, wurde schließlich freigelassen. Tserang Dhondup (alias Jortse) wurde in Juli 2003 nach Verbüßung von einem Jahr seiner insgesamt fünfjährigen Haftstrafe entlassen. Ein Grund für seine Freilassung wurde nie genannt. Gemäß Human Rights Watch war Tserang bei seiner Entlassung erblindet, konnte nicht gehen, seine Hände nicht benutzen und nicht klar sprechen. Ob sein Zustand lebensbedrohlich ist, weiß man nicht.

Tashi Phuntsok verbüßt vermutlich immer noch seine in einem geheimen Prozeß in Kardze verhängte siebenjährige Haftstrafe. Gerüchten zufolge soll er ebenfalls bei schlechter Gesundheit sein.

Zwei junge Mönche, Pasang und Choetsom, werden vermißt, seitdem sie zum Verhör vorgeladen worden waren. Zwei andere Mönche sind untergetaucht, nachdem sie gewarnt wurden, daß nach ihnen gefahndet werde. Tabo, ebenfalls ein Geschäftsmann, welcher der Weitergabe von Informationen an ausländische Journalisten verdächtigt wurde, wird vermutlich ohne Anklage festgehalten. Um zu verhindern, daß Informationen aus Tibet hinausgelangen, begannen die Behörden nach der Verhaftung von Tabo und Didi Ferngespräche und Faxe streng zu kontrollieren.

China wird auch in Zukunft den aktuellen "Kampf gegen den Terror" dazu benutzen, um den internationalen Menschenrechtsstandard zu unterlaufen (wie es auch die US-Regierung in Guantanamo Bay getan hat), ebenso wie es ihn als Rechtfertigung für die kontinuierliche Verletzung der Rechte von Tenzin Delek Rinpoche benutzt.

Free Tibet Campaign ist weiterhin tief besorgt um die Gesundheit und das Wohlbefinden von Tenzin Delek Rinpoche und der anderen Gefangenen - besonders, weil eine Gefängnisstrafe in Tibet und China an sich schon ein Todesurteil bedeuten kann.

Die Kampagne

Tenzin Delek Rinpoche könnte ab dem 7. April 2004 hingerichtet werden. Es ist notwendig, Druck auf die chinesische Regierung auszuüben, damit diese das Todesurteil zurücknimmt und Tenzin Delek Rinpoche die Chance zu einem öffentlichen und fairen Prozeß gibt. Unparteiische und unabhängige Beobachter sollten zugelassen werden und dem Rinpoche sollte gestattet werden, seine eigene rechtliche Vertretung zu bestimmen.

Free Tibet Campaign braucht Ihre Hilfe: Schreiben Sie an Ihren Abgeordneten und an die chinesischen Behörden; organisieren Sie eine örtliche Unterstützungsgruppe, um den Fall des Rinpoche in der Öffentlichkeit bekannt zu machen! Infolge internationalen Drucks wurden bereits sechs mit dieser Sache verbundene Tibeter freigelassen. Bitte helfen Sie mit, die Freilassung von Tenzin Delek Rinpoche zu erreichen!

Hintergrund

Strafurteile werden in China häufig zurückdatiert und werden dann ab dem Datum der Verhaftung gerechnet. Das bedeutet, daß Tenzin Delek Rinpoche schon im April 2004 exekutiert werden könnte. Bisher wurden aufgeschobene Todesstrafen in China allerdings zumeist in lebenslange Haftstrafen umgewandelt.

Man kann jedoch nicht einfach davon ausgehen, daß dies im Fall des Rinpoche auch so gehandhabt wird, zumal da Lobsang Dhondup im Januar 2003 auf Grund ähnlicher Vorwürfe gleich nach der Anhörung zu seinem "Gnadengesuch" hingerichtet wurde. Selbst wenn die Todesstrafe in "lebenslänglich" umgewandelt werden sollte, ist sein Leben weiter in Gefahr, denn eine Haftstrafe in Tibet kann von sich heraus ein Todesurteil darstellen - bedingt durch Folter, schlechte Behandlung, Verweigerung von medizinischer Hilfe und die miserablen Haftbedingungen.

Wichtige Daten

3. April 2002 - In Zentrum von Chengdu gibt es eine Explosion. Lobsang Dhondup wurde vermutlich kurz danach verhaftet.

7. April 2002 - Tenzin Delek Rinpoche wird im Kloster Jamyang Choekhorling verhaftet (in Verbindung mit diesem Fall werden im Lauf der nächsten zwölf Monate 16 Tibeter festgenommen, verhaftet oder verschwinden einfach).

2. Dezember 2002 - Tenzin Delek Rinpoche wird mit zweijährigem Aufschub zum Tode verurteilt. Über Lobsang Dhondup wird die Todesstrafe (ohne Aufschub) verhängt.

29. Dezember 2002 - Unabhängigen Rechtsanwälten wird die Verteidigung des Rinpoche untersagt.

10. Januar 2003 - Beginn des Wiederaufnahmenverfahrens

26. Januar 2003 - Bestätigung der Todesurteile gegen Tenzin Delek Rinpoche und Lobsang Dhondup. Lobsang Dhondup wird sofort hingerichtet.

4. Februar 2003 - Eine Bestätigung geht ein, daß der Rinpoche an einen geheimgehaltenen Ort verlegt wurde.

7. April 2003 - Vier im Zusammenhang mit diesem Fall verhaftete Tibeter werden nach einem Jahr aus der Haft entlassen.

22. Juli 2003 - Tserang Dhondup wird nach Verbüßung von einem Jahr einer fünfjährigen Haftstrafe freigelassen.

2. Dezember 2003 - Erster Jahrestag des Verfahrens gegen Tenzin Delek Rinpoche und Lobsang Dhondup.